Dienstag, 16. März 2010

Diakonie: Zwei Seiten einer Medaille

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Am 5.3. habe ich einen blog zu Frau Käßmanns Rücktritt verfasst und gleichzeitig etwas darüber geschrieben, dass alle klassischen Institutionen, in vorderster Linie auch die Kirchen, z.Zt. in der Öffentlichkeit mit Anerkennungsproblemen zu kämpfen haben und teilweise in heftigen Krisen stecken.

Da war es für mich eine Wohltat, das neue Diakonie magazin 1/2010 aufzuschlagen und die engagierten Beiträge zu verfolgen. Hauptthema: "Bildung ist das beste Mittel gegen Armut" und wirkt bereits im Kita-Alter. Diesen Grundgedanken verfolgen mehrere Artikel der Zeitung. Diakonie als Hort engagierter Sozialarbeit mit einem kritischen Blick auf die sozialen Zustände in unserem Lande, parteiisch für diejenigen, die sonst keine Fürsprecher haben!

Dazu passt auch das als Leitbild vorgetragene Selbstverständnis der Diakonie:

"Diakonie ist die soziale Arbeit der evangelischen Kirchen. Sie hilft Menschen in Not und in sozial ungerechten Verhältnissen.
" (Diakonie magazin 1/2010, S. 4)

So etwas gefällt mir! Für eine Organisation/Arbeitgeber, die sich solche Prämissen auf die Fahnen geschrieben hat, mag ich mich engagieren und fühle mich an der richtigen Stelle!

Tatsächlich war ich zwanzig Jahre meines Lebens bei kirchlichen Arbeitgebern angestellt, den Großteil davon in der Diakonie. Ich habe den dortigen hohen ethischen Anspruch an mich und alle Kolleginnen und Kollegen gespürt, dem alle nachzukommen versucht haben. Denn für eine so wichtige Aufgabe lohnt der Einsatz! Das war allerdings nur die "eine Seite der Medaille". Denn es gab auch eine andere: Häufiger haben uns unsere "Oberen" nämlich einen "Spagat" zwischen moralischen Ansprüchen und tatsächlich erlebten Arbeitsbedingungen zugemutet.

Denn wie soll ich ohne geistige Verrenkungen parallel zum oberen Zitat die folgende Äußerung/Anweisung aus der Führungsetage der Diakonie verstehen ?

"Diakonie geschieht durch die Mitarbeiter der diakonischen Einrichtungen, nicht aber an den Mitarbeitern."(Dieses Zitat eines "führenden Mitglieds der Diakonie" verwendete mein früherer Chef in einer Ansprache an Mitarbeiter/innen meiner damaligen diakonischen Einrichtung auf einer Mitarbeiterversammlung 2008.)

Nach meinem Verständnis von Christentum ist Diakonie in der Formulierung des ersten Zitats "gelebte Nächstenliebe", die sich auf meinen Nächsten bezieht, der in Not geraten und bedürftig ist. Stopp, da war ich wohl zu blauäugig, denn es gibt offenbar eine Ausnahme! Er darf nämlich nicht Mitarbeiter der Diakonie sein! Für alle Kollegen/innen aus der Diakonie gilt diese Aussage gemäß der zweiten Anweisung nicht! Wahrscheinlich müssen die sich im Notfall (und nur um den handelt es sich schließlich) selbst helfen, ihr Arbeitgeber schließt seine Zuständigkeit aus.

Für mich schimmert da so etwas wie "doppelte Moral" durch: Nach außen wird ein hoher Anspruch verkündet, nämlich der Auftrag zur Unterstützung von Behinderten, Armen und Kranken und zur Verteidigung ihrer gesellschaftlichen Rechte, während die eigenen Arbeitnehmer oft nach einer "anderen Elle" gemessen werden.

Das kann dazu führen, dass eine Einrichtung nach außen hin fürs Publikum sozusagen als barmherziger Samariter "ein guter Sozialarbeiter" ist, gegenüber den eigenen Bediensteten aber als knallharter Unternehmer agiert, der nach spätkapitalistischen Grundsätzen handelt und ausschließlich betriebswirtschaftlich orientiert in Konkurrenz zu anderen "Sozialanbietern" am "Sozialmarkt" um seine "Marktanteile" ringt.

Denn auch diakonische Einrichtungen beteiligen sich am "Oursourcing", wenn es sich rechnet; bedienen sich im hohen Maße der Möglichkeit von Zeitverträgen und der dadurch bequemeren "Entsorgungsmöglichkeit" überzähliger Mitarbeiter, ohne die Unannehmlichkeiten von Kündigungen auf sich nehmen zu müssen, und haben auch Mitarbeiter in ihren Reihen, die Hartz-IV-Aufstockung beantragen mussten, weil ihr Verdienst wegen Teilzeit-Verträgen oder ihrer Niedriglohngruppe nicht ausreicht. Schlagzeilen machten einige Einrichtungen, die eigene Zeitarbeitsfirmen mit schlechteren Tarifen gegründet hatten. Anderswo nennt man derartiges "Ausbeutung". Diese Einrichtungen wurden zwar "zurückgepfiffen", wenn sie nicht ihre Mitgliedschaft in der Diakonie verwirken wollten. Aber es gibt immer wieder Versuche. Wie die Leute auf den leitenden Posten dies wohl mit ihrem "diakonischen Gewissen" vereinbaren konnten? Und mit der im Tarifgefüge der Diakonie vereinbarten "Dienstgemeinschaft" all derer, die sich in der jeweiligen Einrichtung "zum Dienst am Nächsten" zusammengefunden haben?? Wie gesagt, derartige Erscheinungen erfordern schon einen gewissen geistigen Spagat...

Weiterhin ist nicht jede Einrichtungsleitung dazu bereit, mit ihrer Mitarbeitervertretung eine Regelung zu vereinbaren, die Mitarbeitern in besonders schwierigen Lebenssituationen (psychische Krankheiten und Abhängigkeitsprobleme) betriebliche Unterstützung gewährt. Da sind große Industrieunternehmen oftmals besser...

Und doch beeindruckt mich immer wieder, mit welchem hohen Engagement und guten Ideen Menschen in der Diakonie (und sicherlich ebenso in der Caritas und anderen sozialen Trägern) arbeiten, offensichtlich "nicht nur ihr Geld verdienen", sondern auch ihr "Herzblut" investieren!

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