Freitag, 17. Juli 2009

Alte Erfahrungen wirken nach - meine Erlebnisse bei der Zeugnisausgabe meines kleinen Sohnes

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Noch in meiner „aktiven Dozentenzeit“ habe ich meinen älteren Schülern, die selbst schon Kinder hatten, erzählt, wie bei allen besonderen Ereignissen ihrer Kinder eigene Kindheitserfahrungen sie wieder einholen könnten und ihr Fühlen, Denken und Handeln mit beeinflussen würden. Das ergab immer eine hoch spannende Diskussion und nachdenkliche Gesichter.

Jetzt hat diese Vorankündigung mich selbst eingeholt. Denn es war unübersehbar, wie stark die Bewertungen von mir und meiner Frau auseinanderklafften, als es um die Bedeutung der Zeugnisausgabe des ersten Jahreszeugnisses unseres kleinen Sohnes Paul Jakob ging. Wir haben uns etwas gestritten, was nicht so häufig passiert: Meine Frau konnte es nicht nachvollziehen, dass ich seine Zeugnisübergabe nicht eingeplant hatte und erst einen Arzttermin verlegen musste, um auch teilnehmen zu können. Wer meinen blog-Eintrag von gestern gelesen hat, kann sich vorstellen, dass ich es nicht bereut habe!

Aber was hier „im Osten“ an Brimborium um Schulereignisse herum getrieben wird, kann ich wirklich nur schwer nachvollziehen! Einschulungen als große Familienfeiern, Abiturienten-Entlassungsfeiern wie ein Opernball, auf dem offenbar einige Schüler sogar noch Autos geschenkt bekommen (jedenfalls fahren welche mit einschlägigen Aufschriften anschließend durch die Stadt), das ist für mich fremd, eher befremdlich.

In meiner Kindheit und Jugend (in Schleswig-Holstein in den 50- und 60- Jahren) waren das alles eher beiläufige Ereignisse; Zeugnisse waren nichts Aufregendes (jedenfalls solange meine Zensuren gut waren und meine Versetzung ungefährdet …); meine Abiturienten-Entlassungsfeier ist mir völlig verblasst, ich weiß nicht einmal mehr, ob und wer von meinen Eltern teilgenommen hat. Manches davon kann meine spezielle Familiensituation gewesen sein (loben und anerkennen fiel meinen Eltern schwer, gute Leistungen waren für sie selbstverständlich, alles aus meiner heutigen Sicht nicht sehr „pädagogisch“, aber es war halt so), aber überall um uns herum wurde wohl auch damals ohnehin „eine Nummer kleiner“ gefeiert.

Alle derartigen Erinnerungen waren mir ziemlich weggerutscht, bis sie jetzt bei Paul Jakobs Zeugnisübergabe in Form des Streits mit meiner Frau wieder an die Oberfläche kamen. Wenn ich seine Situation mit meiner damaligen vergleiche, finde ich schon, dass ich seinerzeit einige Kränkungen wegstecken musste. Und das aus alten Ressentiments schnell eine Haltung entstehen kann wie „mir hat damals niemand etwas zum Zeugnis geschenkt und viel darüber geredet, was brauchen Kinder das heute, schon wieder so eine Verwöhnung, ich bin auch ohne die groß geworden“ oder ähnliche Rezepte, die durch die Köpfe von Eltern geistern können.

Ertappt! Jedenfalls habe ich mir bewusst gemacht, wo meine Bewertungskriterien herstammen. Und wo die Wurzeln für unseren Streit lagen. (Jedenfalls auf meiner Seite, auch meine Frau hat natürlich ihre alten Erlebnisse eingebracht.) Das heißt alles nicht, dass ich meine Meinung völlig aufgegeben hätte. Aber ich kann jetzt mein Urteil zu diesem Thema sachlicher abwägen und muss meine Nachkommen nicht alte Kränkungen, die mit ihnen nicht das Geringste zu tun haben, sondern sich nur in meiner Kindheit abgespielt haben, ausbaden lassen.

Ich warte auf das nächste einschlägige Thema! Es kommt bestimmt!

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