Dienstag, 30. November 2010

Die nächste Eiszeit kommt bestimmt

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Z. Zt. besuche ich einen Kurs, der sich mit der Stadtgeschichte Fürstenwaldes beschäftigt. Fasst man sie etwas weiter und möchte auch etwas über die Rahmenbedingungen der Region erfahren, so gehört die Entwicklung der Landschaft hinzu, die maßgeblich von der letzten Eiszeit geprägt wurde. So begann meine Ausbildung mit einer geologischen Exkursion.

Fürstenwalde ist musterhaft für alle Phänomene, die man mit der Eiszeit in Verbindung bringen kann. Es gibt hier Endmoränen (bei Rauen), Grundmoränen (bei Trebus) und das Urstromtal der Spree, alles wunderbar vom Aussichtspunkt an einem Hang unterhalb von Trebus gleichzeitig zu sehen! Dazu Beispiele für Seen der Eiszeit (Trebuser See, Petersdorfer See, Scharmützelsee) und die größten Findlinge Deutschlands in den Rauener Bergen. Ich wusste nicht, in was für einer hochinteressanten Gegend ich hier lebe!

Dieses Wissen verdanke ich dem Geologen Dr. Hess, der uns gleichzeitig etwas "geologische Bescheidenheit" lehrte: Vor 10.000 Jahren herrschte in unserer Region noch das Eis, das als Gletscher in einer Höhe von 1000 m über Brandenburg die Gegend auf der Erdoberfläche völlig verwüstete und umgestaltete. Dann zog es sich zurück, aber nur vorübergehend. Denn: Die nächste Eiszeit kommt bestimmt und folgt ausschließlich Naturgesetzlichkeiten, die von Änderungen in der Umlaufbahn der Erde um die Sonne bestimmt werden und völlig außer Reichweite menschlicher Einflussmöglichkeiten liegen.

"Zivilisation ist nur dann möglich, wenn die Erdgeschichte es erlaubt." sagte Dr. Hess, ebenso: "Wir leben in einer glücklichen Zeit." Das wird nicht so bleiben. Wer weiß, wie es bereits in 150 Jahren aussehen wird. Jedenfalls ist es eine Illusion, von länger konstant bleibenden klimatischen Bedingungen auszugehen. Es gibt einen beständigen Klimawandel!

So ist die Aufregung über die CO2-Belastung der Atmosphäre geologisch gesehen etwas künstlich, wenn auch vorübergehend durchaus berechtigt! In 30 Jahren werden die fossilen Brennstoffe in Brandenburg ausgehen, in anderen Teilen der Erde vielleicht etwas später, aber in absehbarer Zeit. Die Natur wird dann den erhöhten CO2-Gehalt der Luft allmählich wieder "verdauen" und dann "zur Sache übergehen". In den Zeiträumen, in denen die Geologie denkt, sind das eher periphäre Ereignisse. In der Zeit, in der wir Jetzt-Menschen leben, haben wir allerdings begonnen, die Lebensbedingungen für uns selbst und die direkt folgenden Generationen zu verschlechtern. Und dafür haben wir die Verantwortung! Die großen langfristigen Abläufe auf der Erde allerdings wird dies nicht sonderlich beeinflussen, alles ist nur ein in der Jetzt-Zeit von Menschenhand zusätzlich aufgepfropftes Problem.

So lehrt die Geologie vor allem Bescheidenheit! Die 10.000 Jahre seit dem Ende der letzten Eiszeit in unserer Region sind erdgeschichtlich vielleicht nur Bruchteile einer "Erdsekunde" der Lebensdauer unseres Planeten. Gleichzeitig umfassen sie aber alle wirklich bedeutsamen kulturellen und geschichtlichen Ereignisse des "Homo Sapiens". Wieviele Jahre werden unserer Spezies darüber hinaus noch vergönnt sein? Bei den atemberaubenden Veränderungen allein der letzten 100 Jahre, kaum mehr als drei Generationen übergreifend, ist im Vergleich dazu die Perspektive der Geologie unglaublich behäbig und zeitraubend - aber nachhaltig und unbeirrbar!

Nicht von ungefähr ist mir heute zufällig (!?) in der Bibliothek ein Buch in die Hände geraten, dessen Fragestellung genau hier anschließt. Wie könnte die Erde den Verlust der Menschheit "verkraften"? In seinem preisgekrönten Sachbuch "Die Welt ohne uns" stellt der Amerikaner Alan Weisman Hypothesen auf, wie die Natur sich ihr Terrain zurückholen würde:

nach 2 Tagen: Ohne Pumpen werden New Yorks U-Bahn-Schächte überflutet

nach 1 Jahr: Auf den Straßen wachsen Blumen, der Asphalt bricht auf. Kletterpflanzen und Tiere erobern die Städte

nach 10 Jahren: Holzbauten stürzen ein. In Hausdächern entstehen Löcher. Ein Wohnhaus hält 50, bestenfalls 100 Jahre.

nach 100 Jahren: Ohne den Elfenbeinhandel wächst die Zahl der verbliebenen 500 000 Elefanten auf das Zwanzigfache an. Die Populationen kleiner Raubtiere - Marder, Wiesel und Füchse - verringern sich infolge der Konkurrenz verwildeter Hauskatzen.

nach 300 Jahren: Brücken stürzen ein. Weltweit sind Deiche und Dämme durchweicht, überflutet oder gebrochen. Großstädte in Flussdeltas und Küstennähe, wie Hamburg, Amsterdam, Venedig, Houston oder Buenos Aires werden weggewaschen.

nach 500 Jahren: Wo früher Vorstädte standen, wachsen Wälder. Zwischen den Bäumen, halb verborgen vom sprießenden Unterholz, liegen die Aluminiumteile von Geschirrspülern und Edelstahltöpfe.

nach mehreren 1 000 Jahren: Die Mauern, die in New York City und anderen Städten noch stehen, werden von Gletscherzungen überdeckt. Intakt sind nur noch die Bauwerke, die tief unter der Erde angelegt wurden, beispielweise der Eurotunnel zwischen Calais und Dover.

nach 100 000 Jahren: CO2 erreicht wieder die gleiche Konzentration wie in frühgeschichtlichen Zeiten.

(Zitierte Auswahl aus der Zeitleiste "Was passiert, wenn die Menschen von der Erde verschwinden" am Ende des Buches von Alan Weisman: Die Welt ohne uns. Reise über eine unbevölkerte Erde. - München: Piper 2009. [= Serie Piper Bd. 5305].)

Kleine Lebensweisheiten V

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Wer nachtragend ist, hat viel zu schleppen.


Hübsch illustriert auf einer Werbe-Karte, die ich einmal als Gruß von simplify jour life erhalten habe ("Sammelpostkarte Nr. 29")

Erst Griechenland, jetzt Irland, dann ?

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Die Probleme um die "Euro-Sünder" hören nicht auf. Jetzt ist mit Irland das zweite Land an der Reihe, dessen Bevölkerung durch Sozialkürzungen ausbaden soll, was durch schlechte Finanzgebaren des Staates und der Finanzmärkte angerichtet wurde. Wenn auch nicht im Euro-Raum, so doch als Problem sehr ähnlich gelagert, lauerte der Pleitegeier vor kurzem doch auch über Island! Die Menschen dort haben sich vehement gewehrt.

Gegen die Abwälzung der Probleme auf die "kleinen Leute" nimmt die folgende Nachricht aus dem Attac-Rundbrief v. 26.11.2010 Stellung. Ich zitiere:


Irland-Krise: EU darf sich nicht von Anleger-Interessen leiten lassen

Europaweite Mindeststeuersätze statt Druck auf einzelne Länder in Notsituationen

Attac hat die EU davor gewarnt, Irland im Rahmen der so genannten Rettungskredite zu weiteren Einschnitten in den Sozialstaat zu drängen. Ohne Hilfe von außen wird Irland nicht in der Lage sein, das Zahlungsbilanzdefizit zu bewältigen. Aber statt solidarisch den Menschen in Irland zu helfen, wird ein brutaler Sparkurs erpresst. Eine EU, die sich von den Interessen der Anleger leiten lässt und die Augen vor der Not der betroffenen Menschen verschließt, diskreditiert sich selbst. Was wir brauchen, ist nicht Druck auf einzelne Länder in wirtschaftlichen Notsituationen, sondern das sind europaweite Mindeststeuersätze, Mindeststandards in den sozialen Sicherungssystemen und streng regulierte Finanzmärkte.

Mittwoch, 24. November 2010

Lieblingszitate CXXXXIX: Tibetanische Weisheit

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Was wir aus unserem Leben gemacht haben,

lässt uns zu dem werden, was wir sind,

wenn wir sterben.

Und alles, absolut alles, zählt.


Aus „Das Tibetanische Buch vom Leben und vom Sterben“

Gefunden als Motto in dem Buch v. Diane Broeckhoven, Ein Tag mit Herrn Jules, München, Beck-Vlg. 2005

Montag, 22. November 2010

Dinosauria XXII: Alles geht kaputt

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Ausgangspunkt für diesen blog waren meine Erlebnisse der letzten Zeit, wie ständig irgendwelche Geräte kaputt gingen, die ich nur schwer oder garnicht mit meinen "Dinosaurier-Fingern" reparieren konnte. Mehrfach mussten wir auch ein neues Gerät erwerben. Aber das sah dann auch nicht viel besser aus. Um es benutzen zu können, muss man schließlich die Betriebsanweisung verstehen und umsetzen! Bei den meisten neuen Geräte sieht es dann so aus, dass sie irgendwie elektronisch gesteuert werden und ich die komplizierten Anleitungen, oft auch noch mikroskopisch klein gedruckt und nur mit Hilfe einer Lupe lesbar, nur schwer verstehe. Offen gestanden habe ich meistens auch nicht viel Lust und Entdeckerfreude, mich da einzuarbeiten. Eine lästige Aufgabe. So fühle ich mich dann eher hilflos, hoffe auf einen lieben Mitmenschen, der die Feineinstellung des Geräts übernimmt und spüre in diesem Sektor meines Lebens eine einsetzende Trägheit und Lustlosigkeit, was bei vielen anderen Themen m.E. glücklicherweise noch ganz anders aussieht. Ich hoffe, das lässt mein blog erkennen!

Dieses Problem kann ich aber schon viele Jahre zurückverfolgen. Es ist jetzt gut 25 Jahre her, dass ich als Familienhelfer einen Jungen betreute, der es ziemlich schwer in der Schule hatte. Um so mehr staunte ich, dass seine Eltern ihm eine Armbanduhr mit mehreren Funktionen schenkten, die mir ein Buch mit sieben Siegeln blieben. Der Junge aber probierte so lange an allen Knöpfen herum, bis er - vielleicht auch über trial and error - alles einstellen konnte, was ihn interessierte. Dieses notwendige Interesse ist mir wohl schon damals abgegangen...

Mein Zustand ist noch nicht besorgniserregend, meine Frau ist deutlich unkomplizierter als ich, und bisher haben wir die Geräte noch zum Laufen gekriegt. Aber ich kann mich gut in die folgende Situation hineindenken, die vielleicht wieder eine gute Geschichte abgeben würde, wenn jemand "mein Drehbuch" aufgreifen und einen Text daraus verfassen würde (ähnliche Vorschläge habe ich ja schon mehrfach in meinem blog gemacht):

In meiner Geschichte lässt ein einschlägiger Dinosaurier, dem alles über den Kopf gewachsen ist und der keine Söhne und Enkel hat, die "für ihn machen", langsam alles kaputt gehen. Er repariert nichts und lässt neue Geräte unausgepackt in der Ecke stehen. Eine gewisse Weile wird er auf immer niedriger werdendem Niveau wohl noch an der Welt teilhaben können, aber langsam fällt er doch aus ihr heraus. Ob das nicht aber real die Situation mancher alter Menschen ist, die niemanden haben, der dieses Technik-Defizit für sie ausgleicht? Aber das würde dann ja nur eine Sozial-Reportage, ich könnte mir auch eine etwas satirischere Variante vorstellen, die unser elektronisches Zeitalter ein wenig "auf die Schippe" nimmt.

Vermutlich ist aber gerade das ein Beweis für meine Dinosaurier-Zukunft: Die Realität hat meine Vorbehalte und fehlenden Kenntnisse schon so überholt, dass meine (nicht vorhandenen) Enkel nur müde darüber lächeln könnten und einmal später über ihren Opa erzählen würden: "Kannst du dir überhaupt vorstellen, wie primitiv er gelebt haben muss?" Nun gut, das soll dann nicht mehr meine Sorge sein. Vorher stehe ich noch als "Zeitzeuge" einer aussterbenden Kultur zur Verfügung... (Kassettenrecorder, Videorecorder und Kameras mit Filmen waren doch auch recht praktisch...)

Sonntag, 21. November 2010

Kleine Lebensweisheiten IV

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Wer das Unmögmögliche anstrebt
und seine Zufriedenheit von seinem
Eintreten abhängig macht, hat sich
entschlossen, unglücklich zu sein.

Wer das Mögliche achtet, in seinen
vielfältigen Erscheinungsformen wert-
schätzt und nutzt, hat einen Fuß
in die Durchgangstür zum Glück
gestellt!


[11.4.1998]

Große und kleine Geister

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tummeln sich auf der Erde. Bei allen Ambitionen, die ich entwickele, werde ich stets nur zu den kleinen gehören. Auch wenn mich mein Ehrgeiz früher gepackt hätte, wäre ich trotzdem nur ein kleiner Geist ... Schicksal! Ich teile es mit der großen Mehrheit der Menschheit.

Dabei ist aber allen Geistern gemeinsam, unabhängig von der Größe, bis zu der sie es hier gebracht haben, dass ihre Zeit auf Erden nur begrenzt ist, ebenso wie die Spuren, die sie im Gedächtnis der Menschen hinterlassen. Sie verblassen. Bei den einen geht es etwas schneller, bei den anderen dauert es länger, aber selbst bei den größten Größen ist die Erinnerungszeit nicht unbegrenzt. Irgendwann wird die Erde verglühen...

Es ist wie in der Bibliothek in Hermann Kasacks "Stadt hinter dem Strom": Irgendwann zerfallen alle Bücher zu Staub; dann, wenn sie sich überlebt haben, auch die heiligen.

Kleine Lebensweisheiten III

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Ein Prophet gilt nichts in seinem Vaterland.

frei nach Matthäus 13,57



ebenso nicht, wer Klartext spricht und dabei sich und die anderen nicht schont

Märchen und Ethik

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In meinem kleinen Literaturkreis, in dem wir hier in meiner Heimatstadt von Zeit zu Zeit die unterschiedlichsten Texte lesen und unsere Eindrücke darüber austauschen, waren in den letzten Wochen "Märchen" dran, ein Thema, das mich in seiner Vielfalt immer wieder fasziniert.

Einige meiner ältesten Erinnerungen ranken sich dabei um ein kleines, schäbiges Märchenbuch der Gebrüder Grimm, mit kaputtem Einband, Brandflecken und losen Seiten. Meine Mutter hat es wohl als Trümmerfrau 1945 in einer Ruine in Berlin gerettet. Die Auswahl der Märchen war etwas ungewöhnlich, jedenfalls waren nicht nur die üblichen berühmten Märchen abgedruckt. Wenn ich mich richtig erinnere, las ich in diesem Buch erstmalig "Die Nixe im Teich" und "Die beiden Brüder", zwei Märchen, die in ihrem "Skript" irgendetwas mit mir zu tun haben müssen, denn ich las sie immer wieder... (Ich denke jetzt, es hat etwas mit dem Motiv der Treue zu tun, die auf einer langen Lebensreise trotz größter Schwierigkeiten Bestand hat und schließlich nach vielen Plackereien doch noch zu einem guten Ende führt. Aber erst dann.)

Mittlerweile habe ich von psychologischen Ansätzen erfahren, die Märchen dafür einsetzen, Zugänge zum eigenen Erleben und der eigenen Entwicklungsgeschichte zu finden und sie dadurch therapeutisch nutzbar zu machen. Ich denke, da ist wirklich etwas dran. Jedenfalls haben mich Märchen, insbesondere Volksmärchen, nie mehr losgelassen, auch wenn dieses Buch meiner Kindheit leider schon vor vielen Jahren irgendwie abhanden gekommen ist.

Wir haben in dem Kreis darüber diskutiert, woher wohl die Märchen stammen mögen (die Wissenschaftler sind sich nicht einig) und welche Aufgabe sie ursprünglich hatten. Meine Meinung - jenseits aller Wissenschaftlichkeit: Volksmärchen dienen der Grundlegung einer Ethik! "Gut" und "Böse" werden eindeutig aufgezeigt, die dahinterstehende Ordnung ist einfach und überzeugend. (Fast) immer siegt zum Schluss das Gute! (Vielleicht gibt es Gegenbeispiele, sie sind mir aber z.Zt. nicht präsent). Kindern ist diese Ordnung in bestimmten Entwicklungsabschnitten sofort zugänglich und einleuchtend. Dabei sind die Märchen garnicht für Kinder erzählt (und später aufgeschrieben) worden, es waren ursprünglich Berichte für Erwachsene.

Freitag, 19. November 2010

Bossing

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Vor geraumer Zeit habe ich mich satirisch mit den
markantesten Übergriffen und Fehlern von Chefs beschäftigt, auch um die Schatten meiner eigenen Vergangenheit verblassen zu lassen. (vgl. meine blogs v. 11.5.2009, 15.5.2009 und 20.5.2009). Gleichwohl bleibe ich sensibel für dieses Thema und fand deshalb den Kommentar von Norbert Copray über die Ereignisse um Michael Offer und Wolfgang Schäuble sehr aufschlussreich. Bemerkenswert, wie Michael Offer reagiert hat! Seinen Hut nehmen! Das finde ich mutig. Allerdings spricht es dafür, dass er um seine finanzielle/soziale Absicherung wohl nicht gar zu sehr besorgt sein dürfte. Denn wer von den "niedrigeren Chargen" kann sich einen solchen Schritt schon leisten, ohne seine Familie im Regen stehen zu lassen!? (Quelle: Publik-Forum newsletter 7/2010 v. 11.11.2010).

Weil mir dieser Text sehr gut gefallen hat, führe ich ihn hier als Zitat auf:


Attacke

Schäuble bosst

Wolfgang Schäuble, deutscher Bundesinnenminister, attackiert öffentlich in der Bundespressekonferenz seinen Pressesprecher Michael Offer. Die unfaire Attacke war ehrabschneidend und verletzend. Es gab seitens Schäuble keine wirkliche Entschuldigung und keine Rehabilitation seines loyalen Pressesprechers. Schäuble hat ihn abgekanzelt und erkennen lassen, dass er das auch noch lustig findet.

Bossing ist das, was hier alle Welt sehen konnte und kann. Ein unfaire Attacke dieser Art kann auch als Dolchstoßattacke ausgeführt werden: unerwartet, schnell und mit enormem Gesichtsverlust. Michael Offer ist von seinem Amt zurückgetreten. Die einzig richtige Reaktion auf seinen plötzlichen Gesichtsverlust und die Ministerattacke. Das sollten auch andere tun, wenn sie in ähnlicher Weise vor anderen unfair angegriffen werden. Dann muss man das Spielfeld verlassen.

Einige wollen Schäubles Verhalten entschuldigen. Da wird seine Querschnittslähmung ins Spiel gebracht, das Attentat auf ihn, die Schmerzen, die Medikamente, der enorme Zeit- und Entscheidungsdruck, der auf Politikern lastet. Das mag alles sein, doch für jeden Chef gilt: Niemand erhält durch irgendetwas das Recht, einen anderen Menschen herabzusetzen – öffentlich zumal. Niemand erhält durch eigenes Leid und Weh das Recht, sich bei attackierten Menschen nicht zu entschuldigen und ihren guten Ruf nicht wieder herzustellen. Und niemand sollte in einer herausgehobenen Führungsrolle sein, der nicht selbstkritisch eigenes Verhalten reflektieren, korrigieren und wiedergutmachen kann.

Norbert Copray

Donnerstag, 18. November 2010

Lieblingszitate CXXXXVIII: Wilhelm Busch, mal ganz anders!

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Solange Herz und Auge offen,

Um sich am Schönen zu erfreun,

So lange, darf man freudig hoffen,

Wird auch die Welt vorhanden sein.


Wilhelm Busch

Gefunden in: Wilhelm Busch: Sämtliche Werke und eine Auswahl der Skizzen und Gemälde in zwei Bänden. Herausgegeben von Rolf Hochhuth. Im Bertelsmann Lesering. – Gütersloh: Mohn & Co. [o. J.] – Zweiter Band: Was beliebt ist auch erlaubt. Ausgewählt aus den S. 866 – 885.

Ein Aufruf von campact.de an Bundespräsident Wulff

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Nicht nur an der Initiative zur Wiedereinführung der Vermögensteuer habe ich mich beteiligt (vgl. den letzen blog-Eintrag!), sondern auch wieder einmal an einer Kampagne von compact.de !

Der Aufruf ist gerichtet an den Bundespräsidenten, der noch das Gesetz über die Verlängerung der AKW-Laufzeiten unterschreiben muss, damit es Gültigkeit erlangt. Oder er verweigert seine Unterschrift ... Sicherlich eine geringe Chance, aber außerordentlich medienwirksam und ein Ausdruck des Protests!

Ich war gestern der 114248. Unterzeichner! Da passen noch einige weitere Unterschriften auf die Internetseite von compact.de!!

Ich füge den Text des Aufrufs an:

Von: info@campact.de


Lieber Jürgen Lüder,

vielen Dank für Ihr Engagement! Sie haben soeben den Appell an Bundespräsident Wulff unterzeichnet.

Der Petitionstext lautet:

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Wulff,


um längere AKW-Laufzeiten durchzusetzen, will die Bundesregierung das Atomgesetz ohne Zustimmung des Bundesrats ändern. Viele renommierte Verfassungsrechtler sehen darin einen Verstoß gegen unser Grundgesetz. Mehrere Bundesländer wollen daher vor dem Bundesverfassungsgericht klagen.

Auch Sie vertraten als Ministerpräsident die Auffassung, dass die Laufzeiten nicht ohne Zustimmung des Bundesrats verlängert werden dürfen. Ich fordere Sie auf: Beteiligen Sie sich nicht an einem kalkulierten Verfassungsbruch und unterschreiben Sie nicht das Atomgesetz!

Mit freundlichen Grüßen


Jürgen Lüder

www.vermoegensteuerjetzt.de : unterschreiben!

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Es gibt eine neue Initiative, die sich die Wiedereinführung der Vermögenssteuer zum Ziel gesetzt hat. Immerhin könnte unter moderaten Bedingungen unser Staat an die 20 Milliarden Euro im Jahr mehr einnehmen und in Bildung und soziale Projekte investieren, ohne dass die Reichen im Lande verarmen müssten.

Ich bin auf diese Initiative sowohl von Attac als auch von Ver.di aufmerksam gemacht worden.
Die "üblichen Verdächtigen" zieren die Liste der Aufrufer. Da ist es eine Ehre, sich auch unter der im Titel angegebenen Internet-Adresse zu beteiligen und zu unterschreiben.

Ich füge zur näheren Erläuterung den Text an, den ich in einer Bestätigungsmail auf meine Unterschrift am 17.11.2010 erhalten habe:


Bis jetzt haben 12881 Menschen den Aufruf 'Vermögensteuer jetzt!' unterschrieben.
Nur gemeinsam können wir erreichen, dass mehr Steuergerechtigkeit hergestellt wird. Dafür brauchen wir nicht nur Ihre Unterschrift - wir brauchen auch Ihre aktive Unterstützung!
Sie können helfen, dass noch mehr Menschen den Aufruf kennen lernen und unterschreiben. Deshalb möchten wir Sie darum bitten, unseren Aufruf weiter zu verbreiten. Wir haben drei Ideen, wie Sie den Aufruf ohne großen zeitlichen Aufwand in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis bekannt machen können:

1. Schicken Sie eine E-Mail an Ihre Freunde und Bekannte


Liebe Freundinnen und Freunde,

ich habe gerade den Aufruf 'Vermögensteuer jetzt!' unterschrieben, der von Prof. Dr. Friedhelm Hengsbach SJ (Nell Breuning Institut), Prof. Dr. Rudolf Hickel (Memorandum-Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik), Detlev von Larcher (Attac), Wolfgang Lieb (nachdenkseiten.de), Nicola Liebert (Tax Justice Network), Wolfgang Pieper (ver.di, Leiter Grundsatz und Vorstandssekretär) und Ernst Prost (Geschäftsführer Liqui Moly GmbH) initiiert wurde. Der Aufruf fordert die Wiedereinführung der Vermögensteuer auf große Vermögen.

Ich kann Dir diesen Aufruf nur empfehlen und würde mich freuen, wenn Du ihn auch unterzeichnen würdest.

Hier der Link:

http://www.vermoegensteuerjetzt.de

Vielen Dank und viele Grüße

Jürgen Lüder

Mittwoch, 17. November 2010

Lieblingszitate CXXXXVII

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Hoffentlich wird es nicht so

schlimm wie es schon ist.


Karl Valentin


Gefunden auf einer Karl-Valentin-Postkarte, die ich in einem Museumsshop in München im August 2010 erworben habe.

Dienstag, 16. November 2010

Schulden machen die Reichen reicher

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Staatsschulden machen die Reichen reicher und die Armen ärmer

Ich möchte hier noch einmal eine kleine Passage aus meinem letzten blog aufgreifen. Auf die Frage von Ver.di Publik, ob etwas daran sei, dass uns ein Krieg der Generationen aufgrund der demografischen Entwicklung bevorstünde, antwortete Gerd Bosbach:

"Das ist Unsinn. Wenn überhaupt, dann wird es einen Konflikt zwischen Arm und Reich geben. Denn die zukünftigen Generationen erben nicht nur Schulden, sie sind auch Gläubiger. Die reichen Jungen werden die Zinszahlungen bekommen und die armen Jungen werden sie bezahlen müssen." (Ver.di Publik v. Okt. 2010)

Ein wichtiger Zusammenhang, der m.E. fast überall in den Argumentationen verschwiegen wird! Der Staat verschuldet sich ja nicht bei anonymen Mächten, sondern bei höchst lebendigen Kapitalgebern, die zu einem nicht geringen Anteil seine eigenen Bürger sein dürften, nämlich die kapitalstarken, die gern Deutsche Staatsanleihen erwerben, weil sie (noch?) so einen guten Leumund haben. Bestes Rating AAA!

Da Vermögen garnicht und Kapitaleinkünfte nicht übermäßig besteuert werden, auch die Erbschaftssteuer erträglich ist, sammelt sich da ein großes Kapital in den Händen weniger in den nächsten Generationen an, die aber sicherlich auf ihren Kapitaldienst pochen werden. Und den müssen alle Bürger unseres Landes finanzieren. Selbst wenn sie so arm sein sollten, dass sie keine direkten Steuern zahlen müssen, bleiben alle indirekten Abgaben, wie z.B. die Mehrwertsteuer, auch an ihnen hängen.

Langfristig sind also Staatsschulden eine Methode der Umverteilung von unten nach oben. Das Säcklein füllt sich von alleine. (Und ist höchstens durch eine Inflation bedroht.) Um so mehr ist es sträflich, dass alle Vorschläge immer wieder abgebürstet werden, die Staatsfinanzen durch höhere Steuern zu verbessern, und zwar insbesondere zu Lasten des vermögenden Teils der Bevölkerung. Stattdessen nehmen die Klagen z.B. der Kommunen immer mehr zu, soziale Leistungen nicht mehr hinreichend finanzieren zu können. Alle mehr oder weniger immer noch neoliberal eingestellten Politiker scheinen aber an diesem Punkt die Wirklichkeit ausgeblendet zu haben, denn sie sprechen ständig nur davon, was wir uns alles nicht mehr leisten können ...

Das spaltet die Bevölkerung. Noch verstehen offenbar nur wenige diese Zusammenhänge. Was kommt aber danach?

Gerd Bosbach und die Demografie

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Noch einmal bin ich in Ver.di Publik v. Okt. 2010 fündig geworden und habe ein hochinteressantes Interview gefunden, das Karin Flothmann mit Gerd Bosbach führte. Bosbach ist Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Fachhochschule Koblenz. Er äußert sich hier zu den geläufigen Tricksereien mit demografischen Daten, unseriösen Prognosen und dem beliebigen Umgang in der Poliktik, je nach erwünschtem Erfolg in der verunsicherten Bevölkerung.
Fett

Das ist ganz im Sinne von Albrecht Müller, der solche Vorgänge in seinem Buch "Meinungsmache" analysiert hat (München 2009). In einem früheren Buch, nämlich "Die Reformlüge" (München 2004) nannte er so etwas "Mythenbildung", die die Menschen weich klopft, angebliche "Reformen" mit zu tragen, die aber nicht im wirklichen Interesse der großen Bevölkerungsmehrheit liegen, sondern nur mächtigen Gruppierungen nutzen, die im Hintergrund bleiben. (Z.B. wer verdient an einem Abbau der gesetzlichen solidarischen Rentenversicherung, die angeblich wegen der Demografie zukünfig nicht mehr ausreichen soll? Ein Thema, das ich an dieser Stelle nicht vertiefen möchte.)

Hier die interessantesten Auszüge:


Wie Betrunkene am Laternenpfahl

Statistik / Ob Rentenkürzung, Jugendarbeitslosigkeit oder Facharbeitermangel: Die schwarz-gelbe Bundesregierung deutet Demografie so, wie es ihr gerade in den Kram passt

Herr Bosbach, die Deutschen werden immer älter, immer weniger Kinder werden geboren. Viele sprechen inzwischen von einem Krieg der Generationen, der uns bevorsteht.

Das ist Unsinn. Wenn überhaupt, dann wird es einen Konflikt zwischen Arm und Reich geben. Denn die zukünftigen Generationen erben nicht nur Schulden, sie sind auch Gläubiger. Die reichen Jungen werden die Zinszahlungen bekommen und die armen Jungen werden sie bezahlen müssen.

Können Sie als Statistiker sagen, wie Deutschland in 50 Jahren aussieht?

Nein, ein statistischer Blick auf die Zeit in 50 Jahren ist unmöglich. Das ist Kaffeesatzleserei. [...]

Aber manch demografische Prognose scheint sich zu realisieren. Immerhin ist schon heute vom Facharbeitermangel die Rede.

Da bekomme ich regelmäßig einen Anfall. Wenn wir heute einen Facharbeitermangel haben, dann hat das nichts mit Demografie und zu wenigen Jugendlichen zu tun. Es hat damit zu tun, dass wir seit den 90er Jahren zu wenig Jugendliche ausgebildet haben. Noch heute werden zwischen 50 000 und 150 000 Jugendliche pro Jahr nicht vernünftig oder gar nicht ausgebildet. Wenn wir heute nicht ausbilden, dann haben wir morgen keine Facharbeiter.

Was müsste getan werden?

Zuallererst müssten Jugendliche eine qualitativ hochwertige und vernünftige Ausbildung bekommen. Das läuft zur Zeit weder in den Begtrieben noch in den Schulen und Hochschulen. Außerdem müssen wir endlich humane Arbeitsbedingungen schaffen, so dass sich die Zahl der Frühverrentungen reduziert.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von der Rente ab 67?

Die Rente ab 67 wird für den übergroßen Teil der Bevölkerung eine Rentenkürzung in Höhe von mindestens 7,2 Prozent mit sich bringen. Denn viele Menschen werden höchstens bis 65 arbeiten. [...]

Die Politik scheint demografische Daten ganz nach Belieben zu benutzen.

Ja. Wenn die Daten unseren Politikern in den Kram passen, werden sie benutzt, um die Rentenversicherung zu privatisieren. Wenn sie einem nicht gefallen, weil Ausbildungsplätze geschaffen oder Hochschulen gebaut werden müssten, blendet die Politik die Daten aus. Politiker benutzen die Statistik, wie ein Betrunkener einen Laternenpfahl. Nicht, um eine Sache zu beleuchten, sondern um sich daran festzuhalten.

Zynisch und kaum zu überbieten: Bildungsgutscheine für Hartz-IV-Kinder

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Vor einigen Wochen gab es in den Zeitungen eine Diskussion um das Pro und Contra für Bildungsgutscheine statt Bargeld für Kinder, deren Eltern Hartz IV beziehen. Ich habe das nur am Rande verfolgt, auch weil mir die tatsächlichen Ausmaße nicht klar waren. Jetzt bin ich besser informiert und empört!! Der Wert dieser Gutscheine soll bei sage und schreibe 10 € im Monat liegen, ohne jegliche Nebenkosten, die die Eltern gefälligst selbst zu tragen haben.

Vielleicht haben einige meiner Leserinnen und Leser ein ähnliches Erlebnis, wenn Sie ebenfalls noch einmal etwas zum Thema lesen! Ich möchte Ihnen deshalb den Artikel von Maria Kniesburges aus VER.DI Publik 10 /Oktober 2010 hier vollständig vorstellen:


Böser geht es kaum noch

HARTZ IV / Statt die Regelsätze für Kinder zu erhöhen, verweist Schwarz-Gelb auf ein Bildungspaket - ein billiger Trick

Was war das für ein Gedröhn, wie hat man sich doch wieder einmal selbst weit über den Klee gelobt! Gefeiert wurde eine geradezu grandiose Leistung der schwarz-gelben Koalition: das Bildungspaket für all die vielen Hartz-IV-Kinder im Land. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, sprach gar von einer "historischen Chance", das Bildungspaket könne den Kindern helfen, dass ihnen "der Start ins Leben gelingt".

Und so sieht es aus, dieses gepriesene Bildungspaket: Jedes Kind, dessen Eltern Hartz IV beziehen müssen, soll künftig einen Gutschein im Werte von monatlich 10 Euro erhalten. Davon soll dem Kind die lebhafte Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ermöglicht werden, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zur Neu-Berechnung der Hartz-IV-Sätze verlangt hatte. Zehn Euro also für einen Mitgliedsbeitrag im Sportverein oder etwa für Mal- oder Musikunterricht. Klingt erstmal gut - nur die Kosten für das Musikinstrument werden nicht übernommen, auch nicht für die Sportschuhe oder den Malkasten. Und Eltern wissen, was das heutzutage kostet. Nicht einmal die Busfahrkarte zum Verein oder zum Unterricht wird erstattet - soll das Kind doch zu Fuß ins Leben starten, egal, wie weit es laufen muss. Bei "Bedarf", so eine weitere Segnung aus dem Bildungspaket, soll den Kindern auch außerschulische Nachhilfe bewilligt werden. Allerdings nicht, wenn dadurch die Empfehlung für eine höhere Schulart erreicht werden könnte. Das gilt nicht als Bedarf. Beim Start ins Leben sollen die Hartz-IV-Kinder dann wohl doch nicht gleich so hoch hinaus streben.

Was hier als "historische Chance" verkauft werden soll, ist eine zynische, eine billige Trickserei auf Kosten von Millionen armer Kinder in unserem reichen Land. Die beschämend niedrigen Hartz-IV-Sätze der Erwachsenen werden dank dreister Rechentricks gerade mal um fünf Euro erhöht, die Sätze für Kinder nicht einmal um einen Cent. Weil es ja das Bildungspaket gibt. Böser geht es kaum noch.

Sonntag, 14. November 2010

Gewerkschaften gegen Sozialabbau

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Ich habe mich in der letzten Zeit wenig beteiligt und auch in meinem blog kaum etwas zum Thema geschrieben. Umso mehr freute ich mich heute über die Überschrift

Proteste gegen Sozialabbau

Hunderttausend bei bundesweiten Aktionen

Soviele Menschen konnten die Gewerkschaften lange nicht mehr mobilisieren, wie hier in Stuttgart, Nürnberg, Dortmund und Erfurt am gestrigen Samstag! Noch viel mehr müssten es wohl werden, bevor Merkel & Co Wirkung zeigen, und in Frankreich hat eine noch viel größere Zahl von Demonstranten (zunächst) nichts erreicht. Aber es ist ein gutes Zeichen! Immerhin!

IG-Metall-Chef Berthold Huber forderte dabei in Stuttgart auf der Abschlusskundgebung einen grundlegenden Kurswechsel in Gesellschaft und Wirtschaft. "Wir wollen keine Republik, in der mächtige Interessengruppen mit ihrem Geld, mit ihrer Macht und mit ihrem Einfluss die Richtlinien der Politik bestimmen!"

Recht hat er!

Bei der nächsten großen Veranstaltung in Berlin werde ich versuchen, auch mit teilzunehmen. Hier heute nur "per blog"!

(Quelle: Märkischer Sonntag, 14.11.2010)

Samstag, 13. November 2010

Dinosauria XXI: Bezogenheit

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Als Dinosaurier kann ich auf Berichte aus der Romantik zurückblicken, dass die Menschen, die etwas auf sich hielten und die dazugehörige (Herzens-)Bildung besaßen, sich gegenseitig lange Briefe schrieben, über eine Antwort gründlich nachdachten und dann ausführlich zurückschrieben. Natürlich gingen sie dann auch auf Fragen ein und kommentierten Ausführungen ihres Gesprächspartners/ihrer Gesprächspartnerin. Auch aus späteren Zeiten gibt es Briefwechsel berühmter Zeitgenossen, die es bis zur Buchform gebracht haben. (Die der weniger berühmten Mitmenschen finden sich vielleicht noch in den Schuhkartons, die wir beim Aufräumen des Erbes von Großeltern und Urgroßeltern finden, denn Derartiges wurde natürlich aufgehoben!)

Das meine ich mit "Bezogenheit"! Jemand tritt an mich heran, grüßt mich, stellt mir eine Frage, teilt mir eine Meinung mit, möchte meine Gegenmeinung dazu wissen. Und ich reagiere darauf in angemessener Weise. Wenn es funktioniert, sozusagen eine Form von "Ping-Pong-Kommunikation". Gibt es das heute noch? Oder habe ich da zu ideale Vorstellungen im Zeitalter von Emails, You Tube, Chatrooms und ähnlichen schönen Sachen? Briefe dürften schon einmal fast ausgestorben sein, Graphologen langsam völlig überflüssig werden, weil sie kein geeignetes Material mehr vorfinden, denn keiner entwickelt mehr eine individuelle Handschrift, wenn er nur noch auf seine Tastatur einhämmert.

Neben diesem eher Wehmütigen, was halt so mit den "Dinosauria-Themen" verbunden ist, trifft diese Fragestellung mich allerdings auch "mit einer roten Nase" vom vielen Selbstanfassen, denn meinen eigenen idealen Erwartungen entspreche ich selbst oft nicht, was aber nicht heißen soll, dass sie nicht dennoch sinnvoll sind (und ich mich um ein Dazulernen und Bessermachen noch bemühe).

Ich habe darüber nachgedacht, in welchen Lebensbereichen mir oft etwas an Bezogenheit gefehlt hat und was ich mir statt dessen wünschte - nicht zuletzt auch von mir selbst!

Ich habe mir dabei drei Bereiche sehr unterschiedlichen Charakters ausgesucht, ich möchte etwas schreiben über
  1. den dienstlichen Umgang mit Kollegen und Chefs und was da so alles sinnvoll sein könnte im Zusammenhang mit einer heute viel gepriesenen "Mitarbeiterpflege", wenn Chefs sich mehr auf ihre Mitarbeiter beziehen würden,
  2. den Umgang mit Emails und den doch noch nicht ganz ausgestorbenen Briefen im Privatbereich und
  3. den Umgang mit Büchern und Texten, die bei mir zum Geburtstag und Weihnachten auf dem Gabentisch landen, aber auch alle anderen Schriften, die ich von Freunden erhalte - vice versa alles das, was ich selbst in diesem Genre schon an andere geschickt habe.
Zu 1.: Von den drei Unterthemen nimmt dieses schon eine Sonderposition ein. Ich habe es hier mit aufgenommen, weil ich es in der Vergangenheit doch sehr belastend und enttäuschend fand, auch wenn es in meiner derzeitigen Lebenssituation kaum noch eine Rolle spielt: Ich war immer ein eher "unbequemer" Mitarbeiter, sei es, dass ich mich in der Mitarbeitervertretung engagierte, sei es, dass ich auch sonst mit meiner Meinung "nicht hinter dem Berg hielt". So habe ich in den letzten Jahren meiner Berufstätigkeit mehrfach meinen Chefs (auf unterschiedlichen Leitungsebenen) etwas geschrieben, Anregungen gegeben, auch etwas kritisiert. Meist wurde es totgeschwiegen, obwohl ich die Adressaten meiner Botschaften fast täglich getroffen habe. Keine Reaktion! Das kann ich dann in meinem Sinne interpretieren: Entweder ist es eine besondere Form von Machtausübung ("was schert mich Dein Geschreibsel") oder die Notbremse, sich nicht mit unliebsamen Themen beschäftigen zu müssen, also eher ein Zeichen von Schwäche ("lass mich zufrieden mit Deinen Sachen, ich habe schon genug andere Sorgen"). Auf jeden Fall demotivierend und eine sehr schlechte Mitarbeiterpflege! Es soll Betriebe geben, die Preise für Mitarbeiter ausloben, die Ideen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Ein gutes Potential, wenn man es zu heben versteht!

Dieses Thema "kommt mir immer mal wieder hoch", obwohl es in den Bereich der Erlebnisse und Erinnerungen gehört, die ich gern "loslassen" möchte, um mehr Gelassenheit in mein Leben hineinzulassen. Keine leichte Übung, aber ich befinde mich auf dem Weg ...

Zu 2.: Hier können meine Ausführungen kurz bleiben, denn der Sachverhalt ist sonnenklar: Zu einer guten Kommunikation im privaten Bereich gehört es unausweichlich, sich für Briefe und Mails zu bedanken, gestellte Fragen zu beantworten, eigene zu formulieren, damit auch der Austausch auf Gegenseitigkeit beruht, auch etwas von sich selbst mitzuteilen, so dass der andere sich einbezogen fühlen kann. Eine zeitnahe Reaktion ist sicherlich am günstigsten, mit dem Markenzeichen "lieber kurz als spät"! In diesem Bereich habe ich schon viel gesündigt und musste lieben Menschen Abbitte leisten, weil ich oft so lange gewartet habe, dass ich diese Pause erklären musste, und das konnte dann schon etwas peinlich sein (und die "lange Bank" noch einmal ein Stück verlängern). Ich sehe als Abhilfe, wie oben gesagt, nur den Weg, schneller "kurz" zu reagieren und auf längere Varianten zu verzichten, auch wenn mein ursprünglicher Anspruch einmal ein anderer war.

Ich übe ...

Zu 3.: Weihnachten "ante portas"! Aber auch Geburtstage und ähnliche Anlässe gibt's zu Hauf!
Hinterher bin ich immer um eine kleine Bibliothek reicher. Aber auch ich selbst verschenke gern Bücher, versende aber auch fotokopierte Artikel, die mir aufgefallen sind, und freue mich, wenn mir meine Cousine in der Anlage einer Email die Buchbesprechung mitschickt, die sie gerade fertiggestellt und eingereicht hat. So viel Geist auf einem Haufen! Damit könnte man doch nun wunderbare Briefwechsel eröffnen und dem Schenkenden eigene Assoziationen mitteilen, positive und negative. Jedenfalls sehe ich in einem Buch auch ein Gesprächsangebot! Also auch ein Anlass für Bezogenheit!

Natürlich ist das schon ein gutes Stück aufwendiger, als nur auf einen Brief zu antworten, denn ich muss dafür wenigstens in das Buch hineingucken und mir einen Überblick verschaffen, "wessen Geistes Kind" es überhaupt ist, um mir eine Meinung zu bilden. Früher habe ich Bücher gesammelt, so wie es halt ein Sammler tut: Hauptsache besitzen und gut sichtbar aufbewahren! So stehen noch viele ungelesene Schätze bei mir herum. Auch hier ist meine neue Strategie: weniger ist mehr, darum mehr lesen! (Und weniger kaufen.)

Hier möchte ich in Zukunft auch ein besserer "Mitspieler" werden, der seine Meinung als Dank zurückgibt und vielleicht dadurch einen kleinen Dialog ermöglicht. Mit meinen Büchergeschenken an andere sieht es auch nicht viel besser aus, aber bevor ich bei anderen etwas einfordere, fange ich am besten bei mir selbst an! Das war und ist immer noch der am meisten Erfolg versprechende Ansatzpunkt.

Für eine neue Kultur der Bezogenheit!

Montag, 8. November 2010

"Gelassenheit" - Der 7. Engel von Anselm Grün

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Den schönsten Text über Gelassenheit habe ich bei Anselm Grün gefunden. Mittlerweile gibt es so viele Schriften von ihm, einen Beratungsbrief und Kurse bietet er wohl auch an, außerdem ist er der Wirtschaftsleiter seines Klosters: Ob er das als Einzelperson wirklich alles schaffen kann? Oder ist es mittlerweile die Marke "Anselm Grün", zu der verschiedene Personen ihren Beitrag leisten?

Wie auch immer, ich finde sein Büchlein "50 Engel für das Jahr" sehr aufbauend und erhellend, obwohl ich eigentlich mit christlicher Erbauungsliteratur ein Problem habe. Die "Engel" stellen aber in einer so wunderbaren Weise menschliche Grundhaltungen und Werte dar, die in einer schwebend-meditativen Erzählweise den Leser beflügeln, sie sind ja schließlich auch Engel! Irgendwie ein wunderbares Bild für Helfer, die den Menschen zur Seite stehen könnten, wenn sie sie wahrnehmen oder zulassen.

Mag es Menschen geben, die ihnen eine reale geistige Kraft zumessen, während sie für andere nur Symbole wirkmächtiger Ideen sind. Sie haben in meiner Wahrnehmung und meinem Erleben Kraft und wirken. Auch bei einem Atheisten wie mir ...

Deshalb möchte ich Anselm Grün zitieren und von mir ausgewählt Auszüge seines "7. Engels" zur Erhellung des Problems der Gelassenheit in meinen blog setzen. Aber auch alle anderen 49 Engel sind studierenswert!!


Auszüge aus:

Anselm Grün:

7.

Der Engel der Gelassenheit

"Nichts haben, alles besitzen", so lässt sich die Haltung von Weisen aus allen Religionen, zu allen Zeiten, beschreiben. Nur wer sein Herz an nichts Geschaffenes hängt, wer loslassen kann, woran andere hängen, der ist wirklich frei. Gelassenheit war für die Mystiker des Mittelalters ein wichtiges Wort. Vor allem Meister Ekkehart spricht immer wieder von der Gelassenheit. Gelassen ist ein Mensch, der sein Ego losgelassen und sich in Gott hinein ergeben hat, der ruhig geworden ist in seinem Herzen, weil er sich in den göttlichen Grund hinein hat fallen lassen. [...] damit wir in unserem Innersten unser wahres Wesen erkennen, den unverfälschten Personkern. Gelasssenheit als Haltung innerer Freiheit, innerer Ruhe, als gesunde Distanz zu dem, was von außen auf mich einströmt [...] kann auch eingeübt werden. Um zur Gelassenheit zu gelangen, muss ich vieles lassen.

Da ist erst einmal die Welt, die ich lassen soll. [...] Der Mensch soll das Hängen am Eigentum, am Erfolg, an der Anerkennung lassen. Denn wer an etwas Irdischem hängt, der wird abhängig. [...]

Lassen ist keine asketische Leistung, die wir uns mühsam abringen müssen. Vielmehr kommt sie aus der Sehnsucht nach innerer Freiheit und aus der Ahnung, dass unser Leben erst dann wirklich fruchtbar wird, wenn wir unabhängig und frei sind. Wenn wir nicht mehr abhängig sind von dem, was andere von uns denken und erwarten, wenn wir nicht mehr abhängig sind von der Anerkennung und Zuwendung von Menschen, dann kommen wir in Berührung mit unserem wahren Selbst.

Die Gelassenheit fordert aber auch ein Lassen von mir selbst. Ich soll mich selbst nicht festhalten, weder meine Sorgen, noch meine Ängste, noch meine depressiven Gefühle. Viele Menschen klammern sich an ihren Verletzungen fest. Sie können sie nicht lassen. Sie benutzen sie als Anklage gegen die Menschen, die sie verletzt haben. Aber damit verweigern sie letztlich das Leben. Wir sollen auch unsere Verletzungen und Kränkungen lassen. [...] Fähigkeit, Dich von Dir selbst zu distanzieren, zurückzutreten und Dein Leben von einem anderen Standpunkt aus, von einem Stand jenseits Deiner selbst, anzuschauen. Wer sich so gelassen hat, der kann gelassen reagieren auf die aufgeregten Berichte der Medien. Der kann gelassen antworten auf Kritik und Ablehnung. Er gerät nicht in Panik bei jeder Kritik. Er fühlt sich nicht bedroht. Er hat keine Angst, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Denn er hat Distanz gewonnen [...]

Gelassenheit ist nicht Selbstbeherrschung. Der Gelassene braucht nicht Haltung zu bewahren, weil er einen andern Standpunkt hat, weil er von schlimmen Nachrichten gar nicht im Innersten getroffen wird. Weil er sich und seine Auffassung, wie sein Leben ablaufen sollte, gelassen hat, kann ihn nichts so leicht aus der Bahn werfen. [...]

Manch einer verbeißt sich in einer hitzigen Diskussion. Er meint, er sei es seinem Gewissen schuldig, dass er die Wahrheit vertritt. Der Engel der Gelassenheit zeigt Dir in solchen Diskussionen, dass die Wahrheit nicht in der Richtigkeit der Worte und der Argumente liegt, sondern auf einer anderen Ebene. Wahrheit meint Stimmigkeit, Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Das, was wir absolut wahr halten, ist oft nur Ausdruck unserer eigenen Projektionen. [...] Wer um die tiefste Wahrheit weiß, der geht gelassen in die Diskussion, nicht resignierend, weil wir die Wahrheit doch nicht erkennen können, sondern im Wissen darum, dass unsere Erkenntnis immer relativ ist, dass es immer verschiedene Standpunkte geben kann, dass die Wahrheit wohl in der Mitte der streitenden Parteien liegen wird. [...]

Quelle: Anselm Grün: 50 Engel für das Jahr. Herder-Vlg. 1997. S. 32 - 35.


Auf dem Weg zu mehr Gelassenheit

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Ein Thema, über das ich in den letzten Tagen schon mehr mehrfach geschrieben habe, ist die unausweichliche Notwendigkeit, das "Loslassen" zu üben und sich mit einem bescheideneren Anteil am Weltgeschehen zufrieden zu geben. Wer diesen Weg geht, soll den Zugang zu mehr Frieden, Gelassenheit und Ruhe finden. Aber es ist offenbar ein dorniger Weg bzw. man kann nichts erzwingen und die Zeitdauer für seinen Ablauf ist ein ganzes Leben! So erscheint es mir im Augenblick.

Besonders eine Frage berührt mich dabei: Führt Gelassenheit zu einem milden Blick auf alles in der Welt? Oder darf ich mich noch aufregen? Im Augenblick gibt es so viele Nachrichten und Erlebnisse von Ungerechtigkeiten und Dummheit, die man eher "herausschreien" müsste, die mich ärgern und zum Widerspruch reizen (vgl. meinen blog über die "unverbesserlichen Ignoranten und Esel" v. 6.11.10). Wie kann ich "gelassen" einen Beitrag gegen solche Zustände leisten? Oder gerade dann in angemessener Form? Ich denke, an diesem Punkt habe ich noch eine schwere Aufgabe vor mir.

Samstag, 6. November 2010

Die Wurzeln der menschlichen Existenz im Märchen von Georg Büchner

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Harte Kost! Es gibt nicht wenige Leute, die dieses Märchen als nihilistisch bezeichnen. Aber vielleicht ist es nur ehrlich. Ich sehe es in gewissem Sinne als Fortsetzung meiner beiden blog-Beiträge mit den Zitaten von Bert Brecht und Erich Formm vom vergangenen Freitag (5.11.2010) über die Wurzeln der menschlichen Existenz. Zeitlich gesehen ist es allerdings ein Vorläufer, 100 Jahre älter als die Texte der beiden anderen Verfasser.


Das Märchen der Großmutter

Es war einmal ein arm Kind und hatt’ kein Vater und keine Mutter, war alles tot und war niemand mehr auf der Welt. Alles tot, und es ist hingegangen und hat gerufen Tag und Nacht. Und weil auf der Erde niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehen, und der Mond guckt es so freundlich an, und wie’s endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz und da ist es zur Sonn gangen und wie es zur Sonn kam, war’s ein verwelkt Sonneblum und wie’s zu den Sternen kam, waren’s kleine goldne Mücken, die waren angesteckt wie der Neuntödter sie auf die Schlehen steckt und wie’s wieder auf die Erde wollt, war die Erde ein umgestürzter Hafen und war ganz allein, und da hat sich’s hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und ist ganz allein.

Georg Büchner, Woyzeck

Gefunden in: Die schönsten Märchen. Hrsg. von Peter Härtling. – Berlin: Aufbau-Vlg. 2009. S.7.


"Und da hat sich's hingesetzt und geweint, und da sitzt es noch und ist ganz allein." Das ist eine traurige Situation, aber ist sie so grundlegend anders als bei Herrn Keuner, der aus dieser Einsamkeit ableitet, dass offenbar viele Menschen lieber an einen Gott glauben? Und soviel anders als die Aussage von Erich Fromm, der vom "fundamentalen Alleinsein und der Verlassenheit in einer Welt" spricht? Aber Erich Fromm formuliert gerade daraus seine Forderung, dass der Mensch tätig werden und sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen müsse, nicht aber in seiner unproduktiven Trauer verharren dürfe, wie es noch das kleine Mädchen bei Büchner tut. Und mit der Chance auf gute Resultate, denn Erich Fromm ist alles andere als ein Nihilist!!


Bemerkenswert finde ich außerdem, dass ich dieses Märchen ausgerechnet in einer Sammlung von Peter Härtling wiedergefunden habe, den ich wegen seiner einfühlsamen Bücher, besonders für Kinder und Jugendliche, hoch schätze. Auch alles andere als ein nihilistischer Autor, ganz im Gegenteil, wenn ich mir die warmherzigen Botschaften, mit denen er sich für die Belange von Kindern und solchen Menschen, die etwas anders sind, einsetzt, dabei aber immer ein sachliches Auge behält und keine Lebensbedingungen beschönigt.

Für ihn steht dieses Märchen als Erinnerung an eine historische Aufführung des "Woyzeck" im Berliner Schlossparktheater, einer Inszenierung, die er als "treffend" bezeichnet. Sie hätte etwas von einem unendlich traurigen Kasperletheater gehabt. In einer Situation, die für Härtling offenbar exemplarisch für das Erzählen von Märchen war, habe Elsa Wagner in einer unnachahmlichen Weise diese Worte von Georg Büchner vorgetragen. Dieses Erlebnis hat Peter Härtling offenbar so beeindruckt, dass er deshalb diesen Text als ersten in seiner Märchensammlung aufführt.

Eine Zumutung für Kinder? Oder das Vertrauen in die Wahrheit dieser Aussagen und in die Kraft der Sprache von Georg Büchner?

(Quelle: Das oben zitierte Buch, S. 5 - 6)

Unverbesserliche Ignoranten und Esel

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Irgendwie dachte ich, dass ich nicht richtig lese und mich auf einem anderen Planeten befinde, dann habe ich mich "gekniffen" und festgestellt, dass ich nicht träume und diese Sätze tatsächlich in der Zeitung stehen. Ich gebe sie zum Besten! (Gefunden in: Publik Forum, Nr. 21 v. 5.11.2010, S.7)

Elke Werner, Leiterin des internationalen Netzwerks für christliche Frauen Wings innerhalb der Lausanner Bewegung Frauen in der Evangelisation, hat die Gewalt gegen Frauen unter evangelikalen Christen beklagt. "Manche Frauen in christlichen Familien werden von ihren Ehemännern geschlagen. Die Männer rechtfertigen dies durch eine falsche Bibelauslegung, die Unterordnung und Gehorsam gegenüber dem Ehemann gebietet", kritisiert Werner.

Welche Esel und Chauvinisten laufen in unserer angeblich so aufgeklärten Zeit noch herum! Und das, wenn an anderer Stelle der Diskussion die christlich-jüdischen Wurzeln unserer Kultur beschworen werden und damit indirekt um den "Untergang des Abendlandes" gefürchtet wird! Arme Welt!

Freitag, 5. November 2010

Lieblingszitate CXXXXVI: Die Wurzeln der menschlichen Existenz im Blickwinkel von Erich Fromm


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Wer A sagt, muss auch B sagen … Das ist mir in diesem Falle aber eine angenehme Pflicht: Bert Brecht hat mich mit seiner Keuner-Geschichte über Gott seinerzeit sehr in meiner Suche nach einem eigenen Standpunkt zu allen religiösen Fragen bestärkt (vgl. meinen letzten blog-Eintrag). Ein weiteres Fundament meiner Überzeugungen, die sich damals in meiner jungen Studentenzeit herausbildeten, waren die Äußerungen von Erich Fromm, auf den Punkt gebracht in dem nachher folgenden Zitat.

Dieser Text hat für mich insofern noch die besondere Bedeutung, dass durch meine Lektüre von Erich Fromm meine zwiespältige Haltung zu meinem damaligen Psychologiestudium deutlich wird, die sich dann durch mein ganzes weiteres Leben als „Dipl.Psych.“ durchgezogen hat. Erich Fromms Bücher zu studieren war in den Augen vieler Kommilitonen und sicherlich der meisten Professoren schon so etwas wie „Kaffeesatz lesen“, rein spekulativ, ohne empirisch nachprüfbare Grundlage, ein Schlag ins Gesicht einer Psychologie, die den Naturwissenschaften nacheifert und nur an Signifikanzen glaubt. Alles das, was ich irgendwie oft recht dröge und langweilig fand, weil fundamentalere Fragen des Menschseins dadurch aus dem Gegenstandsbereich der Psychologie einfach herausfielen. So ist es für mich auch weiterhin geblieben. Durch mein Psychologiestudium habe ich immerhin wichtige Methoden der Datenerhebung und Verarbeitung erlernt, dazu eine Menge empirischer Forschungsergebnisse, gelegentlich gab es auch einmal eine erfrischende Insel in diesem trockenen Meer: Peter R. Hofstätter als Prof. in Hamburg war noch ein universeller Geist, der so gebildet war, seine empirische Psychologie auch in einem großen geisteswissenschaftlich-philosophischen Zusammenhang sehen zu können. Und Reinhard Tausch machte uns bekannt mit den Ansätzen von Carl R. Rogers, zunächst noch zur Beruhigung aller naturwissenschaftlichen Psychologen über eine Unzahl von kleinen empirischen Studien mit ihren „Signifikanzen“, später aber auch stärker in Würdigung des phänomenologisch-verstehenden Hintergrunds von Rogers. Meine psychologische Heimat habe ich dann, wie in meinem blog schon häufiger dargestellt, erst viel später nach meinem Studium in der Tiefenpsychologie, speziell in dem auf eine „verstehende Psychologie“ zielenden Ansatz der Individualpsychologie von Alfred Adler gefunden.

Da mein Fromm-Zitat einem größeren Zusammenhang entnommen ist („Psychoanalyse und Ethik“, Kap. über „die existentiellen und historischen Widersprüche im Menschen“), fehlen in meinem Auszug einige wichtige Definitionen die ich hier noch voranstellen möchte: Existentielle Widersprüche im menschlichen Dasein seien unauflösbar, so die fundamentale Gegebenheit des Todes. Historische Widersprüche hingegen hätten Menschen selbst in ihrer Geschichte durch bestimmte gesellschaftliche Bedingungen erzeugt, z.B. die Sklaverei in bestimmten Epochen. Sie zu überwinden, haben immer Menschen gekämpft – und tun es bei anderen Themen auch weiterhin, oft mit Erfolg!

Doch nun ein Ende meines langen Vorspanns! Jetzt soll Erich Fromm selbst zu Worte kommen [die Hervorhebung , die ich in eine andere Farbgebung gesetzt habe, entspricht den Vorgaben E.Fromms, alles andere geht auf mich zurück, J.L.]:

Der Mensch kann auf historische Widersprüche reagieren, indem er sie durch eigenes Handeln aufhebt; existentielle Widersprüche dagegen kann er nicht aufheben, sondern nur auf verschiedene Arten darauf reagieren. Er kann sie durch beruhigende und beschönigende Ideologien beschwichtigen. Er kann seiner Ruhelosigkeit durch äußerste Aktivität, sei es in Vergnügungen oder in der Arbeit, zu entfliehen versuchen. Er kann seine Freiheit aufheben, indem er sich zu einem Instrument außer ihm liegender Mächte macht, mit denen er sein Ich identifiziert. Trotzdem bleibt er unzufrieden, angsterfüllt und ruhelos. Es gibt nur eine Lösung: der Wahrheit ins Auge sehen und sich mit dem fundamentalen Alleinsein und der Verlassenheit in einer Welt abfinden, die dem menschlichen Schicksal gegenüber indifferent ist, und anzuerkennen, dass es keine den Menschen transzendierende Macht gibt, die sein Problem für ihn lösen kann.

Der Mensch muss die Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich damit abfinden, dass er seinem Leben nur durch die Entfaltung seiner eigenen Kräfte Sinn geben kann. Aber dieser Sinn bedeutet nicht Gewissheit; das Suchen nach einem Sinn wird durch den Wunsch nach Gewissheit sogar erschwert. Ungewissheit ist gerade die Bedingung, die den Menschen zur Entfaltung seiner Kräfte zwingt. Sieht er der Wahrheit furchtlos ins Auge, dann erfasst er, dass sein Leben nur den Sinn hat, den er selbst ihm gibt, indem er seine Kräfte entfaltet: indem er produktiv lebt. Nur ständige Wachsamkeit, Aktivität und unermüdliches Bemühen bewahrt uns davor, in der wesentlichen Aufgabe zu versagen – in der Aufgabe, unsere Kräfte voll zu entwickeln innerhalb der Grenzen, die durch unsere Lebensgesetze gezogen sind. Der Mensch wird nie aufhören, immer wieder verwirrt zu sein und sich neue Fragen zu stellen. Nur wenn er die menschliche Situation, die seiner Existenz innewohnenden Widersprüche und seine Fähigkeit der Entfaltung erfasst, kann er seine Aufgabe lösen: er selbst und um seiner selbst willen zu sein und glücklich zu werden durch die volle Verwirklichung der ihm eigenen Möglichkeiten – der Vernunft, der Liebe und der produktiven Arbeit.

Erich Fromm: Psychoanalyse und Ethik. Stuttgart 1954. S. 59 – 60.

[in meiner Sammlung seit dem 17.9.1983]

Lieblingszitate CXXXXV: Bert Brecht und die Wurzeln der menschlichen Existenz

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Fast mit Erstaunen habe ich festgestellt, dass ich diese Keuner-Geschichte von Bert Brecht, die mir besonders viel bedeutet und die mir schon seit langer Zeit ein guter Ratgeber war, noch nicht in meinen blog gestellt habe. Ich hole es heute nach!

Die Frage, ob es einen Gott gibt

Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe. Herr K. sagte: „Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir diese Frage fallenlassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.“

Bert Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner

[In meiner Sammlung seit dem 19.3.1983.]

Donnerstag, 4. November 2010

Kleine Lebensweisheiten II

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Ein "Bitte" öffnet Tore und Türen.

Ich erinnere mich an meine Grundschulzeit. Meine Klassenlehrerin, die ich sehr liebte, hatte uns zusätzlich zur Fibel noch Lesehefte besorgt, in denen "pädagogisch wertvolle" kleine Geschichten standen. So würde ich es heute sehen. Immerhin hat eine es davon "zum Ohrwurm" geschafft, und ich werde sie mein Lebtag nicht vergessen:

Inmitten der Landschaft steht eine große und sehr reiche Stadt, die die Begehrlichkeit aller in der näheren und weiteren Umgebung weckt. Aber noch niemandem ist es gelungen, egal wie groß der Heerestross auch war, in sie hineinzukommen und sie in Besitz zu nehmen. Denn die Stadt hat wehrhafte Bürger und starke Befestigungen. Kommt ein Feind, so schließen die Bürger das Stadttor und ziehen die Hängebrücke über den Stadtgraben hoch. Bis eines Tages ein kleines Mädchen erscheint, sich vor die Stadt stellt und "bitte" sagt. Da lassen die Bürger die Hängebrücke herunter und öffnen das Stadttor. Was das Mädchen dann in der Stadt erlebt hat, weiß ich nicht, denn die Geschichte hört an dieser Stelle einfach auf.

Loslassen

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Ich hatte in meinem post von gestern ("innerer Friede") angekündigt, dass ich mich in der nächsten Zeit mit dem Thema "Loslassen" beschäftigen möchte. Hier folgen meine ersten Überlegungen! Es sind sozusagen die Ergebnisse eines brainstormings mit mir selbst.

Wenn ich einmal etwas über "Loslassen" gelesen habe, so ging es im weitesten Sinne immer um die Bereiche "Besitz", "Macht" und "Einfluss", oft mit meditativ-religiösem Hintergrund. Ein mönchisches und asketisches Dasein strebe ich allerdings als Folge dieser Reflexion nicht an, aber auch so fühle ich mich von vielen anklingenden Themen betroffen. Aktuell sind mir besonders die folgenden Punkte eingefallen:

  • Die Vorstellung loslassen, andere müssten meine Ideen und Einstellungen ebenso vernünftig finden wie ich: Auch wenn andere sie nicht teilen, brauche ich mich ihrer nicht zu schämen und kann sie weiterhin der Welt zeigen.
  • Loslassen der Erwartung, alle müssten mich lieben und akzeptieren, weil ich doch so ein zuvorkommender Mensch bin: D.h. auch wenn es Leute gibt, die mich nicht leiden können oder denen ich zutiefst gleichgültig bin, bleibt mein Wert für mich erhalten und ist nicht von der Anerkennung aller Welt abhängig.
  • Loslassen von dem Wunsch nach "Rache" für Kränkungen in der Vergangenheit: Ich muss niemand mehr "offene emotionale Rechnungen" für Ereignisse von früher präsentieren. Gestern war gestern und ist vorbei. Geschehenes ist geschehen und läßt sich um keinen Preis mehr aus der Welt schaffen. Aber die Bedeutung, die ich allem beimesse, kann sich ändern. So z.B. zehrt Groll nur an mir selbst und verhindert Frieden mit mir selbst und anderen. Wenn ich ihn aufgebe, kann ich aber mit Frieden im Herzen aus dem Vergangenen für die Zukunft lernen, indem ich mich um ein Verstehen bemühe, dadurch den Wiederholungszwang auflöse und bessere Möglichkeiten für neue Situationen suche.
  • Loslassen von all den Plänen, die ich früher einmal gefasst hatte, jedoch nie umgesetzt habe: Wenn ich mir eingestehe, dass sie sich auch in meinem weiteren Leben höchstwahrscheinlich nicht mehr verwirklichen lassen, und mich von ihnen verabschiede, so nimmt das einen enormen Druck von mir. Ich kann wieder freier atmen und behalte meine Kraft für das, was ich tatsächlich noch in meinem Leben in die Tat umsetzen könnte.
  • Loslassen von der Vorstellung, das Füllhorn meines Lebens sei unerschöpflich: So habe ich als junger Mensch noch gedacht und in diesem beruhigenden Gefühl vieles an Taten in die Zukunft verlegt. Tatsächlich ist alles, was ich jetzt nicht tue, vorbei. Wer weiß, ob ich eine weitere Chance zum Handeln bekomme, denn meine Lebenszeit ist begrenzt (und schrumpft immer mehr).
  • Loslassen der Vorstellung, ich müsste Macht und Einfluss über andere Menschen ausüben, um mich stark, anerkannt und sicher zu fühlen: Ich darf mich aus diesem Konkurrenzkampf zurückziehen.
  • Loslassen von der Illusion, ich könne das Wohlbefinden erwachsener Kinder kontrollieren und steuern: Sie haben ihren eigenen Kopf und rebellieren gegen meine Versuche.
  • Loslassen von dem Bestreben, nahe Angehörige in meinem Sinne "zu ihrem Besten" modeln zu wollen, denn ich bringe sie nur gegen mich auf (und anders herum würde ich es mir auch mit Nachdruck verbitten): Ich kann versuchen, sie zu verstehen und ihnen dieses Verständnis zeigen, vielleicht auch einen Rat erteilen und meine Hilfe anbieten, alles aber immer nur auf Wunsch und zur freien Verfügung und ohne emotionale Verpflichtung, sonst geht es schief.
Soweit für heute! Weiteres wird vielleicht folgen, denn wenn erst einmal "mein Gehirn eingeschaltet" ist, arbeitet es einfach weiter, sucht und findet wahrscheinlich auch noch andere Bausteine zum Thema.

Kleine Lebensweisheiten

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Dagegen sein ist einfacher als selber machen.

Mittwoch, 3. November 2010

Innerer Frieden

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Innerer Frieden – was ist das? Als ich mir dieses Thema am Anfang des Jahres als Idee für einen blog-Beitrag notierte, über den ich einmal genauer nachdenken wollte, hatte ich als begleitendes Stichwort noch „Selbstsicherheit“ aufgeschrieben.

Das ist sicherlich auch zutreffend: Innerer Frieden stärkt einen Menschen und lässt ihn deshalb sicherer werden und auch gegenüber der Umwelt erscheinen, denn da er in sich selbst ruhen kann, werden ihn äußere Ereignisse nicht so leicht umwerfen. Und wer – anders herum – echte Selbstsicherheit, keine aufgesetzte, angemaßte oder von irgendwelchen Autoritäten abgekupferte oder entliehene, erworben hat, festigt auch sein Inneres. Da er auf sich vertrauen kann, muss er sich nicht ständig vor irgendwelchen bösen Mächten abschotten und schützen, braucht also keinen ständigen aggressiven Abwehrschirm. Eine wichtige Voraussetzung für Frieden.

Jetzt möchte ich aber noch viel stärker die Frage in den Vordergrund rücken, wie ein Mensch zu einem solchen Zustand gelangen kann, der ihm Frieden verschafft und Sicherheit verleiht.

Ich glaube, dass dafür das Zauberwort „loslassen“ ist, loslassen, um gelassen werden zu können. Wahrlich eine Fragestellung, die schon viele größere Geister beschäftigt hat, von denen ich lernen möchte. Wenn ich mich also damit in der nächsten Zeit an dieser Stelle auseinandersetzen werde, kann niemand unbedingt originelle neue Einsichten von mir erwarten, nur meine eigene Annäherung an dieses Thema, das in meinem Leben mit zunehmendem Alter immer mehr ansteht.

Ostfriesennerz für die Seele

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Humor bedeutet Vitamine für die seelische Gesundheit! Deshalb stelle ich heute meinen "Ostfriesennerz für die Seele" vor. Ziehe ich ihn über, perlen böse Worte, Anschuldigungen und ungerechtfertigte Kritik wie ein Regenguss leichter von mir ab und ich bleibe in Frieden mit mir.



Ich bin frei.

Ich lebe mein Leben.

Ich bin in Frieden mit mir selbst.


Montag, 1. November 2010

Mein Motto für den Monat November 2010

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Am 30. Januar verstarb Ruth C. Cohn, eine der berühmtesten Gruppendynamikerinnen, der wir die TZI (Themenzentrierte Interaktion) verdanken, im schon fast biblischen Alter von 97 Jahren. Wie oft habe ich Schülern ihre Grundregeln erklärt. „Störungen haben Vorrang!“ ist wie ein Ohrwurm, auch wenn sich – trotz Kenntnis – viele Leute in der Praxis zu ihrem eigenen Schaden kaum daran halten.

In der ZEIT v. 4.2.2010 fand ich eine große Traueranzeige mit einem schönen Zitat dieser Pionierin. Das ist nun schon wieder einige Monate her. Aber einen großen Geist dürfte eine solche Verzögerung nicht stören. Darum soll dieser Vers Ihr zu Ehren das neue Monatsmotto für den November sein!


Zu wissen, dass wir zählen

mit unserem Leben

mit unserem Lieben

gegen die Kälte

für mich, für Dich, für unsere Welt


Ruth C. Cohn