Samstag, 30. Mai 2009

In eigener Sache: Neuerungen auf meinem Blog

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Ich möchte meine Leserinnen und Leser darauf aufmerksam machen, dass ich meinen Blog jetzt formal an einigen Stellen verbessert habe, die alle die linke „Herausgeberspalte“ betreffen:

1. gibt es jetzt einleitend einen kleinen Selbst-Kommentar mit Erläuterungen zur Titel-Wahl meines Blogs,

2. habe ich – für alle Fälle – ein „Impressum“ hinzugefügt, und

3. nutze ich jetzt die Möglichkeit, über „Labels“ meine Beiträge in verschiedene Themenbereiche einzusortieren, die man dann über die linke Leiste aufrufen kann. Ich verspreche mir davon, dass dadurch auch ältere Beiträge leichter auffindbar werden und nicht ganz schnell in völlige Vergessenheit geraten … .

Dienstag, 26. Mai 2009

Noch einmal: romantische Ironie bei Heinrich Heine

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Gar nicht so leicht, mein Versprechen vom letzten blog einzulösen! Ich habe länger suchen müssen, bis ich eine treffende Stelle bei Heine finden konnte, in der er zum Abschluss eines Gedichtes sein vorher selbst aufgebautes romantisches Bild ironisch in Frage stellt. Beim „Seegespenst“ verwendet er dieses Stilmittel.



Auszüge aus dem Gedicht

Seegespenst

Ich aber lag am Rande des Schiffes
Und schaute, träumenden Auges,
Hinab in das spiegelklare Wasser,
Und schaute tiefer und tiefer –
Bis tief im Meeresgrunde,
Anfangs wie dämmernde Nebel,
Jedoch allmählich farbenbestimmter,
Kirchenkuppel und Türme sich zeigten,
Und endlich, sonnenklar, eine ganze Stadt,
Altertümlich niederländisch,
Und menschenbelebt.

[ … ]

Mich selbst ergreift des fernen Klangs
Geheimnisvoller Schauer!
Unendliches Sehnen, tiefe Wehmut
Beschleicht mein Herz,
Mein kaum geheiltes Herz;
Mir ist, als würden seine Wunden
Von lieben Lippen aufgeküßt
Und täten wieder bluten –
Heiße, rote Tropfen,
Die lang und langsam niederfall´n
Auf ein altes Haus, dort unten
In der tiefen Meerstadt,
Auf ein altes, hochgegiebeltes Haus,
Das melancholisch menschenleer ist,
Nur dass am untern Fenster
Ein Mädchen sitzt,
Den Kopf auf den Arm gestützt,
Wie ein armes, vergessenes Kind –
Und ich kenne dich, armes vergessenes Kind!

So tief, meertief also
Verstecktest du dich vor mir
Aus kindischer Laune,
Und konntest nicht mehr herauf,
Und saßest fremd unter fremden Leuten,
Jahrhundertelang,
Derweilen ich, die Seele voller Gram,
Auf der ganzen Erde dich suchte,
Und immer dich suchte,
Du Immergeliebte,
Du Längstverlorene,
Du Endlichgefundene –
Ich hab´ dich gefunden und schaue wieder
Dein süßes Gesicht,
Die klugen, treuen Augen,
Das liebe Lächeln –
Und nimmer will ich dich wieder verlassen,
Und ich komme hinab zu dir,
Und mit ausgebreiteten Armen
Stürz´ ich hinab an dein Herz –

Aber zur rechten Zeit noch
Ergriff mich beim Fuß der Kapitän
Und zog mich vom Schiffsrand
Und rief, ärgerlich lachend:
„Doktor, sind Sie des Teufels?“


HEINRICH HEINE

In: Buch der Lieder, Die Nordsee



Sicherlich von Wortwahl und Stimmungslage her nicht gerade der heutige Zeitgeschmack, sicherlich auch nicht unbedingt das stärkste Gedicht von Heine. Aber ein frappiererndes Stilmittel!

Ironie, Satire, schwarzer Humor

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Bei einigen Beiträgen der letzten Wochen (speziell zum Thema „Chefs“) habe ich mich ironischer und satirischer Darstellungsformen bedient und bin dadurch auf die Idee gekommen, noch einmal genauer darüber nachzudenken, was ich dabei eigentlich so „treibe“. Mein heutiger blog ist das Resultat dieser Nachforschungen, wobei ich eine Einschränkung machen muss:


Solange ich nur „aus mir heraus“ und meinen Erinnerungen an früheres Lesen geschöpft habe, war das eine einfache Sache. Als ich dann aber neugieriger wurde und z.B. bei Wikipedia Nachforschungen anstellte, merkte ich, wie komplex die ganze Angelegenheit ist und dass eine umfangreiche Literatur zu diesen Darstellungsformen existiert. Da könnte ich noch ein ganzes Studium beginnen! Lohnen würde sich das schon, aber es übersteigt doch etwas meine Ressourcen …


So bin ich mir voll bewusst, dass meine folgenden Ausführungen nur „Marke Eigenbau“ sind und dementsprechend subjektiv und vorläufig, möchte sie aber dennoch vorstellen, denn sie haben mich selbst in meiner Einstellung zum Schreiben vorangebracht:



Ironie hat „spitze Federn“ und trifft, wenn sie gekonnt ist, die Schwäche ihres Gegenübers bis ins Mark. Wenn der Betroffene denn intellektuell überhaupt in der Lage ist, die Botschaft aufzuschlüsseln und zu verstehen! Ironie ist also eine Waffe des Geistes, frech, mit Schärfe oder witzig, es gibt sie in vielen Varianten. Wer sie nutzt, dürfte im Augenblick des „Hiebes“ auch ein gewisses Lustgefühl spüren, denn sein Urheber ist in diesem Augenblick „oben“, sein Opfer „unten“, auch wenn das den sonstigen Machtverhältnissen diametral entgegenstehen sollte.


Vielleicht ist das ja eine Gemeinsamkeit mit dem Witz, über den schon klügere Leute als ich herausgearbeitet haben, welche entlastende und lustvolle Funktion er haben kann. Natürlich gibt es auch – wie immer – minderwertige, richtig gemeine Formen, wenn z.B. platte Witze über Minderheiten gemacht werden oder ein Lehrer mit ironischen Anmerkungen schwächere Schüler blamiert. Intellektuell betrachtet, sind das äußerst schwache Leistungen, menschlich gesehen Gemeinheiten, für die man die Urheber angemessen anprangern sollte!


Eine Satire ist eine besonders scharfe Waffe, sie legt einen Finger in die Wunde des so Charakterisierten, lobt aber oft – bis über den grünen Klee!! – gerade die Schwächen, die deshalb regelrecht ins Auge springen, den Schreiber aber schützt manchmal sein Lob, denn er hat ja nur „das Beste“ gewollt.


Satiren haben der Obrigkeit noch nie gefallen; wer sie schreibt, braucht deshalb Mut – und eine gewisse wirtschaftliche Unabhängigkeit, denn sonst würde er wahrscheinlich von seinen Produkten verhungern. Satiriker sind dabei oft große Moralisten, vielleicht sogar die letzten, die noch bereit sind, ihre Wertmaßstäbe zu verteidigen, denn diese schimmern immer durch die Darstellung hindurch. So wird manche Heuchelei enttarnt, siegt wenigstens in der Satire noch die wahre Moral (was auch immer das sein mag) über das Philistertum; wenn´s um Politik geht, kann es allerdings für den Satiriker auch lebensgefährlich werden, gerade Diktatoren verstehen absolut keinen Spaß …


Schreibt jemand Satiren aus reinem Spaß an der Freud? Oder ist es in jedem Fall ein leidender Moralist? Sicherlich war eher das Letztere der Fall, wenn ich an HEINRICH BÖLL und seinen Text „Nicht nur zur Weihnachtszeit“ von 1951 denke, für mich der Inbegriff einer gelungenen Satire, die ich gerne schon mehrfach vorgelesen habe. Traditionelle Kirchenchristen fühlen sich dann allerdings manchmal „leicht auf den Schlips getreten“, ich spüre aber, wie Böll darunter gelitten haben muss, zu welchen unchristlichen Konventionen Weihnachten verkommen war (und ist).


Jetzt fehlt nach meiner Ankündigung noch der schwarze Humor, eine Form, die mir persönlich nicht sehr zusagt, weil sie m.E. mit tiefem Pessimismus verbunden ist. Die Zustände sind so schrecklich, dass man sie nur noch durch Spott erträglich machen kann. Ob es hilft? Wikipedia erwähnt in diesem Zusammenhang auch den Galgenhumor, der ja einen Versuch darstellt, auch angesichts schlimmster Bedrohungen noch etwas Kraft zum (Über)Leben zu schöpfen.


Alles dies sind „Verfremdungstechniken“ zur Darstellung des Alltäglichen. Eine besondere fehlt noch, die romantische Ironie! Schon in meiner Schulzeit, als wir HEINRICH HEINE lasen, hat mich diese Möglichkeit fasziniert. Er baute wundersame Bilder seiner Wünsche, Sehnsüchte, einer Welt, wie sie ihm vorschwebte, und in einem Nachsatz wischte er dieses Bild weg und befand sich wieder in der harten, Träumen gegenüber widerständigen Realität. Also Romantik mit einem Schuss Selbstironie und Selbstreflexion, die die Verbindung zur Wirklichkeit (was auch immer das ist) gewährleistet. Ich bin noch auf der Suche nach einem Heine-Gedicht, in dem dieses Stilmittel zum Tragen kommt, und werde es zu einem späteren Zeitpunkt in meinem blog zitieren.


Ich sehe ein, dass ich das Feld der betroffenen Themen auch nicht annähernd ausloten konnte. Wie sieht es allgemein z.B. mit dem Humor aus, von dem es ja auch freundliche Varianten gibt bis zu Überlegungen, ihn als therapeutisches Mittel einzusetzen? Und was ist mit Spott? Auch da gibt es wieder die eher bösartige Variante, aber auch den „zarten Spott“, der in einer freundlichen Weise leise Kritik ermöglicht.


Viele Anregungen für weitere Überlegungen!

Montag, 25. Mai 2009

Warum denn in die Ferne schweifen ...

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Durch Fernweh zeichne ich mich nicht gerade aus. Das habe ich schon mehrfach bei Einträgen in meinen blog deutlich gemacht:

Ich schätze die Beschreibungen von GÜNTER DE BRUYN, in denen er die stille Schönheit Ostbrandenburgs erlebbar macht und aufzeigt, wie sehr eine intensive Beschäftigung mit dieser Landschaft dem aufmerksamen Betrachter auch etwas über sich selbst sagt (vgl. meinen blog v. 6. Dezember 2008). Es ist meine selbst gewählte Heimat seit gut 10 Jahren, in der früher allerdings schon viele meiner Vorfahren heimisch waren, für mich dauerhaft zugänglich aber erst seit der „Wende“.

Ähnlich zu verstehen ist SINCLAIR LEWIS Aufforderung, wichtige Eindrücke in unserem Leben zu vertiefen und nicht hektisch Sehenswürdigkeiten im Reisekalender „abzuhaken“. Ich führe sein kurzes Zitat hier noch einmal auf (bereits in meinem blog am 6. April 2009):

Wer einen Dom zehnmal gesehen hat, hat etwas gesehen; wer zehn Dome einmal gesehen hat, hat nur wenig gesehen, und wer je eine halbe Stunde in hundert Domen verbracht hat, hat gar nichts gesehen.

Jetzt habe ich völlig unverhofft noch einen weiteren Liebhaber vertrauter Gegenden gefunden, und zwar den Ich-Erzähler in dem Roman „Der Vorleser“ von BERNHARD SCHLINK. Motiviert durch meinen Filmbesuch Anfang Mai (vgl. meinen blog v. 2. Mai 2009) lese ich in diesem Buch, um herauszufinden, wie Film und Buch zusammenhängen. In seiner klaren, schnörkellosen Sprache schreibt der Erzähler auch einmal kurz etwas über seine Wochenendausflüge und über seine Reise-Gepflogenheiten (Diogenes Tb. 22953, Zürich 1997, S. 125-126):

An den Sonntagen bin ich losgelaufen. Heiligenberg, Michaelisbasilika, Bismarckturm, Philosophenweg, Flussufer – ich habe den Weg von Sonntag zu Sonntag nur geringfügig variiert. Ich fand genug Vielfalt darin, das von Woche zu Woche sattere Grün und die Rheinebene mal im Dunst der Hitze, mal hinter Regenschleiern und mal unter Gewitterwolken zu sehen und im Wald die Beeren und die Blumen zu riechen, wenn die Sonne auf sie brannte, und die Erde und die modernden Blätter vom vergangenen Jahr, wenn es regnete. Überhaupt brauche und suche ich nicht viel Vielfalt. Die nächste Reise ein bisschen weiter als die letzte, der nächste Urlaub in dem Ort, den ich beim letzten entdeckt habe und der mir gefallen hat – eine Zeitlang habe ich gemeint, kühner sein zu müssen, und mich nach Ceylon, Ägypten und Brasilien gezwungen, ehe ich wieder dazu überging, mir die vertrauten Regionen noch vertrauter zu machen. In ihnen sehe ich mehr. [Hervorhebung durch J.L.]

Lieblingszitate XXXIII

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Zwischen allen komplizierten Themen auch einmal wieder etwas Leichtigkeit mit freundlicher Grundstimmung!



Die Arbeit läuft nicht davon

Während Du einem Kind

Den Regenbogen zeigst.

Aber der Regenbogen wartet nicht.


Unbekannt



Gefunden in: Europäische Akademie für Heilpädagogik, Programmheft für Veranstaltungen 2005, S. 49.


Noch einmal: Mein Leserbrief an die MOZ v. 18.5.2009

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Am 18.5.2009 habe ich an dieser Stelle einen Leserbrief an die MOZ veröffentlicht, weil ich mich über ihre Berichterstattung über die große DGB-Demo in Berlin am 16.5. geärgert hatte.

Ich muss mich bei der MOZ teilweise entschuldigen. Es war nämlich doch ein kleiner Bericht in der Zeitung enthalten, aber „very small“ und ganz hinten auf der Berlin-Seite als Teil einer Spalte ohne Foto. Es war aber eindeutig ein Teil der Deutschland-Politik, Berliner werden bei diesem Aufmarsch nur einen kleineren Teil der Demonstranten gestellt haben. Diese geringe Dimension der Nachricht finde ich weiterhin ärgerlich!

Damit jeder Leser sich selbst ein Bild machen kann, tippe ich den Wortlaut der MOZ-Nachricht noch ab:


Märkische Oderzeitung, 18.5.2009

Gewerkschafter fordern Wege aus der Krise

Berlin (dpa) Angesichts der Wirtschaftskrise haben in der Hauptstadt rund 100 000 Menschen für zusätzliche Maßnahmen gegen Armut und Arbeitslosigkeit demonstriert. Spitzenvertreter der Gewerkschaften, die zu dem Protestmarsch aufgerufen hatten, forderten ein weiteres Konjunkturpaket sowie ein Umdenken in Politik und Wirtschaft.

Die Demonstration unter dem Motto „Die Krise bekämpfen – Sozialpaket für Europa“ war Teil von europaweiten Aktionstagen der Gewerkschaften. So gingen zeitgleich rund 30 000 Menschen in Prag auf die Straße.

Der ver.di Vorsitzende Frank Bsirske warb für ein drittes Konjunkturpaket mit einem Volumen von 100 Milliarden Euro aus. Dieses Geld müsse Umweltprojekten und der Bildung zugute kommen, damit die Investitionen „nicht nur in Beton, sondern auch in die Köpfe“ gesteckt würden.

Noch einmal: Mein Leserbrief zum Publik-Forum 8/09

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Leicht gekürzt ist in der Ausgabe 10/2009 des Publik-Forums v. 22.5.2009 mein Leserbrief zur Finanzkrise erschienen. Die tatsächlich veröffentlichten Teile setze ich hiermit heute noch einmal in meinen blog:


Die Religionen und das Geld

Zu: „Das Ende des Scheins“ und „Brauchen die Kirchen eine eigene, zinsfreie Währung?“ (8/09)

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Die Analyse von Karl Heinz Brodbeck aus buddhistischer Sicht hat meine Sicht auf die Probleme sehr erweitert: Gier, Hass und Verblendung als Triebfedern des Turbo-Kapitalismus! Dass die Welt wieder auf die Füße zurückgestellt wird, sehe ich noch sehr skeptisch. Denn alle die „Eliten“, die das bewerkstelligen müssten, bestehen doch überwiegend noch aus den alten „Machern“, die uns mit ihrem neoliberalen Wirtschaftsverständnis dieses Desaster eingebrockt haben. Aber noch nie gab es so viele gegenläufige Stimmen, das macht doch etwas Hoffnung darauf, dass ein Umdenken und verändertes Handeln noch erfolgen könnte! Allen voran, eher leise, aber nachhaltig, Publik-Forum und Wolfgang Kessler, dessen Analysen und Kommentare zu diesem Themenkreis ich seit Jahren sehr schätze!

JÜRGEN LÜDER, Fürstenwalde

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Freitag, 22. Mai 2009

Lieblingszitate XXXII

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Am Dienstag, 19.5.09, habe ich hier meinen nun schon 25 Jahre alten Artikel über „Tod und Sterben“ wieder zugänglich gemacht, weil ich seine Hauptaussagen unverändert zutreffend finde. Ich meine dabei insbesondere die Feststellung, dass es viel bedeutsamer ist, sich die Frage zu stellen, ob es ein (lebenswertes) Leben vor dem Tode gibt gegenüber der religiösen Frage, ob ein solches auch nach dem Tode stattfindet.


Wie viel Energie könnte durch eine Beschäftigung mit dieser Frage bei vielen Menschen für wirkliche Taten freigesetzt werden gegenüber dem häufig nur praktizierten „Schattenboxen“ oder den verspäteten Kindergarten-Kämpfen von erwachsenen Menschen, wenn ich an mein „Chef-Thema“ vom 15.5.2009 denke! Noch viel tragischer: Die kindische Gier nach Macht und Bereicherung, wie sie in der jetzigen großen Krise als Haupt-Antriebskraft für viele „Großen der Welt“ (oder den noch viel zahlreicheren „Möchtegerns“) unübersehbar geworden ist. Sie praktizieren alle Scheinlösungen, die im Hinblick auf einen „nachhaltigen“ Lebenssinn völlig ins Leere laufen und gleichzeitig unzähligen Mitmenschen die Kosten für diese Gier aufbürden.


Wir sind alle nur vorübergehende „Gäste“ auf dieser Erde und es ist ein bodenloser Egoismus, sie unseren Kindern in einem schlechteren Zustand zu hinterlassen, als wir sie selbst „bei unserem Start“ vorgefunden haben. Außerdem so sinnlos!! Ich erinnere mich noch daran, dass ich bereits von meiner Großmutter den weisen Spruch gehört habe: „Das letzte Hemd hat keine Taschen“. Alle Ehre, alle Macht, alles Geld ist mit unserem Tode „futsch“, niemand kann davon etwas mitnehmen. Alle Liebe jedoch, zu der wir in unserem Leben vielleicht fähig waren, und alle Fürsorge für unsere Nachfahren aber könnten Früchte tragen und damit auch eine Spur von uns bewahren. Gibt es etwas Besseres?


Alles dies wird mir selbst noch klarer, wenn ich mich wieder mit Unterlagen zu meinem damaligen Artikel beschäftige. Es ist nicht gerade mein „tägliches Brot“, aber doch eine gute Übung, wenn ich über meine Zukunftsperspektive und meine noch möglichen „Taten“ nachdenke. Zeitweilig habe ich mich in den vergangenen Jahren auch immer wieder dann an das Thema herangetraut, wenn ich es in meiner Tätigkeit als Dozent im Unterricht behandelt habe oder es in mancher Praxisberatung wichtig wurde, weil Studenten von mir ältere oder kranke Menschen begleiteten.


Aus dieser Zeit stammt auch meine Beschäftigung mit dem Buch von OSKAR MITTAG, dem ich das folgende Zitat verdanke:



„Wenn ich mich heute frage, was ich selbst durch die Beschäftigung mit dem Sterben und dem Tod gelernt habe, so ist das Wesentliche wohl dies: zu wissen, dass dieses Leben vergänglich ist wie ein Gleichnis, ist mir auch ein Trost und nimmt mir Angst. Angesichts der Endgültigkeit des Todes erscheinen viele Dinge, die Angst, Scham oder Furcht auslösen, klein und unbedeutend. Zugleich unterstreicht das Bewusstsein der Zeitlichkeit die große Bedeutung der Liebe zum anderen Menschen und verweist uns nachdrücklich darauf, unser Leben im „Hier und Jetzt“ zu führen. Das Bewusstsein der Endlichkeit des Lebens verändert so die Perspektive und hilft zu leben.“


OSKAR MITTAG



In: Oskar Mittag, Sterbende begleiten, Stuttgart 1994, S. 10-11.

Lieblingszitate XXXI

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Dieses Zitat habe ich bereits in dem blog „Mobiles“ vom 19.5.09 verwendet. Da ich es äußerst nachdenkenswert für alle Eiligen und Hektiker (und für alle anderen auch …) finde, ist es wirklich würdig, noch einmal allein für sich einen Platz in meiner Reihe von Lieblingszitaten zu erhalten!


„Warum hast du es so eilig?“ fragte der Rabbi. „Ich laufe meiner Lebendigkeit nach“, antwortete der Mann. „Und woher weißt du“, sagte der Rabbi, „dass deine Lebendigkeit vor dir herläuft und du dich beeilen musst? Vielleicht ist sie hinter dir und du brauchst nur innezuhalten.“

Es handelt sich dabei um die Geschichte vom Rabbi Ben Meir aus Berdichev, die ich im Hazelden-Meditationsbuch „Berührungspunkte“ als Text für den 3. März gefunden habe.
(In meiner Sammlung seit 1994.)

Skurrile Geschichten: Der große Staubsauger

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Seit uns mein Deutschlehrer in der Oberstufe, der offensichtlich viel Verständnis für Satiren und Humor hatte, die kurze Geschichte vom „Nihilit“ nahe gebracht hatte, mochte ich auch die anderen eigentümlichen Erzählungen von KURT KUSENBERG, ob es nun um „Mal was anderes“ oder den „Großen Sturm“ ging, skurrile Berichte aus Welten, die ein wenig anders „ticken“ als unsere, wie Träume, in denen alles auf dem Kopf stehen kann, ohne dass jemand etwas Anstößiges daran findet, einfach so, ohne den Zeigefinger des Moralisten. (Sehr viel später einmal habe ich davon gelesen, dass Kusenberg sehr gerne Rotwein getrunken hat, vielleicht auch recht viel davon. Das würde aber nur etwas über die Entstehungsgeschichte dieser Geschichten aussagen, nichts hingegen über ihre Qualität; sie gefallen mir weiterhin!)


Derart Skurriles finde ich reizvoll. Selbst derartiges zu komponieren, ist hingegen schwer, auf fast allen Menschen lastet da ihre Erdenschwere! Eine Idee für eine Geschichte hatte auch ich einmal, die mir seither nicht mehr aus dem Kopf geht. Im Gegensatz zu Kusenberg ist es aber bei mir gleich moralisch, das ist wohl eine typische Eigenschaft von mir. Dadurch verflüchtigt sich leider die Leichtigkeit, skurril bleibt es trotzdem:


Das Folgende ist sozusagen das „Drehbuch“ für eine Geschichte, die man um dieses Skelett herum schreiben könnte: Ein Mann erfindet einen neuartigen Staubsauger, mit dem er fortan durch die Straßen seiner Stadt zieht. Ein kleines Modell mit großer Wirkung, denn er kann ihn in die Tasche stecken und unbemerkt anwenden. Niemand bringt ihn deshalb mit den ungewöhnlichen Ereignissen in der Stadt in Verbindung, die von Stund an viele Menschen erregen, auch wenn die meisten Betroffenen sie schamvoll verschweigen. Mit seinem Staubsauger kann der Mann nämlich jeglichen Müll, von der Zigarettenkippe über die Bierbüchse bis hin zum im Wald entsorgten Fernseher, aufnehmen und im Nu dem Urheber wieder zur Verfügung stellen, so wie die Post nicht zustellbare Briefe dem Absender zurückbringt. Der Müll fällt einfach ins Bett, auf den Küchentisch oder in die Badewanne des Wegwerfers und stinkt dort fröhlich vor sich hin. Es gibt keine Abwehrmaßnahmen, alles Verlorene kommt wie der Blitz durch die Luft. Wie würde sich die Welt verändern, wenn dieses Gerät in Serie anzufertigen wäre? Ich bin halt ein unverbesserlicher Moralist (und gestehe dennoch, auch schon einmal eine Bananenschale in den Wald geworfen zu haben …)

Mittwoch, 20. Mai 2009

Erinnerungsarbeit

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In den letzten Wochen habe ich mich hier verstärkt mit „Chefs“ auseinandergesetzt und bei dieser Gelegenheit meine eigenen Erinnerungen „sortiert“. Das hat für mich eine sehr positive, eher versöhnlich stimmende Wendung genommen. Nachdem ich den „Schutt“ besonders ärgerlicher Erlebnisse weggeräumt hatte, kam auch anderes darunter zum Vorschein. Ich habe jetzt dadurch einen „breiteren“ Blick auf meine Erfahrungen und kann sie gerechter einordnen und bewerten.

Jetzt sehe ich auch wieder die Chefs meiner Laufbahn, die sich sehr menschlich, unterstützend und kompetent verhalten haben, denen ich also gute Erlebnisse verdanke. Ihnen sollte man ein Denkmal setzen, nicht den inkompetenten oder sogar bösartigen Chefs, aber freundliche Erlebnisse werden halt von Dramen schnell überlagert.

Aufgetaucht sind allerdings auch meine Erinnerungen an zwei absolute Katastrophen-Chefs, die ich in meiner bisherigen Liste gar nicht gewürdigt hatte, also durch Vergessen „abgestraft“ hatte. Es gibt in der Psychotherapie ja die schöne Methode des „Reframings“, d.h. einer Neubewertung von Ereignissen, wenn man sie in einen größeren Rahmen einordnet und dadurch auf oft erstaunliche neue Sinngebungen stößt. Diese beiden Katastrophen-Chefs, die ich damals akut … gewünscht hätte, haben einen entscheidenden positiven Einfluss auf meine persönliche Weiterentwicklung gehabt. Denn ich war in beiden Fällen gezwungen, „meine Zelte abzubrechen“ und etwas Neues zu wagen, dafür zu lernen und neue Fähigkeiten zu entwickeln. Fast möchte ich mich dafür bedanken, denn hätte ich mir die neu übernommenen Aufgaben ohne diesen Veränderungsdruck wirklich zugetraut? Jedenfalls war es in meinem Leben nie langweilig…

Dienstag, 19. Mai 2009

Reminiszenzen - Angst vor Krankheit und Tod

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Erneut ein älterer Artikel von mir. Ich überlasse die Beurteilung meinen Lesern, ob er noch zeitgemäß ist oder sich überholt hat, wie es zunächst das Alter der Literaturangaben vermuten ließe …


Der folgende Aufsatz erschien erstmalig in dem Themenheft „Angst“ von MITEINANDER LEBEN LERNEN, Zeitschrift für Tiefenpsychologie, Gruppendynamik und Gruppentherapie, 9. Jahrgang, H.4. Juli 1984, S. 24 – 29.



Angst vor Krankheit und Tod


JÜRGEN LÜDER


Beschäftigt man sich mit der Bedeutung des Todes in unserer heutigen Gesellschaft, so stößt man auf ein bemerkenswertes Phänomen: Zeitungen und Fernsehen scheinen sich regelrecht auf Kriege, Verbrechen und Unglücksfälle spezialisiert zu haben. Von der gefühlsmäßigen Seite her aber stellt der heutige Mensch einen solchen Abstand zu diesen Ereignissen her, als passierten sie auf einem anderen Stern und hätten mit dem eigenen Leben nichts zu tun. Oft erzeugen sie sogar noch einen lustvollen Schauer, wenn man an die Beliebtheit von Krimis und Western denkt, von den Auswüchsen moderner Videofilme ganz zu schweigen.


Es ist, als wäre der Tod seiner gefühlsmäßigen Bedeutung entkleidet, als würden die Gefühle vom Ereignis abgespalten, ein Zeichen für eine sich ausbreitende Entfremdung von tieferem Erleben in unserer Gegenwart.


In der Tat spricht Philippe Ariès, der den Wandel der Einstellungen zum Tode im Abendland untersucht hat, vom „verbotenen Tod“ in unserem Zeitalter, der im Gegensatz zu früheren Epochen nur noch als Störfaktor betrachtet und aus dem Bewusstsein ausgeschlossen wird (1).


Vergleicht man die schwerwiegendsten Tabus heute mit denjenigen vor 100 Jahren, so hat sich oberflächlich betrachtet geradezu eine Umkehrung vollzogen. Wurde über Sexualität in der Wilhelminisch-Viktorianischen Zeit peinlich geschwiegen, so erlebten damals Kinder noch unmittelbar mit, dass Angehörige in der Familie starben, konnten also noch direkte Erfahrungen mit dem Tode sammeln. Heute ist es eher so, dass über Sexualität offen zumindest gesprochen werden kann, während Sterbende ihre letzten Tage oft isoliert im Krankenhaus verbringen müssen, getrennt von ihrer bisherigen Lebenswelt. Elisabeth Kübler-Ross, die durch ihre Erforschung der Psyche sterbender Patienten bekannt geworden ist, weist auf die häufige Hilflosigkeit von Pflegepersonen und Angehörigen hin, die aufgrund eigener Ängste dem Sterbenden nicht beistehen können (2).


Erfahrungen in einem Kurs über dieses Thema bestätigten mir diese Einschätzung. Immerhin wollten alle Teilnehmer sich mit dieser Problematik auseinandersetzen, waren also grundsätzlich schon aufgeschlossen. Als aber die Frage auftauchte, welchen Tod jeder einzelne sich selbst wünschte, wurde am häufigsten geäußert: „Ohne Vorwarnung, möglichst ohne es selbst noch zu merken, am liebsten durch Herzschlag mitten im Alltag, ohne längere Krankheit“, was gleichbedeutend ist mit dem Verzicht auf ein Abschiednehmen von sich und den Mitmenschen. Welch ein Gegensatz zu früheren Jahrhunderten, in denen sich wie selbstverständlich die gesamte Umwelt am Sterbelager versammelte und der Sterbende sich sogar durch „Sterbehilfe-Bücher“ auf seinen Tod vorbereitete!


Die Gründe für diese Veränderungen sind vielfältig und können hier nur angedeutet werden: ökonomische, soziale und wissenschaftliche Wandlungen, besonders im Bereich der Medizin und ihrer Behandlungserfolge, die Ablösung der Groß- durch die Kleinfamilie, in der nur noch selten mehrere Generationen zusammenleben, die Ausweitung von Institutionen, in denen Schwache und Kranke fern der Familie versorgt werden, und insbesondere der Wandel der gesellschaftlichen Wertvorstellungen, die H. E. Richter heute für lebensfeindlich hält, da in ihnen nur „Größe, Stärke, ewige Fitness und Jugendlichkeit“ etwas gelten. Nur die „Höhe des Lebens“ habe einen Wert, gegenüber dem derjenige aller anderen Lebensalter verblasse (3).



Grenzerfahrungen


Schon früher haben Menschen nur ungern an den Tod gedacht, wie das schöne Märchen „Die Boten des Todes“ der Brüder Grimm zeigt: Der Tod wird in einem Zweikampf von einem Riesen besiegt, liegt ohnmächtig da, bis ihn ein junger Mensch findet und pflegt. Er offenbart sich dem erstaunten Jüngling und verspricht als Dank, ihm erst seine Boten zu senden, bevor er ihn abholen werde, da er bei niemandem eine Ausnahme machen könne. Der Jüngling „war lustig und guter Dinge und lebte in den Tag hinein“, fühlte sich sicher und störte sich nicht an Krankheiten und Schmerzen, die er überstand. Zu seinem großen Erstaunen tritt eines Tages plötzlich der Tod an ihn heran und erwidert, als der Mensch dessen Wortbruch beklagt: „Schweig, habe ich dir nicht einen Boten über den anderen geschickt? Kam nicht das Fieber, stieß dich an, rüttelte dich und warf dich nieder? Hat der Schwindel dir nicht den Kopf betäubt? … Nagte nicht der Zahnschmerz in deinen Backen? Über alles das, hat nicht mein leiblicher Bruder, der Schlaf, dich jeden Abend an mich erinnert? Lagst du nicht in der Nacht, als wärst du schon gestorben?“ (4).


Durch die verlängerte Lebenszeit und die großen Erfolge der Medizin können wir heute zumeist die Beschäftigung mit dem Tode weit hinauszögern; viele Krankheiten, die früher lebensgefährlich waren, sind heute keine „Boten“ mehr, weil wir sie leicht bekämpfen können. Aber gibt es nicht genügend „Boten“ auch im Leben eines jeden Menschen in unserer Zeit, die ihn an seine Grenzen gemahnen, an die Beschränktheit der eigenen Kräfte und der zur Verfügung stehenden Lebenszeit, die damit zum Bewusstwerden der eigenen Endlichkeit führen könnten?


So schmerzhaft Erlebnisse des Älterwerdens sind, die sich für manche Menschen zu richtigen Lebenskrisen auswachsen, so bergen sie doch die Chance in sich, mit einem klareren Verständnis für sich selbst und die eigenen Zielsetzungen daraus hervorzugehen, wenn man einer Auseinandersetzung mit der Situation und den eigenen Ängsten standhält. Viele Menschen fühlen sich aber dieser Belastung nicht gewachsen, gehen einige Zeit nach dem schmerzlichen Erlebnis wieder „zur Tagesordnung“ über und greifen somit auf die bewährte Methode der Verdrängung zurück.



Ängste vor dem Tod


Was schreckt die Menschen so, dass sie die Vorstellung an den eigenen Tod lieber verdrängen? M. E. ist hier eine wichtige Unterscheidung erforderlich. Da ist zunächst die sehr verständliche Angst vor Siechtum und Schmerzen, vor einem einsamen Tod im Krankenhaus, verlassen von Angehörigen, die nicht die seelische Kraft haben, dem Sterbenden beizustehen. Auch der Gedanke an manche “Wundermittel“ der heutigen Medizin kann erschrecken, die Vorstellung, an zahlreiche Apparaturen angeschlossen, um jeden Preis am Leben erhalten zu werden¸ auch wenn der Lebenswille des Patienten längst erloschen ist. Dies sind schwierige Fragen der medizinischen Ethik, aber auch der Gesetzgebung, die Ärzten enge Grenzen hinsichtlich einer „Sterbehilfe“ für unheilbar Kranke setzt. Bekannt geworden ist hier der Fall der Amerikanerin Anne Quinlan, deren Eltern 1976 per Gerichtsbeschluss erstritten, die Apparaturen abzustellen. In Deutschland hat sich besonders die „Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben“ (DGHS) der Frage angenommen, wie der einzelne wieder Einfluss auf sein eigenes Sterben nehmen kann, z.B. über eine schriftliche Verfügung, in einem unheilbaren Krankheitsstadium Methoden der Intensivmedizin abzulehnen.


Die Gründe der Verdrängung der Todesgedanken liegen jedoch tiefer. Hinter den Todesängsten verbergen sich Lebensängste, Ängste vor der Leere eines Lebens, dem der Sinn entzogen ist. Was die Menschen wirklich bewegt, dürfte damit ebenfalls weniger die Frage sein, ob es für sie ein Leben nach, sondern vor dem Tod gibt, das wirklich lebenswert ist. So formulierte schon Spinoza: „Der freie Mensch denkt an nichts weniger als an den Tod, und seine ganze Weisheit ist auf das Leben gerichtet“ (5). Die Frage nach dem Tod ist somit eigentlich die nach dem Leben: Was habe ich bisher aus meinem Leben gemacht, was möchte ich noch erreichen? Eine Übung, die viele Menschen zu Sylvester oder an Geburtstagen pflegen, um die Gedanken daran dann schnell wieder wegzuwischen, weil die Begegnung mit sich selbst bei halbwegs objektivem Blick schmerzhaft und desillusionierend ist.


So müssten sich viele Menschen eingestehen, dass sie „die ihnen zugemessene Lebenszeit gar nicht richtig genutzt haben. Aus Angst vor Entscheidungen und Verantwortungsübernahme flohen sie stets aus den jeweils gegebenen Situationen und vertrösteten sich mit Zukunftsträumereien und Vergangenheitsreprisen. Das Leben findet aber immer ‚im Augenblick’ statt. Wer es da nicht erhascht und ergreift, ist auch um seine Zukunft betrogen, da diese ja ebenfalls in Form von Augenblicken heranrollt oder heranreift“ (6).



Sich der Krise stellen


Es ist aber verständlich, dass viele Menschen eine tiefergehende Auseinandersetzung m it der Frage nach dem eigenen Leben und Sterben scheuen, weil sie sich hilflos fühlen. Durch die Tabuisierung des Todes in unserer Gesellschaft fehlen im normalen Alltag Hilfestellungen und besonders Vorbilder, an denen man sich in dieser Frage orientieren könnte, zumal die Religion ihre frühere stützende Funktion weitgehend eingebüßt hat.


Ermutigend kann hingegen die Beschäftigung mit Psychologie, Psychotherapie, Philosophie, Literatur und manchen Biographien sein, insbesondere, wenn hierbei der Entwicklungsgedanke, die Idee der Selbstverwirklichung und des seelischen Wachstums bis zum Tod als Lebensaufgabe des Menschen deutlich wird. Sich seinen Ängsten stellen hieße in diesem Sinne, nach neuen Wegen zu suchen, im eigenen Leben höhere Werte anzustreben und durch die Bemühung um mehr echte Nähe sich selbst und anderen gegenüber zufriedener zu werden, eine Seelenlage, aus der heraus ein Abschiednehmen und Loslassen erst möglich wird.


Tobias Brocher betont in einem autobiographischen Bericht, dass niemand im Leben zu kurz komme, der sich ernsthaft mit seinen Selbsttäuschungen und Illusionen auseinandersetze, zumal die Aufgabe des Lebens in einem ständigen Wandel bestehe: „Es ist uns viel Zeit gegeben, uns auf jene letzte Änderung vorzubereiten, die wir Tod nennen, aber wir müssen sie nutzen, um die Angst vor der Veränderung auf dieser langen Strecke zu verlieren, indem wir uns ändern“ (7).


Für wen kann das Nachdenken über sich eine stärkere Krise bedeuten als für einen Schwerkranken, der einsehen muss, dass seine Lebenszeit bald ablaufen wird? Neigten früher Ärzte und Verwandte in den meisten Fällen dazu, z.B. einem Krebskranken seinen Zustand zu verschweigen, so gibt es zunehmend mehr Berichte von Betroffenen, die das Wissen um ihre Krankheit als Wende betrachten, die sie zu mehr Bewusstsein über ihre Lebensführung gebracht hat. Sei es anklagend unversöhnlich wie in Fritz Zorns „Mars“ oder mehr sensibel wahrnehmend wie in Maxie Wanders „Leben wär` eine prima Alternative“.


H. E. Richter hat bei unheilbar Kranken, die ihr Sterben akzeptierten, beobachten können, dass sich die Qualität ihres Lebens änderte, sie Konflikte mit ihnen wichtigen Menschen klärten und noch positive Gemeinsamkeiten verwirklichten.


„Man kann nur schwer sterben oder einen anderen sterben lassen, wenn in der Beziehung unbewältigte Ängste, Rivalitäten, Hass- und Schuldgefühle angestaut sind. Dann verbleibt man unausgesöhnt mit dem Partner wie mit sich selbst. Und das macht eine definitive Trennung unmöglich“ (8).


Dennoch: Ist es nicht vielleicht für ein Umdenken schon zu spät, kann eine gegebenenfalls nur kurze Spanne intensiv gestalteten Lebens überhaupt ein Gegengewicht gegen viele verstrichene Jahre sein? Ich denke, dass die Qualität des Lebens einen höheren Wert darstellt als seine Quantität. Wir haben zwar überwiegend nicht mehr das Gottvertrauen, das einen Luther zu dem Ausspruch bewegte, er würde heute noch einen Baum pflanzen, selbst wenn er wüsste, dass morgen die Welt unterginge. Aus atheistischer Sicht kommt Bertrand Russell aber zu einer ähnlichen Bewertung, das Wertvolle im Leben betonend: „Das Glück ist wahr, auch dann, wenn es ein Ende finden muss, und auch das Denken und die Liebe verlieren nicht ihren Wert, weil sie nicht ewig währen“ (9).


Das schönste literarische Beispiel dafür, welche qualitativen Veränderungen hin zu einer eigenständigen Persönlichkeit auch noch für einen alten Menschen gegeben sein können, der die Führung seines Lebens aus jahrzehntelanger Fremdbestimmung in Eigenverantwortung übernimmt, ist für mich Bertolt Brechts Erzählung „Die unwürdige Greisin“. Brecht schildert hier die letzten zwei Lebensjahre einer 72jährigen Frau, die nach dem Tode ihres Mannes entgegen den Erwartungen der Verwandtschaft ein völlig unabhängiges unkonventionelles Leben in einem neuen Bekanntenkreis zu führen beginnt. Brecht schließt seinen Bericht: „Sie hatte die langen Jahre der Knechtschaft und die kurzen Jahre der Freiheit ausgekostet und das Brot des Lebens aufgezehrt bis auf den letzten Brosamen.“



Literatur

(1) Philippe Ariès, Studien zur Geschichte des Todes im Abendland, München 1981.

(2) Elsabeth Kübler-Ross, Gespräche mit Sterbenden, Stuttgart 1969.

(3) Horst E. Richter, Vom Umgang mit der Angst, in: Sich der Krise stellen, Reinbek 1981, S. 136 ff.

(4) Zit. nach: Dietrich Steinwede (Hrsg.), Wie das Leben durch die Welt wanderte, Märchen der Menschen von Tod und Leben, Gütersloh 1980.

(5) Zit. nach: Josef Rattner, Psychoanalyse und Gruppenpsychotherapie der Angst, München 1972, S. 83.

(6) Josef Rattner, Weisheit als Charakterzug, in: Jahrbuch für verstehende Tiefenpsychologie und Kulturanalyse Bd. 1, Berlin 1881, S. 143.

(7) Tobias Brocher, Gegen die Tugend der Beharrlichkeit, in: G. Rein (Hrsg.), Warum ich mich geändert habe, Stuttgart 1971, S. 14.

(8) Horst E. Richter (1981), S. 143.

(9) Bertrand Russell, Warum ich kein Christ bin, Reinbek 1968, S. 62.

Mobiles

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Wie unterschiedlich doch Menschen sein können! Ich lerne da nicht aus, manchmal allerdings ist es sehr verblüffend und ich muss an mir arbeiten, ganz andere Denk- und Gefühlsmuster zu akzeptieren.

Ein Beispiel, das mich – als Symbol für den Zustand der Beziehung zwischen mir und einem früheren Chef – zeitweilig sehr beschäftigt hat:

Seit meiner Jugend, es sind jetzt sicherlich bald 50 Jahre her, liebe ich Mobiles. Meine erste Bekanntschaft war gleichzeitig die mit dem schönsten Exemplar, das ich jemals gesehen habe. Es hing in der Hamburger Kunsthalle und stammte von dem Amerikaner Calder, der durch die Konstruktion solcher kunstvollen Gebilde Weltruhm erlangt hatte: bei jedem zarten Lufthauch in anmutiger Bewegung, nie ganz stillstehend, sich um eine oder mehrere seiner vielen Achsen drehend, den so beschriebenen Raum ausfüllend, aber nie überschreitend. Keine Erdenschwere, alles ganz spielerisch. Gar nicht satt sehen konnte ich mich an diesem Objekt, habe lange vor ihm verharrt und es bei späteren Ausstellungsbesuchen immer wieder aufgesucht. Als kleiner Abglanz hängen jetzt bei uns zu Hause mehrere Mobiles, keine großen Kunstwerke, aber sie haben mit Calders Meisterwerk den Zauber gemeinsam, in ständiger Bewegung Ruhe auszustrahlen, die eine angenehme Wirkung auf meine innere Verfassung hat.

Ähnlich beruhigend erlebe ich auch immer wiederkehrende Bewegungen und Geräusche von Wasser: die Fontäne im Stadtpark hier in Fürstenwalde, in deren Gischt sich bei Sonnenschein ein Regenbogen bildet, auflaufende Wellen am Meer bei einer zarten Brise, am schönsten aber der Römische Brunnen auf der Pfaueninsel im Wannsee, bei dem das Wasser von einer Schale zur anderen wie in dem Gedicht von Conrad Ferdinand Meyer herabfließt.


Der römische Brunnen

Aufsteigt der Strahl und fallend gießt
er voll der Marmorschale Rund,
die, sich verschleiernd, überfließt
in einer zweiten Schale Grund;
die zweite gibt, sie wird zu reich,
der dritten wallend ihre Flut,
und jede nimmt und gibt zugleich
und strömt und ruht.

Conrad Ferdinand Meyer

Ruhe durch und in Bewegung, das hat auf mich eine meditative Wirkung. An diesem Brunnen könnte ich stundenlang sitzen, in mich „hineinträumen“, Gedanken hochkommen lassen, reflektieren …

Doch zurück zu den Mobiles. Eine ganz neue Deutung habe ich von einem Kollegen kennen gelernt, der sich ausführlich mit systemischer Therapie und Pädagogik beschäftigt hatte. Alle Elemente gehören in ein System, keines kann sich völlig unabhängig machen. Denn gleichzeitig hat jeder Bewegungsimpuls eines Teils Auswirkungen auf alle anderen, die in irgendeiner Weise reagieren werden: Wenn ein Element seinen Lauf ändert, ändern alle anderen ihn auch. Ein derartiges System füllt seinen eigenen Raum. Wer kann ihn verlassen? Ein Mobile-Element jedenfalls nicht. Wie sieht es mit „Freiheit“ in anderen Systemen aus? Ein neuer Blick auf soziale Wirklichkeiten, die nachhaltige Revolution im Denken der Sozialwissenschaften in den letzten 20 Jahren!

Und noch einmal ganz zurück zum Anfang meines kleinen Textes! Mein Verständnis der Wirkungsweise von Mobiles fand ich so „universell“, dass ich mir andere Deutungen zunächst nicht vorstellen konnte. Deshalb war ich sehr verblüfft, als mir beim ersten Gespräch mit meinem damaligen neuen Chef dieser ein Mobile zeigte, das in seinem Dienstzimmer hing. Es zeige an, belehrte er mich, wie er seine Aufgabe verstünde und – indirekte Botschaft – was er von seinen Mitarbeitern ebenfalls erwarte: Immer in Bewegung sein, nie beim Alten verharren, ständig neue Wege gehen, nicht still stehen. Aktion. – Bei mir ist allerdings angekommen: „Aktionismus“! Mein eher „umtriebiger“ Chef und ich mit meinem Bedürfnis nach Reflexion und dem Kennenlernen intuitiver Kräfte in mir: ein schwieriges Gespann bei klarer Machtverteilung!

Ich denke, alles hat seine Zeit! Ich bin ja kein Mensch, der völlig „in die Innerlichkeit“ gegangen ist. Wenn ich mich für politische Ereignisse, Gewerkschaftsarbeit und kritische Stimmen engagiere, bin ich ja auch im Bereich der Aktionen. Aber nur in Abwechslung auch mit reflexiven Phasen ist mein Leben „rund“. Einen ständigen „Aktionismus“ halte ich für schädlich und eher für den Versuch, sich durch das ständige Reiben an etwas Neuem leichter zu spüren, wenn es auf andere Weise schwierig sein sollte.

Dazu habe ich noch ein wundervolles Zitat, das ich abschließend vorstellen möchte:

„Warum hast du es so eilig?“ fragte der Rabbi. „Ich laufe meiner Lebendigkeit nach“, antwortete der Mann. „Und woher weißt du“, sagte der Rabbi, „dass deine Lebendigkeit vor dir herläuft und du dich beeilen musst? Vielleicht ist sie hinter dir und du brauchst nur innezuhalten.“

Dies ist die Geschichte vom Rabbi Ben Meir aus Berdichev, die ich im Hazelden-Meditationsbuch „Berührungspunkte“ als Text für den 3. März gefunden habe. (In meiner Sammlung seit 1994. )

Montag, 18. Mai 2009

Leserbrief an die MOZ, die die DGB-Demo vom 16.5.09 "vergessen" hat

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„Bürgerliche Zeitung“? Samstag-Loch in einer Zeitung, die sonntags nicht erscheint? Nachlässigkeit oder Absicht? – In jedem Fall ärgerlich, so ärgerlich, dass ich heute spontan einen Leserbrief geschrieben habe:


Nachtrag: Meine Kritik war nicht in diesem Umfang gerechtfertigt, da die MOZ doch einen kleinen Artikel über die Demo in ihrer Zeitung "versteckt" hatte, den ich allerdings nicht gefunden hatte! Ich berichte darüber auf meinem blog v. 25.5.2009! Grundsätzlich entschuldige ich mich für meine Schärfe!


An die

Märkische Oderzeitung


Betrifft: Bericht über die Demonstration des DGB in Berlin am Samstag, 16.5.2009


Sehr geehrte Damen und Herren,


wenn ich nicht selbst da gewesen wäre und abends die Tagesschau gesehen hätte, wüsste ich als Abonnent Ihrer Zeitung ohne andere Quellen nichts von diesem eindrucksvollen und für die Gewerkschaftsbewegung wichtigen Ereignis. Immerhin waren bald 100 000 Menschen versammelt; die Gewerkschaften melden sich zurück als gesellschaftliche Kraft, was auch auf die zukünftige Politik in Deutschland Einfluss haben wird.


Fehler in der Redaktion? Oder bösartiger: Weglassen unliebsamer Informationen? Jedenfalls ein Beleg für mich, dass ein Vollzeit-Abo Ihrer Zeitung für mich nicht in Frage kommt.


Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Lüder

Freitag, 15. Mai 2009

Lieblingszitate XXX

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Liebe das Leben! Setze Deine Lebenskraft für etwas Sinnvolles ein! Was heißt das eigentlich?

Vielleicht kann das folgende Zitat ein Stück auf der Suche weiterhelfen. Ich habe es vor Jahren in einem der hübschen kleinen Jahreswechsel-Bändchen des Suhrkamp-Verlags gefunden, das 1996 den bezeichnenden Titel trug: „Das Leben lieben“!


Indem man hoffen lernt und dadurch wider das Bedrohliche zu streiten beginnt, kann erfahren werden, was diese „Lektüre zwischen den Jahren“ vermitteln will: „Das Leben lieben“, so ihr Thema, ist nicht etwas Abstraktes, vom Himmel Fallendes, sondern der Ausdruck eines Lebensgefühls, das Bestehendes akzeptiert und zugleich zu formen sucht. Ob es der einem nahe Mensch ist, ob die Arbeit, das Erfahren eines Kunstwerks oder der Natur oder sogar die Einsicht in die Notwendigkeit eines Verlusts – überall dort, wo ein Ereignis selbstbewusst angenommen, gewertet und dadurch zum „eigenen“ gemacht wird, entsteht „Liebe zum Leben“, kann sich „das Leben lieben“ entfalten.

RAINER WEISS


In: Lektüre zwischen den Jahren. Das Leben lieben. Ausgewählt von Rainer Weiss. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1996. S. 148.

Ohrfeigen für Arbeitnehmer

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Meine heutigen Ausführungen stehen in einem engen Zusammenhang mit dem blog-Beitrag vom 11. Mai. Während ich mich damals allgemein mit Führungsstilen von Chefs auseinandergesetzt habe, schließe ich heute einen Bericht über „Untugenden“ von Leitern an, unter denen Arbeitnehmer immer wieder zu leiden haben.


Ich habe mittlerweile einigen Abstand zum Berufsleben gewonnen, das tut mir im Zusammenhang mit dem gewählten Thema gut. So liegen Ereignisse, die ich in diesem Rahmen als Kränkung erlebt habe, schon länger zurück und verlieren zunehmend gefühlsmäßig für mich an Bedeutung. Es ist mir deshalb auch kein Bedürfnis mehr, mich „revanchieren zu müssen“ und irgendwelchen Leuten meiner Vergangenheit „offene Rechnungen“ zu präsentieren. Zeitweilig war das anders, damals hatte ich viel Brast und hegte Groll.


Bekanntlich sind das Stimmungslagen, die der eigenen Psychohygiene sehr abträglich sind. In meinem blog v. 18. März 2009 habe ich dazu ein sehr prägnantes Buddha-Zitat aufgeführt. („Groll mit sich herumzutragen ist wie das Greifen nach einem glühenden Stück Kohle – in der Absicht, es nach jemandem zu werfen. Man verbrennt sich dabei nur selbst.“)


Mittlerweile denke ich, meine damaligen Chefs konnten es einfach nicht besser oder mussten sich selbst aus sehr subjektiven Gründen mit solchen Verhaltensweisen „über Wasser halten“. Für späte Abrechnungen ist mir auch meine verbleibende Lebenszeit zu kostbar und die Betroffenen spielen für meine Zukunft keine besondere Rolle mehr.


Wenn ich dieses Thema dennoch aufgreife, so bedeutet es für mich, einmal ganz bewusst einen Schlussstrich zu ziehen und gleichzeitig aber auch auf diesem Weg einige Erfahrungen weiterzugeben, die anderen vielleicht nützlich sein könnten, sei es auf der Mitarbeiter- oder Chefebene. Denn: Welcher „Chef“ wurde auf diese Rolle hinreichend vorbereitet und hat sie dann auch wirklich gut erlernt? Und wer hat sich außerdem noch die Mühe gemacht, sein Verhalten auf der Folie seines persönlichen lebensgeschichtlichen Hintergrunds vernünftig zu reflektieren, um sich seine wahren Motive im Umgang mit seinen Untergebenen bewusst zu machen? Vielleicht kann deshalb auch dieser Personenkreis von meinen Auslassungen profitieren!



Ich habe zur weiteren Darstellung eine eher spielerische, ironische Form gewählt. Dadurch ist ein Schutzabstand zur Realität gegeben, in dem es sich leichter schreiben und leben lässt.


Also: Vorsicht! Satire ! – mit Einsprengseln von Wahrheit!


Das große Schweigen ist eine der erfolgreichsten Krankheiten, die das Klima zwischen Menschen beeinträchtigen oder sogar ruinieren können, sowohl im Privatbereich als auch auf der Arbeit, also bei Kollegen untereinander oder zwischen Chefs und ihren Mitarbeitern. Die wichtigen Themen werden einfach nicht angesprochen, so als gäbe es sie nicht. Alle wissen darum, niemand traut sich (die eine, eher schüchterne Variante) oder „die anderen sollen ruhig zappeln, sie werden sich schon nicht trauen oder sich die Blöße geben, nachzufragen“ (die andere, machtbetontere Variante). Langsam zeigt sich ein Erfolg, die Stimmung vergiftet sich, wie sollte es auch anders sein ohne Offenheit.


Chefs können diese Methode sehr gut mit dem Papierkorb kombinieren, ein Verfahren, um sich lästige Einwände oder Vorschläge von Mitarbeitern vom Halse zu halten. Der Mitarbeiter bekommt keinerlei Rückmeldungen, vielleicht nicht einmal eine Eingangsbestätigung auf eine schriftliche Eingabe. So läuft er bestenfalls „ins offene Messer“ oder bleibt „im Regen stehen“. Geschieht ihm recht!


Auf diese Weise sind manche Chefs sehr erfinderisch in der Kunst der Demotivation von Mitarbeitern, deren Kreativität und kritisches Mitdenken erfolgreich ausgehebelt wird. Im Sinne moderner Managementansätze ist dies zwar eine Todsünde, weil „lernende Institutionen“ angeblich auf Anregungen und Kritik angewiesen sind. Manchmal ist jedoch ein stiller Mitarbeiter, der sich in die innere Emigration zurückgezogen hat und nur noch Dienst nach Vorschrift macht, leichter zu ertragen als ein ständiger „Meckerer“ oder jemand, der an Tüchtigkeit den Chef überragen könnte.


Eine vorbeugende Methode gegen die letztgenannte Bedrohung ist auch Wissen ist Macht. Hierbei fährt der Chef ständig allein zu irgendwelchen Tagungen und Fortbildungen, übernimmt auch wichtige Funktionen in anderen Gremien, die ihm einen großen Wissensvorsprung vor allen Mitarbeitern sichern. So ist er über aktuelle Entwicklungen im Fachgebiet bestens informiert, gibt sein Wissen aber nur in homöopathischen Dosen an seine Untergebenen weiter, wenn es gar nicht anders geht. Ein solcher Chef arbeitet natürlich auch am besten ohne Stellvertreter. Allerdings ist diese Leitertätigkeit sehr aufreibend, weil die gesamte Verantwortung nur auf dieser einen Person lastet, die deshalb alle bedeutsamen Entscheidungen selbst fällen muss. Andere wären dazu mangels Wissen einfach nicht kompetent genug!


Wenn die Rhetorik stimmt, können die Taten auch entfallen. Diese Methode ist nur wirklich redegewandten, rhetorisch möglichst professionell geschulten Chefs zu empfehlen. Denn nur ihnen gelingt es nachhaltig, Mitarbeiter auf möglicherweise drohende Entwicklungen einzustimmen, sie auch mit moralischen Überlegungen in den Betrieb einzubinden und gleichzeitig vieles so vage zu belassen, dass hinterher die meisten Mitarbeiter in angenehmer Weise leicht verwirrt sind. Da alles nicht so klar ist, braucht es auch keiner Überprüfung standzuhalten. Dennoch sind manchmal konkrete Ankündigungen nicht zu umgehen. Falls es damit dann aber doch nicht klappt, hat ein vielseitiger Chef natürlich auch noch andere Methoden auf Lager, z.B. die erstgenannte des Schweigens.Wofür soll es auch gut sein, alte Kartoffeln noch einmal aufzutischen!


Am Pranger: Diese Methode ist sowohl selbstsicheren als auch eher konfliktscheuen Chefs zu empfehlen, wobei die letzteren dadurch ein möglicherweise unbequemes Einzelgespräch mit dem anstrengenden Kollegen vermeiden, die ersteren aber eine günstige Chance haben, um allen zu verdeutlichen, wie machtvoll sie agieren können. In beiden Fällen wird der Delinquent nicht unter vier Augen vorgewarnt und erhält keine Chance zur Rechtfertigung oder Entschuldigung, nein, dann würde die Wirkung ja verpuffen! Seine Sünden werden vielmehr vor der Öffentlichkeit ausgebreitet, um ihn der allgemeinen Verachtung preiszugeben. Der selbstsichere Chef nutzt dafür auch schon einmal einen Festvortrag, in dem er die kritikwürdige Person einschließlich Missetat namentlich zur Sprache bringt. Dem habe ich es gezeigt! Hier habe ich „die Hosen an“! Auch ihr anderen solltet euch vorsehen! Der unsichere Chef nutzt dagegen eher eine Dienstberatung, um die Kollegen zur Unterstützung gegen den ungebührlich aufgetretenen Kollegen direkt oder indirekt aufzufordern. Da dieser in diesem Moment „aus allen Wolken fällt“, wird er kaum Widerstand leisten, so dass sich die Geschichte zu einem positiven Abschluss bringen lässt. Längerfristig ergeben sich daraus zwar „Bremsspuren“ in der Beziehung zu diesem Mitarbeiter, die man aber einkalkulieren kann. So ist nun einmal das Leben! Man kann nicht alles haben. Positiv bei der ganzen Angelegenheit ist in jedem Fall, dass auch die anderen Kollegen nun vorsichtiger sein und sich nicht mehr so leicht „aus dem Fenster lehnen“ werden. Das ergibt doch insgesamt eine positive Bilanz, einen Sieg auf allen Ebenen!


Die öffentliche Vorführung ist der Pranger-Methode verwandt, allerdings kommt sie nicht mehr so aus heiterem Himmel, und der in dieser Form geehrte Mitarbeiter kann sich seelisch bereits darauf einstellen, dass sein Chef sich Gedanken über seinen nächsten Auftritt macht. Sehr eindrucksvoll ist sie z.B., wenn der Chef den Mitarbeiter in geeigneter Form bohrend vor Zuhörern so befragt, dass seine Troddelhaftigkeit stichhaltig zum Vorschein kommt. Es gibt aber auch die bühnenmäßig noch wirksamere Show, ihm eine weit unter seinem bisherigen Niveau angesiedelte Aufgabe zu erteilen, etwa das Requisiten-Schleppen für den Chef in einer Versammlung, der dies als Anlass für einen netten Witz über den Hiwi vor allen Zuschauern nimmt. Das Verfahren ist sehr empfehlenswert, weil es auch uneinsichtige unkündbare Mitarbeiter irgendwann zum Handtuch-Wurf ermutigt.


„Mitarbeiter sind faul und machen sich ohne Kontrolle einen fröhlichen März,“ sagte mein früherer Studienkollege, der zum Heinleiter avanciert war und berichtete mir davon, wie er bei einem geheimen nächtlichen Kontrollgang die Nachtwache beim Nichtstun überrascht hatte: „Jetzt hab´ ich dich, du Schweinehund!“ Mir war das damals zwar peinlich, frisch von der Uni und mit Ideen von ROGERS und TAUSCH & TAUSCH überfüttert, aber ich habe mich später von anderen Leitern belehren lassen, dass man wirklich nur mit diesem Misstrauen erfolgreich seinen Laden führen kann, insbesondere dann, wenn das Personal knapp ist und die Leute sich überflüssigerweise auch noch miteinander anzufreunden beginnen. Dann wird wirkungsvolle Kontrolle nämlich nahezu unmöglich. In einem solchen Fall hilft deshalb nur noch, das Team auseinander zu nehmen, um das Zusammenglucken zu verhindern. Arbeiten sollen die Leute, nicht Kaffee trinken und schwätzen!


Ich horche dich aus und mache dich zum Kollegen-Schwein! Eine uralte Erfahrung, die ich nicht vergessen kann. Vielleicht aber auch ein guter Tipp für Chefs, die so besser Kritik an Untergebenen äußern können und sich die Mitwirkung eines „Schweins“ als Spion sichern, da dieser sicherlich gegenüber den Kollegen nicht „auffliegen“ möchte. Das hat sich damals abgespielt: Als Hilfskraft in einem Heim verdiente ich mir meine Brötchen für meine letzten Semester und hatte dadurch auch Gelegenheit, im Gegensatz zur trockenen Uni erstmalig praktische Erfahrungen im Umgang mit behinderten Kindern zu sammeln. Ich war also noch ein vollständiger „Grünschnabel“ im heilpädagogischen Bereich. Die Heimleiterin, die ich auch um die Möglichkeit zu Hospitationen gebeten hatte, steckte mich u.a. in eine Gruppe, in der speziell eine nach meinen heutigen Maßstäben heilpädagogisch orientierte Betreuerin die Kinder fördern wollte, z.B. mit ihnen malte. Die anderen Gruppen pflegten eher einen „Aufbewahrungsstil“, der aber wohl mehr den Vorstellungen der Leiterin entsprach, die die neumodischen Vorhaben der Kollegin (Geld für Farben und Schürzen wollte sie auch noch haben!) skeptisch betrachtete. Das habe ich nun alles überhaupt nicht durchschaut und ahnte nicht, was meine eher beiläufigen Worte in einem Gespräch mit der Leiterin bewirken würden: Das sei ja alles ganz gut in der Gruppe, Besonderes hätte ich daran allerdings nicht finden können ... (Wie sollte ich auch, denn ich hatte ja noch keinen blassen Schimmer und deshalb keinerlei Vergleichsmaßstäbe!) Die Heimleiterin nahm das zum Anlass, die Kollegin abzukanzeln, denn sie hätte aus guter Quelle gehört, dass … Das Team der Gruppe forschte danach eifrig nach dem Kollegen-Schwein, das ihnen das ganze Theater eingebrockt hatte. Ich habe mich sehr geschämt, hatte aber nicht den Mumm, den Zorn der aufgebrachten Leute durch ein Geständnis auf mich zu ziehen. Eines meiner frühesten Lehrstücke!



Es folgen noch ein paar Beschreibungen von idealtypischen „Chefs“, also ausschließlich ausgedachte und konstruierte „Typen“, ohne direkten Bezug zur Wirklichkeit, allerdings unter Zuhilfenahme einiger Erlebnisse und Beobachtungen aus meiner langjährigen Mitarbeiter-Karriere in verschiedenen Institutionen.



Was kümmert mich mein Geschwätz von Gestern! Ich bin ja noch recht neu im Betrieb und schaue mich erst einmal um, wie es hier so läuft. Vor kurzem habe ich auch den Betriebsrat besucht und mit den Leuten einen Kaffee getrunken, wie das bisher so meine Art war. Eigentlich könnte man mit denen ja ganz gut, das habe ich ihnen auch angeboten. Auf der großen Leitungssitzung allerdings bin ich gewarnt worden, jede Form von Verbrüderung sein zu lassen und stramm meinen eigenen Kurs und den der Leitung zu fahren, das habe sich gegenüber dem häufiger aufmüpfigen Betriebsrat bewährt. Nun ja, mein neuer Job ist mir lieb und teuer, also werde auch ich härtere Bandagen benutzen. Schade um den Kaffee, aber man kann halt nicht alles haben!


Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser! Auch wenn mir die Arbeit über den Kopf wächst, kann ich doch keine wirkliche Verantwortung an meine Mitarbeiter delegieren! Wer weiß, was sie dann tun, ich habe es nicht mehr in der Hand. Schlimmstenfalls läuft es auch ohne mich, das wäre eine unerträgliche Vorstellung! Die Leute sind zwar hoch qualifiziert, aber sie werden mich nicht einholen oder sogar überflügeln. Sicherheitshalber schau ich ihnen lieber weiter auf die Finger.


Ich bin unersetzlich. Gelobt sei, was hart macht, denn mich haut nichts um! Da kann ich auch noch diese zusätzliche Aufgabe übernehmen. Wer sollte es sonst tun, und schließlich kann ich es auch am besten von allen! Meine Mitarbeiter meinen zwar, ich sähe so gehetzt aus und sie bekämen mich ohnehin kaum noch zu sehen, aber das ist halt der Preis dafür, dass ohne mich aus diesem Laden nie etwas geworden wäre. Und ob die Leute sich sonst für mich interessieren würden?


Radfahren ist gesund! Um schneller fahren zu können, muss ich schon manchmal einen Buckel machen, wenn mich der Wind von vorn oder von oben hart ankommt. Aber es ist wunderbar, wie schön man diesen Druck übers Treten der Pedale nach unten weitergeben kann. Gegen den Wind kann man sowieso nichts machen, dafür lasse ich mir die Kette gut schmieren und trainiere meine Wadenmuskeln. Radfahren ist also gesund, außerdem gut fürs Prestige in heutigen Zeiten und preiswert noch dazu: Ersatzteile sind erschwinglich, bei dem heutigen Überangebot werden sie immer kostengünstiger. So macht es wirklich nichts, wenn ich manchmal einigen Verschleiß habe.


Mir schenkt doch auch niemand etwas, warum sollte ich großzügig sein? Von wegen knauserig! Ich rechne eben genau ab, ob jemand sein Stundensoll erfüllt hat oder nicht. Sonderbehandlung? Kleines Kind? Deshalb muss man doch nicht gleich 15 Minuten früher weggehen, auch wenn der Fahrdienst schon alle abgeholt hat und nichts mehr zu tun ist. Meine Vorgängerin war großzügiger? Ja – und? Jetzt bin ich da und mein Kommando gilt. Ich will mir nicht einmal nachsagen lassen müssen, ich wäre zu lasch mit den Vorschriften umgegangen. Sie haben bei der freiwilligen Maßnahme mit geholfen? Schön, denn wenn alle nur das täten, was im Dienstvertrag steht, hätte unsere Einrichtung nicht diesen Ruf! Ich denke, das muss eine Ehre für sie gewesen sein! Dass sie gleich einen Anspruch auf eine solche Vergünstigung daraus ableiten wollen, kann ich nicht verstehen! Mich fragt ja auch keiner, wie viele Überstunden ich mache, und ich halte nicht die Hand auf.



Diese Liste wäre noch leicht zu erweitern. Bevor eine unendliche Geschichte daraus wird, mache ich jetzt aber einen Punkt, um Zeit für mein Schlussplädoyer zu behalten. Allerdings wäre meine Aufzählung doch sehr unvollständig, wenn ich nicht abschließend noch auf das klassische Lehrbuch der Chef-Probleme hinweisen würde: Laurence J. Peter & Raymond Hull: Das Peter-Prinzip oder Die Hierarchie der Unfähigen. Als Rowohlt-Tb. 6793 seit 1970 im Buchhandel und für jedermann frei zugänglich! Es ist also alles sattsam seit langem bekannt!


Dennoch – oder gerade deshalb:


Liebe Leute, lasst uns gegenseitig in unserer Begrenztheit annehmen und Vergangenes verzeihen! Wer weiß, was geworden wäre, wenn man mich zum „Chef“ gemacht hätte… Dieses Problem habe ich glücklicherweise in meinem Leben umgehen können und bin dem Schicksal dankbar dafür! Der große Zeigefinger ist jedenfalls unangemessen und sowieso vergebene Liebesmüh! Dass wir andere nicht ändern können, bestenfalls (mit viel Mühsal, Anstrengung und langem Atem!) uns selbst, hat bereits das Sams gewusst! (Vgl. meinen blog v. 6. März 2009.) Alle diese Dramen sind, bei rechtem Licht betrachtet, doch nur unwesentliche „Nebenkriegsschauplätze“, die uns von einer persönlichen Weiterentwicklung und der Bearbeitung der wirklich drängenden Probleme der jetzt lebenden Menschheit abhalten, reine Vergeudung von Lebenskraft! Und so freudlos, ohne Spaß und Elan! Da gibt es wirklich Besseres.

Donnerstag, 14. Mai 2009

Meine Lieblingszitate XXIX

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Immer dann, wenn ich mich mit eher ärgerlichen Themen beschäftige, fällt mir zwischendurch manchmal Otto Reutter ein, der schon vor so vielen Jahren wunderbar persifliert hat, wo man landet, egal, wie viel man rackert: im Winter des Lebens auf dem Friedhof! O.K., wir treffen uns dort alle wieder, viele allerdings wahrscheinlich mit dem Gefühl, dass das Leben ihnen gegenüber ungerecht und undankbar war, andere dagegen haben sich möglicherweise auch gelegentlich im Heute „satt gegessen“ und konnten zufriedener Abschied nehmen. Irgendwann kommt`s unausweichlich … Bis dahin gibt es aber jeden Tag wieder eine neue Chance!

Ach, was sind wir dumme Leute –
Wir genießen nie das Heute.
Unser ganzes Menschenleben
Ist ein Hasten, ist ein Streben,
Ist ein Bangen, ist ein Sorgen –
Heute denkt man schon an morgen,
Morgen an die spät´re Zeit –
Und kein Mensch genießt das Heut´-,
Auf des Lebens Stufenleiter
Eilt man weiter, immer weiter.

Nutz den Frühling deines Lebens,
Leb im Sommer nicht vergebens,
Denn gar bald stehst du im Herbste
Bis der Winter naht, dann sterbste.
Und die Welt geht trotzdem heiter
Immer weiter, immer weiter …


OTTO REUTTER




Ich habe dieses Chanson irgendwo abgeschrieben, weiß aber leider die Quelle nicht mehr.
(Sicherlich gibt es genügend Fundorte für dieses brillante und bekannte Gedicht!)

Montag, 11. Mai 2009

Chefs als Könige oder Präsidenten und die Misere von Management-Theorien


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Dieses Thema hat mich mein gesamtes Berufsleben begleitet, als Mitarbeiter im Angestelltenverhältnis, ebenso aber auch als Teilnehmer von Ausbildungsgruppen im therapeutischen Bereich, die ja auch ihre „Chefs“ haben. Wäre ich Mitglied in einer Partei, würde ich mich vielleicht auch am Führungsstil der Leitung reiben, hätte aber von Zeit zu Zeit ein Wahlrecht bei der Bestimmung von Nachfolgern, was bei den beiden anderen Feldern weitgehend entfällt.

Meine Erfahrungen sind sehr gemischt. Da ich schon immer eine starke Abneigung gegen autoritäres Verhalten hatte, habe ich öfter in meinem Leben gelitten … Vielleicht bin ich aber auch besonders empfindlich. Jedenfalls konnte ich es gut verstehen, wenn Leute in meinem Umfeld freiberuflich tätig wurden: der eigene Chef sein! Seine Arbeit, Ziele und Schwerpunktsetzungen selbst bestimmen! Das kann ich jetzt als „Ruheständler“ hervorragend! Aber ich bin abgesichert und habe sozusagen „keine finanziellen Interessen“. Diejenigen, die von ihrer eigenen „Chefarbeit“ ökonomisch abhängig sind, müssen oft ums Überleben kämpfen und härter als in einem festen Job arbeiten. Freiheit hat ihren Preis !!!


Da mich dieses Thema Zeit meines (Arbeits-)Lebens beschäftigt hat, habe ich in meinen Notizen auch eine Reihe von Punkten gesammelt, die ich immer schon einmal gern behandeln wollte. Aus meiner jetzt ganz unabhängigen Position heraus möchte ich das auch tun und einiges davon „zum Besten geben“.


- Es gibt heutzutage regelrechte Lehrbücher über „richtiges Management-Verhalten“, in denen schöne Beschreibungen über vernünftiges Führungsverhalten drinstehen. Z.B. über die moderne Ansicht, dass die Leistung eines Chefs nicht mehr daran gemessen wird, dass er der „Super-Crack“ ist, der einsam absolute „Spitzenleistungen“ vollbringt und alle um ihn herum um Haupteslängen überragt, sondern daran, dass er sein Team gut organisieren kann, so dass es kooperativ zusammenarbeitet und das gemeinsame Produkt von allen erst die „Spitzenleistung“ ist. Die „Spitzenleistung“ gilt aber wohl doch als unverzichtbar, schließlich leben wir in einer Konkurrenzgesellschaft mit Auslesecharakter. („Wir gegen den Rest der Welt!“)

- Einschlägige Untersuchungen haben hinreichend erhärtet, dass gute Kommunikation, Motivation der Mitarbeiter, explizite Anerkennung etc. etc. zu besseren Resultaten der Gruppenleistung insgesamt führen und damit als „Nebenprodukt“ auch zur größeren Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter beitragen. Ein einschlägig ausgebildeter Chef müsste ebenso wissen, dass alle diese Maßnahmen wahrscheinlich zu einem geringeren Krankenstand führen, Mitarbeiter nicht von Natur aus „faul“ sind und diejenigen, die „in die innere Immigration“ gegangen sind und nur noch „Dienst nach Vorschrift“ tun, meistens schon eine längere institutionelle Leidensgeschichte hinter sich haben und dies ihre für den Betrieb zwar nicht günstige, individuell aber verständliche „burn-out-Vorsorge“ ist. Beim heutigen Wissen dürfte kein Chef sich mehr über derartige Erscheinungen beklagen, ohne sich „an die eigene Nase zu fassen“, aber ich bin ein Zweifler:

- Denn allen modernen Theorien zum Trotz möchte ich behaupten, dass hinter den tatsächlichen „Chef-Leistungen“ ganz „persönliche Gleichungen“ stehen. Und kann man derartig wichtige Verhaltensweisen, die mit grundlegenden eigenen Charakterhaltungen, dem Selbstwertgefühl, dem Grad der sozialen Verbundenheit mit den Mitmenschen verbunden sind, einfach so an der Oberfläche „trainieren“, ohne auch tiefer liegende Einstellungen zu ändern? (Training statt Analyse/Therapie) Ich bin da zumindestens skeptisch. Ist das nicht eher wie bei dem „Märchen vom Wolf und den sieben Geislein“? Wer zutiefst autoritär empfindet, kann da ja irgendeine „kooperative Tünche“ drüberlegen, aber wird das jemals echt sein, von seinen Mitarbeitern auch geglaubt und aufgegriffen werden und vor allem auch in Konflikten standhalten?

- Einem von mir hochgeschätzten Psychoanalytiker habe ich zur Erweiterung dieses Themas, das grundsätzlich ja nicht nur die Führung in kommerziellen Firmen, sondern auch in Gruppen und allgemeinen Institutionen betrifft, die schöne Unterscheidung von zwei „Chef-Typen“ zu verdanken. Er sah auf der einen Seite „Präsidenten“, auf der anderen hingegen „Könige“. „Präsidenten“ wissen um die Länge ihrer Amtszeit; wenn sie klug sind, bereiten sie rechtzeitig sich selbst und ihre Institution auf den unausweichlich kommenden Machtwechsel vor, in ihrer Amtszeit wissen sie um die vielen Mitarbeiter, die sie tragen. Bei „Königen“ ist das schon anders. Nur wenige danken rechtzeitig ab, bevor ihre Kräfte schwinden (oder sie einer Revolution weichen müssen). „Kronprinzen“, sofern sie zugelassen oder gefördert werden, können schon einmal sehr alt werden, bevor ihnen der „König“ mehr Einfluss gewährt. Und „Könige“ fühlen sich oft „von Gottes Gnaden“ eingesetzt, damit als Bestimmer und letztlich im Zweifelsfall nicht hinterfragbare Autorität. Jedenfalls haben es Kritiker, selbst bei sachlichen Argumentationen, oft schwer. Speziell die Geschichte der Psychotherapie, in der es eine Reihe von „Königsreichen“ gab, zeigt, dass „Abtrünnige“ oft gehen mussten – und manche wieder zu „Königen“ wurden! Ob die „Präsidentenrolle“ nicht ehrenvoll genug ist? Aber vielleicht hat sich da – an mir vorbei – schon viel geändert und ich bin einfach nicht hinreichend „up to date“.


Ich weiß, diese Aussagen sind alle holzschnittartig und lassen sich wahrscheinlich trefflich auseinander nehmen und kritisieren. Aber in meinem blog bin ich der König !!! (Über Rückmeldungen, auch als Kritik, freue ich mich dennoch und würde sie aufgreifen.)