Freitag, 24. Juli 2009

"Zerrissene Herzen" -- Die Geschichte der Juden in Deutschland




„Zerrissene Herzen“ – so nannten Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann ihre „Geschichte der Juden in Deutschland“. Erschienen ist dieses Buch bei S.Fischer in Frankfurt a. M. 2006.


Sein besonderes Gepräge bekommt das Buch durch die zahlreichen Zeichnungen (!) von Klaus Ensikat, alle in einer hellen Farbgebung, dazu in roter Schrift Zwischentexte mit speziellen Erläuterungen. Aber keinerlei Fotos, wie sonst üblicherweise in Geschichtsbüchern Gang und Gebe.


Dies Buch will aber auch offensichtlich keine Dokumentation sein, sondern erzählt die (Leidens)Geschichte der Juden in Deutschland anhand der Lebens- und Wirkungsgeschichte ausgewählter Vertreter, die deutschen Geist und deutsche Kultur in einem unverhältnismäßig hohem Maße mitgeprägt haben. „Unverhältnismäßig“ empfinde ich es in dem Sinne, dass in dieser – gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung – doch eher kleinen Personengruppe eine ungewöhnliche Konzentration von geistigen Koryphäen und tatkräftigen und erfolgreichen Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft zu beobachten ist. (Im Buch wird dies zwar nicht thematisiert, es ist aber halt „mein Spezialgebiet“: die gesamte Tiefenpsychologie hätte sich ohne ihre jüdischen Vertreter nicht entwickeln können, ich nenne nur ganz knapp S.Freud, A.Adler, E.Fromm und manche andere …).


Vom Aufbau des Buches und vom angegebenen „Vorleben“ der Autoren her wäre es denkbar, dass dieses Buch ursprünglich für jugendliche Leser verfasst wurde. Erwähnt wird es allerdings an keiner Stelle im Buch. Für mich ist dies aber keine Kritik, sondern eher ein großes Lob! Denn Bücher für diesen Personenkreis erfordern eine besondere Prägnanz und eine klare, verständliche Sprache. Alles das finde ich in diesem Buch wieder. So etwas hilft mir sehr, mich in bisher unbekannte Sachverhalte gut einzufinden und sie besser zu verstehen! Ganz anders als bei jener komplizierten „Gelehrsamkeit“, die mich bei manchen Fachbüchern erschreckt und vom weiteren Lesen abhält. (Auch Psychologen können auf dieser Ebene sehr sündigen …)


Meine Empfehlung: Unbedingt lesen!!

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Zwei Anmerkungen zur Veränderung meines Geschichtsbildes, z.T. aufgrund der Lektüre dieses Buches:


Schon seit längerem ist meine Bewertung von Friedrich II., dem Preußenkönig, ins Wanken geraten. Immerhin kann ich in ihm nur noch den „Schlächter“ seiner Untertanen sehen, denn in den von ihm angezettelten Kriegen sind mehrere Hunderttausend Soldaten und Zivilisten allein in Preußen gestorben, die er seiner „Glorie“ geopfert hat, auch wenn Derartiges unter den Herrschern damals „Zeitgeistcharakter“ hatte. Und seine geistige Freizügigkeit hatte auch ihre Grenzen. Den Juden in seinem Reich z.B. verweigerte er alle Rechte, ließ sie misstrauisch beobachten und gewährte nur einigen besonders Erfolgreichen „gegen Bares“ weitergehende Privilegien. Von wegen „nach seiner Facon selig werden“!

(Dieser Sachverhalt wird im Buch auf S. 84/85 dargestellt.)


Auch einige seiner Nachfolger stemmten sich gegen eine Gleichstellung der Juden, wie sie sich zunächst nach der Niederlage gegen Napoleon und die dadurch notwendigen Reformen in Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts angebahnt hatte, insbesondere der reaktionäre Friedrich Wilhelm IV. (Im Buch in den oben anschließenden Kapiteln genauer dargestellt.)


Viel weniger hatte ich allerdings bisher über Martin Luther gewusst. Ein wahrer Judenhasser!!


Ich zitiere dafür aus dem Buch:


„In seiner 1543 veröffentlichten Schmähschrift ‚Von den Jüden und ihren Lügen’ erhob der Mönch Martin Luther die antijüdische Stimmung zum Programm: Die Synagogen seien in Brand zu setzen, die Häuser der Juden zu zerstören; ihre heiligen Bücher seien ihnen fortzunehmen, ihren Rabbinern solle jedweder Unterricht bei Todesstrafe verboten werden; jede Geschäftstätigkeit sei ihnen zu untersagen und aller Besitz abzunehmen. Am besten wäre es, sie ganz aus dem Land zu jagen. Viele Juden, die in Luther anfangs einen Hoffnungsträger gesehen hatten, waren bestürzt […].“ (S. 66)


Und als zweite Belegstelle:


„Martin Luther schrieb nicht nur judenfeindliche Bücher, er machte auch Politik. So überzeugte er den Kurfürsten von Sachsen, die Juden aus seinem Territorium zu vertreiben. Als Josel von Rosheim [ein damals hoch angesehener jüdischer Repräsentant, J.L.] davon erfährt, reist er 1537 nach Wittenberg, um den Reformator zur Rede zu stellen. Doch Luther will ihn erst gar nicht sehen und schreibt ihm in einem Brief unmissverständlich: Die Juden sollen gefälligst zum Christentum übertreten, ‚wo aber nicht, so sollen wir sie auch bey uns nicht dulden noch leiden’. Mit dieser unversöhnlichen Haltung hat der Reformator die judenfeindliche Tradition des Mittelalters in die Neuzeit und in den Protestantismus hinübergetragen.“ (S. 67)


Um es sehr freundlich auszudrücken: Neben seiner Leistung als Auslöser der Reformation war Luther in anderen Fragen des realen sozialen Lebens offensichtlich kein großer Geist, denn auch bei den ausbrechenden gewaltigen sozialen Spannungen im Bauernkrieg hat er keine besonders rühmliche Rolle gespielt und auf weltlichen Ebenen lieber alles beim Alten gelassen …

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