Dienstag, 20. Dezember 2011

Inklusion: geht so etwas überhaupt in unserer neoliberalen Gesellschaft?

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Inklusion: das große Thema im Schul- und Behindertenbereich der letzten Zeit. Auch ich habe mich schon mehrfach dazu geäußert, zumal es die irgendwann von Schließung bedrohte Allgemeine Förderschule meines Sohnes mit betrifft.

Theoretisch eine feine Sache, aber in der bisherigen Durchführung in Deutschland eher eine Angelegenheit, bei der Beteiligte in der Gefahr stehen, auf der Strecke zu bleiben, seien es betroffene Schüler oder sich verausgabende Lehrer, da die Rahmenbedingungen fast nirgendwo befriedigend sind und mit den notwendigen Geldern für mehr und besser ausgebildetes Personal geknausert wird.

Vordergründig hapert es "an der Knete", aber ist das wirklich das einzige tragende Element für alle Probleme? Mir kommen da mittlerweile manchmal Zweifel. "Inklusion" heißt ja im Klartext nichts weiter, als das jeder Mensch (und nicht nur Behinderte) so angenommen und gefördert wird, dass er so, wie er ist, einfach dazugehört, seine Fähigkeiten anerkannt werden und jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten das Leben der Allgemeinheit bereichert. Ohne wenn und aber und mit der Maßgabe, dass Kinder und Jugendliche im Schulalter gleichwertig auf dieses gesellschaftliche Leben vorbereitet werden.

Das ist vom Menschenbild her eine Revolution!! Denn es widerspricht völlig den Gepflogenheiten, die sich in unserer neoliberalen Zeit im Leben und Denken der Menschen breit gemacht haben. Wo kommen wir hin, wenn alle eine gleichwertige Teilhabe am Leben fordern? Wo wir doch gelernt haben, dass Konkurrenz das Lebenselixier unserer Gesellschaft ist, in der es allen allmählich zur Gewohnheit geworden sein sollte, durch Ratings/Rankings/Zensuren in "gute", "weniger gute" und "kaum noch gute" Schüler, Studenten, Hochschulen, Mitarbeiter ... einsortiert zu werden. Und Reichtum und Macht haben ja schließlich auch ihre Rangordnung ... Und dann so ein Konzept, bei dem die "Habenichtse" (in welcher Hinsicht auch immer) gleichwertig neben allen anderen stehen sollen. Das muss ein neoliberales Gewissen schockieren, denn wo bleibt hier noch der Gewinn für den Tüchtigen, der alle anderen hinter sich gelassen hat?

Vielleicht ist das alles ironisch verzerrt, ich kann aber nicht davon ablassen, dass "Solidarität" in unserem Lande nach den großen importierten "Verbesserungen" der Margaret Thatcher und des Ronald Reagan als Wert sehr heruntergekommen ist. Aber wie soll ein Konzept wie die Inklusion funktionieren, wenn es nicht von einem solidarischen Unterbau getragen wird?

[Es passt nur indirekt zu den vorgetragenen Argumenten, stand aber am Anfang meiner Assoziationskette für diesen Beitrag: Bei einem Spaziergang kam ich an der hiesigen Geschäftsstelle der BARMER vorbei, die sich jetzt BARMER/GEK nennt, nachdem sie eine kleinere Krankenkasse "geschluckt" hat. Offiziell nennt sich dieser Vereinigungsprozess anders, die Wahrheit dürfte aber so sein, dass in einem "Bereinigungsprozess" nur noch die großen und finanzkräftigen Krankenkassen überleben können. Kapitalismus in Reinkultur! Und das in einem Bereich, der für die Daseinsfürsorge für alle da sein und deshalb eine reine dienende Funktion für die Bevölkerung haben sollte, mit der Idee einer solidarischen Umverteilung der Gesundheitsrisiken auf alle! Ökonomie über alles! Da ich gerade über Inklusion nachdachte, war der Schritt zu meiner obigen Gedankenkette geboren.]

Revolutionäres Weihnachten

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Die Weihnachtsgeschichte, ernst genommen und nicht nur zum Mythos verklärt, beinhaltet eine revolutionäre Botschaft! Die dürfte aber den Menschen weitgehend abhanden gekommen sein, und unsere Welt befindet sich eher noch immer in einem vorrevolutionärem Zustand.

Um so wichtiger, die Botschaften um Christi Geburt am Leben zu halten:


"Friede auf Erden" verkünden die Engel. Und den hätte sie bitter nötig, mehr denn je!

Die Geburt eines Kindes symbolisiert einen tiefen Einschnitt: Neues Leben ist entstanden und mit ihm die Verheißung eines Neubeginns, die Chance, Altes hinter sich zu lassen und Neues zu wagen!

Das Heil auf Erden kommt in der christlichen Verkündung nicht als mächtiger und reicher König auf die Erde, sondern als hilfloses Kind in ärmlichster Umgebung! Welch ein Signal für alle diejenigen, die ihre Bedeutung davon ableiten, reich, mächtig und anderen überlegen zu sein. Nichts wird ihnen davon bleiben, denn "das Totenhemd hat keine offenen Taschen" und der Ruhm auch der Berühmtesten verblasst irgendwann.

So freue ich mich auf Weihnachten, denn diese Botschaften bewegen mich - Jahr für Jahr - tief.

Donnerstag, 8. Dezember 2011

Zur Inklusionsdebatte in Brandenburg


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Bereits am 4. Juli 2011 habe ich eine neue Rubrik "Förderschulenstreit" in meinem blog eröffnet. Es geht um das leidige Thema, dass sich unsere Bildungsministerin in Brandenburg, Frau Dr. Münch, in den Kopf gesetzt hat, die UN-Konvention "Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen" so in die Tat umzusetzen, dass landesweit alle Allgemeinen Förderschulen zur Disposition gestellt sind und als Schulform auslaufen sollen. Auch in anderen Bundesländern sieht es nicht viel anders aus, nur gerade in Brandenburg "wurschteln" alle vor sich hin, denn das Ministerium hat bisher keine wirklich tragfähigen Konzepte veröffentlicht. Vielleicht liegen sie in den Schubläden ... und werden plötzlich präsentiert, ohne dass die Beteiligten dann noch viele Abwehrmöglichkeiten hätten. Diese Befürchtung habe ich sehr stark, denn nach meinen Erfahrungen mit Schulverwaltung und Ministerium hier im Lande im Rahmen dieser Debatte habe ich den Eindruck gewinnen, dass solche Abläufe in sehr autoritärer und wenig demokratischer Weise abgehandelt werden und die Öffentlichkeit höchstens hinterher informiert wird. Da mein Sohn eine derartige Schule besucht, sind wir sehr in Sorge um den Erhalt dieser Schule. Denn sie hat sich in den letzten Jahren sehr um ihn verdient gemacht - wir wüssten nicht, was aus Paul Jakob ohne diese Art der Beschulung geworden wäre ...

Im Rahmen der Diskussionen an der Schule, in der ich Teilnehmer der Schulkonferenz bin, habe ich vor zwei Monaten eine Stellungnahme in unsystematischer Form verfasst, die ich heute hier in meinen blog stellen möchte.

Jürgen Lüder 30.9.2011

Anmerkungen zur Inklusionsdebatte in Brandenburg
„Inklusion“ ist z. Zt. ein Zauberwort, das die Schullandschaft aufmischt und zu Spaltungen unter den Betroffenen führt: In begeisterte Anhänger, besonders unter manchen Behinderten und ihren Eltern, die eine schnelle Umsetzung im Sinne der UN-Konvention wünschen und eine Beschulung ihrer Kinder an Sonderschulen ablehnen – und in diejenigen, die das Sonderschulwesen für sinnvoll halten und diesen Schutzbereich für Kinder „mit besonderen Bedingungen“ erhalten wollen. Ich sehe mich dabei in einem Zwiespalt mit mir selbst: Ich habe bisher alle wirklichen Reformen unterstützt, sehe mich aber entgegen meinem früheren Engagement plötzlich „in der konservativen Ecke“, weil ich Bestehendes gegen „Reformen“ schützen möchte. Das liegt aber besonders daran, dass die bisherigen Ansätze, die große Vision „Inklusion“ in die Realität umzusetzen, m. E. stümperhaft und mit Gefahren beladen sind.
Denn „Inklusion“ ist eigentlich eine großartige Idee! Aber eben auch nur eine von vielen, die ich im Laufe meiner Tätigkeit im Behindertenbereich habe an mir vorbeiziehen lassen: das Normalisierungsprinzip, die Integration, das Empowerment, das eigene Budget … Inklusion ist dabei am „modernsten“ und weitreichendsten und bezieht sich grundsätzlich nicht nur auf Schule, sondern überhaupt auf die Teilhabe des Einzelnen an der Gesellschaft. Aber eben auch gerade „in Mode“. Was kommt danach? Oder ist es schon das grundsätzlich am weitesten gefasste Konzept? Die Grundidee ist beeindruckend: Jeden bei den Möglichkeiten abzuholen, die er hat, sie zu würdigen und ihm alle Möglichkeiten anzubieten, sich weiter zu entwickeln, seine Fähigkeiten zu steigern und sich in die Gesellschaft zu integrieren.
Der Politik sitzt dabei die UN-Konvention „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ im Nacken. Deutschland wurde dabei insbesondere für sein ausgebautes Sonderschulwesen kritisiert. Früher galt aber gerade dies als deutsches Verdienst! Eines der Argumente ist, dass Schüler an Sonderschulen weniger Impulse erhielten, einen vollwertigen Schulabschluss zu schaffen. Das halte ich z. T. für einen Artefakt. In Brandenburg wird der hohe Anteil von Schülern beklagt, der ohne Schulabschluss die Schule verlässt. Man könnte zuerst vermuten, dass dies alles Schulverweigerer sind. Weit gefehlt! Vom Ministerium wird Schülern von Sonderschulen ein regulärer Schulabschluss verweigert (und gleichzeitig auf die zu hohe Quote verwiesen, schizophren!). Der Landrat von MOL [Märkisch Oderland] hat auf der großen Versammlung mit Frau Münch am 25.5.11 darauf verwiesen, dass der Kreis schon längst den Antrag gestellt hätte, einen einschlägigen Schulabschluss einzuführen, bislang leider vergebens. Wenn alle großen inklusiven Bemühungen nun dazu führen sollten, einige bisherige Sonderschüler auf das Niveau des bisherigen niedrigsten Schulabschlusses zu hieven (und mehr ist für die meisten möglicherweise illusorisch), so ist die Frage zu stellen, wieweit das ihre Lebenschancen wirklich verbessert. In den letzten Jahren wurde von der Wirtschaft immer beklagt, dass das Niveau von Schulabgängern viel zu niedrig sei, um sie für anspruchsvollere Tätigkeiten auszubilden. Was bringt dann so ein Abschluss?
Würden alle Schulen so ausgestattet, dass an ihnen sinnvoll inklusiv gearbeitet werden könnte, würde ich nicht für den Erhalt unserer Schule kämpfen. Denn es wäre eine echte bildungspolitische Revolution! Kleine Klassen, mehr Lehrer und zusätzliches Personal, bessere Ausbildungen auch im Hinblick auf Sonderpädagogik … Ganztagsschulen oder zumindestens heilpädagogische Horte… Es ist klar, dass dies erhebliches Geld kosten würde. Auf der Versammlung vom 25.5. ging Frau Münch aber noch davon aus, dass die Umsetzung weitgehend kostenneutral geschehen müsse (ich habe sie direkt danach gefragt). Durch solche Äußerungen ist wohl auch der Eindruck entstanden, die ganze Inklusionsdebatte sei ausschließlich aus Spargründen inszeniert worden, um die besonders teuren Sonderschulen abzuschaffen und die freiwerdenden Ressourcen auf alle zu verteilen. Das ist aber nicht gerecht gegenüber Frau Münch, die offenbar doch aus der harschen Kritik an ihren Plänen etwas gelernt hat und in neueren Interviews betont, eine vernünftige Umsetzung von Inklusion sei nur mit Mehrausgaben zu leisten.
Sehr gut nachvollziehbare Forderungen an dieser Stelle hat die GEW-Brandenburg aufgestellt. Mir liegt ein Flugblatt vom 8. Juni 2011 vor, dessen Positionen ich unterstütze.
Eine wirkungsvolle inklusive Arbeit kann m. E. nicht dadurch geschehen, dass die (durchaus privilegierten !!!) Ressourcen unserer Schule auf alle anderen im Umkreis verteilt werden, sondern dass diese auf ihr Niveau angehoben werden. Solange dies nicht gewährleistet ist, werde ich mich strikt für den Erhalt der Schule einsetzen.
Ein häufiger vorgetragenes Argument lautet, "besondere" Institutionen neigten dazu, um ihre Privilegien zu kämpfen, ihren Erhalt abzusichern und ihre Klienten festzuhalten, um so ihre Lebensberechtigung nachzuweisen. Pfui! Wenn eine Lehrkraft einer Förderschule für den Weiterbestand ihrer Schule kämpft, täte sie es nur, um ihren (bequemen??!) Arbeitsplatz abzusichern. Recht tut sie!!! Ich finde es völlig legitim, wenn Menschen aus helfenden Berufen (zu denen auch Lehrer gehören!) sich selbst nicht aus den Augen verlieren, sondern sich um einen Arbeitsplatz bemühen, an dem sie vernünftig wirken und ihre Arbeitskraft bewahren können, aber Widerstand gegen jede Form von „Verheizung“ leisten:
Eine Sonderschullehrerin, die nur noch im „fliegenden Einsatz“ von Schule zu Schule eilt oder aber für eine ganze Schule zuständig wäre, hätte so einen Job! (Überlastete Schulpsychologen können von einer solchen Situation sicherlich ein Lied singen.) Gerade die Arbeit mit einer schwierigen Klientel, wie sie viele Schüler unserer Schule darstellen, kann nur gelingen, wenn es Lehrkräfte als ihre Aufgabe auffassen, Beziehungsarbeit zu leisten. Und das geht nur bei hinreichender Kontaktzeit und kleinen Klassen. (Früher hätte ich noch ein weiteres Argument hinzugefügt, das allerdings im Schulbereich wohl weitgehend illusorisch ist: jemand, der so schwere Beziehungsarbeit leistet, braucht eigentlich auch eine ständige Entlastungsmöglichkeit, z.B. über häufige einschlägige Fortbildungen und Supervision – heute modischer: Coaching!)
Unsere Schule hat große Vorteile, für deren Erhalt sich das Kämpfen lohnt: engagierte Lehrerinnen und Schulleitung, kleine Klassen, eine wunderbare Kooperation mit dem heilpädagogischen Hort, Verbindungen zu anderen Schulen, die eine Öffnung für dazu fähige Schüler bieten, Kooperationen mit anderen Stellen (Jugendamt) und Menschen mit vielen Ideen, gleichzeitig ist sie Schutzraum für solche Kinder/Schüler, die vom normalen Schulbetrieb völlig überfordert wären!
Ich schließe hier erst einmal meine Ausführungen ab, manches ließe sich ergänzen oder systematisieren, dafür bin ich offen!
Ein Nachtrag: Frau Münch plant wohl eine Vielzahl von „Runden Tischen“ im Land. Das wäre eine kluge Entscheidung. Berlin, das schon eine Runde weiter ist auf einem ähnlichen Weg, hat dies nämlich ziemlich „vermurkst“. Zwar hat dort die Schulbehörde bereits eine umfängliche Positionsbeschreibung als Parlamentsvorlage eingebracht (so etwas gibt es offenbar in Brandenburg noch nicht), erntete aber harsche Kritik, weil es ein Papier „von oben herab“ war, bei dessen Erarbeitung keiner der einschlägigen Verbände/Interessenvertreter beteiligt wurde. Also ein rein hoheitlicher Akt ohne demokratische Beteiligung. Die Ausrichtung der Regionalkonferenz mit Frau Münch am 25.5. 2011 in Fürstenwalde legt die Vermutung nahe, dass in Brandenburg die Schulverwaltung ähnlich autoritär wie in Berlin vorgehen könnte (wenn man sie lässt!), aber die Ankündigungen von Frau Münch über zukünftige Beteiligungen von anderen Betroffenen lässt Besseres hoffen!

Mein Motto für den Monat Dezember 2011: Über das Denken

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Das folgende Zitat verdanke ich dem Publik-Forum 22/2011 v. 18.11.11, in dem es als "Schlussstein" (3 "s" sind richtig, wenn auch für mich immer noch gewöhnungsbedürftig!) veröffentlicht wurde.


Denken heißt, im
Unendlichen spazieren
gehen.

Jean Baptiste Henri Lacordaire

Mein Motto für den Monat November 2011: Noch einmal das Thema "Glück"!

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Spät kommt es, aber es kommt! Mein nachträgliches Monatsmotto für den November!


Nur, wer nicht in der Zeit,

sondern in der Gegenwart

lebt, ist glücklich.

LUDWIG WITTGENSTEIN


Gefunden in: Lektüre zwischen den Jahren. Vom Glück. Ausgewählt von Gottfried Honnefelder. – Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1985. S. 55.


Grüße zum Advent

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Ich melde mich bei meinen Leserinnen und Lesern zurück und wünsche allen eine ruhige und friedliche Advents- und Weihnachtszeit!

Meine Anmerkung vom vergangenen Jahresende gilt erneut: Meine schönsten Weihnachtsgedichte und Geschichten und meine (mehr oder weniger) klugen Gedanken dazu habe ich bereits alle auf meinem blog veröffentlicht, zehre selbst davon und stelle immer wieder fest, dass sie mir immer noch gefallen! Weihnachten ist halt ein Fest mit festen Traditionen, da muss man nicht ständig etwas Neues erfinden! Wer sich aber für meine früheren Äußerungen doch interessiert, findet sie aufrufbereit unter den "Labels" in der linken Spalte unter "Weihnachten und Neues Jahr"! Ich wünsche gute Anregungen!

Montag, 17. Oktober 2011

Lieblingszitate CLXII: Laster und Tugenden

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Ein Zitat nach meinem Geschmack! Gefunden als "Schlussstein" im Publik-Forum 17/11 v. 9.9.2011:

Ein wohlgezügeltes Laster
ist manchmal mehr
wert als eine
missverstandene Tugend.

Marcel Jouhandeau

Die Cruise Missiles der Wall Street

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Zum beherrschenden Thema "europäische Finanzkrise" fand ich diese treffende und bissige Aussage in der MOZ v. 12.10.11 unter "Gesagt ist gesagt":

Die US-Ratingagenturen sind die wirkungsvollsten Cruise Missiles der Wall Street.

Ausgesprochen von DGB-Chef Michael Sommer über die Sprengkraft von Einschätzungen der Ratingagenturen zur Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen

Mein Motto für den Monat Oktober 2011: Wege zum Glück

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Z.Zt. sehe ich meine vielen Bücher durch, was von ihnen wirklich aufhebenswert ist und von welchen Titeln ich mich auch trennen könnte. Bei dieser Gelegenheit ist mir auch ein Buch des Psychosomatikers Arthur Jores in die Hände gefallen, das mich seit meiner Studentenzeit begleitet. Darin fand ich das folgende schöne Zitat wieder:


Glück erlebt der Mensch immer dann, wenn er sich in Übereinstimmung befindet mit dem Lebensgeschehen, das Leben in sich oder in anderen fördert. [a.a.O. S. 175]

Eigentlich wollte ich es bei diesem Kernsatz belassen. Aber da heute "Glück"sbücher verbreitet und beliebt sind, geradezu ein Modethema, kann Herr Jores gut darüber Auskunft geben, ob die heutigen Autoren wirklich originell sind oder vielleicht sogar Wesentliches auslassen. Ich zitiere deshalb auch noch die anschließenden Erläuterungen:

Glück erlebt der Mensch demnach in der gekonnten und um ihrer selbst vollzogenen Leistung, im Spiel, im Tanz. Glück erlebt er, wenn er das Leben einer Pflanze, eines Tieres oder seines Nächsten fördert. Glück erlebt er in der Liebesbeziehung und in der Zeugung neuen Lebens. Dieses wären die aktiven Seiten, aber Glück kann der Mensch auch in der Passivität erleben. Schon zu all den oben genannten Glückserlebnissen ist er nur fähig, wenn er in den genannten Handlungen einen Teil seines eigenen Ichs überwindet und sich selbst verliert. Wenn er es nicht tut, dann ist das, was ihm gegben wird, Lust, aber nicht Glück. Glück erlebt der Mensch weiter in dem Genuß der Natur, in dem Genuß eines Kunstwerkes und schließlich wohl die höchste Form des Glückserlebens, die nur wenigen Menschen möglich ist, in der mystischen Versenkung, in dem Erlebnis des Einswerdens mit dem Schöpfer. Zum Glück gehört also ein Teil Selbsthingabe. Ichverstrickung macht glücksunfähig, Überwindung der Ichverstrickung ist aber [...] auch der Weg, der zur Gesundheit führt. Geld ist nur dann ein Glücksbringer, wenn es genutzt wird zur Entfaltung auf bis dahin verschlossenen Gebieten. [a.a. O. S. 175-76; wenn ich mich richtig erinnere, war A.J. bekennender Katholik!]

Gefunden in: Arthur Jores: Der Mensch und seine Krankheit. Grundlagen einer anthropologischen Medizin. 3., erw. Aufl. - Stuttgart: Klett 1962.

Wenn man das so liest, liegt der Zeitbezug nahe: alle, die z.Zt. an den Kapitalmärkten zocken und ihre Gier ausleben, werden dadurch evtl. reicher, mächtiger, wahrscheinlich gieriger (Gier macht weiteren Hunger, aber nicht satt!), mit Sicherheit aber nicht glücklich. Ist das jetzt nur die Rationalisierung der Neidgefühle eines Habenichts? Wohl nicht, denn vor etwa 20 Jahren hat mich einmal das Börsengeschehen fasziniert (als Kleinstkapitalist); ich weiß, wieviel "Libido" für bereicherndere Dinge im Leben mir wieder zur Verfügung stehen, nachdem ich mich radikal aus diesem Bereich gelöst habe.

Donnerstag, 1. September 2011

Lieblingszitate CLXI: James Krüss über jeden Tag im Jahr

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Dieses Gedicht hat mir vor wenigen Tagen eine liebe Freundin per Email geschenkt. Ich möchte es nicht für mich allein behalten und verschenke es so weiter. (James Krüss und das Copyright mögen es mir verzeihen, aber was kann für einen Autoren eine größere Anerkennung sein!)



James Krüss


Gedicht für jeden Tag im Jahr
Jeder wünscht sich jeden Morgen
irgend etwas - je nachdem.
Jeder hat seit jeher Sorgen,
jeder jeweils sein Problem.

Jeder jagt nicht jede Beute,
jeder tut nicht jede Pflicht.
Jemand freut sich jetzt und heute.
jemand anders freut sich nicht.

Jemand lebt von seiner Feder,
jemand anders lebt als Dieb.
Jedenfalls hat aber jeder
jeweils irgend jemand lieb.

Jeder Garten ist nicht Eden.
Jedes Glas ist nicht voll Wein.
Jeder aber kann für jeden
jederzeit ein Engel sein.

Ja, je lieber und je länger
jeder jedem jederzeit
jedes Glück wünscht, um so enger
leben wir in Einigkeit.


Zusatz v. 11.11.2017: Ein aufmerksamer Leser/in meines blogs hatte zu Recht moniert, dass ich dieses Gedicht inkorrekt wiedergegeben hatte, und zwar mit dem Schlusswort "Ewigkeit" statt "Einigkeit". Vielen Dank für diesen wertvollen Hinweis! Wahrscheinlich hatten mich der Garten Eden und der Engel auf die falsche Fährte geführt ...

Verschiedene Notizzettel, vor dem Papierkorb bewahrt


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Ich habe meine Notizen aufgeräumt und dabei einige Zettel gefunden, auf denen zwar wenig steht, die ich aber dennoch nicht einfach so wegwerfen wollte. Ich möchte (bzw. kann) aus ihren Inhalten keine großen Ausarbeitungen machen, in ihnen steckt aber doch ein kluger und aufhebenswerter Kern. Meine Leser mögen selbst urteilen:

Nachruhm

Vielleicht ist es nur eine späte Genugtuung, jedenfalls eine Gerechtigkeit der Geschichte! Wer erinnert sich noch an die Namen irgendwelcher Fürsten, Bischöfe oder Päpste, die in ihrem Leben besonders durch ihre Machtausübung und ihren Prunk glänzten! Aber sie haben oft eine wirklich kluge Tat vollbracht, nämlich einen hervorragenden Künstler mit der Anfertigung einer Auftragsarbeit beschäftigt. Den Namen des Bischofs, der Mozart in Salzburg knechtete, habe ich längst vergessen, seine Musik aber ist für mich ein Ohrwurm! Und Mozart ist kein Einzelfall! Bei herausragenden Portraits berühmter Maler dürfte es sich ebenso verhalten, ich denke da spontan an Goya und seinen spanischen König, über dessen Intelligenz man geteilter Meinung sein kann …

Geld macht süchtig

Wer wollte das bestreiten, wenn man sieht, mit welchem Fanatismus Reiche damit beschäftigt sind, ihren Reichtum noch zu vermehren, obwohl sie nicht einmal einen Bruchteil davon zu Lebzeiten aufessen könnten … Ich weiß nicht, wo ich diese einfache Wahrheit aufgeschnappt habe. In die Literatur über suchterzeugende Stoffe ist sie nach meinem Wissen noch nicht aufgenommen, aber sicherlich hat schon ein anderer kluger Kopf vor mir diese nahe liegende Formulierung in die Welt gesetzt.

Bedarfe

Ich glaube, dass ich über dieses Thema schon einmal im Rahmen meiner „Dinosauria“ etwas geschrieben habe. Ein in meinen Ohren hässliches Wort, das aber in der Sozialarbeit und unter Planern offenbar gang und gebe ist. Ich habe es zum ersten Mal bewusst im Sozialausschuss meiner Heimatgemeinde gehört, als ein Vertreter eines freien Trägers oder der zugeordnete Referent der Verwaltung etwas von zukünftigen Diensten und ihrer finanziellen und personellen Ausstattung referierte, die an den Bedürfnissen der betroffenen Menschen orientiert sein sollten. „Bedürfnisse“ ja! Das ist eine menschliche Eigenschaft. „Bedarfe“ hingegen entstammen hingegen für mich einer Kunstsprache, in der die betroffenen Menschen in eine Behördensprache verdinglicht werden, so etwa wie ein menschliches abstraktes Kondensat. Vielleicht würde ich dieses Wort selbstverständlich finden, hätte ich in den letzten Jahren Sozialarbeit studiert. Bei meiner Herkunft aus der Psychologie her finde ich es eben einfach nur hässlich (und durch „Bedürfnisse“ und „Bedürfnisstrukturen“ oder ähnliche Wortkonstruktionen leicht ersetzlich.) Letztendlich ist es nichts anderes als ein weiterer Beleg für die Folgen der Ökonomisierung sozialer Arbeit/Tätigkeiten.

„Maskensprache“

Ich war ganz stolz, als ich diesen Begriff entwickelt hatte, aber wohl schon etwas müde, denn jetzt fehlen mir die Beispiele, die ich damals im Kopf hatte. Gemeint aber ist damit: In der Verwaltung (auch hier war wieder der schon einmal zitierte Ausschuss der Ort meines Aha-Erlebnisses) und in der Politik wird oft mit Wort“hülsen“ herumgeworfen, die alles Mögliche bedeuten können, kaum aber das, was sie als Wortlaut direkt „transportieren“. Das ist wie früher im venezianischen Karneval, als alle Leute die denkwürdigsten Masken trugen und ihr Alltagsgesicht dahinter verbargen. Die Wirklichkeit dahinter war dann vielleicht desillusionierend. Wenn mir wieder ein Beispiel für diese Kategorie einfallen sollte, werde ich sie später ergänzen. (Das Einzige, was mir jetzt in den Sinn kommt, ist der heutige Missbrauch des Begriffs „Reform“, der in seinen guten früheren Zeiten einmal eine Verbesserung der Lebensbedingungen der betroffenen Menschen beinhaltete, heute aber fast immer das Abspecken bisheriger sozialer Leistungen meint.)

Lieblingszitate CLX: Eine Freundschaft pflegen

Freundschaft ist wie eine Spur, die im Sand verschwindet, wenn man sie nicht beständig erneuert.

Unbekannte Herkunft

Diese Aussage habe ich auf einem Kalenderblatt zum Juli 2011 im Korsch-Kalender „Ein Glück, dass es Freunde gibt“ gefunden.

Diese Aussage trifft natürlich besonders auf Freundschaften zu, die offensichtlich einer ständigen Pflege bedürfen, wenn sie gut gedeihen und nicht nur in der Erinnerung existieren sollen. Aber gilt das nicht auch für alle anderen zwischenmenschlichen Beziehungen ebenso, wenn sie lebendig bleiben sollen!?

Vorbilder: Astrid Lindgren

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ein spätes Reisemitbringsel von meiner Sommerreise nach Schweden!

Mit einem Kind nach Schweden gefahren zu sein, führt automatisch dazu, auf Schritt und Tritt Hinweise auf Astrid Lindgren zu finden. Aber das kann auch für Erwachsene ein Vorteil sein! Wer hat sich je so für die Rechte von Kindern eingesetzt und so kuriose und auch schöne Texte ersonnen, ein Genuss für Kinder, aber auch für Erwachsene, die ihnen vorlesen! Ich werde zwar nicht den Eindruck los, dass sie irgendwie auch das für immer verschwundene Land ihrer Kindheit verklärt und damit besonders in ihren Bullerbü-Büchern einen Mythos schafft, der ungesund ist, wenn man sich Zeit seines Lebens darin aufhalten möchte, ihn aber immer wieder einmal besuchen, das ist ein modernes Märchen zum Träumen, sollte Alt und Jung sie nicht dafür lieben!? Und es gibt noch so ganz andersartige Texte von ihr, an die ich mich zwar nur schemenhaft erinnere, die mich aber damals als Erwachsenen ganz in ihren Bann gezogen hatten, wie „Mio, mein Mio“ und „Die Brüder Löwenherz“.

Was mir aber jetzt besonders an Astrid Lindgren gefällt, ist ihre humorvoll-ironische Art und Weise, mit dem eigenen Altern und allen Gebrechlichkeiten umzugehen, wie ich es in dem folgenden Zitat gefunden habe:

Ich zitiere aus dem neuesten Baedeker über Südschweden (Ostfildern 2011, S. 351):

Für „ihren Sinn für Gerechtigkeit, Gewaltfreiheit, Verständnis für Minderheiten und auch für ihre Liebe zur Natur“, erhält Astrid Lindgren 1994 in Stockholm den Alternativen Nobelpreis. 1996 benennt die Russische Akademie den neu entdeckten Asteroiden Nr. 3204 nach ihr, 1997 wird sie als Schwedin des Jahres ausgezeichnet. Mit einem Augenzwinkern bedankt sie sich beim Publikum: „Ihr verleiht den Preis an eine Person, die uralt, halb blind, halb taub und total verrückt ist. Wir müssen aufpassen, dass sich das nicht rumspricht.“

Als sie dies ausspricht, ist sie 90 Jahre alt (oder jung?)!!!

[Die farbliche Heraushebung folgt dem Baedeker, die Fettschrift ist hingegen meine Hinzufügung.]

Mein Motto für den Monat September 2011: Das Paradies finden

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"Der Himmel kann warten,

ich hab ja das Paradies

auf Erden."


Walter Bartlomé

Diese Aussage ist das Motto zu dem wunderbaren Film „La casa delle favole“ (Das Haus der Märchen) von Karl-Heinz Heilig, den dieser 1999 veröffentlichte. Karl-Heinz Heilig drehte ihn im Garten von Walter Bartlomé in einem abgeschiedenen Tal in der Nähe von Basel. Bartomé hatte sich dort über Jahrzehnte einen wundervollen Garten geschaffen, mit dem er regelrecht „verwachsen“ war und den er liebevoll pflegte, zum gegenseitigen Gewinn. Ein wundervoller meditativer Film!

Dienstag, 30. August 2011

Mein Motto für den Monat August 2011: Über die Menschenwürde

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Endspurt! Aber es ist mir noch gelungen, rechtzeitig das Monatsmotto für meinen blog für den fast abgelaufenen August ins Netz zu stellen, zumal es an aussagekräftigen Zitaten wahrlich nicht mangelt. Heute eine sehr eindeutige Aussage des UNO-Generalsekretärs:


Solange Milliarden von Menschen in chronischer Armut leben, kann es keinen Frieden, keine Gerechtigkeit und keine Würde auf der Welt geben.

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon in einer Rede vor Wissenschaftlern in Seoul

Gefunden in der MOZ v. 11.8.2011 unter der Rubrik „Gesagt ist gesagt“

Montag, 4. Juli 2011

Verstoßen Allgemeine Förderschulen gegen die Forderung inklusiver Beschulung seitens der UN-Konvention?

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Ich erlebe es als angenehm, dass sich bei mir mit zunehmendem Abstand von meinem Berufsleben ein größerer innerlicher Frieden einstellt: Während ich mich früher stark über Ungerechtigkeiten am Arbeitsplatz und Unklares im Schulalltag aufregen konnte, ist dies alles jetzt weit weg von mir, mein Zorn ist verrauscht und ebenso meine Bereitschaft, auf irgendwelche Barrikaden zu steigen.

Dachte ich ... Von einer unerwarteten Seite her habe ich wieder Anlass, mich über Schule und Schulpolitik aufzuregen und muss meinen Kampfesmut im Zaum halten, weil nur ein kühler Kopf Punkte bringt. Dabei ist der Anlass auf den ersten Blick sehr positiv: Deutschland hat 2009 eine UN-Konvention mit unterzeichnet, die für Gleichberechtigung aller Menschen eintritt und unter anderem die inklusive Beschulung behinderter Menschen fordert. "Inklusion" als neues Paradigma in der Behindertenarbeit! Grundsätzlich ein sehr positiver Ansatz und für mich zusätzlich noch "hautnah", weil mein kleiner Sohn Paul Jakob betroffen ist und eine Allgemeine Förderschule besucht, unterstützt von einem persönlichen Einzelfallhelfer.

In Berlin und Brandenburg hat dies dazu geführt, dass die dortigen Kultusminister jetzt ganz fortschrittlich sein wollen und diese UN-Konvention unbedingt umsetzen wollen. Opfer: Die Allgemeinen Förderschulen! Denn diese sollen in Brandenburg bis spätestens 2019 geschlossen und ihr Schülerklientel zukünftig "inklusiv" an Regelschulen unterrichtet werden. Grundsätzlich ja o.k., wenn diese Regelschulen von Klassenstärken und Lehrerschaft her ähnlich ausgestattet würden wie bisher die Förderschulen. Das wäre eine echte Revolution (Klassenstärken nur noch bis 16 Schüler! ausgebildete Sonderpädagogen!) und käme dann allen Schülern zugute. Es würde aber eine erhebliche Ausweitung des Schuletats erfordern, um all das dann notwendige Personal einzustellen. Weit gefehlt!!! Diese Veränderungen sollen kostenneutral durchgeführt werden, d.h., was den Förderschulen genommen werden wird, wird auf alle anderen aufgeteilt, die dann ein bißchen zulegen können, aber eben nur ein bißchen... Und der Schutzraum "Förderschule" wird nicht mehr existieren.

Zwar wird mein Sohn bis zum Greifen dieser "Reform" schon seine Schulzeit beendet haben, aber diese Planungen überschatten alles Weitere in seiner Schule. So habe ich mein neues "Kampfthema", denn diese sehr abgespeckte Variante von "Inklusion" halte ich für unvernünftig und die Art und Weise, wie sie vom Ministerium offenbar durchgepeitscht wird - entgegen allen Vorbehalten einschlägiger Lehrergewerkschaften und Fachverbände - sehr merkwürdig und undemokratisch.

Deshalb werde ich mich zukünftig für dieses Thema engagieren und habe dafür auch schon eine neue Rubrik aufgemacht: "Förderschulenstreit". Ganz neu ist das Thema dabei allerdings nicht, denn die mögliche Schließung der Allgemeinen Förderschulen geistert schon länger durch die Schullandschaft und hatte vor Jahren zur Folge, dass Schulen dieses Typs "eigentlich" keine ersten Klassen mehr aufnehmen durften. Bereits beim Jahrgang unseres Sohnes lag aber eine so große Nachfrage vor, dass das Schulamt eine Ausnahme genehmigen musste. Und die derzeitige erste Klasse seiner Schule ist fast überfüllt... Im Zusammenhang mit dieser Problematik habe ich bereits vor Jahren schon einmal einen Leserbrief an die Zeitschrift "Menschen" verfasst. Wer ihn lesen möchte, findet ihn ebenfalls unter der neuen Rubrik.

Heute folgt an dieser Stelle ein Leserbrief, den ich an unsere örtliche Zeitung MOZ am 8.4.11 geschickt habe, in Teilen dort abgedruckt am 16.4.11!


Liebe MOZ,

am 1.4.2011 berichteten Sie an mehreren Stellen über die von Brandenburgs Bildungsministerin Martina Münch angekündigte Schließung der Förderschulen mit dem sonderpädagogischen Schwerpunkt „Lernen“ bis 2019. Zunächst glaubte ich – vom Termin her – an einen Aprilscherz, aber Frau Münch ist es wohl bitterernst mit der Auflösung aller einschlägigen Sonderschulen. Denn der Politik sitzt dabei die von Deutschland ratifizierte UN-Konvention von 2009 im Nacken, die verbindlich die gemeinsame Beschulung aller Kinder im Sinne des neuen Paradigmas „Inklusion“ fordert. Die Brandenburger Parlamentarier waren überrascht, haben es offenbar weniger eilig als die Ministerin, die sich hier möglicherweise in „vorauseilendem Gehorsam“ übt.

Die Umsetzung von „Inklusion“ an unseren Schulen ist aber noch ein nebulöser Traum, solange in Grundschulklassen über 20 Schüler sitzen, Sonderpädagogen knapp sind und die Schulsozialarbeit rar: „Inklusion“ bleibt solange ein wohlklingendes Zauberwort ohne reale Chancen, solange keine massiven personellen und materiellen Verbesserungen an den Schulen eingeleitet werden. Davon habe ich bisher allerdings nirgendwo etwas gesehen. Es wäre eine echte Revolution! Und die würde einiges kosten, aber zeigen, ob es der Politik mit den ständig gepriesenen Verbesserungen im Bildungsbereich wirklich ernst ist.…

Da hat es mein Sohn als Förderschüler in einer Kleinklasse von 10 Kindern mit einer engagierten Lehrerin in Kombination mit einem (nichtstaatlichen!) heilpädagogischen Hort besser. Frau Münch sollte uns einmal besuchen und die realen Bedingungen an den Schulen kennen lernen, bevor sie solche großen Worte gebraucht, die uns verschrecken! Die hiesigen Grundschulen wären mit der Betreuung unseres Sohnes völlig überfordert (und sind es auch ohne ihn angesichts einer zunehmenden Zahl schwieriger Kinder schon in ihrer normalen Arbeit), unser Sohn wiederum würde rettungslos in ihnen untergehen. Was für eine Perspektive!

Mit freundlichen Grüßen

Jürgen Lüder

Soviel für heute! Weiteres folgt!

Freitag, 1. Juli 2011

Mein Motto für den Monat Juli 2011: Wir sind der Wandel - wer sonst?

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Sei selbst der Wandel, den du in der Welt erleben willst.

Mahatma Gandhi


gefunden in dem Artikel "Wir sind der Wandel" von Christina Kessler in Natur & Heilen 6/2011

Günter Kunerts alter Pharao besingt das Verwelken

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Ältere Männer, die in kluger Weise über ihr Altern reflektieren oder es sogar ironisieren, haben etwas Faszinierendes für mich, wenn Frauen das tun, allerdings nicht minder! Da habe ich ein hervorragendes Beispiel aus der letzten Zeit, nämlich den Bericht über eine Dichterlesung von Günter Kunert in Frankfurt/O.

Ich zitiere aus dem Bericht von Uwe Stiehler, der unter dem Titel „Alter Pharao besingt das Verwelken – Günter Kunert zu Gast in Frankfurt“ am 5.5.2011 in der MOZ erschienen ist.

[…]

Und mit seinen Worten belächelt, verflucht und verdaut der 82-Jährige auch das eigene Älterwerden. Das hat er zum Beispiel in dem äußerst vergnüglichen Büchlein „Der alte Pharao spricht mit seiner Seele“ getan. Auch das stellte er in Frankfurt vor. Es ist eine Ode auf „Sauseschrittverweigerer“, eine Einladung, mit der Zeit stehenzubleiben, und eine ironische Beschreibung des eigenen Verwelkens, wenn der alte Mann zum Beispiel im Zugabteil von Eva träumt, ihren Apfel aber zurückweist. Weil der nicht altersgerecht ist.


„Danke Eva.

Aber mein Gebiss!

Der Dentist hat mich gewarnt.

Deswegen muss ich mich

der Sünde enthalten. Und

weiterschlafen

bis zur

Endstation.“

Richard David Prechts Sorgen um unsere Zukunft

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Schon vor einigen Wochen hatte ich diesen blog-Eintrag vorbereitet, dann aber vergessen. Ich möchte seine Veröffentlichung heute nachholen, zumal die Aktualität seiner Aussagen nicht nachgelassen hat, insbesondere im Zusammenhang mit der Griechenland-Krise, den ich damals hergestellt hatte.


Precht ist berühmt geworden durch seine populäre Einführung in die Philosophie, danndurch seine Ausführungen zur Liebe und jetzt zur Moral in seinem letzten Buch "Die Kunstkein Egoist zu sein".

All das war genug Anlass für den Tagesspiegel, den Autor zu interviewen. Nachzulesen ist dies im TSP vom 22.4.2011 mit Andrea Roedig als Interviewerin: "Lieber böse als dumm" - Richard David Precht über Egoismus, realistische Moralvorstellungen und Kindererziehung

Mich hat sein Schlusswort nachdenklich gemacht, in dem er über unsere gesellschaftliche Zukunft angesichts schrumpfender Ressourcen nachdenkt. Ich will es hier zitieren:

"Wir leben in einer der am meisten privilegierten Gesellschaften, die es je in der Weltgeschichte gegeben hat. Doch die Wohlstandsentwicklung wird nicht so weitergehen können, wie das bisher der Fall war. Also müssten wir all unsere Anstrengungen darauf richten, auch ohne weiteres Wirtschaftswachstum glücklich zu leben. Aber das geschieht nicht, wir sind nicht darauf vorbereitet, dass der Wohlstand sinken wird. Das wird politisch noch sehr gefährlich."

Leider dürfte er Recht haben. Die Verteilungskämpfe sind bereits in vollem Gange, das zeigt die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Die Besitzenden sind dabei, ihr Schäflein ins Trockene zu holen, noch hält das Gros der Bevölkerung still und sieht wahrscheinlich solche Zusammenhänge noch nicht. Aber das kann sich ändern ... (Und in Ländern, denen zur Abwendung einer Staatspleite das "Gesundsparen", besonders im sozialen Bereich, auferlegt wurde, wie z.B. Griechenland und Portugal, ist die Atmosphäre in der Bevölkerung schon jetzt explosiv.)


Griechenland ist leider ein hervorragendes Beispiel, wie die letzten Tage zeigen. Das neoliberale Sanierungskonzept der großen EU-Staaten und des IWF nötigen dem Land „Reformen“ auf, die eindeutig zu Lasten des ärmeren Bevölkerungsteils gehen und die Reichen und Vermögenden weitgehend schonen. Nach diesem Rezept hat der IWF schon zahlreiche Länder in dieser Welt gebeutelt. Schade, dass in der gängigen Berichterstattung in den Medien über solche Zusammenhänge fast nichts geschrieben wird. Man muss ja schon die Griechen fast für „bescheuert“ halten, die da täglich gegen ihre Regierung „anstänkern“, die doch nichts anderes im Sinn hat, als die Staatspleite zu verhindern … und die Banken zu retten, die sonst, insbesondere in Deutschland, einiges abzuschreiben hätten. Neueste Information, sofern ich sie richtig „aufgeschnappt“ habe: Da wäre auch ein großer Pensionsfonds in Deutschland mit betroffen, falls es zu einer Pleite und einem Wertverlust der Einlagen käme. Renten/Pensionen von Deutschen in Gefahr! Die bösen Griechen müssen endlich zur Vernunft kommen! (Besser kann man nicht zeigen, wie sehr das Umlageverfahren bei der Rente dem Kapital gedeckten System, bei dem Rücklagen auf dem Kapitalmarkt angelegt werden müssen, überlegen ist.)

Meine Bücher

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Bücher sind mein Leben, so dachte ich jedenfalls bisher und handelte jahrelang danach: ich sammelte sie mit Leidenschaft. Das ist nichts Ungewöhnliches, denn ich habe schon viel in meinem Leben gesammelt, als Kind Briefmarken, später ebenso Mineralien und Versteinerungen, Schallplatten oder CDs mit klassischer Musik, auch schon Zeitungsausschnitte und Postkarten, immer aber mit Begeisterung und einem Sammlerherz, das es nach Vervollständigung seiner Sammlung drängte. So als würde ich dadurch das Leben an mich heranholen und konservieren können, wenn ich mich mit Schönem und Seltenem umgebe.

Aber Bücher waren dabei immer mein Schwerpunkt. Schon als Kind liebte ich meine Schätze, und ich kann mich noch daran erinnern, wie ich, schon etwas älter, in unser Warenhaus lief und mein Taschengeld in Taschenbuch-Remittenten umsetzte, die billig verramscht wurden. Das wurde nur kurzfristig unterbrochen, als die Mono-Schallplatten vom Markt genommen wurden und ich mir mit ihnen meine erste Musiksammlung „aufbaute“. So kam einiges bei mir zusammen, überstand verschiedenste Umzüge und wuchs und wuchs. Umzüge waren allerdings immer wieder einmal ein Anlass, meine Bestände zu sortieren und auch einmal mehrere Kisten Bücher auszusortieren. Aber meine Sammlerlust blieb davon unberührt und es störte mich kaum, dass ich nur wenige dieser Schätze richtig durchgearbeitet habe. Das erkennt man dann allerdings an zahllosen Bemerkungen und Textmarker-Anstreichungen in einigen Büchern, die habe ich wirklich „durchgekaut“. In vielen anderen Fällen aber war für mich ein Thema schon dadurch „gegessen“, dass ich mir ein kluges Buch darüber ins Regal stellte, so nach dem Motto: „Wenn ich es dann wirklich einmal etwas genauer wissen will, kann ich ja nachschlagen.“

Bei einigen Themen war ich (vorübergehend) tatsächlich „auf dem Laufenden“, vor 20 Jahren habe ich sämtliche Psychotherapie-Führer, die seinerzeit auf dem Markt waren, besessen und war stolz darauf. Mittlerweile haben mich die Bücherberge der Neuerscheinungen längst überrollt und mein Interesse hat sich stark gewandelt.

Dafür gab es vor vielen Jahren schon einmal einen ersten Anstoß. Ich bin ihm damals zwar noch nicht gefolgt, aber ich habe ihn niemals vergessen: Ich lernte einen Benediktiner-Pater kennen, der wie ein väterlicher Freund zu mir war und den ich eine Zeit lang häufiger in seinem kleinen Kloster besuchte. Auch er liebte Bücher. Wir lasen uns gegenseitig manchmal etwas vor. Er hatte seine Bücher mit Bleistift-Notizen gefüllt und fand seine Lieblingszitate sofort. Als ich ihn einmal in seinem Zimmer besuchen durfte, stellte ich fest, dass er nur ein einziges schmales Bücherregal darin besaß: Diese Bücher genügten ihm, er habe alle schon mehrfach gelesen. Mehr brauche er nicht. Er hätte früher auch mehr Bücher besessen, die hätte er alle an die Klosterbibliothek abgegeben. Und wenn ihm jetzt jemand ein Buch schenke, so würde er es nach dem Lesen entweder ebenfalls in die Bibliothek weiterreichen oder weiter verschenken. Mich erinnerten seine Worte an ein Gedankenspiel aus Selbsterfahrungsgruppen: „Was würde ich auf eine einsame Insel mitnehmen, wenn ich nur zwei Koffer mitnehmen dürfte …“

Dieses Bild von Wichtigkeit, die ein Besitz für mich haben müsste, damit ich ihn unbedingt bei mir behalten möchte, habe ich seither zwar nicht vergessen, aber erst in den letzten Monaten auch etwas davon in Taten umgesetzt: Meine Schwiegermutter hatte entdeckt, dass man bei Amazon eigene Bücher verkaufen kann. Bei vielen lohne es sich kaum, einige brächten aber tatsächlich einen guten Ertrag. Auch meine Frau versuchte es und war erfreut über manchen guten Verkauf. Lange sträubte ich mich, allerdings war ich immer neugierig, ob meine Bücher noch irgendeinen Wert besitzen oder weitgehend unverkäuflich sind und testete einige auf ihren erzielbaren Preis hin. Und seither verkaufe ich Bücher!!! Und trenne mich von manchen liebgewordenen Schätzen. Aber das stimmt ja gar nicht: Bücher, die mir wirklich etwas bedeuten, behalte ich natürlich. Das sind aber viel weniger als gedacht. Die vielen Titel, die ich mir früher nur mit dem Gedanken gekauft habe, zu diesem Thema müsste ich auch etwas besitzen, und die dann ungelesen im Regal verschwanden, sind mir meistens nicht mehr sehr wichtig, ich kann gut von ihnen lassen… So werden meine Regale langsam etwas leerer, die Übersichtlichkeit steigt und meine Erben werden später etwas weniger zu bearbeiten (und wegzuwerfen ) haben. Ich bin erstaunt über mich, wie wenig ich dies als Verlust erlebe, viel stärker als Erleichterung und mit dem Bedauern, dass so viele Titel offensichtlich unverkäuflich sind. Ich werde viele nur verschenken können oder ins Altpapier tun müssen.

Außerdem, was macht’s? Der nächste Sammler steht schon in den Startlöchern: Mein kleiner Sohn Paul Jakob hat sich diese Bücherliebe von seinen Eltern abgeguckt und besitzt selbst schon eine stattliche, immer mehr wachsende „Sammlung“!

Samstag, 25. Juni 2011

Lieblingszitate CLIX: Vom Träumen

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Mein neuestes Fundstück, entdeckt als "Schlussstein" im Publik-Forum 12/2011 v. 24.6.11!


Wer keine Kraft zum
Traum hat, hat keine Kraft
zum Leben.

Ernst Toller

Mittwoch, 22. Juni 2011

Lieblingszitate CLVIII: mal wieder was Witziges!

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Unter dieser Rubrik habe ich schon mehrfach kleine Texte aufgeführt, die vielleicht im strengen Sinn keine Zitate sind, die mir aber besonders gefallen. Was macht's!

So möchte ich heute einmal erneut Witze präsentieren. Allerdings bin ich in einer Realsituation kein guter Erzähler, der andere zum Lachen bringt. Ich habe bei früheren Versuchen im Unterricht gelegentlich mal einen "zum Besten gegeben", meistens blieb es ganz still ... Aber das ändert nichts daran, dass ich einige Witze wirklich geistreich und gelungen finde und mich an ihnen freue.

Mit echter Freude ist es allerdings bei den folgenden beiden "Kostproben", die ich meiner Frau verdanke, so eine Sache. Sie machen eher nachdenklich, fast könnte man auf sie bestürzt reagieren. Aber das schmälert ja nicht ihren Wert, sie vermitteln eben Wahrheiten auf etwas andere Weise.


Nägelkauen

"Du, ich habe endlich Opa das Nägelkauen abgewöhnt!" - Toll, wie hast Du denn dieses Wunder geschafft?" - "Ganz einfach, wenn er wieder damit anfängt, nehme ich ihm einfach das Gebiss weg."



30 Jahre Altersunterschied

Ein Ehepaar, miteinander älter geworden und kurz vor der Rente, bekommt Besuch von einer freundlichen Fee, die jedem von ihnen einen Wunsch erfüllen will, weil sie so fleißig in ihrem Leben gewesen sind.

Die Frau fängt an, berichtet lang und breit von ihrem Traum, einmal gemeinsam mit ihrer Freundin ein Wellnesshotel zu besuchen, mit Blick auf den See, tollen Anwendungen, schönem Essen und womit man es sich dort sonst noch gut gehen lassen könnte. Die Fee hebt die rechte Hand, macht "bing": "Dein Wunsch sei Dir erfüllt!"

Der Mann ist über das lange Reden seiner Frau schon ungeduldig geworden: "Bei mir geht das Wünschen ganz schnell, ich muss da nicht langatmig drüber reden! Ich wünsche mir eine Frau, die 30 Jahre jünger ist als ich." "Bing! - Auch Dein Wunsch soll Dir erfüllt werden!"

Und dann ist er 90!


Wer lacht hier schadenfroh!? Das hat er nun davon, aber auch seine Frau wird darunter leiden. Zwar gibt es sehr rüstige Senioren, die geistig noch sehr fit sind und am Weltgeschehen teilnehmen. Aber gleichzeitig steigt auch die Quote von Menschen mit Demenz und Alzheimer. Aber was soll's! Der Witz seziert messerscharf und hat eine völlig unerwartete Pointe. Klasse!

Mein Motto für den Monat Juni 2011: Der Weise im Garten

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Dumme rennen,
Kluge warten.
Weise gehen in den Garten.

Rabindranath Tagore

(gefunden in einem Bildband mit Zitaten zum Thema "Glück und gute Lebensführung")

Dienstag, 24. Mai 2011

Lieblingszitate CLVII: Immanuel Kant

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Je mehr du gedacht, je mehr du getan hast, desto länger hast du gelebt.

Immanuel Kant

Gefunden als „Schlussstein“ im Publik-Forum 10/2011 v. 20.5.11

Montag, 23. Mai 2011

Alter macht frei - oder könnte es jedenfalls!

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Es hat mich wieder ereilt! Vor wenigen Wochen bin ich 64 geworden und frage mich, was das eigentlich so für mich bedeutet. Nun, mein Rentenbeginn (nach der Ruhephase meiner Altersteilzeit) rückt beängstigend näher, beängstigend deshalb, weil mein Portemonnaie dann wesentlich schlechter bestückt sein wird…

Daneben habe ich mich unter den Verwandten und Bekannten umgesehen, die mir schon ein paar Jahre voraus sind. Sehen, hören, laufen können die meisten weniger gut als früher, geschenkt, das ist unausweichlich. Ebenso wahrscheinlich die nachlassende Gedächtnisleistung. Mit meinem Kurzzeitgedächtnis habe ich ja selbst schon seit längerem meine Blessuren und Peinlichkeiten erlebt, finde aber mittlerweile meine Brille meistens wieder, weil ich sie diszipliniert nur noch an bekannte Orte lege, anderes regele ich mit einer Unzahl von Notizzetteln. So ist es, toi, toi, toi, bislang nur eine zunehmende Altersschwäche und noch kein Alzheimer … (Alzheimer finde ich die schlimmste Drohung, die ich mir vorstellen kann, obwohl die Betroffenen in einem späteren Stadium es wohl selbst kaum noch merken und ihre Umwelt mehr darunter leidet als sie selbst …)

Dann wird vom Alter noch berichtet, dass einige – die Glücklichen ! – milder und weiser und gütiger werden, andere aber – wahrscheinlich die größere Gruppe – unflexibel, starrer und schlimmstenfalls wehleidig oder verbittert auf die Wunden der Vergangenheit schauen. Das wollte ich zum Hauptthema dieses blogs machen.

Ich habe mich lange genug mit Tiefenpsychologie und Psychotherapie beschäftigt, um zu wissen, welche prägende Wirkung frühe Lebenserfahrungen auf das Erleben und den Charakter eines Menschen für seine gesamte Lebenszeit haben können. Und doch gibt es auch hier Unterschiede, wahrscheinlich gemäß der Zugehörigkeit zu den beiden Gruppen von Menschen, von denen ich soeben geredet habe.

Da sind zunächst diejenigen, die sich unentwegt in die uralten Wunden und Kränkungen, die sich irgendwann in ihrer Kindheit ereignet und manche Fortsetzungen im späteren Leben nach sich gezogen haben, regelrecht verbeißen und keinen Deut davon ablassen können. Ihre Freiheit, es in höheren Jahren einfach auch mal anders zu versuchen und höchstwahrscheinlich auch machen zu können (wer ist mit älteren Menschen nicht auch nachsichtig!!), ist dadurch natürlich sehr gering und die Lebensfreude entsprechend eingeengt.

Im Kontrast zu Menschen „dieser Bauart“ fällt mir zunehmend an mir eine Haltung von „Wurschtigkeit“ auf, die mir ungemein das Leben erleichtert. Lange habe ich mich mit den Problemen meiner Kindheit beschäftigt, mit meinen Eltern gehadert, mich selbst über vieles geschämt, denn ich wäre gern anders gewesen, ein besserer „Mitspieler“ mit den Kindern und Jugendlichen meiner Umgebung, nicht so einsam auf meinem eigenen Stern. Irgendwie ist das jetzt aber alles sehr verblasst. Die Idee, einen Roman über meine Kindheit zu schreiben („Die Leiden des jungen JüLü“), habe ich schon vor längerem verworfen, für wen sollte er interessant sein? Meinen Eltern gegenüber habe ich eine eher ferne, aber freundliche Erinnerung ohne Anklage, da gab es früher schon andere Zeiten... Auch den kleinen Jungen von damals, der ich einmal war, würde ich jetzt freundlich in den Arm nehmen und ihn trösten, nicht aber auch noch Vorwürfe machen und mit ihm hadern wie früher. Er konnte es eben nicht besser und hatte es nicht leicht.

Darüber hinaus: Wer von meinen Mitschülern etc. sollte mir jetzt noch etwas vorwerfen oder mich abschätzig behandeln? Ich bin doch in ihrem Leben bestenfalls noch eine unscharfe Erinnerung, vielleicht noch als Spur eines „Spinners“ vorhanden, das wäre aber schon viel! Meine Haare werden auch allmählich grau, das Alter zeichnet mich ebenfalls, genauso wird es meinen Mitspielern von damals ergehen, die in meinem Gedächtnis aber noch als „junge Leute“ abgespeichert sind, so als würden sie ewig auf diesem Stand verharren. Da ich kaum einen jemals wieder gesehen habe, sind diese inneren Bilder nicht gemäß dem Lebensweg aller Betroffenen mit gewachsen und haben sich deshalb nicht an irgendwelche Veränderungen angepasst.

Dafür habe ich ein treffliches Beispiel, für das ich mich in meiner Jugend sehr geschämt habe: Ich war Mädchen gegenüber außerordentlich verklemmt – und höchst interessiert! Eine schwierige Mischung! Meine Erfolge waren entsprechend und alles war mir so peinlich, dass ich es als echte Befreiung erlebte, zum Studium aus meiner Heimatstadt weggehen zu dürfen. Ein Neuanfang, denn in der Uni kannte niemand mein früheres Leben - und interessierte sich nicht dafür. (Wirklich befreit hat mich das allein natürlich überhaupt nicht, was ich damals noch nicht wusste, war aber schließlich mein Einstieg in eines meiner Lebensthemen: „Tiefenpsychologie und Psychotherapie“, s.o.)

In meinen Vorstellungen habe ich die Erfahrungen mit Mädchen in meiner Kindheit und Jugend natürlich mit mir und den Gefährtinnen meiner Phantasien, Wünsche und seltenen holprigen Begegnungen so mit den Bildern von uns abgespeichert, wie wir jugendfrisch damals aussahen. Und Mädchen sind besonders hübsch in diesem Alter! Noch später wurde ich innerlich rot, wenn ich an diese Situationen dachte, so als wäre alles ganz frisch und spielte sich immer noch zwischen den unveränderten Gestalten aus meiner Vergangenheit ab. Weit gefehlt! Die damaligen Damen meines Herzens müssten mittlerweile auch alle mindestens 60 Jahre alt sein. Ich weiß Frauen dieses Alters durchaus zu schätzen, es gibt sehr kluge unter ihnen, mit einigen bin ich gut befreundet. Aber der erotische Liebreiz meiner Jugendtage ist dahin, auch bei mir, und sie lösen in mir freundschaftliche Gefühle aus, nur noch selten erotische wie in meiner Jugend! Dass niemand mich falsch verstehe: ich weiß Frauen außerordentlich zu schätzen, mit ihnen kann man meistens vernünftig reden, mit Männern ist das oft schon eher ein Kunststück…

Dieses Zurechtrücken meiner Erinnerungen auf die wirklichen Zeitläufe hat mich sehr befreit! Ich darf mich mit heutigen Augen betrachten und muss nicht mehr den schamvollen Blick meiner Kindheit und Jugend einnehmen. Das heißt aber auch, dass ich freier über mich und meine heutigen Gefühle entscheiden kann. Wer sollte mir das Alte noch vorwerfen, wenn ich selbst es nicht mehr tue! Das nenne ich einen echten Zugewinn an Freiheit und Lebensfreude und eine der wenigen wirklich angenehmen und positiven Chancen des Älterwerdens!


Sonntag, 22. Mai 2011

Mein Motto für den Monat Mai 2011: Der innere Schweinehund

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Der Monat ist schon nicht mehr ganz frisch ... Aber noch nicht zu Ende! Deshalb füge ich heute mein verspätetetes Monatsmotto an, gleichzeitig eine Absichtserklärung für folgende eifrigere Taten und Veröffentlichungen nach langer Pause.

Den Inneren Schweinehund überwinden ist das Geheimnis eines tätigen Lebens.

Könnte aus dem Volksmund stammen, jedenfalls nachempfunden.

Freitag, 8. April 2011

Vorbilder: Rolf Hochhuth


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Anfang April habe ich in der Zeitung gelesen, dass der streitbare Autor und Dramatiker Rolf Hochhuth 80 Jahre alt geworden ist. Es ist bekannt, dass sich Charakterzüge bei älteren Menschen verfestigen können, einige Menschen werden etwas starrsinnig, andere wunderlich. So berichteten die Medien vor einiger Zeit über eigenartige Querelen zwischen Hochhuth und dem Brecht-Theater in Berlin am Schiffbauerdamm. Ich weiß davon zu wenig und will mir kein Urteil erlauben.

Aber selbst wenn da einiges geschehen sein sollte, was vielleicht dem Alter geschuldet werden könnte, bleibt bei Hochhuth eine erstauliche Lebensbilanz und eine kritisch-engagierte Einstellung zu den Ereignissen in unserer Welt, die ich bewunderungswürdig finde. Deshalb mein kleiner Bericht unter der Rubrik "Vorbilder", in der ich besonders von mir geschätzte "Querdenker", die sich nicht anpassen und für ihre Ideale streiten, vorstellen möchte.

In der MOZ vom 1.4.11 fand ich eine kurze (durchaus kritische) Würdigung, aus der ich hier einige Passagen zitieren möchte:

Erfolgsautor und streitbarer Geist

Berlin (dpa/epd) Rolf Hochhuth schreibt immer noch und erregt sich auch im hohen Alter weiter über Unrecht in der Welt über "unser pervers gewordenes kapitalistisches System" - und manchmal auch über die Theater, die ihn nur noch wenig spielen. Der Dramatiker ("Der Stellvertreter") ist weiterhin erstaunlich kämpferisch, ein moderner Wutbürger mit sozialem Gewissen - auch wenn Hochhuth in den vergangenen Jahren nach einigen öffentlichen Auftritten, bei denen er sich äußerst streitbar zeigte, manchmal belächelt wurde. [...]

In dieser Würdigung werden noch verschiedene Themen genannt, die Hochhuth im Laufe seines Lebens an die Öffentlichkeit gebracht hat, indem er den Finger in noch nicht verheilte Wunden steckte und Diskussionen ins Rollen brachte: Das Schweigen des Papstes in der NS-Zeit zu den Juden-Morden, der Luftkrieg der Alliierten gegen die deutsche Zivilbevölkerung, die Karriere von NS-Richtern in der BRD (Hans Filbinger) und anderes mehr. Offenbar immer schon nach dem Motto "Viel Feind - viel Ehr"! Bewunderungswürdig!

Donnerstag, 7. April 2011

Das Labyrinth der Wörter

Eigentlich wollten meine Frau und ich nur einmal zur Entspannung ins Kino gehen und einen Film ansehen, der unterhaltsam, geistreich und möglichst nicht von der üblichen "aggressiven" Machart sein sollte. Aber wir hatten fast keine Vorinformationen.

Und dann hat mich "Das Labyrinth der Wörter" so fasziniert, dass ich ihm unbedingt einen blog-Beitrag widmen möchte: Der schwergewichtige Germain (Gérard Depardieu), etwa 50 Jahre alt, vom Leben und seiner chaotischen Mutter ziemlich mitgenommen und angesichts seiner schrecklichen Schulerlebnisse fast Analphabet geblieben, lernt die 40 Jahre ältere Margueritte (Gisèle Casadesus) kennen, die ihm von nun an bei ihren täglichen kurzen Treffen Auszüge aus ihren Lieblingsromanen vorliest. Sehr fremd für Germain, aber irgendwie gelingt es Margueritte, ihn in ihre Welt der Wörter und Bildung mit hinein zu ziehen. Er kann sich diesem Sog nicht entziehen. Die Wörter ergreifen Besitz von seinem Kopf und verändern ihn. Marguerittes Augen werden immer schwächer, da liest nunmehr Germain, der alle seine Kräfte zusammennimmt, ihr mit großer Anstrengung vor. Als sie eines Tages verschwindet, weil ihre Familie nicht mehr das verhältnismäßig teure Altersheim bezahlen will, macht sich Germain auf die Suche nach ihr ... Ein modernes Märchen, gleichzeitig eine Liebesgeschichte auf verschiedenen Ebenen, zwischen Germain und Margueritte, zwischen Germain und seiner liebevollen Partnerin und zwischen Germain und den Wörtern, die ihm einen neuen Zugang zum Leben eröffnen! Und ein unschlagbarer Beweis für den Wert von Bildung! An einer Stelle sagt Germain sinngemäß, früher - ohne die Wörter - habe er viel bequemer einfach so vor sich hin leben können, jetzt sei alles viel komplizierter, weil er über alles erst einmal nachdenken müsse ...

Unbedingt hingehen!!!