Donnerstag, 30. April 2009

Meine Lieblingszitate XXIII

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Ich habe nach einem würdigen Abschluss für diesen Monat gesucht und bin bei Wilhelm Busch fündig geworden. Immerhin habe ich das folgende Gedicht bereits seit dem 27.5.1980 in meiner Sammlung!


Die Selbstkritik hat viel für sich.
Gesetzt den Fall, ich tadle mich,
So hab´ich erstens den Gewinn,
Dass ich so hübsch bescheiden bin;
Zum zweiten denken sich die Leut,
Der Mann ist lauter Redlichkeit;
Auch schnapp´ich drittens diesen Bissen
Vorweg den andern Kritiküssen;
Und viertens hoff´ich außerdem
Auf Widerspruch, der mir genehm.
So kommt es denn zuletzt heraus,
Dass ich ein ganz famoses Haus.

WILHELM BUSCH


zitiert nach: Ludwig Klages: Ursprünge der Seelenforschung. Reclam-Heft Nr. 7514. S.20.

Meine Lieblingszitate XXII

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Nach all den schwerblütigen Einträgen der letzten Tage möchte ich jetzt wieder einmal ein Zitat bringen, das ich eher als „Schmetterling“ empfinde, der von Blüte zu Blüte fliegt und die Zuschauer erfreut!



Es ist wichtiger, dass jemand sich über eine Rosenblüte freut, als dass er ihre Wurzeln unter das Mikroskop bringt.


OSCAR WILDE


Gefunden im Ausstellungskatalog zur Bundesgartenschau Berlin 1985 auf S. 108.

Reminiszenzen: Jugend und Alkohol

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Meine beiden in den letzten Tagen hier aufgeführten Unterrichtstexte haben mich dazu ermutigt, weitere ältere Ausarbeitungen von mir in meinem blog zu veröffentlichen, bevor sie ganz in Vergessenheit geraten.

Wenn ich bedenke, dass der folgende Text bereits fast 25 Jahre „auf dem Buckel hat“, so sind seine Hauptaussagen – leider ! – immer noch sehr aktuell. Höchstens ist das Einstiegsalter für den Alkoholkonsum noch weiter heruntergegangen, betrinken sich mittlerweile auch immer häufiger Mädchen und hat sich durch das „Koma-Saufen“ die Gesamtsituation eher noch verschärft. Das führt aktuell zu bestürzenden Berichten und Statistiken von den akut in Kliniken eingelieferten Kindern und Jugendlichen, die in großer Regelmäßigkeit in den letzten Monaten in den Tageszeitungen erscheinen.


Veröffentlicht wurde der folgende Text erstmalig im Themenheft „Aufklärung über Alkohol“ von „miteinander leben lernen“, Zeitschrift für Tiefenpsychologie, Gruppendynamik und Gruppentherapie, 10.Jahrgang 1985, H.5., S. 22 – 26.


Jugend und Alkohol

Jürgen Lüder

Schon seit Jahren werden immer wieder alarmierende Berichte veröffentlicht, die den in erschreckendem Umfang anwachsenden Alkoholkonsum von Kindern und Jugendlichen aufzeigen. Ihre Auswirkungen auf das Bewusstsein der Allgemeinheit scheinen aber sehr gering zu sein. Wie eh und je preist die Werbung Alkohol mit Attributen wie „männlich“ und „erfolgreich“, Vorstellungen, die insbesondere Jugendlichen sehr imponieren.

Das Einstiegsalter zum Alkoholkonsum hat sich vorverlagert. Lag es in den 60ger Jahren noch bei zehn bis vierzehn Jahren, so heute bereits bei acht bis zwölf. Nach einer Untersuchung in Schleswig-Holstein sind 17% der Jugendlichen als starke Trinker anzusehen, d.h. ein Sechstel bewegt sich auf das mögliche Schicksal eines Alkoholabhängigen hin, eine Quote, die heute bereits in der UdSSR erreicht ist. Dort wurde der Alkohol zum „Staatsfeind Nr. 1“ erklärt.

Neueste Zahlen aus Berlin weisen in eine ähnliche Richtung. Danach sind 9% der Zehntklässler als akut alkoholgefährdet anzusehen, weitere 13% neigen zu starkem Konsum, und nur 6% leben abstinent. Die Verfasser der Berliner Studien vermuten, dass es sich bei den Vieltrinkern um Jugendliche handelt, „die Formen passiven Protestes praktizieren, … weil sie aus Resignation, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, wegen empfundener Sprachlosigkeit, Kommunikationsverlust, Entfremdung und Lieblosigkeit, die sich in der Gesellschaft ausbreitet, glauben, anders nicht durchhalten zu können“ (1).

In diesem Aufsatz soll genauer der Frage nachgegangen werden, wie es zu dieser starken Bedeutung von Alkohol für Jugendliche gekommen ist, was ihr Trinkverhalten prägt und wer besonders gefährdet ist. Ein allgemeiner Ausweg aus dieser Misere erscheint z.Zt. utopisch, jedoch sollen abschließend einige Hinweise versucht werden.

Volksdroge Alkohol

Trotz dieser beunruhigenden Zahlen wäre es ein Irrtum, im Alkohol ein spezielles Jugendproblem zu sehen, eher schließen sich diese einem gesellschaftlichen Trend an, nachdem die Zeit des Protestes Anfang der 70ger Jahre, in denen viele Jugendliche andere Drogen bevorzugten, abgeklungen ist.

Alkohol ist unsere Volksdroge, deren Verbrauch sich in den letzten 30 Jahren vervierfacht hat. Gesellschaftlich anerkannt, als Genussmittel und Seelentröster geschätzt, von der Werbung mit verlogenen Werten bedacht, ein Wirtschaftsfaktor ersten Ranges, an dem auch der Staat Milliarden verdient, wird seine Wirkung allgemein verharmlost. Nur die Alkoholkranken werden als „willensschwach“ und „charakterlos“ ausgegrenzt, obwohl ihre Zahl mittlerweile bei zwei Millionen, darunter 10% Jugendliche, liegen dürfte. Aber: „Krank sind immer die anderen“, und wie schal wäre für viele Menschen das Leben ohne Alkohol! Feiern, Geselligkeit, Freizeit und Fernsehen sind für sie mit Alkoholkonsum gekoppelt, er verhindert Langeweile, hilft beim Einschlafen, gibt morgens „Schwung“, ein vermeintlicher Tröster und Stimmungsaufheller für alle Lebenslagen, für viele auch am Arbeitsplatz.

Der durch Alkohol geglättete Seelenfrieden ist aber sehr brüchig, hinter ihm lauern Einsamkeit, Verunsicherung, Ängste und Depression, der Verlust an echten Werten und Zielen, für die es sich nüchtern, unter Einsatz aller Kräfte, einzusetzen lohnte. Erich Fromm sieht im Konsumenten den „ewigen Säugling“, der nach der Flasche schreit und nicht erwachsen werden will. Denn dies hieße, sich mit Kummer und Leid auseinanderzusetzen, Langeweile durchzustehen und echte Kommunikation zu Menschen zu suchen, ohne den bequemen Weg zu gehen und alle Schwierigkeiten gleich mit Alkohol wegzudämpfen oder die Stimmung künstlich anzuheben. Auch der Verlust an Familientraditionen, durch die früher das Trinken stärker ritualisiert war, und das allgemein erleichterte anonyme Kaufen von Alkoholika dürften eine Rolle spielen.

So wachsen Kinder in eine Welt hinein, in der Alkoholkonsum weitgehend selbstverständlich ist. Wer ihn hinterfragt, gilt eher als Sonderling.


Entwicklung des Trinkverhaltens

Lernprozesse zur Übernahme von Selbstverständlichkeiten laufen zumeist unbewusst oder jedenfalls ohne absichtliche Planung ab. So wird die Einstellung zum Trinken bei Kindern durch das Vorbild der Eltern geprägt, lange bevor sie selbst erstmalig Alkohol zu sich nehmen. Wenn der Vater stets beim Fernsehen sein Bier trinkt, wird sich in ihnen die Anschauung ausbreiten, zu einem gemütlichen Abend gehöre unverzichtbar Alkohol. Und da das Verhalten der Erwachsenen zur Nachahmung reizt, werden sie neugierig sein, selbst auszuprobieren, was am Biertrinken so erwachsen ist.

Später setzt auch eine mehr bewusste Erziehung ein, häufig verbunden mit religiösen Festen wie Konfirmation oder Firmung. Der Jugendliche gilt jetzt schon als halber Erwachsener und wird in deren Welt eingeführt, indem er an ihren Genüssen teilhaben darf. Alkohol bei derartigen Gelegenheiten könnte man fast als „Initiationsritus“ bezeichnen.

Zunehmende Bedeutung gewinnen dann die peer groups der Gleichaltrigen, in denen oft Alkoholgenuss eine wichtige Rolle spielt und die sozialen Druck zur Anpassung auf alle ausüben, die sich zugehörig fühlen möchten. In dieser labilen Phase zwischen Kindheit und Erwachsenenalter, in der die Jugendlichen noch keine feste Identität gefunden haben, dient Alkohol leicht zur Antizipation der Rolle, erwachsen und evtl. männlich zu sein. Wer viel trinkt, kann Anerkennung finden und seinen Status verbessern. Gesellschaftlich wird dies noch gestützt, wenn man bedenkt, dass in vielen Gaststätten und Discos Bier immer noch das billigste Getränk ist.

Weiterer sozialer Druck in Richtung Alkoholkonsum entsteht oft für den Jugendlichen beim Eintritt ins Arbeitsleben, wenn er sich dem Trinkverhalten der Kollegen anzupassen versucht.

Ist der anfängliche Grund des Trinkens oft Neugier oder der Wunsch nach Geselligkeit, so kann der Jugendliche dann aber entdecken, dass sich viele Schwierigkeiten, die mit seiner altersgemäßen Entwicklung und den für ihn ungelösten Problemen von Arbeit, Liebe und Freundschaften, aber auch mit den Widersprüchen unserer Gesellschaft zusammenhängen, durch Alkohol wegdämpfen lassen: „Angst vor einer unsicheren Zukunft ohne Berufsausbildung und Arbeit, Angst vor dem Leistungsdruck in der Schule, Langeweile und das Gefühl der Sinnlosigkeit lassen sie nach dem Vorbild der Eltern zur Flasche greifen. So kommen sie ‚schneller über den Berg’, wie es ihnen die Werbung verspricht“ (2).


Erziehung zur Sucht

Alle Jugendlichen, die so den Alkohol wiederholt zur Spannungsminderung brauchen, um Erleichterung gegenüber Ängsten, Hemmungen und Problemen zu finden und ihre Stimmung zu verbessern, sind als Problemtrinker besonders gefährdet, abhängig zu werden. Als kritisches Alter gelten die Jahre von 14 bis 16, besonders dann, wenn der erste Rausch schon vor dem 12. Lebensjahr erlebt wurde. Bedenken muss man hier auch körperliche Faktoren: Ein Erwachsener mag zehn Jahre lang im Übermaß Alkohol trinken, bis er abhängig wird, bei dem noch weniger widerstandsfähigen Organismus eines Jugendlichen genügt bereits ein halbes bis ein Jahr zur Suchtentwicklung.

Betrachtet man den familiären Hintergrund solcher Jugendlicher, so finden sich in ihrem Leben gehäuft folgende Schwierigkeiten: Stark gefährdet sind Jugendliche aus Alkoholikerfamilien, wobei eine trinkende Mutter einen besonders schädigenden Einfluss auf ihre Kinder hat. Oft stammen sie auch aus „Broken-home-Situationen“, unvollständigen Familien, in denen sie wenig Geborgenheit und verlässliche Beziehungen erleben konnten.

Entscheidenden Einfluss scheint aber das emotionale Klima in der Familie zu haben. Gibt es den Kindern keinerlei Möglichkeiten, Konflikte eigenständig zu bewältigen, sei es durch übergroße Strenge oder andererseits durch eine sich überbesorgt oder extrem permissiv verhaltende Mutter, so entwickeln „Jugendliche … aufgrund einer derartigen Erziehungshaltung ihrer Mütter das Unvermögen, ihr eigenes Leben strukturierend in die Hand zu nehmen, sie verfallen statt dessen in eine ‚resignative Passivität’“ und können nicht „in effektiver Weise anstehende Probleme … lösen. Als möglichen Ausweg sehen sie dann Alkoholisierung, die ihnen einen vermeintlichen Fluchtweg aus der feindlichen Realität ermöglichen soll“ (3).

Viele der aufgezeigten Gefährdungen lassen sich im folgenden Fall wiederfinden.


„Hau ab, du Flasche!“

Ann Ladiges schrieb dieses Jugendbuch, in dem die „Karriere“ eines Jungen gezeichnet wird, der sein Leben durch Alkohol zerstört (4).

Roland ist ein Einzelkind, das die besorgte Mutter verzärtelt und auch später deckt, während der Vater ihn wegen seiner Weichheit verachtet. Mit „hau ab, du Flasche!“ weist er ihn von sich, als der Sechsjährige Angst hat, hinter einem gleichaltrigen Mädchen im Schwimmbad gleichfalls vom Drei-Meter-Brett zu springen.

Alkohol spielt eine große Rolle in der Familie, in der es häufiger zwischen den Eltern kriselt. Der Vater betrinkt sich bei Kollegentreffen und konsumiert sein Bier beim Fernsehen, während die zu Depressionen neigende Mutter „rote Pillen“ schluckt und häufiger morgens ihren Sekt braucht, „um in Schwung zu kommen“.

Mit dem auf einer elterlichen Party stehengebliebenen Alkohol berauscht sich der Siebenjährige erstmalig, die Mutter hatte ihn schon manchmal vom Sekt nippen lassen. In der Schule spielt er anfangs den Klassenclown und hat keine Freunde. Als Roland 13 ist und in die 7.Klasse geht, verführt ihn der angeberische, von allen bewunderte Buddy zum Schnapstrinken. Roland stiehlt für ihn eine Flasche, um seine Anerkennung zu gewinnen. In der Folge beginnt Alkohol für ihn eine immer beherrschendere Rolle zu spielen, was er aber lange vor den Eltern verheimlichen kann. Auf diesem Weg wird er immer schlechter in der Schule, beginnt zusammen mit Buddy zu schwänzen, braucht schließlich auch während der Unterrichtszeit seinen „Flachmann“ und bestiehlt Eltern und Kaufleute, um sich Nachschub an Alkoholika zu verschaffen. Durch die Freundschaft zu einem Mädchen kann er sich zeitweilig fangen, auch ein verständnisvoller Lehrer bemüht sich um ihn, schafft es aber nicht, Roland und seine Eltern vom Ernst der Situation zu überzeugen und sie zum Besuch einer Beratungsstelle zu bewegen.

Besonders krisenhaft sind für Roland Problemsituationen, in denen er etwas leisten müsste. So scheitert er an dem Vorhaben, für seine Freundin zum Geburtstag eine Figur zu töpfern, und flieht stark angetrunken von ihrer Party. Kurz vor seinem 17. Geburtstag weist ihn der Vater nach einem Diebstahl aus der Wohnung. Roland betrinkt sich so stark, dass er als „hilflose Person“ zum Entzug in eine Klinik eingewiesen werden muss. Die aufgeschreckten Eltern gehen auf seinen Wunsch ein, die Schule zu verlassen. Der Vater vermittelt ihm als „letzte Chance“ ein Bewerbungsgespräch in einem Foto-Geschäft. Am Tag vor dem Vorstellungstermin trifft Roland noch einmal die beiden Menschen, die in seinem Leben Hoffnung und Niedergang verkörpert hatten: den hochgeschätzten Lehrer, der ihn auf seine Verantwortung für sich selbst und ein Leben ohne Alkohol hinweist – und Buddy. Buddys Einfluss ist stärker; beide betrinken sich erneut, und Roland versäumt die Vorstellung.


Veränderungsmöglichkeiten

Alkoholkonsum ist so stark mit unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit verbunden, dass eine baldige vernünftigere Einschränkung kaum zu erwarten ist. Die Vermeidung eines weiteren Anstiegs wäre bereits ein Gewinn. Langfristig könnte Schweden ein Vorbild sein, mit Lizensierung des Verkaufs und Werbeverbot, Ziele, an die sich z.Zt. in unserem Land kaum ein Politiker herantraut.

In kleinerem Rahmen können aber durchaus Eltern und Erzieher einen Beitrag zu einer positiven Konsumerziehung der Jugend leisten, indem sie ihr eigenes Trinkverhalten reflektieren und den Kindern vorleben, dass es gerade mit weniger Alkohol sinnvolle Freizeit, Geselligkeit und Freude am Leben geben kann. Ermutigen sie die Kinder zu einer eigenständigen Lebensführung ohne Ausweichen vor Auseinandersetzungen und Schwierigkeiten, so werden diese auch außerhalb der Familie sinnvolle Möglichkeiten erkennen und leichter den Verführungen des Alkohols widerstehen können, denn „wer sein Leben sinnvoll empfindet, braucht kein Suchtmittel“ (5).


Literatur

(1) Studie der FU Berlin, zit. Nach Psychologie Heute 1985, H.6, S. 11.
(2) Ann Ladiges , Schneller über den Berg? Klasse Sept./Okt. 1978, S. 10.
(3) K.J. Kluge u. B. Strassburg, Wollen Jugendliche durch Alkoholkonsum Hemmungen ablegen, Kontakte knüpfen bzw. ihre Probleme ertränken?, Praxis der Kinderpsychologie 1981, S. 31.
(4) Ann Ladiges, Hau ab, du Flasche!, Reinbek 1978.
(5) Ulrich Klein, Lehrer und suchtgefährdete Schüler, Praxis der Kinderpsychologie 1980, S. 302.

Wolfgang Geißler, … damit alles ein bisschen leichter wird, Weinheim 1981.

Mittwoch, 29. April 2009

Dinosauria II

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Geschützte und eingetragene Wortmarken des Deutschen Patent- und Markenamts


Waren das noch Zeiten! Aber aus heutiger Sicht offensichtlich ganz hinterwäldlerisch!


Sigmund Freud schenkte der Nachwelt sicherlich nicht den Begriff „Unbewusstes“, denn dabei baute er schon auf Vorläufern auf, aber sein „Ödipus-Komplex“ und die „Übertragung/Gegenübertragung“ dürften seine Schöpfungen sein, so wie Alfred Adler den „Lebensstil“ und das „Gemeinschaftsgefühl“ kreierte. In anderen Wissenschaftsbereichen bin ich nicht so firm, aber „Relativitätstheorie“ dürfte doch auch das sprachliche Werk von Albert Einstein sein. Die Bücher, in denen diese Begriffe erstmalig standen, waren sicherlich schon damals durch „Copyright“ geschützt und dadurch eine Quelle von Tantiemen für ihre Autoren. Die Begriffe aber waren ein Geschenk an die Allgemeinheit, durften zur Diskussion und Weiterentwicklung benutzt werden. Welch eine Bestätigung für die Autoren, wenn viele andere sich ihrer bedienten!!


So etwas ist aber in unserer ökonomisierten Welt nicht mehr „up to date“! Ein Autor, der heute etwas auf sich hält, lässt sich offenbar seine Wort-Neubildungen schützen und behält sich damit jede weitere wirtschaftliche Nutzung vor.


Jedenfalls habe ich das in dem Buch „Psychovampire“ der beiden Autoren Hamid Peseschkian und Connie Voigt (orell füssli Vlg., Zürich 2009) entdeckt, einer von vielen Bänden zum Thema „Lebenshilfe und Selbsterkenntnis mit therapeutischem Hintergrund“.


Dort findet sich im Impressum die folgende

„Anmerkung: Bei dem Begriff „Psychovampir“ handelt es sich um eine geschützte und eingetragene Wortmarke beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 30648124.3/20 und gilt für Veröffentlichungen jeder Art in Deutschland, der Schweiz sowie Großbritannien. Markeninhaber sind die beiden Autoren.“ (a.a.O.S.4)


Ich hoffe sehr, dass ich mit diesen Zitaten, rechtschaffen angefertigt, so wie ich es gelernt habe, diese „Markenrechte“ noch nicht verletzt habe …


Ich habe bereits vor Jahren eine Erfahrung gemacht, die mir im Zusammenhang mit diesem Buch wieder eingefallen ist und die einige Ähnlichkeiten aufweist:


In Fürstenwalde gibt es in jedem Jahr eine wundervolle Ausstellung von Kunstwerken behinderter Menschen, die mittlerweile traditionsreiche „Ermutigung“. Sie wird ausgerichtet von den “Format-Werkstätten“ für Behinderte der hiesigen AWO, eine sehr verdienstvolle und auch ästhetisch anspruchvolle und beeindruckende Veranstaltung! Wer von meinen Lesern/Innen hier aus der Region ist, könnte sie aktuell bis zum 27.5.2009 in der Aula der Erich-Kästner-Schule (Schule mit dem sonderpädagogischen Förderschwerpunkt „Lernen“) besuchen.


Vor vielen Jahren trug sich meine Frau mit der Idee, eine Selbsthilfegruppe aufzubauen als Unterstützung für unseren Umgang mit unserem behinderten Sohn. (Hat leider in unserem Ort damals nicht geklappt.) Und weil sie die Kunstausstellung so aufbauend und bestätigend für behinderte Menschen und ihre Angehörigen fand, wollte sie für ihre zukünftige Gruppe ebenfalls den Namen „Ermutigung“ wählen, vielleicht von der Wortwahl her nicht sehr originell, inhaltlich aber sehr auf die möglichen Themen einer solchen Gruppe zugeschnitten und für die Organisatoren der Ausstellung doch auch eine Bestätigung, wie gut ihr Konzept aufgenommen worden war. Diese Absicht muss bekannt geworden sein, denn wenig später erhielt meine Frau einen Brief vom Geschäftsführer der Trägerorganisation der Ausstellung mit der Aufforderung, diese Namenswahl unter Androhung rechtlicher Schritte fallen zu lassen. Die AWO habe sich den Begriff „Ermutigung“ amtlich schützen lassen.


Mich hat das damals ziemlich erbost, weil ich als alter Anhänger der Individualpsychologie mehr über die Begriffsgeschichte dieses Wortes wusste: „Ermutigung“ ist einer der Kernbegriffe seiner Form von Psychotherapie, die Alfred Adler am Anfang des 20.Jahrhunderts in vielen Veröffentlichungen vorgestellt hat. Sein Schüler Rudolf Dreikurs (Mitverfasser des klassischen Eltern-Beratungsbuches „Kinder fordern uns heraus“) machte ihn geradewegs zum Zentrum seiner Erziehungslehre. Von ihm und seinem Mitarbeiter Dinkmeyer erschien in den 70ger Jahren das Buch „Ermutigung als Lernhilfe“ im Klett-Vlg. Wenn schon jemand „Anspruch“ auf diesen Begriff hätte, dann doch wohl die Dreikurs-Leute! (Sie haben aber damals weise darauf verzichtet – oder waren noch nicht so klug wie wir Heutigen…)


„Abgekupfert“ sind viele Begriffe, aber dann noch Tantiemen daraus ableiten? Da regt sich in mir ein ganz großer Widerwille. Geistige Schöpfungen (und was ist ein Begriff sonst, der sich im Rahmen einer kulturellen Situation allmählich herausgebildet hat) wie „Waren“ zu betrachten, finde ich abartig, da bin ich ein Purist. „Coca Cola“, „Langnese“, „Chiquita“, „Adidas“ und wie alle die unsäglich vielen „Marken“ heißen, habe ich in meinem Weltbild als mittlerweile wohl unvermeidliche kommerzielle Größen gesehen, die sich in unsere Gehirne eingefressen haben (dabei ist ihre Entwicklung noch sehr neuzeitlich, denn vor 100 Jahren war Kaffee im Kolonialladen noch einfach “Kaffee“ und nicht „Tschibo“ oder „Markus GOLD“!). Dass ich jetzt offenbar auch eine Markenbildung im geistigen Bereich ertragen muss, zeigt mir an, wie die allseitige Ökonomisierung unseres Lebens und unserer Gesellschaft voranschreitet. Armes Abendland… (bzw. was davon noch übrig ist …)

Dienstag, 28. April 2009

Reminiszenzen an meinen Unterricht : Einsatz von Deutungen: Möglichkeiten und Gefahren

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Praxis der Menschenkenntnis: Einsatz von Deutungen: Möglichkeiten und Gefahren

Wie bereits gestern, möchte ich auch heute mit diesem Eintrag ein altes Manuskript aus meiner Dozententätigkeit durch die Veröffentlichung hier im blog „retten“. Es stammt aus dem Februar 1993, ganz zu Beginn meiner Tätigkeit in der Heilpädagogen-Ausbildung in der Fachschule in Fürstenwalde. Ich habe damals versucht, meine tiefenpsychologischen und therapeutischen Kenntnisse auf die Praxis meiner erwachsenen Schülerinnen und Schüler zu übertragen.

Wir kamen dabei u.a. zu der Fragestellung, in welcher Form und mit welcher Legitimation eine Heilpädagogin Eltern ihre Einschätzung über die Ursachen und möglichen Beeinflussungsmöglichkeiten bei Verhaltensproblemen der Kinder mitteilen darf. Im Sinne einer analytischen Kindertherapie wäre so etwas eine „Deutung“. Aber auch ein „Nicht-Therapeut“ im Erziehungsalltag hat Ansichten, Einsichten, Vorstellungen, die für sein Gegenüber sehr wertvoll sein können, wenn sie auf einer gesunden „Menschenkenntnis“ und fundierten Beobachtungen beruhen. (Nicht ohne Grund trägt eines der Bücher von Alfred Adler diesen Titel!) Lernen kann er aber von Therapeuten insbesondere etwas über die Feinfühligkeit, mit der derartige Bemerkungen gemacht werden sollten, um vom Gegenüber akzeptiert werden zu können.

Daran hapert es offensichtlich häufiger. Eine der Mütter aus dem Kurs, zukünftige Heilpädagogin, wusste davon „ein Lied zu singen“. Eines ihrer eigenen Kinder im Kindergarten verhielt sich in der letzten Zeit etwas auffällig. Ein Betreuer klärte sie darüber auf, dass ihr Kind nur deshalb so schwierig sei, weil es gerade ein weiteres Geschwisterchen bekommen habe, machte aber keine Hilfsangebote. Sachlich war daran vermutlich wenig zu rütteln, aber sie fühlte sich durch den Tonfall verletzt, zumal sie ja auch „vom Fach“ war und ähnliche Gedanken auch schon selbst gehabt hatte.

Dieses Beispiel nahm ich damals zum Ausgangspunkt für meinen kleinen Vortrag:

Unser Thema hat sich entzündet an dem Beispiel von Frau Z., die sich über eine deutende Äußerung eines Erziehers im Kindergarten aufregte. („Ihr Sohn reagiert jetzt so, weil Sie ein weiteres Kind gekriegt haben.“)

Ich habe dabei herausgehört, dass vermutlich folgende Gründe für den Ärger mitgespielt haben:

(a) ist es eine „platte“ Interpretation nach Schablone, die gern einfach so angewendet wird. Ich bin aber nicht nach Schablone zu verstehen, mein Kind auch nicht, die Verhältnisse sind komplizierter. Aber das versteht dieser Mann nicht!
(b) Irgendwie klingt auch ein Vorwurf dabei mit durch, als hätte ich mein Kind mutwillig in eine schwierige Situation gebracht. Aber was soll ich denn anders tun?

Stimmt das so?

Missbrauch von Deutungen:

Wissen oder als Wissen Angenommenes (Vermutungen, Halbwissen, das zur „Wahrheit“ stilisiert wird) können regelrecht zur Kampfmethode im Umgang mit Eltern gemacht werden:
Mögliche „begleitende“ Botschaften könnten sein:

- Sieh her, wie klug ich bin – im Gegensatz zu dir, denn du verstehst dich ja selbst nicht. ( = du bist dumm!)
- Siehst du, du brauchst mich, weil nur ich kapiere, was mit dir los ist.
- Wie konntest du nur so etwas machen? Muss das sein? Siehst du nicht, was du angerichtet. hast?
- Ich habe recht, du hast unrecht.

Damit dürfte dann eine erquickliche Zusammenarbeit beendet sein.


Verantwortungsvoller Gebrauch von Deutungen:

Auch wenn wir keine Therapeuten sind, können wir von ihren Grundsätzen lernen, wie sie mit Deutungen umgehen, nämlich sehr sparsam!

- Ein Therapeut wird seinen Klienten dabei unterstützen, wie auch immer nur möglich, seine Lebenssituation selbst zu verstehen.
- Wenn der Klient dabei zu einer eigenen Deutung kommt („Jetzt habe ich endlich verstanden…“), so ist dies sicherlich die günstigste Möglichkeit, weil sie dann auch gefühlsmäßig vom Klienten mitgetragen wird und akzeptiert werden kann. Diese Form bringt am meisten!
- Wenn er aber doch Interpretationen/Deutungen bringt, wird er dies wahrscheinlich in einer der folgenden Formen tun, die auch eine Ablehnung ohne Gesichtsverlust ermöglichen, z.B.

(a) als Frage: „könnte es sein, dass …“ oder
(b) als Formulierung einer eigenen Wahrnehmung: „Als ich von ihnen hörte, ging mir
. durch den Kopf / habe ich erlebt / gesehen … / dass… Ist da etwas dran?

==> So bleibt dem anderen die Freiheit, sich verstanden zu fühlen oder diese Möglichkeit abzulehnen ohne deshalb schlechter dazustehen . Die Deutung bleibt ein Angebot.

- Entscheidend für die Akzeptanz der Deutung ist dabei das Gefühl des Klienten, nicht die „objektive Wahrheit“: egal, wie „richtig“ eine Deutung ist, sie wird beim Klienten nur dann etwas positiv verändern, wenn er sie gefühlsmäßig sich zu eigen machen kann.

- Wie kann es dabei zu einer Ablehnung der Deutung kommen?

(a) Entweder liegt sie ganz falsch und löst im Klienten gar keine Gefühle aus („kann nichts mit anfangen“) oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden.

(b) Oder die Deutung ist inhaltlich schon berechtigt, zielt aber auf eine Wunde, die unbewusst noch geschützt werden muss. ==> Dann ist die Zeit für diese Interpretation noch nicht gekommen, denn sie kann noch nicht verarbeitet werden.

Es ist also ein sehr behutsames Vorgehen gefordert!

Wie können wir unser Wissen nutzen?

==> für ein angemessenes Verhalten gegenüber dem Kind oder den Eltern (was braucht es
wirklich, was kann ich ihm geben)

==> Verständnis hilft Wege suchen, wie man Eltern und Kinder zur Mitarbeit gewinnen . kann (sich nicht zu den besseren „Ersatzeltern“ hochstilisieren!)

==> immer im Bewusstsein behalten, dass unsere Einsichten nur Arbeitshypothesen sind, die . wir immer wieder überprüfen müssen!

(In meinem Original-Manuskript als Word-Dokument hatte ich alles etwas schöner eingegeben, diese bessere graphische Anordnung des Textes hat aber leider nicht die Übertragung auf den vom Schreibprogramm her viel schlichter gestrickten blog überstanden, sorry!)

Montag, 27. April 2009

Reminiszenzen an meinen Unterricht: Spuren der Kindheit

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Beim Aufräumen meiner alten Schulunterlagen habe ich Manuskripte von mir gefunden, die mir immer noch gefallen und die ich deshalb hier auf meinem Blog aufbewahren möchte. Der folgende Text stammt aus dem Januar 1999.


Wie unsere Kindheit in uns weiterwirkt bzw. welche Spuren unsere Eltern in uns hinterlassen


Im positivsten Falle

haben wir von unseren Eltern viel mitbekommen (Liebe, Bestätigung, Ermutigung, Ermöglichung von Lebensperspektiven); dann sind wir ihnen weiterhin verbunden, aber frei in unserer Persönlichkeit und Lebensführung.


Wir fühlen uns tüchtig und kompetent, sind innerlich stabil und können auf uns selbst zählen und einen eigenen Weg gehen. Das macht die innere Freiheit aus, d.h. unsere Wahlmöglichkeit in jeder Lebenssituation, die Verhaltensalternative zu ergreifen, die uns selbst – aus eigener Entscheidung – für die richtige dünkt.


Im negativen / negativeren Fall

bleiben wir an unsere Eltern gebunden, im Sinne von: wir behalten einen hohen Grad an Kindlichkeit und werden nicht richtig erwachsen.


Dafür ein erstes Bespiel: Wir leben weiterhin im Blick auf die Eltern, die u.E. uns entweder zu sehr eingeengt haben oder uns bitte (der Wunsch kann auch eindrücklicher ausgedrückt werden) endlich die Zuneigung und Liebe geben sollten, die uns so bitter in der Kindheit gefehlt haben. „Wenn ihr anders gewesen wärt, dann könnte ich …“ (weniger Ängste haben, weniger Hemmungen haben, mutiger sein, weniger Unsicherheiten zeigen …). Viele Menschen laufen ihr ganzes Leben mit solchen Haltungen herum, die ihnen als Begründung dienen, dass sie für ihr eigenes Verhalten oder ihre Versäumnisse ihrer Meinung nach nur bedingt oder gar nicht verantwortlich sind. Und hoffen – manchmal trotz vieler „Backpfeifen“ – immer noch, dass ihre greisen Eltern dies vielleicht eines Tages doch noch tun und sich für ihre Versäumnisse entschuldigen … (auch wenn sie vielleicht schon längst gestorben sind …). Damit bleiben die Betroffenen irgendwie immer auf einer kindlichen Entwicklungsstufe stehen und verweigern sich selbst eine selbstverantwortliche erwachsene Lebensführung.


Das andere Beispiel: Andere Menschen bewahren sich den Trotz ihrer frühen und späteren Kindheit, den sie damals vielleicht gegen die übermäßige Strenge und die fehlende Einfühlsamkeit der Eltern gegenüber kindlichen Bedürfnissen entwickelt hatten.


Das führt dann zu einer generellen Anti-Haltung gegenüber den Eltern. Alles, was diese jemals gesagt haben, muss von mir gegenteilig beantwortet werden; ich mache immer etwas, was mich von ihnen abhebt.

Auch das ist kein Zustand von Freiheit! Denn nicht mehr die Situation gibt mir vor, die für mich angemessenste Reaktion zu wählen (die erwachsene Variante in Eigenverantwortlichkeit), sondern der Blick auf das (jetzige oder frühere) Verhalten der Eltern, von dem ich mich abheben will, um mir „meine Freiheit“ von ihrem Zwang zu beweisen. Auch so bleibe ich dauerhaft gebunden und finde zu keiner eigenständigen Lebensführung.


Es ist wie bei Ehepartnern oder getrennten Partnern im Clinch: Solange ich mit dem anderen kämpfe, bin ich nicht wirklich frei. Denn Kampf setzt im gewissen Sinne Nähe voraus, auch wenn diese alles andere als angenehm und befriedigend sein dürfte.

Meine Lieblingszitate XXI

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Eure Kinder sind nicht euer Besitz. Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selbst. Sie kommen durch euch, aber nicht von euch. Ihr könnt ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken. Ihr könnt ihren Körpern ein Zuhause geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre Seelen wohnen in dem Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen. Wenn ihr wollt, könnt ihr euch bemühen zu werden wie sie, aber ihr dürft sie nicht dahin bringen wollen, zu werden wie ihr, denn das Leben geht nicht rückwärts und hält sich nicht auf beim Gestern.

Chalil Dschibran

1883 – 1931
Persischer Dichter

In dieser Form lernte ich dieses berühmte Zitat/Gedicht kennen. Ich fand es 1978 in dem Buch von M. Borchert: Erziehen ist nicht kinderleicht. Fischer-Tb. 1870. S. 7.

Ich kenne mittlerweile auch andere Übersetzungen dieses Textes, auch mit anderer Transkription des Namens („Khalil Gibran: Der Prophet"), diese Variante des Textes gefällt mir jedoch am besten, deshalb zitiere ich nur sie.

Meine neue Rubrik! - Dinosauria I


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Eines meiner ursprünglichen Ziele beim Verfassen dieses Blogs war es, auf Veränderungen im Denken und in der Lebensführung aufmerksam zu machen, die der jungen Generation gar nicht mehr auffallen. Das ist wahrscheinlich völlig normal, denn die Jungen erleben die Welt ganz selbstverständlich so, wie sie jetzt ist, nicht als geschichtlichen Prozess. Es ist Vorrecht und Fluch von uns „Dinosauriern“, durch unsere doch schon längere Lebensgeschichte mit einer anderen „Brille“ auf die Ereignisse zu sehen und bereits mehr als einen „Zeitgeist“ kennen gelernt zu haben.


Ich will da gar nicht weit in meiner Geschichte zurückgehen. Das folgende Beispiel ist sicher für jeden nachvollziehbar: Vor 16 Jahren nahm mich gelegentlich ein Kollege aus Berlin zu unserer Schule in Fürstenwalde mit dem Auto mit und zeigte mir dabei sein mobiles Funktelefon (so hieß es wohl damals noch). Es war noch recht unförmig, erinnerte mich an „Walkie-talkies“ von Polizisten, bei denen ich bis zu diesem Zeitpunkt ausschliedßlich derartige Geräte gesehen hatte. Mir leuchtete ein, wie praktisch dieses Gerät sein müsste, um bei einem der damals ständigen Staus auf der Autobahn rechtzeitig in der Schule Bescheid sagen zu können, dass wir später kämen. Heute haben ja schon fast Kindergartenkinder ihr eigenes Handy, für Schüler ab einer bestimmten Altersstufe jedoch dürfte sein Besitz mittlerweile aber wirklich ein soziales „Muss“ sein, um in irgendeiner Weise sich zugehörig fühlen und auch die üblichen Kommunikationsformen einhalten zu können. (Hilfe! Wer bringt mir bei, wie man SMSs schreibt?! – Sie reizen mich überhaupt nicht, aber gelegentlich scheint es erforderlich zu sein, diese Technik zu beherrschen – und das mit den groben Pfoten eines Dinosauriers!)


Kann ein Jugendlicher sich eine Zeit ohne Handys vorstellen? Ich glaube nicht. Die „Handysierung“ der Gesellschaft ist in einem atemberaubenden Tempo abgelaufen, flächendeckend, schneller als alle anderen technischen „Aufrüstungen“, die ich seit meiner Kindheit nach dem II.Weltkrieg miterlebt habe: Die Selbstverständlichkeit, ein Auto zu besitzen, Kühlschrank und Waschmaschine, Telefon und Fernsehen, auch einen Computer, das lief m.E. alles in langsameren Bahnen ab.


Aber nicht nur die technischen Geräte haben sich entwickelt, auch die Sprache ist anders geworden, wie ich finde, nicht gerade immer zu ihrem Besten. Das meine ich weniger aus ästhetischen Gründen, sondern weil z.T. massiv an ihren Inhalten „gedreht“ wurde. Wenn ich allein daran denke, mit welchem Verständnis für das Wort „Reform“ ich aufgewachsen bin und welche unsäglichen Versuche unternommen worden sind, gesellschaftliche Schrumpfprozesse wie die Veränderungen durch HARTZ IV der Bevölkerung als „Reform“ zu verkaufen, überkommt mich ein Grausen.


In dieser Rubrik will ich zukünftig eigene Erlebnisse und Überlegungen aufschreiben, die mit derartigen Veränderungen verbunden sind. Dabei möchte ich mich bemühen, nicht ungerecht zu sein und die Vergangenheit zu verklären. Wenn ich z.B. daran denke, wie hart in meiner Jugend junge Männer darum kämpfen mussten, um als Kriegsdienstverweigerer anerkannt zu werden, hat sich vieles sehr positiv verändert.

Donnerstag, 23. April 2009

Noch einmal: mein Leserbrief an Ver.di-Publik

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Am 22. März 2009 veröffentlichte ich an dieser Stelle einen Leserbrief an Ver.di-Publik, weil ich mich über die fehlende Ankündigung der großen Demonstration vom 28.3. in der Zeitungsausgabe 3/09 aufgeregt hatte. Auch die DGB-Demonstration vom 16.5. wurde noch nicht erwähnt. Stattdessen hatte es nur einen eher „lauen“ Beschwerdeartikel über Berater der Politik gegeben, die maßgeblich früher zur Vorbereitung des „Crashs“ beigetragen hatten, dann aber als „Experten“ wieder auftauchten, um seine Folgen zu beseitigen/ zu glätten (um weitermachen zu können wie bisher … ).

Dieser Leserbrief ist auszugsweise jetzt tatsächlich in Ver.di-Publik 4/09 veröffentlicht worden (S. 14)! Allerdings fehlen alle meine Hinweise auf die bevorstehenden Demonstrationen und mein Ärger über die nicht erfolgte Mobilisierung der Leser. So bekommen meine Aussagen den Anstrich, als wollte ich den Artikel an sich kritisieren und klein machen. Das stimmt aber nicht, denn der Artikel war für sich genommen o.k., nur wäre halt noch mehr und anderes angezeigt gewesen!!

Das ist von meinem Leserbrief übrig geblieben:

Sie beklagen Sich zwar auf der Titelseite angesichts der Weltfinanzkrise über die da von der anderen Seite, die trotz ihrer Sünden einfach so weitermachen – und die diesen Artikel sicherlich nicht zum Anlass nehmen werden, daran etwas zu ändern! Trotz kritischem Ton ist dies nicht mehr als ein eher weinerlicher Appell an die Gegenseite, die ganz befriedigt zur Kenntnis nehmen wird, dass sie von deutschen Gewerkschaften, speziell von ver.di, nichts außer solchen Worten zu befürchten hat.
JÜRGEN LÜDER, PER E-MAIL

Meine Kritik an der Passivität von Ver.di wird allerdings in zwei weiteren abgedruckten Leserbriefen aufgegriffen. Das hat mich sehr gefreut und in meiner Grundüberzeugung bestätigt. Ich zitiere deshalb auch noch diese beiden Briefe (a.a.O.):

Titel „Die machen einfach weiter“, ver.di PUBLIK 03 2009
Richtig! Sie machen einfach weiter. Aber warum können sie dies? Vielleicht auch deswegen, weil die DGB-Granden während dieser Krise, die bereits mit der Einführung der unsäglichen Agenda 2010 ihren Ursprung fand, sich weitestgehend auf Tauchstation befanden und befinden. Wo waren die Aufrufe zu massiven Streiks und/oder Massenkundgebungen? Auch zum 28.März haben es nur ein paar „aufmüpfige“ Bezirke übers Herz gebracht, zu dieser Demo zu mobilisieren.
OLIVER KRIEBEL, BERLIN

Und auch noch der folgende Brief:

„Die machen einfach weiter“ als Schlagzeile reicht nicht aus. Zu empfehlen ist ein Blick nach Frankreich. Die Gewerkschaften stellen sich an die Spitze eines Generalstreiks. Dass der Schmusekurs, den auch ver.di seit Jahren mit Politik und Wirtschaft fährt, gescheitert ist, liegt auf der Hand. Wartet nicht, bis die Mitglieder die Gewerkschaftsbeiträge einsparen müssen.
KARL-HEINZ BRETHAUER, SPANGENBERG

Dem ist wenig hinzuzufügen …

Meine Lieblingszitate XX

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Ein ganz neuer Fund! Er passt sehr gut in die Reihe meiner Zitate, die z.B. am Morgen eine positive Botschaft für den weiteren Tagesverlauf geben können.


Die Aussage macht deutlich, wie wertvoll es ist, über sich selbst zu reflektieren und sich seiner eigenen Wünsche und Ziele bewusster zu sein. „Bewusster“ erscheint mir dabei menschlicher zu sein als „bewusst“, zeigt es doch eher den Prozess der Annäherung an, nicht den schwer zu erringenden „Idealzustand“.



Wer das Ziel kennt, kann entscheiden,

wer entscheidet, findet Ruhe,

wer Ruhe findet, ist sicher,

wer sicher ist, kann überlegen

wer überlegt, kann verbessern.


Orientalische Weisheit



Gefunden in: Hamid Peseschkian und Connie Voigt: Psychovampire. Über den positiven Umgang mit Energieräubern. – Zürich: Orell Füssli Vlg. 2009. Motto S. 23.

Mittwoch, 22. April 2009

Neues zur "Krise"

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Gestern war ich beim monatlichen Plenum von attac-Berlin. Bemerkenswert war vor allem ein Vortrag von Darek Zalega über „Krise und Widerstand in Polen und Osteuropa“. Er arbeitet in Polen als Chefredakteur der Wochenzeitung „Trybuna Robotnicza“, ein Forum der Gewerkschaft „Sierpien’ 80“.


Ich kann hier die Aussagen des hochinteressanten Vortrags – wer von uns weiß schon etwas über Polen, und dann auch noch aus alternativen Quellen – nicht genauer wiedergeben. Aber aus der anschließenden Diskussion sind mir zwei Äußerungen besonders im Gedächtnis geblieben, die sicherlich nicht nur auf Polen zutreffen!


Die Regierung/ die Mächtigen / die Herrschenden tun so, als würden sie mit den derzeit

angelaufenen Rettungsmaßnahmen der arbeitenden Bevölkerung helfen, in Wirklichkeit

stützen sie nur das Kapital.


Es gibt Firmen, die offenbar die Krise als gutes Alibi nutzen, Personal entlassen zu

können, ohne große Proteste befürchten zu müssen.


Das ist in Polen besonders bitter für die Arbeitenden; auch wenn am „sozialen Netz“ in Deutschland schon sehr gesägt worden ist, sind die Absicherungen in Polen noch erheblich geringer als bei uns.

Montag, 20. April 2009

Meine Lieblingszitate XIX

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Ich habe immer Texte bevorzugt, die in einer verständlichen Sprache abgefasst und deren Botschaften dadurch leicht entschlüsselbar waren. Eine große Kunst, schwierige Zusammenhänge verstehbar auszudrücken! Schon als Student habe ich lieber einen Bogen um bestimmte soziologische und philosophische Texte gemacht („Soziologen-Chinesisch“), durch die ich mich als Pflichtlektüre dann doch „durchquälen“ musste, Gedichte und literarische Texte, die in einer abgehobenen Sprache verfasst waren, aber schnell wieder weggelegt. Vielleicht - ?! - ist mir dadurch manchmal etwas entgangen. Diese Vorliebe für Klarheit ist mir aber geblieben und eher noch gewachsen. Darum gefällt mir das folgende Gedicht von Eva Strittmatter so gut:



Vom Schreiben


Natürlich könnte ich

Auch komplizierter schreiben

Und könnte Dichtung als

Geheimmagie betreiben.

Ich könnte Chiffren erfinden,

Die nur fünf Leute verstehn,

Und die anderen wären die Blinden,

Wir sechs allein könnten sehn.

Ich will aber einfach bleiben

Und nah am alltäglichen Wort

Und will so deutlich schreiben,

Dass die Leute an meinem Ort

Meine Gedichte lesen

Und meine Gedanken verstehn

Und sagen: so ist es gewesen.

Und das haben wir auch schon gesehn.


EVA STRITTMATTER



In: Wenn wir den Königen schreiben. Lyrikerinnen aus der DDR. Hrsg. v. Jutta Rosenkranz.

Sammlung Luchterhand 710, August 1988.

[genauere Angaben habe ich mir damals leider nicht gemacht; in meiner Sammlung seit dem 10.3.1993]

Freitag, 17. April 2009

Meine Lieblingszitate XVIII

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Lange habe ich nichts in meinen blog gestellt, so als wäre mir etwas der Mut zum Veröffentlichen abhanden gekommen. Da hilft dann als Gegenmittel nur ein kluges Zitat zum Thema „Mut für den nächsten Schritt“! Es gehört zu meinen Lieblingszitaten!

Mut gibt es gar nicht. Sobald man überlegt, wo man ist, ist man schon an einem bestimmten Punkt. Man muss nur den nächsten Schritt tun. Mehr als den nächsten Schritt kann man überhaupt nicht tun. Wer behauptet, er wisse den übernächsten Schritt, lügt. So einem ist auf jeden Fall mit Vorsicht zu begegnen. Aber wer den nächsten Schritt nicht tut, obwohl er sieht, dass er ihn tun könnte, tun müsste, der ist feig. Der nächste Schritt ist nämlich immer fällig. Der nächste Schritt ist nämlich nie ein großes Problem. Man weiß ihn genau. Eine andere Sache ist, dass er gefährlich werden kann. Nicht sehr gefährlich. Aber ein bisschen gefährlich kann auch der fällige nächste Schritt werden. Aber wenn du ihn tust, wirst du dadurch, dass du erlebst, wie du ihn dir zugetraut hast, auch Mut gewinnen. Während du ihn tust, brichst du nicht zusammen, sondern fühlst dich gestärkt. Gerade das Erlebnis, dass du einen Schritt tust, den du dir nicht zugetraut hast, gibt dir ein Gefühl von Stärke. Es gibt nicht nur die Gefahr, dass du zuviel riskierst, es gibt auch die Gefahr, dass du zu wenig riskierst. Dem Gehenden schiebt sich der Weg unter die Füße.

MARTIN WALSER

Gefunden in: Lektüre zwischen den Jahren. Ermutigung. Ausgewählt von Rainer Weiss.- Frankfurt a.M.: Suhrkamp 1994. Darin S. 63.

Montag, 6. April 2009

Meine Lieblingszitate XVII

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Morgen werde ich für drei Tage ganz allein nach Potsdam fahren, „familienfrei“, wie meine Frau und ich uns gegenseitig von Zeit zu Zeit zum innerlichen und äußerlichen „Verpusten“ und Auftanken gewähren. Eine bewährte Maßnahme, die ich nur weiterempfehlen kann! Ich erwähne dies hier aber insbesondere wegen meines Ziels „Potsdam“. Ich war schon oft dort, fühle mich dort wohl und von Besuch zu Besuch vertrauter. Das ist für mich ein Grund, erneut hinzufahren. Für viele andere wäre es wahrscheinlich eher Anlass, endlich einmal ein anderes Ziel zu suchen. Mir liegt aber mehr diese „konservative“ Strategie, die mich an das folgende schöne Zitat erinnert, das ich vor vielen Jahren gefunden habe:



Wer einen Dom zehnmal gesehen hat, hat etwas gesehen; wer zehn Dome einmal gesehen hat, hat nur wenig gesehen, und wer je eine halbe Stunde in hundert Domen verbracht hat, hat gar nichts gesehen.


SINCLAIR LEWIS


Gefunden im DJH-Kalender 1981

[in meiner Sammlung seit dem 10.1.1981; auch von diesem Zitat habe ich keine genauere Quellenangabe]

Meine Lieblingszitate XVI

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Ein ganz kurzes Zitat aus meiner Sammlung, aber eine wahre „Perle“!


Die größte Wohltat, die wir anderen erweisen können, besteht nicht darin, ihnen unseren Reichtum zu schenken, sondern ihnen ihren eigenen zu enthüllen.

Kardinal SUENENS


Dieses Zitat war ein Geschenk meines väterlichen Freundes, des Benediktiner-Paters Matthias Kreuels, im Jahre 1977. Es hat mich also schon lange begleitet, auch ohne genauere Quellenangabe; darauf habe ich damals noch keinen großen Wert gelegt.