Montag, 25. Mai 2009

Warum denn in die Ferne schweifen ...

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Durch Fernweh zeichne ich mich nicht gerade aus. Das habe ich schon mehrfach bei Einträgen in meinen blog deutlich gemacht:

Ich schätze die Beschreibungen von GÜNTER DE BRUYN, in denen er die stille Schönheit Ostbrandenburgs erlebbar macht und aufzeigt, wie sehr eine intensive Beschäftigung mit dieser Landschaft dem aufmerksamen Betrachter auch etwas über sich selbst sagt (vgl. meinen blog v. 6. Dezember 2008). Es ist meine selbst gewählte Heimat seit gut 10 Jahren, in der früher allerdings schon viele meiner Vorfahren heimisch waren, für mich dauerhaft zugänglich aber erst seit der „Wende“.

Ähnlich zu verstehen ist SINCLAIR LEWIS Aufforderung, wichtige Eindrücke in unserem Leben zu vertiefen und nicht hektisch Sehenswürdigkeiten im Reisekalender „abzuhaken“. Ich führe sein kurzes Zitat hier noch einmal auf (bereits in meinem blog am 6. April 2009):

Wer einen Dom zehnmal gesehen hat, hat etwas gesehen; wer zehn Dome einmal gesehen hat, hat nur wenig gesehen, und wer je eine halbe Stunde in hundert Domen verbracht hat, hat gar nichts gesehen.

Jetzt habe ich völlig unverhofft noch einen weiteren Liebhaber vertrauter Gegenden gefunden, und zwar den Ich-Erzähler in dem Roman „Der Vorleser“ von BERNHARD SCHLINK. Motiviert durch meinen Filmbesuch Anfang Mai (vgl. meinen blog v. 2. Mai 2009) lese ich in diesem Buch, um herauszufinden, wie Film und Buch zusammenhängen. In seiner klaren, schnörkellosen Sprache schreibt der Erzähler auch einmal kurz etwas über seine Wochenendausflüge und über seine Reise-Gepflogenheiten (Diogenes Tb. 22953, Zürich 1997, S. 125-126):

An den Sonntagen bin ich losgelaufen. Heiligenberg, Michaelisbasilika, Bismarckturm, Philosophenweg, Flussufer – ich habe den Weg von Sonntag zu Sonntag nur geringfügig variiert. Ich fand genug Vielfalt darin, das von Woche zu Woche sattere Grün und die Rheinebene mal im Dunst der Hitze, mal hinter Regenschleiern und mal unter Gewitterwolken zu sehen und im Wald die Beeren und die Blumen zu riechen, wenn die Sonne auf sie brannte, und die Erde und die modernden Blätter vom vergangenen Jahr, wenn es regnete. Überhaupt brauche und suche ich nicht viel Vielfalt. Die nächste Reise ein bisschen weiter als die letzte, der nächste Urlaub in dem Ort, den ich beim letzten entdeckt habe und der mir gefallen hat – eine Zeitlang habe ich gemeint, kühner sein zu müssen, und mich nach Ceylon, Ägypten und Brasilien gezwungen, ehe ich wieder dazu überging, mir die vertrauten Regionen noch vertrauter zu machen. In ihnen sehe ich mehr. [Hervorhebung durch J.L.]

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