Dienstag, 21. Juli 2009

Reminiszenzen: Diakonie im Wichernjahr 2008

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Den folgenden Text habe ich vor etwa einem Jahr für die Seite der MAV (Mitarbeitervertretung) in der Zeitschrift meiner diakonischen Einrichtung in Fürstenwalde geschrieben. Sie erschien dort in „Unterwegs“ 2/2008, S. 20 – 21.


Wie das mit „Reminiszenzen“ halt so ist, sind diese Zeilen nicht mehr druckfrisch, m.E. aber in ihren Kernaussagen immer noch durchaus aktuell.


Ich veröffentliche hier meine ursprüngliche Manuskript-Version. Die Redaktion hat seinerzeit meine vorgeschlagenen Zwischenüberschriften abgewandelt. Diese Version füge ich abschließend noch hinzu.



Und sie predigen Wasser und trinken Wein.

Diakonie im Wichernjahr


JÜRGEN LÜDER


Als Wichern seine bahnbrechende Arbeit mit sozialen Randgruppen der Gesellschaft begann, war seine Absicht, Mildtätigkeit aus christlichen Motiven heraus zu üben. Er arbeitete zunächst mit Laienhelfern, gründete Diakonen-Ausbildungen und Diakonissen-Häuser, evangelische Orden, in denen Frauen aus christlicher Überzeugung heraus ihr Leben diakonischer Arbeit widmeten und für einen „Gotteslohn“ arbeiteten.


Später dann setzte eine Professionalisierung in der Behindertenarbeit und allen anderen Bereichen sozialer Arbeit ein. Es entstanden verschiedenen Berufsgruppen mit zugehörigen „Standards“ in den jeweiligen Ausbildungen, die staatlich abgesichert wurden. Diese neuen Mitarbeiter betrachteten ihre Arbeit auch als „Broterwerb“, um ihre Familien finanzieren zu können.


Auch heute noch gibt es Auswirkungen aus der „Pionierzeit“

diakonischer Einrichtungen auf die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiter/innen


Vieles aus der Anfangszeit diakonischer Arbeit lebt weiter im heutigen Denken und Gestalten der jetzigen diakonischen Einrichtungen. Geblieben ist insbesondere der hohe ethische Anspruch, nicht nur „gute“ Arbeit zu leisten, sondern auf religiöser Ebene „Nächstenliebe“ zu praktizieren. Als erstrebenswert gilt das Bild des „barmherzigen Samariters“, der mit Freude und ohne Hintergedanken eine hohe eigene Belastung auf sich nimmt zu einem „Gotteslohn“ als Hauptbelohnung, nicht nur aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen. Dies dürfte ein Nachklang des Einsatzes der Diakonissen sein, für deren Lebensführung die „Ökonomie“ nachrangig war.


Aber: In welchem anderen Wirtschafts- und Sozialbereich sind Mitarbeiter so fügsam, angepasst und bescheiden, beschweren sich selten und sind ohne viel Murren lange bereit, auch ohne Gehaltserhöhung trotz steigender Preise ihre Dienste weiter zu machen? Wo stößt gewerkschaftliche Arbeit, die sich für verbesserte Arbeitsbedingungen einsetzt, auf so geringen Widerhall wie gerade in diakonischen Einrichtungen?


Hinzu kommt, dass kirchliche und diakonische Arbeitgeber eine besondere staatliche Unterstützung genießen, die ihnen Sonderrechte gegenüber ihren Mitarbeitern einräumt und als „Tendenzbetriebe“ die betriebliche Mitbestimmung erheblich einschränkt. So gibt es lediglich Mitarbeitervertretungen im kirchlichen Bereich, aber keine Betriebsräte oder Personalräte.


Im MVG („Mitarbeitervertretungsgesetz“) der Kirche wird geregelt, wie Leitungen von kirchlichen Einrichtungen mit ihren Mitarbeitern in „Dienstgemeinschaften“ zusammenwirken sollen und ihr eigenes Arbeitsrecht in paritätisch besetzten AKs („arbeitsrechtlichen Kommissionen“) gestalten. Allen bekannt sind die AVR („arbeitsvertraglichen Richtlinien“) als verbindliches Tarifwerk diakonischer Einrichtungen.


Es kriselt jedoch. Zunehmend wollen Leitungen von Einrichtungen „Fahnenflucht“ begehen, um autoritär und einseitig eigenes Arbeitsrecht zu schaffen (z.B. Haustarife, Outsourcing von Betriebsteilen, Gründung von Leiharbeitsfirmen u.a.) Alles ist im heutigen Umfeld der Diakonie zu beobachten.


Ein Prüfstein für heutige diakonische Einrichtungen ist, ob die hohen moralischen Ansprüche für die Ausübung diakonischer Arbeit auch in der „Dienstgemeinschaft“ gegenüber den eigenen Mitarbeiter/innen gelebt werden.


So erhebt sich die Frage, ob in der gegenwärtigen Zeit der hohe moralische Anspruch diakonischer Arbeit noch eingelöst wird. Denn: soll er zu keiner doppelten Moral führen, muss er sowohl gegenüber den betreuten Menschen als auch in der Behandlung der eigenen Mitarbeiterschaft erkennbar sein.


Dort sind aber deutlich Probleme zu erkennen. Bischof Huber und die theologische Leiterin unseres Diakonischen Werkes BBO, Frau Kahl-Passoth, setzen sich vorbildhaft für Menschen in Armut in unserer Gesellschaft ein, klären mit dem Gewicht ihrer Rolle/ihres Namens über deren Lebensbedingungen auf , starten Initiativen und fordern auch staatliche Verbesserungen. Ein aktuelles Thema, wenn man an den kürzlich veröffentlichten „Armutsbericht“ der Bundesregierung denkt.


Auf der anderen Seite hat aber vor wenigen Wochen das Magazin „Panorama“ im Fernsehen berichtet, dass es Mitarbeiter in diakonischen Einrichtungen gibt, die so wenig verdienen, dass sie im Amt für Grundsicherung eine Hartz-IV-Aufstockung beantragen mussten.


Das sind aber nicht nur „exotische Fälle“ irgendwo in deutschen Landen, auch in unserem direkten Umfeld gibt es Bedenkliches zu berichten. Auch in Brandenburg gibt es Einrichtungen, die Hilfskräfte mit 20 Wochenstunden einstellen. Wer kann davon leben oder eine Familie gründen? Und es gibt Neugründungen von Trägern, die möglicherweise dem Diakonischen Werk (und seiner AVR) nicht mehr beitreten wollen. So scheint es jedenfalls bei der neuen „Aufwind gGmbH“ zu sein.[Anmerkung J.L. v. 21. 7. 09: Diese Firma ist mittlerweile doch dem Diakonischen Werk beigetreten.]


Veränderte Zwischenüberschriften in der Druckfassung:


Hauptamtliches diakonisches Engagement kann heutzutage nicht nur mit „Gotteslohn“ abgegolten werden, neben der „Nächstenliebe“ ist der „Broterwerb“ wichtige Motivation für die Arbeit


Auch in Brandenburg gibt es Einrichtungen, die Hilfskräfte mit 20 Wochenstunden einstellen. Wer kann davon leben oder eine Familie gründen?

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