Montag, 30. November 2009

www.steuer-gegen-armut.org

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Eine breite Gruppierung, ausgehend von kirchlichen Gruppen über Attac bis hin zu den Gewerkschaften, ruft gemeinsam dazu auf, auf der oben genannten Website eine Petition mit zu unterzeichnen, die dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vorgelegt werden soll.


Kommen bis zum 3.12. mindestens 50.000 Unterschriften zusammen, so muss sich der Bundestag in einer Anhörung damit befassen, wie es um die Einführung einer Börsen-Finanztransaktionssteuer steht. Unter dem Namen „Tobin-Steuer“ ist dies eine der Gründungsforderungen von Attac, aber alle anderen haben sie sich jetzt auch zu eigen gemacht.


Mit einem geringfügigen Steuersatz von z.B. 0,01 Prozent würde dann jeder Börsenumsatz besteuert. Das könnte die rasanten Börsentransaktionen etwas abbremsen, sozusagen als Krisenvorsorge für die Zukunft, gleichzeitig würden die Verursacher der Krise mehr als bisher an den Kosten beteiligt und außerdem stünde so plötzlich Kapital zur Verfügung, z.B. zur Bekämpfung der Armut auf der ganzen Welt, ein Anliegen besonders der kirchlichen Unterzeichner dieses Aufrufs! Es ist die Sprache davon, dass eine solche Steuer in Deutschland allein bereits 10 Milliarden € jährlich erbringen könnte.


Angela Merkel war zeitweilig, zu Hoch-Zeiten der Krise, durchaus angetan von solchen Vorschlägen. Beim Koalitionsvertrag dürften die Marktradikalen besonders aus der FDP aber wieder so gebremst haben, dass nichts mehr von dieser Steuer drinsteht.


Umso mehr ein Grund, sich an dieser Petition zu beteiligen! Es ist eilig! Letzter Termin ist der 3.12., also der kommende Donnerstag!

Schweizer Minarette

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Die neuesten Nachrichten aus der Schweiz: Die Schweizer haben in einer Volksabstimmung beschlossen, dass keine Minarette in ihrem Land gebaut werden dürfen und „outen“ sich damit offen als fremdenfeindlich bzw. zumindestens als integrationsunwillig. Die konservative populistische Kampagne hat gesiegt! Das Plakat, das jetzt in allen Zeitungen auf der Titelseite stehen dürfte, hat seinen Beitrag geleistet und den Menschen Angst gemacht. Wie Raketen stehen darauf Minarette, so dass man den Schweizer Boden kaum noch sehen kann. Dabei ist diese Bildersprache übel aufhetzend (ich verkneife mir schlimmere Ausdrücke) und völlig an der Realität vorbei. Wie ich gerade in einem Kommentar hörte, gibt es in der gesamten Schweiz bisher lediglich vier Minarette, das Plakat zeigt allerdings auf engstem Raum bereits sieben. So kann man lügen, wenn man auf Stimmungsmache aus ist!!!


Aber seien wir ganz bescheiden. Was die Schweizer da produzieren, ist wahrscheinlich ihre Form von „Sarrazin-Debatte“, nur dass sie dort gleich in Gesetze einmündet. Gott bewahre uns davor, bei uns in Deutschland in ähnlicher Form einschneidende Ordnungen verabschieden zu können! Ich habe viel Sympathie für bürgernahe Entscheidungen und würde immer die Beteiligung der Basis einfordern, aber die Väter des Grundgesetzes waren vorsichtige Leute und haben wohl geahnt, wie groß die Gefahr wäre, dass bei uns sogar vorhandene Minarette wieder abgerissen werden müssten, nach dem nächsten spektakulären Kindermord die Todesstrafe wieder eingeführt würde und es eine – wahrscheinlich aussichtsreiche – Kampagne dafür gäbe, bei Missbrauch von Hartz-IV-Leistungen die Sünder für eine gewisse Zeit in ein Arbeitslager zu überstellen. Vernünftige Entscheidungen sind die eine Seite – brodelnder Volkszorn die andere. Und es gibt sicherlich auch hierzulande hinreichend viele Demagogen, die auf der Klaviatur von „Volkes Stimme“ hervorragend spielen können und ihre geheimen wahren Interessen so verpackt gerne durchsetzen möchten.


Es ist ein Dilemma mit der Vernunft!

Ratlos zwischen den Fronten

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Zum aktuellen Kampf gegen die Linksfraktion in der neuen Brandenburgischen Regierung


Wie gut, dass ich ein „Wessi“ bin! So habe ich bei dem merkwürdigen „Schauspiel“, das gerade bei uns in Brandenburg aufgeführt wird, wenigstens den Vorteil, dass ich durch meine Lebensgeschichte nicht involviert bin, weder in die eine noch in die andere Richtung. Aber es geschieht um mich herum, prägt die Stimmung hier im Lande und lässt mich um die soziale Zukunft unseres Landes bangen.


Versuche ich, Stellung zu beziehen, geht es mir schließlich wie dem Rabbi aus dem letzten blog, der versuchte, alle widerstreitenden Parteien zu verstehen und ihnen gerecht zu werden und der wahrscheinlich am Ende allein im Regen dastand (die Geschichte bricht zwar schon vorher ab, aber ein solches Ende ist nicht unwahrscheinlich!).


Für viele Positionen der Linken habe ich große Sympathie, für ihren Pazifismus und ihr Eintreten für die sozialen Belange gerade „der kleinen Leute“, die ihr besonders am Herzen liegen. „Sozialismus“ ist für mich kein Schimpfwort, aber auch kein Glaubensbekenntnis, ein starker Sozialstaat jedoch eine „conditio sine qua non“ (d.h. eine nicht aufgebbare Forderung)! Hätte Oskar Lafontaine seinen Standort und Einfluss in der SPD alten Zuschnitts behalten, könnte ich mich auch dort wiederfinden, aber das ist Historie …


Dem stehen entgegen die ganzen leidigen Stasi-Verstrickungen von Parteimitgliedern der Linken, die z. Zt. entweder hoch kochen oder hoch gekocht werden. Die regelrechte Wut, die für mich aus manchen Äußerungen spricht, macht für mich deutlich, wie wenig unmittelbare Vergangenheit bisher wirklich verarbeitet worden ist, so als würde jede Enttarnung oder Vermutung in diese Richtung Schorf von einer nicht richtig verheilten Wunde aufreißen.


Ich denke, es gibt hierzulande zu viele Betroffene unter denjenigen, die älter als 20 Jahre sind, sowohl in die eine als auch in die andere Richtung: Schuld, Verletzungen, Unausgesprochenes, Hingenommenes, Mitgetragenes stehen noch zwischen den Menschen. Und alle müssen weiterhin miteinander leben, denn es geht ja nicht nur um das Problem einer kleinen Minderheit, dafür waren zu viele Menschen betroffen. Wer sich zu Worte meldet, muss heutzutage etwas aushalten können, auch Prügel einkalkulieren. Vieles davon dürften die Folgen des Einigungsvertrages sein, in dem eine klarere juristische Aufarbeitung dieses dunklen DDR-Kapitels ausgeschlossen wurde.


Neben diesen speziellen DDR-Nachklängen werde ich aber auch den Eindruck nicht los, dass das Stasi-Thema mit Freuden ausgeschlachtet wird, um der Linken und den von ihr vertretenen Positionen zu schaden, ebenso denjenigen Sozialdemokraten, die einen integrativen Kurs versuchen. Sozusagen Opposition und Stimmungsmache mit der Stasi-Brechstange und Argumenten, als würde jetzt erneut der Klassenkampf ausbrechen und die alte DDR wiedererstehen. Tummeln sich da nicht auch vielleicht noch manche verspäteten „kalten Krieger“? Ich habe ein großes Unbehagen, ob nicht vieles hauptsächlich deshalb geschieht, um gesellschaftliche Macht zu bewahren und soziale Veränderungen in Richtung einer „linkeren Politik“ zu hintertreiben. (Dabei sind wir meilenweit davon entfernt …)


Es ist gut, dass ich keiner Partei angehöre! Das gibt mir viel Freiheit zu eigenem Denken, macht aber gleichwohl auch „heimatlos“ und ergibt weniger Perspektiven. Aber ich würde wahrscheinlich überall anecken und stets Minderheitsmeinungen vertreten. Die SPD hat mit ihrem „Basta“-Übervater Schröder und dem ihm assistierenden großen Regierungskader durch die unsäglichen Hartz-Gesetze massiv an meinen sozialen Vorstellungen gesägt. Ich kann ihr für die Zukunft nicht mehr so schnell Vertrauen schenken. Den Grünen habe ich es seinerzeit sehr übel genommen, dass auch sie prominente Vertreter hatten, die lauthals neoliberale Positionen einforderten und dafür Reklame in einigen der von der Industrie finanzierten „Gruppen für Deutschland“ machten. Und die Linken? Neben den jetzigen Querelen erinnere ich mich daran, dass Stadträte der Linken in irgendeiner ostdeutschen Großstadt der Privatisierung des Wohnungsbesitzes der Stadt zugestimmt haben. Das ist Zuarbeit für irgendwelche „Heuschrecken“, auch wenn sie dadurch zur Entschuldung des Haushaltes beitragen wollten.


Nie zufrieden!? Vielleicht aber auch eine gute Eigenschaft!


Sonntag, 29. November 2009

Die Weisheit des Rabbi

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Eines meiner Lieblingsbücher ist die Sammlung jüdischer Witze von Salcia Landmann. Aber auch in anderen Quellen habe ich schöne Beispiele für diese besondere Form von Humor entdeckt, der mich in irgendeiner Weise sehr anzieht. Ich kann das Motiv dafür nicht klar benennen, aber in ihrer Art und Weise haben diese Witze etwas Unnachahmliches. Sonst kenne ich ähnliche Phänomene nur noch bei Klezmer-Stücken auf der Ebene der Musik, immerhin derselbe Kulturkreis! Wahrscheinlich ist es ein besonderes Merkmal dieser Witze, dass sie sich nicht wie sonst so üblich über andere Menschen lustig machen oder auch über andere Bevölkerungsgruppen erheben, sondern sie haben oft etwas Selbstreflexives und dadurch Bescheidenes, sie prunken mehr mit ihrer Intelligenz als mit irgendwelchen Grobheiten.


Und sie haben manchmal auch etwas Mehrschichtiges. Bei der folgenden Geschichte habe ich früher den Kopf geschüttelt und mich über den Rabbi lustig gemacht, dem ich mich als Verfechter der „reinen Wahrheit“ überlegen wähnte. Immerhin habe ich aber diese Geschichte nie vergessen. Als sie mir jetzt wieder in den Sinn kam (vgl. meinen Folge-blog!), hatte ich einen neuen Eindruck, nämlich dass der Rabbi der Geschichte der Weiseste und Bescheidenste von allen ist, mit klarem Wissen um die Grenzen seiner Urteilsfähigkeit.


Ich will meine armen Leser aber nicht weiter auf die Folter spannen und stattdessen die Geschichte zum Besten geben:


Das Urteil


Zwei Juden hatten einen Streit und kamen zum Rabbiner. Der Rabbi hörte den einen an und sagte:

„Du hast recht.“

Dann hörte er den anderen an und sagte: „Du hast recht.“

Daraufhin fragte ihn seine Frau:

„Wie kommt es, dass du den beiden zerstrittenen Seiten recht gibst. Entweder die eine oder die andere Seite kann nur recht haben.“

Darauf der Rabbi:

„Du hast auch recht.“


Gefunden in: Alexander Drozdzynski: Jiddische Witze und Schmonzes. – Augsburg: Weltbild 2001. S. 88-89.

Mein Motto für den Monat Dezember 2009: was wirkt

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Die größte Stärke

erwächst aus

Sanftheit.


Anonym / unbekannt


Ich habe keine weiteren Angaben, mögen die Worte auch so wirken!

Wieder einmal Weihnachten ...

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Die Zeit rennt. An nichts merke ich es so deutlich wie an Weihnachten. Ein Jahr mehr an Erlebnissen - und ein Jahr weniger an meinen langsam (?!) schrumpfenden Vorräten. Dabei bin ich schon so knausrig mit meiner Lebenszeit geworden, die ich als junger Mensch freizügig hinaus verschenkt habe. Aber es war ja immer schon so in unserer Marktwirtschaft: was knapp ist, steigt im Preis, wenn es denn eine halbwegs ansprechende Qualität aufweist!

Ich weiß nicht, woran es liegt. Aber an der Wiederkehr von Weihnachten und allen seinen immer wiederkehrenden Zeremonien und auch am Wetterwechsel zum Winter hin (auf den aber in zunehmendem Maße weniger Verlass ist), merke ich das Älterwerden viel stärker als an meinem Geburtstag. Es ist ein nachhaltigerer Einschnitt für mich in jedem Jahr.

Etwas Besonderes bleibt dabei für mich an diesem Fest, anders als an allen anderen im Jahr. Ich denke, Kindern geht es oft ähnlich. Und all denen, für die das kommerzielle Drumherum langweilig ist. Ich finde es von Jahr zu Jahr langweiliger ...

Als ich noch in die Schule ging (als Dozent ...), habe ich gerne leicht "schräge" und auch fromme Weihnachtsgeschichten auf den beliebten Weihnachtsfeiern in den Klassen vorgelesen. Manchmal hörten mir die Leute auch noch zu, einige sogar sehr gern. Davon habe ich in meinem blog bereits im Vorjahr berichtet, auch meine Lieblingstexte ins Netz gestellt. Schade, dadurch geht mir in diesem Jahr etwas "der Stoff" aus!

Ich möchte mich nicht wiederholen. Für meine Leserinnen und Leser, die sich dennoch für meine Auslassungen zu Weihnachten interessieren, habe ich alle einschlägigen Texte mit dem Label "Weihnachten und Neues Jahr" gekennzeichnet.Sie sind durch Anklicken dieses Labels auf der linken Spalte in meinem blog leicht hintereinander aufrufbar. Niemand muss sie mühsam suchen, der sie noch einmal lesen möchte. Viel Vergnügen oder Besinnen bei Wolfdietrich Schnurre, Robert Gernhardt und Selma Lagerlöf!

Mittwoch, 25. November 2009

Wir Pädagogen-Sklaven

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Einmal in seinem Leben pädagogisch „aktiviert“, als Lehrer, Dozent, Erzieher, Weiterbildner, Mama und Papa aus Überzeugung (die allerdings manchmal erst aus der Notwendigkeit erwächst) – es lässt einen nicht mehr frei und hängt einem wahrscheinlich bis zum Lebensende an. Und macht sicherlich einen Unterschied zu anderen Menschen, die in anderen Lebensbereichen ihre Prioritäten suchen. Finanziell eher wackelig (Erzieher zu werden kann ich mit gutem Gewissen keinem jungen Menschen empfehlen, für den Karriere und hohes Einkommen wesentliche Werte sind), trösten sich alle Pädagogen mit dem Bewusstsein, eine besondere Tat zu vollbringen und durch die Erziehung und Belehrung ihrer jeweiligen Zöglinge (die ja durchaus auch schon ein höheres Alter erreicht haben können und dann besonders dankbare „Opfer“ sind, die disziplinarisch keine Probleme mehr machen), einen Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt zu erbringen, der eh’ so wertvoll ist, dass das eher mickrige Entgelt nicht so schmerzt. Jeder kann aus diesen Zeilen ersehen, dass ich „vom Fach“ bin…


Mit diesem Zusatzlohn „auch ich gehöre zu dieser besonderen Gruppe von Menschen“ versehen, der mich mein eher schmales Portemonnaie immer ertragen ließ, habe ich bis vor kurzem gut gelebt. Aber dann hat mich mein lesewütiger kleiner Sohn geschockt. Er ist auf Erdkunde und Geschichte spezialisiert. So las ich ihm vor wenigen Tagen aus seinem „bunten Wörterbuch Geschichte“ etwas über die Kultur der alten Griechen vor.


Ich musste meine Brille zweimal putzen, aber dort stand doch wirklich (mit wunderhübschen Bildern illustriert):



Die Schüler


Nur die Jungen der reichen Bürger gingen zur Schule. Dort wurden sie auch in Sport und Musik unterrichtet. Die Mädchen blieben zu Hause.


Der Sklave, der das Kind zum Unterricht begleitete, hieß Pädagoge.


Nun wissen wir’s! Es ist heraus! Abgesehen von der elitären Bildung für wenige (aber wer heute etwas auf sich hält – und es sich leisten kann -, gibt ja auch wieder sein Kind auf eine Privatschule, um es vor überfüllten staatlichen Klassen und ?!? fragwürdigen Mitschülern zu retten…) und des Umstandes, dass da in Griechenland noch ein großes Betätigungsfeld für Feministinnen gewesen wäre, ist die dienende Rolle des Pädagogen ja hervorragend beschrieben. Pädagogik-Sklaven aller Länder, befreit euch und fordert eine bessere Bezahlung und gesellschaftliche Anerkennung eurer Knochenarbeit!!!


(Das Zitat habe ich entnommen dem Buch: Dein buntes Wörterbuch Geschichte. Idee: Emilie Beaumont. Text: Marie-Renée Pimont. – Köln: Fleuros Vlg. 2005. S. 28.)

Lieblingszitate LXXXII

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Die folgenden Aussagen von Paracelsus hat Erich Fromm seinem berühmten Büchlein „Die Kunst des Liebens“ vorangestellt:


Der, der nichts weiß, liebt nichts. Der, der nichts kann, versteht nichts. Der, der nichts versteht, ist wertlos. Der aber, der versteht, liebt und erkennt und sieht …

Je mehr Wissen mit einer Sache verbunden ist, desto größer ist die Liebe …

Wenn einer glaubt, dass alle Früchte zur gleichen Zeit reif sind wie die Erdbeeren, versteht er nichts von den Weintrauben.


PARACELSUS

„Wertlos“ ist in unserer ökonomisierten Gesellschaft natürlich ein harter Begriff, er klingt wie „Ausschussware“. Ich vermute aber eher, dass Paracelsus meint, unter diesen Bedingungen besitze ein Mensch keinerlei Werte , an denen er sich ausrichten könnte. Wahrlich eine Existenz auf „Schmalspur“!

Zitiert nach: Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Ullstein-Tb. 258. S. 14.
[In meiner Sammlung seit dem 7.1.1981.]

Dienstag, 24. November 2009

Sarrazin und kein Ende ...

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Noch immer sind die Zeitungen voll von Verweisen auf das Sarrazin-Interview mit dem „Lettre International“. Das ist nicht verwunderlich, denn er hat eine vielschichtige Debatte losgebrochen, in der es nur noch vordergründig um Thilo Sarrazin geht.


Ich habe versucht, die verschiedenen Ebenen auseinander zu dividieren, die dabei m. E. im Spiel sind:


  1. geht es natürlich um den Protagonisten, Thilo Sarrazin. Er war ja schon als Berliner Finanzsenator dafür bekannt, kräftig vom Leder zu ziehen. Das ist ihm auch jetzt wieder in einigen Teilen des Interviews gelungen, in denen er hemdsärmelig, ohne einen Anspruch auf diplomatische Vermittlung seine „sozialen Wahrheiten“ unters Volk bringt. Da er krass verallgemeinert, verletzt er viele Migranten, die sich in diesen pauschalisierenden Vorwürfen nicht wiederfinden können.

  1. Er ist hart dafür angegangen worden; sein Dienstgeber, die Bundesbank, schränkte seinen Arbeitsbereich ein, vom Zentralrat der Juden kam ein „Nazi-Vorwurf“. Dagegen haben wiederum viele Stimmen ihn verteidigt: Muss es unsere Demokratie nicht aushalten, dass auch extreme Meinungen geäußert werden können, solange sie nicht verfassungsfeindlich sind? Ist damit nicht das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berührt? Das führt m. E. dann zu Parallelen wie der mit der Diskussion um die unseligen Mohammed-Karikaturen. (Ich fand sie damals absolut geschmacklos, eine unnötige Provokation, aber die Reaktionen in der arabischen Welt waren auch überaus unmäßig, jedenfalls in unserem Verständnis …Ähnliche Persiflagen auf das Christentum erlebe ich aber ebenso als unappetitlich und würdelos. Ich erinnere mich dabei an den Film der englischen Gruppe „Monty Python“, gerühmt für ihren angeblichen „schwarzen Humor“, die in ihrem Film „Das Leben des Brian“ Jesus veräppelt haben. Ich treffe dann meine private Entscheidung und schalte so etwas aus. Aber mehr?)

  1. Besonders berührt hat mich aber der lang anhaltende Beifall, der ihm immer noch gespendet wird: Endlich einmal die Wahrheit! Endlich nennt jemand Ross und Reiter, Erkenntnisse, die bisher von den „Gutmenschen“ unterdrückt wurden!! Da graust es mich etwas, eine kühle Luft weht um mich. Gleichzeitig lässt es sich nicht leugnen, dass an dieser Stelle großer Diskussionsbedarf besteht. Es klingt aber streckenweise eine Radikalität mit an, bei der man fürchten muss, „das Kind könnte mit dem Bade ausgeschüttet werden“.

  1. Gleichzeitig leitet dies zu der wichtigsten Frage über: was tun? Kein vernünftiger Sozialwissenschaftler und Politiker, kein Vertreter von einschlägigen Wohlfahrtsverbänden und Organisationen wird leugnen, dass es eine brisante Zuspitzung in der Bevölkerung gibt, zu deren Behebung es bisher politisch keinerlei tragfähige Modelle für die Zukunft gibt, die aber unser Gemeinwesen auseinander reißen könnte. Nicht integrationswillige Migranten, die es sicherlich auch gibt, sind aber nur eine Teilgruppe des Problems. Die zunehmende Verarmung in unserem Lande schafft immer weitere Problempopulationen. Bildungsferne gibt es auch unter „reinrassigen“ Deutschen (aber wer ist das schon: wahrscheinlich heißt das nicht viel mehr, als dass der individuelle Migrationshintergrund bereits ein paar Generationen zurückliegt.). Ich habe die genaueren Angaben nicht zur Hand, die sich aber mit Leichtigkeit verschaffen ließen: Vor zwei oder drei Jahren wurde eine Studie über das Erziehungsverhalten von Eltern und das Leben der heutigen Jugend veröffentlicht, die der Jugendforscher HURRELMANN mit den Worten kommentierte, dass mittlerweile 10 – 15% der Eltern unfähig seien, ihre Kinder angemessen zu erziehen. Sicherlich gehäuft in der sog. „Unterschicht“, aber auch in anderen Kreisen unserer Gesellschaft. Es ist nicht schwer sich auszumalen, was mit den Kindern der Kinder dieser Eltern einmal geschehen wird und auf welche soziale Katastrophe wir zusteuern, wenn in unserem Lande kein Konzept gegen dieses Problem gefunden wird. Da wird es nicht reichen, 1. Klassen mit 23 statt 24 Kindern laufen zu lassen … (Ein Thema zum Haareraufen angesichts der Untätigkeit und offensichtlichen Unfähigkeit der Bildungspolitik bundesweit …)

Im Hinblick auf meinen 4. Punkt muss man Theo Sarrazin fast dankbar sein, dass er in eine Wunde gepiekt und eine Diskussion entfacht hat, auch wenn noch nicht klar ist, welche Geister er wachgerufen hat…

Montag, 23. November 2009

Weihnachten ante portas

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Dass die Läden lange vor Weihnachten von Süßigkeiten und anderen Weihnachtszutaten (wie es früher jedenfalls einmal war) überquellen, ist gewohnt und seit Jahren gleich langweilig.


Bleibt die Frage, ob die „Krise“ die Menschen anhält, etwas bewusster mit dieser Zeit und dem Schenken umzugehen.


Bei denen, die nichts haben, dürfte das so sein. Schmerzlich, wer sich Geschenke nicht mehr leisten kann. (Etwas Immaterielles tut es aber auch, oft sogar viel besser!) Bei den anderen vermutlich eher: Fehlanzeige!


Wie sollte ich es anders interpretieren, dass vom Berliner Tagesspiegel seit gestern eine große Online-Aktion läuft unter dem Namen „Der Tagesspiegel erfüllt Träume“: 875 Angebote zum Ersteigern, vom exklusiven Kinderspielzeug über den Edelschmuck und Luxusreisen hin zu besonderen Events. Leute, guckt zu, vielleicht findet ihr ein Schnäppchen! (Ich habe mal reingeschaut, gebe ich ja zu, und da waren heute, erst kurz nach Beginn der Aktion, viele Preise für mich schon längst unerschwinglich …).


Weihnachten als Event oder Luxusgeschenk!


Jedenfalls gähnende Langeweile.


Denn: Wer hier suchen muss, um noch was Originelles für Weihnachten aufzutreiben, hat wohl schon alles. Nur keine Weihnachtsfreude.

Sonntag, 22. November 2009

Lieblingszitate LXXXI

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Mein neuester "Fund" aus dem Publik-Forum 22/2009 v. 20.11.2009 ("Schlussstein" S. 79):


Die Erde ist ein
Paradies, zu dem wir
aber den Schlüssel
verloren haben.


Fjodor Michailowitsch Dostojewskij

Dienstag, 17. November 2009

Lieblingszitate LXXX

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Einmal ein ganz anderes Zitat, wenn ich mich richtig erinnere, von einem altehrwürdigen Verfasser aus vergangenen Tagen. Ich finde aber, es passt gerade deshalb gut in den Rahmen der Diskussion über Eitelkeiten und Gockeleien in meinen letzten blogs. (Nur dass es hier um Sänger geht …).

Wenn Amseln oder Grasmücken in ihrer Art lieblich singen, warum soll ich mich verdrießen lassen, dass sie keine Nachtigallen sind?

FRIEDRICH WILHELM AUGUST SCHMIDT

Zitiert von Günter de Bruyn in seinem Buch „Mein Brandenburg“, Fischer-Tb.-Vlg. 2006, S. 70.

Montag, 16. November 2009

Egozentrische Privatsprachen

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Ich möchte noch einmal kurz auf eines meiner Themen der letzten Woche zurückkommen:

Ich habe dort diejenigen kritisiert, die in einer gewollt komplizierten Ausdrucksform schreiben. Ich finde es ärgerlich, dass sie mir soviel Anstrengung auferlegen, wenn ich den Versuch unternehmen möchte, ihre Gedankengänge nachzuvollziehen. Meistens lass’ ich es dann. Bei Lyrikern ist das eine andere Sache, weil sie oft gleichsam mit Sprache Bilder malen und besondere Metaphern dafür benötigen. Aber bei allen anderen? Da werde ich den Eindruck nicht los, dass es sich oft um eine sehr „egozentrische Schreibe“ handelt, von einem gerüttelten Maß an Eitelkeit genährt und nur streckenweise sozial ausgerichtet, wenn Autoren einen privaten Jargon nach eigenen Regeln pflegen. Denn Soziales im Hinterkopf haben hieße, zur Klärung von Sachverhalten beizutragen, die eigenen Überlegungen anderen Menschen zugänglich zu machen und damit in irgendeiner Weise etwas allgemein Nützliches zu tun. Das geht natürlich nur, wenn andere mich auch verstehen können. Fehlt dieser soziale Impuls, hat es für mich etwas Gockelhaftes, ich bleibe halt ein unverbesserlicher Individualpsychologe …

Samstag, 14. November 2009

Lieblingszitate LXXIX

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Ich möchte mich von dieser Woche mit einem kleinen Zitat verabschieden und bin dabei auf meiner Suche nach einem geeigneten Text erneut bei Erich Kästner gelandet. Das spricht für meine Vorlieben, mehr aber noch für seine Fähigkeit, pointiert zur Sache zu kommen! Allerdings empfinde ich zunehmend, was für ein abgrundtiefer Pessimist er hinsichtlich der menschlichen Spezies hinter seiner vortrefflichen Formulierungskunst zu sein scheint. Bewunderungswürdig, wie er aber dennoch immer wieder die Kraft zu einem Aufruf zu mehr Mitmenschlichkeit behält! Das ist fast wie bei Luther und seiner Aufforderung zum Bäumepflanzen angesichts des Weltuntergangs.


Erst wenn die Mutigen klug und die Klugen mutig geworden sind, wird das zu spüren sein, was irrtümlicherweise schon oft festgestellt wurde: Ein Fortschritt der Menschheit.

ERICH KÄSTNER



Gefunden in: Erich Kästner: … was nicht in euren Lesebüchern steht. Hg. v. Wilhelm Rausch. Fischer-Tb. 875. S. 27.

[In meiner Sammlung seit dem 30.12.1980.]

Freitag, 13. November 2009

Eitelkeiten alternder berühmter Männer

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Ein merkwürdiger Artikel war das, den ich unter den vielen Berichten über die Gedenkveranstaltungen anlässlich des Mauerfalls in der MOZ am 10.11.2009 zu lesen bekam:


„Mauerspecht“ Sarkozy gibt Fragen auf. Frankreichs Staatspräsident will bei der Grenzöffnung dabei gewesen sein – aber es gibt Zweifel / Paris zum Jubiläum in Feierstimmung.


In Berlin war er wohl in jenen Tagen, aber so frühzeitig, als einer der ersten, wie er jetzt behauptet? Ganz ehrlich, wen interessiert es denn wirklich, wann sich der Berlin-Tourist Nicolas Sarkozy privat in jenen Tagen an der Mauer aufhielt und sich sein Stück Gedenkstein herausmeißelte? Gibt es keine bedeutsameren Fragen, denen sich Herr Sarkozy nunmehr in offizieller Funktion zuwenden könnte? Er steht doch auch so schon dauernd im Mittelpunkt, wozu braucht dieser Mann noch soviel „narzistische Zufuhr“ durch solche „ollen Kamellen“? Das könnte er sich doch für seine späteren Memoiren aufbewahren, wenn er, „außer Dienst“, Zeit für solche Selbstbeweihräucherungen hätte. Langweilig und für mich eher abstoßend.


Aber nicht nur Franzosen können Derartiges! Wenn ich mich in Deutschland umsehe, fallen mir umgehend die Namen von Thilo Sarrazin und Peter Sloterdijk ein. Beide geistern auf ihre Weise durch die deutsche Presselandschaft: Der eine als hemdsärmeliger Provokateur, der unverblümt und undiplomatisch soziale (Halb-)Wahrheiten verkündet, für die er zwar Kritik aber auch erstaunlich viel Beifall erhält, der andere durch die Verbreitung ungewöhnlicher gesellschaftlicher Vorschläge („Reiche sollten nur noch freiwillig Steuern schenken …“), verpackt in eine selbst geschaffene Sprachwelt, wodurch diejenigen, die in der Diskussion mithalten können, schon ihren höheren Bildungsgrad beweisen. Seine dennoch hohe öffentliche Aufmerksamkeit scheint in seinen Kreisen aber auch Neid hervorzurufen neben allen sachlichen Diskussionspunkten, die zu beurteilen ich nicht kompetent genug bin, und so wird jetzt heftig in den Zeitungen um ihn gestritten. Wer etwas auf sich hält, äußert sich zu ihm, so scheint es mir als absolutem Außenseiter. (Ob das auch der Auflage seines neuesten Buches gut tut? Besser könnte doch kein Marketing sein!)


So schaffen sie es, sich aus dem Kuchen der allgemeinen Aufmerksamkeit auch ohne erkennbar größere soziale Leistung ein überdimensioniertes Stück herauszuschneiden. Ein wenig trifft sie dabei „der Neid der Besitzlosen“, aber ist es wirklich erstrebenswert, eine solche „Glorie auf wackligen Füßen“ nötig zu haben? Freude bereitet es allerdings besonders den Medien, die dadurch „Futter“ für Themen haben, auf die die Menschen gerne anspringen. Echte Sachthemen sind ja viel dröger …

Lieblingszitate LXXVIII

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Passt dieses Zitat nicht wunderbar zum letzten Thema „Lebenszeit“?!


Das Leben gleicht einem Buch:
Toren durchblättern es flüchtig;
der Weise liest es mit Bedacht,
weil er weiß,
dass er es nur einmal lesen kann.

JEAN PAUL


Auf einer Geschenk-Karte erhalten im Jahre 2000, daher habe ich keine weiteren Quellenangaben.

Donnerstag, 12. November 2009

LEBENSZEIT-WÄHRUNG

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Vor kurzem war ich auf einem Wohltätigkeitsbasar. Ein Mann verkaufte dort eine besonders aufwändige Form von großen Fröbel-Sternen für 2,- €, für die irgendein lieber Mensch pro Exemplar gewiss eine ¾ Stunde oder noch länger gebastelt hatte. Ich habe ihm dann noch etwas dazugelegt …

Gerade bei derartigen Tätigkeiten aus dem kunsthandwerklichen Bereich, den manche Menschen außerdem nicht nur aus mildtätigen Motiven heraus betreiben (müssen), wird sich kaum ein angemessenes Entgelt erzielen lassen. Ein Teil des Lohns wird zwar immer die Befriedigung sein, die der kunstfertige Mensch aus seiner schönen Beschäftigung gezogen hat, viel von seinem „Herzblut“ wird aber unhonoriert bleiben, selbst wenn man es mit dem Lohn für stark unterbezahlte Tätigkeiten vergleicht.

Wäre nicht die aufgewendete Lebenszeit eine bessere Meßlatte dafür, dass die Empfänger solcher Arbeiten eine realistische Vorstellung vom wirklichen Wert ihrer erworbenen Schätze erhalten? (Die Euros sollen sie trotzdem weiterhin zahlen, aber nicht mehr nur unter dem Gesichtspunkt, was für ein „Schnäppchen“ sie gerade gemacht haben.)

Wenn man diesen Gedanken weiterführt, sind wir schnell bei den Hungerlöhnen, für die Menschen, Erwachsene und Kinder in den Billiglohnländern tatsächlich für uns schuften.

Nicht auf die lange Bank schieben ...

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Heute bin ich produktiv, die Sätze quellen aus meinem Kopf, als warteten sie schon lange darauf, endlich aufgeschrieben zu werden. Da ist tatsächlich etwas dran! Denn oft ertappe ich mich dabei, wie mir gute Ideen durch den Kopf gehen, denen ich aber nicht weiter nachgehe oder sie „auf später“ vertröste. Danach verblassen sie oft oder werden durch Neues überlagert: futsch, das war’s dann! Schade, doch diese „lange Bank“ ist mir schon von früher her vertraut, sie macht mich aber zunehmend unzufriedener und oft ungeduldig mit mir selbst. Denn immer mehr stellt sich für mich die Frage, wie viel Zeit mir bleibt, bevor mich Zipperleins oder ein Schwund an grauen Zellen packen! So will ich diese kreative Kraft beim Schopfe greifen und sie zu weiteren Beiträgen nutzen! (Wer von meinen Lesern der Meinung ist, das, was quillt, wäre besser im Kopf geblieben, muss ja nicht weiter lesen!)

Lieblingszitate LXXVII

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Ohne weiteren Kommentar das in meinem letzten Text versprochene Strindberg-Zitat!


Die Menge glaubt, alles, was schwer zu begreifen ist, sei tiefsinnig. Das ist es aber nicht. Schwer zu begreifen ist das Unreife, Unklare, und oft das Falsche. Die höchste Weisheit ist einfach, klar, und geht durch den Schädel direkt ins Herz.


AUGUST STRINDBERG


Zitiert nach: Karl Köstlin: Liebe zur Weisheit. – Stuttgart o.J. S. 25.

[In meiner Sammlung seit dem 3.8.1985]

Die Über-Fülle

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Gerade habe ich von meinen Privilegien geschrieben. Dazu gehört auch, dass ich jetzt viel mehr Zeit zum Lesen habe. Aber sie reicht nicht!!! Ich komme kaum noch gegen die Flut von Informationen an. Die Zeitungen werden immer umfangreicher (jedenfalls erlebe ich das so, auch wenn objektiv durch die Wirtschaftskrise und die verringerte Zahl von Werbe-Seiten eine gegenläufige Entwicklung stattfinden sollte) und dickleibige Bücher mit hunderten von Seiten entmutigen mich. Alles will gelesen werden und ich schaffe es nicht!


Nehmen wir einmal eine Ausgabe der ZEIT. Glücklicherweise habe ich sie nicht abonniert, denn dann würde ich erschlagen von der Fülle der Artikel, für die ich Tage bräuchte, um sie vernünftig zu lesen, und alles, was ich sonst auch noch gern zur Kenntnis nehmen würde, bliebe liegen. Und dann erschiene bereits die nächste Wochenausgabe! Ein Segen deshalb, dass ich sie nur gelegentlich lese, gleichzeitig ist das aber auch jammerschade, weil ja erst ein Spektrum unterschiedlicher Quellen (in Zeitungen, Zeitschriften, Internet und Büchern) einen halbwegs objektiven Blick auf die aktuell wesentlichen Themen gibt.


Hinzu kommt natürlich, dass ich auch nicht mehr so ganz „up to date“ bin und durch meine Lücken in Kenntnissen – aber auch meine fehlende Bereitschaft, mich auf bestimmte Themen wirklich einzulassen – Schwierigkeiten habe, manche Neuerungen zu verstehen, selbst wenn sie aus meinen eigentlichen „Spezialgebieten“ stammen. Vieles an der heutigen akademischen Psychologie ist mir z.B. fremd geworden, wie von einem anderen Stern. So war in der ZEIT 46/09 eine Aufstellung von Rankings von europäischen Universitäten zu lesen, auf denen man einen „Master in Psychologie“ machen kann. Gut, dass ich das nicht mehr unbedingt verstehen muss! Unbefriedigend finde ich eine solche Situation aber dennoch, gleichzeitig tun mir heutige Studenten leid, wenn ich ihre Studienbedingungen mit meinen vor Jahrzehnten in Hamburg vergleiche.


Bei solchen Themen bin ich dann regelrecht „abgehängt“, „altes Eisen“! Das ist einfach Schicksal und wahrscheinlich ziemlich normal für mein Alter. Sollen es die Jüngeren richten! (Hinzu kommt, dass mir beim Thema „Bachelor und Master“ die ganze Richtung nicht passt; hoffentlich haben Jüngere noch genügend Abstand, um gegebenenfalls auch eine kritische Haltung einnehmen zu können und nicht alles „zu schlucken“!)


Bei den obigen Themen fehlt mir einfach das Wissen, daneben gibt es dann aber auch noch die andere Sorte von Lektüre, bei denen ich immer Zweifel habe, ob auch mein Verstand reicht. Wenn ich ehrlich bin, hatte ich diese Zweifel aber schon vor Jahren, so dass es sich nicht um eine Alterserscheinung, sondern gegebenenfalls um einen dauerhaften Intelligenzmangel meinerseits oder aber um einen Verständlichkeitsmangel auf Seiten einschlägiger Verfasser handelt (das wäre natürlich für mich die sympathischere Variante). Es gab schon immer Autoren, speziell aus dem philosophischen und soziologischen Spektrum, aber auch Kunstkritiker im Feuilleton, die eine so eigene Sprache mit komplizierten Begriffen und Begriffserfindungen pflegen, dass ich oft über den Sinn grübeln muss und danach nicht weiß, ob ich es richtig verstanden habe. Das macht mich beim Lesen „knirschig“, wer erlebt sich schon gerne als inkompetent, denn ich spüre gleichzeitig, dass es oft um wichtige Themen geht. Vielleicht ist die Materie manchmal wirklich so kompliziert, aber ich werde den Eindruck nicht los, dass es auch Autoren gibt, die ihre Ehre dafür einlegen, kompliziert zu schreiben, weil das als Anzeichen von Tiefgründigkeit und wirklicher Kompetenz gilt. Ich empfehle mein nächstes Zitat von August Strindberg!


Wie auch immer: Lesen ist eine tolle Sache! Ich hoffe, dass meine grauen Zellen und meine Augen dabei noch lange mitmachen!

Bin ich nicht ein privilegierter Mensch?

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Wenn ich es recht betrachte, gehöre ich zu den Privilegierten unserer Gesellschaft: Ich habe eine liebe Familie und einige Freunde; mein Geld ist zwar eher „mau“, wenn meine Altersteilzeit endet und ich in Rente gehe, wird es knapp, aber es dürfte immer noch reichen; meine grauen Zellen funktionieren noch so leidlich, andere trösten mich, dass sie ähnlich vergesslich werden, ich bin immerhin noch neugierig und informationshungrig; da ich nicht mehr „schaffen“ muss, bleibt mir Zeit, mich auch mit für mich wesentlichen Themen nach meiner Wahl beschäftigen zu können und dabei keine Rücksicht auf vorgegebene Standorte nehmen zu müssen; ich habe einen Computer, einen Internet-Anschluss und einen blog, kann dadurch meine „Privat-Zeitung“ betreiben. Da ich nicht mehr den Drang verspüre, reich werden zu müssen und Karriere zu machen (da ist meine Vernunft ein gutes Korrektiv gegen alle kindlichen Gefühle in mir, wie schön es wäre, vielleicht doch noch mit irgendetwas in meinem Leben „groß herauszukommen“: kleine Brötchen sind auch ganz gut und wenigstens herstellbar) und meine Gesundheit ganz leidlich ist, habe ich Gelegenheit, mein Leben in meinem Sinne zu gestalten, eingebettet in das Leben mit meinem kleinen behinderten Sohn und meiner Familie. Wer kann das schon von sich sagen!

Lieblingszitate LXXVI: Der Standort des Dalai Lama

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In einem Interview der ZEIT fand ich die folgenden aufschlussreichen Äußerungen des Dalai Lama, der sowohl Oberhaupt des tibetischen Buddhismus als auch Sprecher der Autonomiebewegung Tibets ist:



[…]


ZEIT: Sind Sie Kommunist oder Kapitalist?


DALAI LAMA: Ich bin Marxist. Der Kommunismus basiert auf einer gewalttätigen totalitären Gesellschaft. Der Kapitalismus auf dem Wunsch, reicher und reicher zu werden. Der Marxismus versucht, das, was vorhanden ist, gleichmäßig zu verteilen.


ZEIT: Was die Fleißigen demotiviert.


DALAI LAMA: Den Reichtum völlig gleichmäßig zu verteilen ist natürlich unrealistisch. Ich denke eher an eine verantwortungsvolle Marktwirtschaft mit starker staatlicher Kontrolle.


[…]



Gefunden in: „Ich bin Marxist“. Der Dalai Lama über die wachsende Ungeduld seiner Landsleute, Chinas Macht und seine eigene Zukunft. Das Interview führte Frank Sieren. – In: DIE ZEIT 44/09 v. 22.10.2009. S. 12.

Mittwoch, 11. November 2009

Lieblingszitate LXXV

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In meine „Serie“ von Kästner-Zitaten passt auch wunderbar die folgende Aussage:


An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.

ERICH KÄSTNER


Gefunden in: Erich Kästner: … was nicht in euren Lesebüchern steht. Hg. v. Wilhelm Rausch. Fischer-Tb. 875. S. 11.

[In meiner Sammlung seit dem 30.12.1980.]

Dienstag, 10. November 2009

Lieblingszitate LXXIV: Über "Gutmenschen" !

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Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen „Sarrazin-Debatte“ habe ich einige Stellungnahmen gelesen, in denen – nicht zum ersten Mal – Vertreter anderer Standorte, die bisher eine gemäßigtere, unterstützende Position gegenüber Migranten und Sozial Schwachen eingenommen haben, als „Gutmenschen“ verunglimpft werden. Es ist schlimm um die Kultur in Deutschland bestellt, wenn schon wieder abwertende Titel vergeben werden, eine Radikalisierung bisheriger Anstandsregeln gegenüber Andersdenkenden, und dann noch mit dem „Auf-den-Kopf-Stellen“ sonst üblicher Wertmaßstäbe. (Ähnlich miserabel finde ich den Stil einiger Ex-Minister in Brandenburg, ihren Nachfolgern eine würdige Übergabe-Veranstaltung zu verweigern, wie es heute in der MOZ nachzulesen war.) Es wird rauer in Deutschland …


Mich dünkt, da passt das folgende Epigramm von Erich Kästner hervorragend hinzu (vgl. meinen blog v. 24.10.2009):



Der Gegenwart ins Gästebuch


Ein guter Mensch zu sein, gilt hierzulande

als Dummheit, wenn nicht gar als Schande.


ERICH KÄSTNER



Zitiert nach: Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. 7. Aufl. – München: Deutscher Taschenbuch Vlg. 2004. (= dtv 11013). S. 74.

Sonntag, 8. November 2009

Dieter Dombrowskis Inszenierung im Potsdamer Landtag : Ein Leserbrief an die MOZ

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In der Märkischen Oderzeitung (MOZ) erschien gestern als großer Aufmacher der Artikel „Eklat bei Platzeks Wiederwahl – 54 Abgeordnete wählen den Ministerpräsidenten / CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski erscheint in Häftlingsuniform“. Dazu zwei große Fotos: links Dieter Dombrowski in Stasi-Häftlingskleidung, rechts Matthias Platzek mit Blumenstrauß. Neues aus Brandenburg!


Soweit, so gut bzw. ungut, denn das Thema „Linke“ und „Stasi“ erhitzt die Gemüter, es geht um Grundüberzeugungen und die Frage, ob Menschen etwas dazulernen können oder bis zu ihrem Lebensende still sein sollten; dabei werde ich allerdings den sehr unschönen Eindruck nicht los, dass daneben auch noch ganz andere „Süppchen gekocht“ werden.


Diesen Eindruck hat bei mir besonders der Kommentar von Ulrich Thiessen in derselben Ausgabe der MOZ verstärkt. Ich zitiere einige Passagen aus seinem Text:


CDU tief in der Schmollecke

[…]

Der gestrige Tag hat gezeigt, dass die CDU noch nicht in ihrer Rolle als Opposition angekommen ist. Auch wenn der Verlust der Regierungsbeteiligung groß und die Art und Weise, wie man von den Sozialdemokraten den Stuhl vor die Tür gestellt bekam, verletzend gewesen sein mag, Beleidigtsein ist keine politische Kategorie.


Man mag Verständnis für die persönliche Betroffenheit von CDU-Generalsekretär Dieter Dombrowski und seine Abneigung gegen Rot-Rot haben. Schließlich musste er jahrelang im Cottbusser Stasi-Gefängnis sitzen. Seine Inszenierung, mit Sträflingskleidung die Vereidigung des Ministerpräsidenten zu stören, war aber eine Respektlosigkeit gegenüber dem Parlament. Und man muss Dombrowski auch daran erinnern, dass er vor drei Jahren sehr zum Ärger seines damaligen Parteichefs Schönbohm in Cottbus für ein Bündnis seiner Partei mit der Linken eingetreten war. […]


Das alles hat mich veranlasst, heute folgenden Leserbrief an die MOZ zu schicken:


An die MOZ 8.11.2009

redaktion@moz.de


Betrifft: Leserbrief zu Ihrer Berichterstattung über Dieter Dombrowski v. 7.11.2009


Sehr geehrte Damen und Herren,


Dieter Dombrowski hat es geschafft! Sein Bild überstrahlt auf Ihrer Titelseite den Anlass Ihres Artikels, die Wiederwahl von Matthias Platzek. Offenbar hat er von NGOs wie Greenpeace oder Attac gelernt, denen es immer wieder gelingt, durch spektakuläre Aktionen die Aufmerksamkeit der Presse auf sich zu ziehen. Gekonnt! Bei seinem Lebensschicksal ist es dabei durchaus verständlich, dass Dieter Dombrowski seine Haft in DDR-Zeiten sehr getroffen hat und es ihm deshalb schwer fällt, eine versöhnlichere Haltung einzunehmen.


Wenn ich dann aber bei Ihrem Kommentator Ulrich Thiessen auf S. 2 lese, dass derselbe Dieter Dombrowski vor drei Jahren zum Ärger seiner eigenen Partei ein Bündnis mit den Linken angestrebt hat, bleibt für mich nur noch der Eindruck von Medienrummel und Scheinheiligkeit übrig. Das ist dann allerdings ein Trauerspiel!

Mit freundlichen Grüßen


Jürgen Lüder

Fürstenwalde

Samstag, 7. November 2009

Lieblingszitate LXXIII

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Wenn man sich in seinem Leben mit Dingen beschäftigt, ändert sich ständig alles. Und wenn sich nichts ändert, bist du ein Idiot.

UMBERTO ECO


Gefunden in: „Unwiderstehlicher Zauber“. Der italienische Romancier und Semiotiker Umberto Eco über Listen als Ursprung der Kultur, die Leidenschaft des Sammelns und Aufzählens und die Tragik des Internets. [Interview von Susanne Beyer und Lothar Gorris mit Umberto Eco.] – In: SPIEGEL 45/2009 v. 2.11.2009. S. 164 – 165. Zitat S. 165.