Freitag, 5. März 2010

Dinosauria XVI: Die Uhr meiner Mutter

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Diese kleine Geschichte wollte ich schon immer einmal aufschreiben. Heute habe ich die Muße, es tatsächlich zu tun, mit einem Lächeln, etwas Wehmut und einem freundlichen Gedenken an meine Mutter.


Es mag etwa 20 Jahre her sein. Ich besuchte einmal wieder meine hoch betagte Mutter. Ich sehe sie noch im Lehnsessel sitzen, mit der Decke zugedeckt, mit der wir uns jetzt zusätzlich wärmen, wenn es einmal sehr kalt wird. Ihr gegenüber stand der große Fernseher und auf ihm der alte Wecker, der gerade zu ihrem Leidwesen seinen Geist aufgegeben hatte.


Welche Chance für mich, ihr einmal etwas Gutes zu tun! Ich besorgte ihr eines von den damals modernen Geräten, die nach heutigem Standard wahrscheinlich aus der Steinzeit stammen: Es war elektrisch, ermöglichte die Wahl zwischen Klingelsignal und Radio zum Wecken und hatte auch schon eine Taste, um das Wecksignal fünf Minuten später zu wiederholen. Mit Hingabe erläuterte ich alles meiner Mutter, ließ sie es auch einmal ausprobieren und reiste wenig später mit der Genugtuung ab, ihr eine Freude bereitet zu haben. Sie war so dankbar gewesen!


Mein Bruder, der sie regelmäßig besuchte, erzählte mir dann später, sie habe ihm die Uhr mit Freude gezeigt, sie aber nicht angefasst. Dabei blieb es dann auch. Die Uhr hatte einen schönen Standort und meine Mutter benutzte sie nie. Ich habe sie dann später geerbt …


Damals habe ich dieses Verhalten meiner Mutter zunächst nicht verstanden, die Funktionen der Uhr waren doch soo einfach zu bedienen, wie i c h dachte. Pustekuchen! Seitdem ich selbst in die Dinosaurierjahre gekommen bin, verstehe ich Ruth Lüder jetzt viel besser. Sie wollte es nicht mit mir verderben und mich nicht enttäuschen, vielleicht hat sie sich auch tatsächlich gefreut, aber diese Technik war ihr viel zu kompliziert. Hätte ich ihr doch bloß einen alten Steinzeitwecker gekauft!


Junge Leute würden für diesen Wecker nicht einmal mehr ein müdes Lächeln aufbringen, dafür bedienen sie mit traumwandlerischer Sicherheit komplizierte Computeranwendungen, bei denen ich nur den Hut ziehen kann und nichts mehr verstehe und darauf angewiesen bin, dass jemand mir alles „idiotensicher“ einstellt. Beim nächsten Update oder irgendeiner Fehlermeldung stehe ich dann aber auch wieder „im Regen“. Ich bin eben der Sohn meiner Mutter.

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