Montag, 23. Januar 2017

"Gutmensch", ein weiteres Unwort

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Beim Schreiben meines letzten Beitrags über "Volksverräter" fand ich in dem Zeitungsartikel eine Auflistung aller "Unwörter" seit 1991, darunter den "Gutmensch" von 2015. Noch so ein "Knaller" mit beleidigendem Inhalt!

Soweit ich weiß, haben diesen Begriff vor einigen Jahrzehnten Linke erfunden, die sich über den naiven und überzogen sozialen Touch einiger ihrer Mitstreiter mokierten; ich würde die Herkunft dieses Begriffs daher eher im kabarettistischen Bereich ansiedeln.

Das war einmal. Jetzt ist dieser Begriff von konservativ-rechten Vertretern "gekapert" worden und hat eine bösartige, verletzende Kampffunktion erhalten: Gegen die "Spinner", die in angeblich überzogener Weise als "Gute" Randgruppen sozial unterstützen und dabei das Wohl der Mehrheit der Bevölkerung zu opfern bereit seien.

Nicht jeder muss solche sozialen Bestrebungen unterstützen, damit kann ich gut leben. Dieser Begriff qualifiziert aber alle damit Gemeinten ab, erklärt sie zu "Dummen", die mit ihren Einstellungen und Taten allen anderen Menschen schadeten. Denn sie verschleuderten unsinnig materielle Ressourcen oder gäben Anrechte preis, die eigentlich nur allen anderen zustünden, eben den "Nicht-Gutmenschen", den "eigentlichen Realisten und Vernünftigen", die sich nicht emotional "über den Tisch ziehen ließen". Die beste Lösung wäre dann ja wohl, das "Gutmenschentum" entweder abzuschaffen oder wenigstens die Betroffenen umzuerziehen! Das klingt für mich immer mit. Da das (glücklicherweise) nicht geht, sollen sie wenigstens verbal Prügel beziehen und sich schämen, dass sie "Sozialschmarotzern" soviel Verständnis entgegenbringen.

Ich merke, ich gerate beim Schreiben richtig in Rage. Denn ich fühle mich stets mit angesprochen, wenn dieser Ausdruck fällt. Und pauschal mit abgewertet in meinen sozialen Einstellungen. Aber statt sich zu beklagen über die Schmähungen (eines Teils) des Zeitgeists, wäre es vielleicht viel besser, in die Offensive zu gehen und für die Werte der "Gutmenschen" zu werben! Ohne sie wäre die Welt ziemlich kalt und herzlos, kein guter Ort für Verständigung und Frieden. Alles Werte, deren Geltungsbereich jeder von uns mit Großzügigkeit und der Bereitschaft zum Verstehen erweitern kann. Ob die Kritiker sich in ihrem trostlosen Umfeld wirklich wohl fühlen?

Samstag, 21. Januar 2017

"Volksverräter" als "Unwort des Jahres" 2016

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Am 15.1.17 habe ich mich an dieser Stelle bereits über das "Wort des Jahres" 2017 ausgelassen, die merkwürdige Wortneubildung "postfaktisch". Heute folgt das Pendant dazu, das "Unwort" "Volksverräter".

Wiederum möchte ich die MOZ zu Worte kommen lassen, die am 11.1.17 darüber den folgenden Artikel verfasste und die Meldung offensichtlich für sehr bedeutsam hielt, denn er erschien auf der Titelseite unter den wichtigsten Nachrichten:

"Volksverräter" ist Unwort des Jahres

 

Jury verweist auf Herkunft aus NS-Diktatur  

 

 Der Begriff "Volksverräter" ist das Unwort des Jahres 2016. Das teilte die Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt mit. Das Wort sei ein "Erbe von Diktaturen", unter anderem der Nationalsozialisten. "Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein  solcher  Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt."

Das Schlagwort "Volksverräter" werde auch in sozialen Netzwerken häufig verwendet, sagte Janisch. "Sprache sagt viel über Werthaltungen in einer Gesellschaft aus." Der Wortbestandteil "Volk" - ebenso wie die in der Flüchtlingsdebatte genannten Begriffe "völkisch" oder "Umvolkung" - steht laut Jury "dabei ähnlich wie im Nationalsozialismus nicht für das Staatsvolk als Ganzes, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließt".      [...] 

Das Wort ist ein Knüppel, um damit auf unliebsame Volksvertreter einzuschlagen; er hat für mich etwas Ähnliches wie der Galgen für Angela Merkel, der auf einer Pegida-Demonstration in Dresden gezeigt wurde. Ob die Nutzer dieses Begriffes ihn auch unter vollem eigenen Namen an einer zitierbaren Stelle anwenden würden? Oder sind sie dafür zu feige? Wahrscheinlich gehört die Zusammenrottung einer Schar von Gleichgesinnten dazu, verbal derartig zu entgleisen, denn dann ist der Beifall sicher.

Es ist relativ einfach, sich aus sachlichen und moralischen Gründen von dieser Wortwahl zu distanzieren, aber wie kann man verstehen, dass Menschen zu einer solchen Äußerung greifen? "Fetzt" sie die bösartige Kraft dieser Benennung, mit der man es "denen da oben" mal richtig zeigen kann, ohne dass sich die Nutzer der NS-Vergangenheit bewusst sind, in deren Fahrwasser sie sich begeben? Das fände ich schlimm genug und intellektuell "unter aller Sau" (jetzt bediene ich mich ähnlicher Mechanismen, die das angenehme Kitzeln hervorrufen, außerhalb der üblichen Spielregeln sein Mütchen gekühlt zu haben, nicht viel anders, als wenn Jugendliche "Scheiße" brüllen). Oder tun sie es  w e g e n  dieser Herkunft, die sie damit wertschätzen? Das wäre eine direkte Kampfansage an Menschen wie mich und alle, die weiterhin unsere Verantwortung für Untaten unserer Vorfahren sehen und sie im Bewußtsein halten wollen. Denn das Wachhalten der Erinnerung ist der einzige Weg gegen eine Wiederholung dieser schandbaren Taten in der Zukunft.

Auf diese Einstellung gegenüber unserer Vergangenheit bin ich durchaus auch ein Stück stolz. Und deshalb   kränkt mich der "Volksverräter", der dies verächtlich und lächerlich zu machen versucht, auch persönlich.




Freitag, 20. Januar 2017

Dinosauria: Lädensterben

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Wieder hat ein Fachgeschäft in unserem Ort dicht gemacht. Offenbar lohnt es sich nicht mehr in der Konkurrenz zu anderen Geschäften oder die Inhaber haben aus Altersgründen ihren Laden geschlossen, weil sie keine Nachfolger gefunden haben. Das war schon bei Buchhandlungen, Fernsehgeschäften und einem Haushaltsgeräteladen so. Jetzt schließt ein Elektroladen für immer. Zwar soll wohl der Reperaturdienst erhalten bleiben, aber einen Verkauf gibt es dann in diesem Stadtteil nicht mehr. Abgesehen davon, dass alle diese Läden früher zu meinem Kiez gehört haben, sie und die Menschen in ihnen mir vertraut waren, so fehlt mir zukünftig auch eine Anlaufstelle, in der ich Fragen stellen und gegebenenfalls besondere Waren bestellen könnte.

Eine Auswirkung von "Geiz ist geil"! Die Spezialläden waren zwar meistens etwas teurer als die um sich greifenden Billig-Ketten. Dafür war das Sortiment breiter, das Personal besser geschult und ich konnte auch etwas ausgefallenere Dinge besorgen. Statt dessen veröden unsere Geschäftsstraßen und bieten überall ein ähnliches Bild. Z. Zt. sind Asia-Läden und Nail-Studios im Aufwind. Ich habe nichts gegen sie, aber ein Laden dieser Sorte pro Straßenseite würde reichen. Manchmal füllen auch Versicherungsagenturen die frei werdenden Läden aus. Noch spannender ...

Aber das ist ja sicherlich bundesweit so. In Berlin gibt es noch vereinzelt Straßenzüge mit interessanten kleinen Läden, in denen manchmal auch Ungewöhnliches angeboten wird. Überall dort, wo die Ladenmieten höher sein dürften, dominieren aber auch in Berlin dann die Ketten mit ihrem überall gleichen Angebot.

Donnerstag, 19. Januar 2017

Trump ante portas

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Trump, immer wieder Trump, ein z. Zt. unerschöpfliches Thema... Für mich auch das Eintreten eines Kulturbruchs und damit das Ende meiner bisherigen Weltsicht, die eher auf Zukunftshoffnungen und besonders auf der Gewissheit von zwar mühseligen, aber allmählich sich verwirklichenden Verbesserungen in der Menschheitsgeschichte basierte.

Aber was ist wirklich geschehen? Müssen wir Angst vor Donald Trump haben? Bei der Machtfülle, die er als US-Präsident in Kürze haben wird, kann uns ja einiges erwarten. Aber das wirklich Beängstigende ist nicht dieser Mann. So extrem unintellektuell, offensichtlich kognitiv von der Vielfältigkeit und Unübersichtlichkeit dieser Welt überfordert, dazu selbstverliebt, egomanisch und - der Begriff fällt schnell, ich bin kein Experte auf dieser Ebene, andere mögen das genauer ausleuchten - gesegnet mit wahrscheinlich vielen psychopathischen Eigenschaften, zu denen ja besonders fehlende Empathie und Mitgefühl mit anderen Menschen gehören sollen. Wenn wir Glück haben, überstehen wir die Jahre seiner Präsidentschaft einigermaßen heil, ohne dass er die Welt gar zu sehr durcheinanderbringt ...

Was mir aber wirklich Angst macht, ist die Tatsache, dass ein solcher Mann trotz (oder gerade wegen!?) seiner ungehobelten Auftrittsweise fast die Hälfte der Amerikaner geblendet und auf seine Seite gezogen hat. Dass eine so große Zahl von Menschen verführbar war von den Wortblasen und Attitüden eines solchen Mannes, so dass sie ihm vertrauten und in ihn ihre Hoffnungen setzten. Ich kann mir das nur  vorstellen im Rahmen einer Lebenssituation, die alle üblichen Hoffnungen eingebüßt hat und nur noch die Rettung in Radikallösungen sucht oder in der Ausbreitung einer Seuche, die ich "kollektive Dummheit" nennen möchte. Ich weiß, dass ich jetzt nur noch polemisch bin und mich auf "dünnem Eis" bewege, zumal der Begriff "Dummheit" eigentlich für einen Psychologen nicht zur Fachsprache gehört. Aber ich fürchte mich vor diesem Phänomen, für das ich keinen besseren Ausdruck weiss. Es macht mich einsam in dieser Welt, aber auch kämpferisch.

So schrecklich vieles auch ist, so sollte niemand vergessen, dass die größere Hälfte der Amerikaner ihn nicht gewählt hat ...

Noch ein später Gruß zum Neuen Jahr

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Die Themen, über die ich zur Zeit schreibe, sind zumeist eher düster und nicht unbedingt optimistisch. Davon hebt sich der folgende Spruch sympathisch ab, den uns eine liebe Freundin in einem Neujahrsgruß geschickt hat!

Vergangenheit ist Geschichte,
Zukunft ist Geheimnis,
aber jeder Augenblick ist ein Geschenk!

P.S. Neben der Funktion als "mein Sprachrohr" hat dieser blog für mich auch die Bedeutung, dass ich wertvolle Gedanken, Texte und Zitate durch eine Veröffentlichung an diesem Ort archivieren kann und einen guten Zugang zu ihnen habe, wenn ich einmal etwas suche. So habe ich diesen Spruch jetzt in mein  Internet-Archiv aufgenommen!

Mittwoch, 18. Januar 2017

Revolutionen "nebenbei"

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Mein Sohn interessiert sich sehr für religiöse Inhalte, und so ist das Thema "Martin Luther" jetzt sein Spezialgebiet - und damit auch für die ganze Familie. Wir lesen gemeinsam zu diesem Thema und auch ich beschäftige mich dadurch mit Luther, seiner schwierigen Persönlichkeit und den Auswirkungen seiner theologischen Revolution - eine soziale wollte er offenkundig nicht haben und unterstützte keine Bestrebungen wie diejenigen der Bauern. Vielleicht war das sogar im Sinne der Reformation klug. Denn im theologischen Bereich hatte diese Revolution nachhaltige Wirkungen, gekoppelt an eine soziale Bewegung wäre sie vielleicht wie die Bauernbewegung unter Thomas Münzer von den Herrschenden hinweggefegt worden.

Aber ich möchte auf einen ganz anderen Aspekt zu sprechen kommen. Die Reformation wäre undenkbar gewesen ohne die gleichzeitige Kommunikationsrevolution durch den Buchdruck, durch den Neuigkeiten und Texte erstmalig in größerem Umfang und an größere Personenkreise weitergemeldet werden konnten. Eine gewaltige Erfindung, die das geistige Leben umgewälzt hat.

Vielleicht kann man die Kette der Kommunikationsrevolutionen so sehen: erste Schriftzeichen, festgehalten z.B. auf Papyros-Rollen -- Mönche schreiben Bücher ab -- Buchdruck -- Telekommunikation -- Internet.   Denn die Entwicklung des Letzteren ist sicherlich ebenfalls eine große Revolution, die alles bisherige aus den Angeln hebt.

Für mich die spannende Frage, die vielleicht in meiner Lebenszeit nicht mehr beantwortet wird: Was kommt danach? Ist das schon die "Endstation" für den menschlichen Geist und seine technischen Realisationen? Gibt es überhaupt noch etwas, was als "mehr" oder "besser" hinzukommen könnte?

Aber an dieser Stelle wende ich mich von diesen Fragen ab; ich bin zu einer Prognose unfähig und habe schon hinreichend Mühe, das "Jetzt" des Internets zu begreifen und in mein Leben  zu integrieren - und meine Freude an gedruckten Büchern zu bewahren, die ich in die Hand nehmen und etwas hineinschreiben kann, wenn sie mir gehören. Dino lässt grüßen!

Sonntag, 15. Januar 2017

postfaktisch

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"Postfaktisch", diese eigenartige Wortneubildung, ist das "Wort des Jahres 2016"! Meine hiesige Tageszeitung, die MOZ, berichtete darüber am 10.12.2016:

Der Begriff  "postfaktisch" ist zum "Wort des Jahres" 2016 gekürt worden. In politischen und gesellschaftlichen Diskussionen gehe es zunehmend um Emotionen anstelle von Fakten, erklärte die Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) am Freitag in Wiesbaden. Insofern stehe das Wort für einen tiefgreifenden politischen Wandel. Immer größere Bevölkerungsschichten seien aus Widerwillen gegen "die da oben" bereit, Tatsachen zu ignorieren und sogar offensichtliche Lügen zu akzeptieren.

Die Gesellschaft wählte das "Wort des Jahres" erstmalig 1971 aus, seit 1977 sucht die Jury alljährlich aus Tausenden Vorschlägen Wörter und Wendungen heraus, die das politische, wirtschaftliche  und gesellschaftliche Leben sprachlich besonders bestimmt haben. 2015 lag der Begriff "Flüchtlinge" ganz vorn. "Postfaktisch" hatte es vor kurzem in der englischen Übersetzung "post-truth" schon zum "International Word of the Year" 2016 gebracht.        [...]

Was soll man dazu als "alter Dinosaurier" sagen? Der Zeitgeist spielt verrückt; was ich als später Nachfahre der Aufklärung als zwar immer wieder gefährdeten, schließlich aber unaufhaltsamen Siegeslauf der Vernunft gegen Aberglauben und Unwissenheit  aufgefasst habe, kommt zur Zeit ins Stolpern oder droht sogar abzustürzen. Vielleicht trotzig, halte ich dennoch daran fest, dass es unverrückbare geistige Errungenschaften in der Menschheitsgeschichte gibt,  wie z.B. die Aufklärung, die Immanuel Kant definierte als "Ausgang des Menschen aus einer selbst verschuldeten Unmündigkeit". (vgl. Anmerkung)

Anmerkung: Ich als alter "Zitatenhansel" will auch diese Äußerung belegen. Sie steht in dem Text "Immanuel Kant - Was ist Aufklärung" auf S. 106 in dem schönen Tb. "Glaser, Lehmann, Lubos: Wege der deutschen Literatur. Ein Lesebuch. 8. Aufl. - Frankfurt/M. und Berlin: Ullstein 1969.        (= Ullstein-Tb. 372/373)." Dieses Buch hat eine Geschichte in meinem Leben. Wenn mich nicht alles täuscht, haben wir es in meinen beiden letzten Jahren in der Schule  vor dem Abitur entweder selbst besessen (und evtl. später weggegeben) oder als Leihgabe zur Verfügung gehabt. Es war so eine Art von "geistigem Curriculum" für mich. Als ich es dann Jahre später in einem Antiquariat wiederentdeckte, habe ich es sofort erworben und es tut immer noch gute Dienste für mich.

Grüße für 2017

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Ich grüße die Besucherinnen und Besucher meines blogs!

Meine Grüße zum Neuen Jahr kommen dabei etwas spät, sind aber dennoch nicht weniger herzlich gemeint. Schwieriger ist es schon mit ihrem Inhalt. Angesichts der ziemlich tristen Weltenlage ist es schwierig, optimistische und erfreuende Inhalte für meine Wünsche zu formulieren. Aber die Fähigkeit zum Hoffen ist eine so grundlegende menschliche Fähigkeit, dass ich an sie anknüpfen möchte und uns allen Frieden wünsche, den die Welt insgesamt, aber auch jeder von auf ganz persönlicher Ebene bitter nötig hat!  

In dieser Hoffnung verbleibe ich Ihr             Jürgen Lüder