Dienstag, 29. Juni 2010

„Precious – Das Leben ist kostbar“


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Wow! Was für ein Film! Was für eine Hauptdarstellerin! Seit ich Besprechungen dieses Films gelesen und Fotos der Hauptdarstellerin Gabourey Sidibe gesehen hatte, war mir klar: Diesen Film musst du unbedingt sehen!


Precious – Das Leben ist kostbar. USA 2008. Regie Lee Daniels. In den Hauptrollen Gabourey Sidibe als gequälte Tochter und Mo’Nique als demütigende und schlagende Mutter, die für ihre überzeugende Darstellung einen Oscar erhielt. Drehbuch nach einem Roman von Sapphire. Insgesamt gab es sechs Oscar-Nominierungen für diesen Film. Die MOZ zählte ihn zu den besten Filmen des Jahres (25.3.2010).


Was für ein schreckliches Leben! Die farbige 16 jährige Claireece ist bereits vom Leben gezeichnet. Extrem übergewichtig, vom eigenen Vater zweimal geschwängert, von der Mutter seelisch gequält und körperlich misshandelt, bisher überall eine Außenseiterin und ohne jeden Schulerfolg, macht sie sich dennoch auf den mühseligen Weg, ein eigenes Leben für sich und ihre Kinder aufzubauen. Sie findet eine Spezialschule mit einer Lehrerin, die an sie glaubt, und lernt, trotz aller Widerstände, in unglaublich kurzer Zeit Lesen und Schreiben, alles das, was ihr bisher mehr oder weniger verweigert worden war (bzw. an der vorhergehenden Normalschule hatte sie einfach keine Chance bei ihren Rahmenbedingungen). Als sich dann noch eine Sozialarbeiterin verstärkt um sie bemüht, gelingt ihr auch die Abnabelung von ihrer gewalttätigen Mutter, die sie in ein allerdings weiterhin ungewisses Schicksal verlässt.


Was können Menschen einander alles antun? Welche nur erdenkbaren Schrecken können jemand treffen? Der Film lässt nichts aus. Die Bestie von Vater, der seine Tochter bereits als Kleinkind missbraucht und ihr später zwei Kinder macht, als Andenken an ihn nach seinem Tod auch noch mit der Gewissheit, die HIV-Erkrankung des Vaters „geerbt“ zu haben. Die völlig aus der Bahn geworfene Mutter, die nur noch auf Kosten der Sozialhilfe und der Arbeitsleistung ihrer Tochter dahinvegetiert, als einzigen Dank aus Eifersucht auf ihre Tochter dieser das Leben zur Hölle machend … (Es gibt da einige schlimme Szenen im Film. Er ist freigegeben ab 12 Jahren, ich hätte diese Altersgrenze eher auf 18 heraufgesetzt.) So massiert habe ich Elend, Missbrauch und Gewalt noch nie im Kino gesehen.


Neben diesen schwärzesten Seiten hat dieser Film aber auch einen erstaunlichen Optimismus, der ansteckend ist und den Zuschauer mit der Heldin mitzittern, aber auch erleichtert aufatmen lässt, wenn Precious, wie Claireece genannt wird, diese Gewaltspirale verlassen kann und sich in ein eigenes Leben, fern ab von allen ihren bisherigen Quälgeistern, aufzumachen versucht. Ist das realistisch – oder nur ein schöner Traum? Jedenfalls ist ihre Energie bewunderungswürdig, nach jeder Demütigung erneut aufzustehen und weiterzumachen.


Ein Hoch natürlich auch auf jegliche Form von Bildung und einfühlsame Lehrer, die selbst für derartig schwierige „Fälle“ Engagement über jedes normale Maß aufbringen! Da ist dann die Frage an mich, der ich ja auch aus dem „Helferlager“ stamme: Wie machen Lehrerin und Sozialarbeiterin das bloß? Sie entwickeln eine fast übermenschliche Geduld, Mitleidensfähigkeit und ein Engagement, das weit über eine normale „Berufstätigkeit“ hinausreicht, zumal beide nur unzureichende Arbeitsbedingungen haben. (Ich denke da an das Großraumbüro der Sozialarbeiterin, in dem sie nur eine „Ecke“ zu eigen hat, in der sie aber Gespräche mit den kompliziertesten Klienten führt.) Hält das jemand wirklich länger durch? Das ständige Elend der Klienten und die wahrscheinlich nur eingeschränkten Hilfsmöglichkeiten? Werden hier nicht auch zwei Frauen gezeigt, die bei anhaltendem Engagement in diesem Ausmaß auf ihren Zusammenbruch in einem „burn out“ hinsteuern? Aber es ist ja ein Spielfilm und keine Dokumentation.


Der Film will aber offensichtlich hauptsächlich aufrütteln und für Leid und Gewalt sensibilisieren. Auch für die Botschaft, dass es in den schlimmsten Lebenssituationen noch eine Chance geben kann, wenn ein lernwilliger Mensch bereit ist, alte Bahnen zu verlassen und die echte Hilfe anderer anzunehmen (nicht nur die Leistungen der Sozialkasse).


Da bleiben dann so spezialisierte Fragen offen wie meine, wie man diese Handlung mit dem schönen neuen Konzept der Resilienz in Verbindung bringen könnte. Immerhin ein „Renner“ in den Sozialwissenschaften der letzten Jahre! Der Ansatz versucht eine Antwort darauf zu geben, warum einige Menschen, die Schlimmes in ihrem Leben durchmachen mussten, dennoch „heil“ aus dieser Misere hervorgehen, während die meisten anderen, die gleiche Bedingungen hatten, untergehen, Störungen entwickeln oder asozial werden. Die Resilienzforschung hat dafür besonders verantwortlich gemacht, dass Kinder aus schwierigsten Verhältnissen dennoch in ihrer Kindheit und Jugend Unterstützung durch einen/einige verlässliche Menschen gefunden haben, auf die sie bauen konnten. Da ist in der Biographie von Precious aber niemand zu entdecken. Dennoch ist sie offen und kann die Angebote von Lehrerin und Sozialarbeiterin annehmen, sie reagiert eher sogar wie ein „Schwamm“! Im Gegensatz zu den Forschungsergebnissen tritt diese Unterstützung bei ihr aber erstmalig im beginnenden Erwachsenenalter auf, nicht in der Kindheit. Nun, jeder, der sich mit dem Resilienz-Konzept beschäftigt, möge selber darüber nachdenken, ob dieser Film damit vereinbar ist oder nicht.


Egal wie: Unbedingt ansehen!

Therapeutische Reminiszenzen IV

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Diese Rubrik habe ich am 7. Juni erläutert. Heute folgt die 3. Fortsetzung.

Ehrgeiz


- Gesunder Ehrgeiz ist an sachlichen Aufgaben orientiert.

- Neurotischer Ehrgeiz hingegen strebt die Überlegenheit über andere an; wahrscheinlich gehören noch eine Reihe anderer Eigenschaften/Affekte hinzu, wie Neid und Eifersucht.

- Der Musterschüler hat vermutlich weniger Ehrgeiz als der Klassenclown, der die Mitarbeit verweigert.

- Am problematischsten ist unbewusster Ehrgeiz, der besonders störend ins Leben eingreift, so z.B. bei Männern eine überhöhte Forderung an Männlichkeit, die sich dann etwa an „Frauenerfolgen“ bemisst.


Stimmungsschwankungen


Stimmungsschwankungen, für die nur schwer eine Ursache anzugeben ist, gehören zum Leben eines jeden gesunden Menschen. Eher ist es für einen neurotischen Menschen zutreffend, dass er ohne Schwankungen ständig eine gleich bleibende Stimmung hat, allerdings eine charakteristisch beeinträchtigte! Zum geschickten Umgang mit Stimmungsschwankungen gehört es, z.B. zum Beginn einer neuen Aufgabe einen stimmungsmäßig geeigneten Zeitpunkt abzuwarten. „So wie ein Zirkusreiter zum Aufspringen abwartet, bis das Pferd wieder an ihm vorbeiläuft.“


Masochismus in der Partnerschaft I


Wie erhält man am sichersten keine Liebe von anderen:

- Wenn man immer brav ist.

- Wenn man sich unterzieht und sich nicht wehrt.

- Wenn man sich ständig unterordnet.

Liebe erhält man nur dann, wenn man ein echtes Gegenüber ist.


Masochismus in der Partnerschaft II


- Der Masochist zieht sein Selbstwertgefühl aus einer moralischen Überlegenheit und fühlt sich in dieser Hinsicht dem Partner haushoch überlegen.

- Nach einer längeren Phase des „Gebens“ kann auch ein Gefühlsumschlag kommen, sich ausgenutzt zu fühlen.

- Durch das Verhalten des Masochisten fällt es dem Partner schwer, ihm gegenüber Achtung aufzubringen. Durch sein oben bereits genanntes Überlegenheitsgefühl bringt aber auch der Masochist dem anderen gegenüber nicht genügend Achtung auf.


Sucht


Sucht ist etwas, was ich zwischen mir und der Realität einlege.


Depression und Leiblichkeit


Bei der Depression klaffen Leib und Seele auseinander, während sie bei Freude zusammenspielen.

Ein Depressiver spürt seinen Leib nicht, seine allgemeine Missstimmung kann sich auch in andauernder Müdigkeit äußern.

Frust der Seele lässt sich auch über Körperliches wieder ausgleichen, bzw. körperliche Pflege und Bewegung können ein Ansatzpunkt zur Überwindung einer Depression sein.


Fähigkeit zur Auseinandersetzung


Ohne Auseinandersetzungen lassen sich keine Partnerschaft und keine Freundschaft führen, erst recht keine Schulklasse als Lehrer leiten. Mit „auseinandersetzen“ ist hierbei die Umgangsform gemeint, ohne Aggressionen/Affekte seinen Standpunkt zu verdeutlichen und sich um die Durchsetzung eigener Interessen im Gespräch zu bemühen. Es lässt sich nur schwer isoliert trainieren; wächst man innerlich insgesamt, so kann man jedoch mit stärkerem Selbstwertgefühl und geringerer Empfindlichkeit freundlicher und sachlicher in Auseinandersetzungen gehen. Vermeidet man Auseinandersetzungen, so kann z.B. der Wunsch nach Distanzierung zunehmen, das Gefühl für den anderen verschwinden bzw. sich untergründig Feindseligkeit anstauen.

[Fortsetzung folgt]

Montag, 28. Juni 2010

Erlebnisse aus Absurdistan ...

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Kaum hatte ich meinen gestrigen blog über die Demo vom 12.6.2010 abgeschlossen, fiel mir wieder ein Erlebnis ein, das mich an diesem Tag sehr beeindruckt hat, mir aber mittlerweile doch wieder entfallen war. Ich möchte es an dieser Stelle nachtragen.

Der Alexanderplatz und das Gelände vor dem Roten Rathaus ist sozusagen "im Besitz der Allgemeinheit", entsprechend unterschiedliche Personen und Gruppen bevölkern deshalb auch wie selbstverständlich die Gegend und scheinen sich miteinander zu vertragen. Das hatte ich wohl nicht bedacht, als ich am 12.6. vom S-Bahnhof her zum Sammlungsort der bevorstehenden Demo lief und alles sozusagen "in Händen der Demonstranten" wähnte und an die anderen nicht dachte.

Gleich am Rande des Neptunbrunnens, in dessen Nähe verschiedene Demo-Gruppen Stände aufgebaut hatten, gab es eine kleine Bühne mit Leinwand, wo offensichtlich Pop-Musik lief, einzelne Teilnehmer "live" etwas mitmachten, und ich dachte dabei nur, was für ein interessantes Vorprogramm, um auch jugendlichere Demonstranten beim Warten "bei der Stange" zu halten!

Dieses Musikprogramm lief dann aber immer weiter, auch während der Demonstrationszug noch unterwegs war, und ich begriff allmählich, dass diese Leute nichts, aber auch wirklich nichts mit der Demo zu tun hatten, sondern ihr ureigenes Thema abspulten. Offenbar war es mit einem Preisausschreiben gekoppelt und eine Traube von jungen Leuten war um die Bühne herum versammelt. So gut, so schön.

Dann allerdings kam der Demonstrationszug zurück, füllte das ganze Gelände und rahmte auch die "Musikanten" ein. Die Party dort ging aber unbeeindruckt von allem weiter. Auch als dann die Polizei-Kolonnen über das Gelände ausschwärmten und lauteste Protestrufe der Kundgebungsteilnehmer durch die Luft schwirrten, machte der Entertainer auf seiner Musikveranstaltung weiter, als wäre die Bühne die ganze Welt, neben der nichts anderes existierte, selbst als die Polizisten auf der Rückseite der Bühne erschienen und laute Schreie ertönten.

Ich kenne eine Zeichnung des Karikaturisten A.Paul Weber, der mich seit meiner Jugend sehr beeindruckt hat: Es ist seine Lithographie mit dem Titel "Der letzte Privatier". Inmitten eines völlig vom Krieg verwüsteten Geländes, offensichtlich auf Dauer für Menschen unbewohnbar, steht ein gemauertes Rund, ähnlich einer Burg. Darin ein hübsches kleines Häuschen mit Türmchen und Fahne und ein idyllischer Garten. In seiner Haustür lehnt der Privatier und guckt, wahrscheinlich zufrieden (die Postkarte, die ich besitze, ist zu klein, um das wirklich sehen zu können) über sein hübsches Anwesen, das er als einziger bewohnt.

Eines weiß ich damit seit dem 12.6.: Um ein Spießer zu sein, muss man nicht erst alt und grau werden, das ist auch schon unter jungen Leuten sehr verbreitet. "L.m.a.A.", was geht es mich an, was zwei Meter neben mir geschieht, Hauptsache, mein Programm läuft weiter.

Apropos A.Paul Weber: Er war ein hellsichtiger Mann und hat viele Themen vorweggnommen, die uns Heutige sehr beschäftigen. Vielleicht komme ich noch einmal auf ihn zurück.

Sonntag, 27. Juni 2010

Nachlese zur Demonstration gegen die Sparpläne der Regierung am 12.6.10 in Berlin

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Bereits am 11. Juni 2010 hatte ich auf meinem blog „Sparen, sparen, sparen: Demo am 12.6.2010“ auf diese Protestveranstaltung hingewiesen, an ihr am 12.6. wie angekündigt teilgenommen und die ganze Zeit seither darüber nachgedacht, welchen abschließenden Kommentar ich noch dazu schreiben könnte. Hier ist er!


Die Zahl von 20.000 Teilnehmern in Berlin und ähnlich vielen in Stuttgart ist zwar nicht gering, kommt aber nicht annähernd an die Zahlen aus dem Vorjahr heran. Da machte es sich deutlich bemerkbar, dass sich die Gewerkschaften, insbesondere der DGB, herausgehalten haben. Ob sie doch noch einmal ihre Mitglieder in diesem Jahr mobilisieren werden? Ohne ihre Mithilfe wird es nicht zu einer „Massenbewegung“ kommen. Ein lobenswertes Gegenbeispiel ist aber Ver.di, dessen Berliner Bezirksorganisation kräftig auf dem Marsch durch die Berliner Innenstadt mitmischte, während Frank Bsirske wohl sogar in Stuttgart eine Rede auf der Abschlusskundgebung hielt.


Zur zögerlichen Haltung der meisten Gewerkschaften fand ich das folgende treffende Zitat in der taz v. 14.6.10: „Wer erst dann auf die Straße geht, wenn er die eigenen Pfründen bedroht sieht, wird feststellen, dass es dann schon zu spät sein könnte. Denn wer sich als Arbeitnehmer heute in Sicherheit wähnt, kann morgen schon arbeitslos sein.“ (Svenja Bergt)


In der Zwischenzeit haben andere Ereignisse die mediale Oberhand gewonnen. Aber das Thema und die Betroffenheit der Menschen werden sich wieder melden, auch wenn alle jetzt im Fußballfieber liegen und zwischenzeitlich der idiotische Knallkörper auf der Berliner Demo eher für Schlagzeilen sorgte. Mein Mitgefühl für die verletzten Polizisten, sie zahlen persönlich den Preis für dieses gemeine Ereignis! Ansonsten hätte aber für die Gegner bzw. Feinde der Demo nichts Besseres geschehen können: Teile der Demonstranten wurden in ein kriminelles Licht gerückt und alle, die sich über diese Tat erregten, vergaßen darüber selbstverständlich das ursprüngliche Anliegen der Demo. Seither sind keine größeren Erkenntnisse über diese Tat mehr in der Zeitung veröffentlicht worden. Was soll man davon halten? Die Tat war verabscheuungswürdig, gemeingefährlich und verantwortungslos und gleichzeitig von ihrer Wirkung her so hirnrissig (im Sinne der Demonstranten), dass man schon beinahe böse Gedanken bekommen könnte, wer da an allem „gedreht“ hat und sein Süpplein kochte …


Wiederum hatte eine große Zahl von Gruppierungen zu dieser Demo aufgerufen, alle diejenigen, die bei derartigen Veranstaltungen in schöner Regelmäßigkeit eh’ dabei sind. Aufgrund der Aktualität wurde von den Veranstaltern noch hervorgehoben, dass auch mehrere griechische Gruppen beteiligt waren. Eher gering, wie schon oben erwähnt, die offizielle Beteiligung von Gewerkschaftern. Ob sie noch aufwachen? Ansonsten machte es auf mich den Eindruck: Je kleiner (und im Vergleich zu den „großen Namen“ unbedeutender) die Organisationen waren, umso geschlossener scharten sich ihre Unterstützer um Transparente und Fahnen und verteilten viele, viele Flugblätter. (Aber hauptsächlich an die anderen Teilnehmer der Demo, die eh’ schon für die Sache gewonnen waren … Vielleicht mit der kleinen Hoffnung, noch jemand seiner Organisation „abspenstig machen zu können“? Offensichtlich werden aber alle derartigen Veranstaltungen sehr gern zur Selbstdarstellung genutzt. Ich gehe bei solchen Gelegenheiten immer mit einem großen Batzen Papier nach Hause.)


Über den unseligen Knallkörper habe ich ja schon oben geschrieben. Ich kann mir jetzt aber noch besser vorstellen, was für eine fast hasserfüllte Stimmung zwischen den von Polizisten eingerahmten Autonomen und der „Begleitgarde“ geherrscht haben mag, zumal es aus vorangegangenen Zeiten schon manche „gemeinsamen Erlebnisse“ geben dürfte. Trotz ihrer schon fast wie eine Karikatur wirkenden „Einpackung“ und Panzerung in Schutzanzügen möchte ich nicht wissen, wie viel Angst auch Polizisten mit sich herumtragen. Vielleicht ist sie das Motiv für manche „Ausraster“ auf Seiten der Polizei.


Das war nämlich eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse auf dieser Demo: Die allseits angetretene Polizei in ihren Schutzanzügen, im direkten Einsatz dann auch noch mit heruntergeklappten Helmen. Hundestaffeln hinter den Straßenbahnschienen, die den Demonstranten auf der anderen Seite Angst einflößten, wenn man sich vorstellte, dass den Hunden ihre Maulkörbe abgenommen würden… Wir leben – nach unserer Verfassung – in einem freiheitlichen Rechtsstaat, in einer Demokratie, in Berlin zumal noch von einem Rot-Roten-Senat regiert. Das Aussehen der Polizei hatte aber schon eher Ähnlichkeit mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Schrecklich!


Und das Verhalten der Polizei dann auf der Abschlusskundgebung fand ich schlimm und unbegreiflich. Wenn ich nicht selbst mitten drin gewesen wäre, hätte ich es nicht geglaubt, obwohl ich schon wiederholt Berichte über ähnliche Vorkommnisse gelesen hatte: Völlig ohne erkennbaren Anlass drangen plötzlich Ketten dieser so vermummten Polizisten in die Haufen der friedlich versammelten Demonstranten ein, die den Abschlussreden zuhörten, umringten einzelne, reagierten überhaupt nicht auf Proteste, sondern agierten wie Polizei-Roboter ohne Gnade. Wirkung: Sie heizten massiv die Stimmung an und brachten auch bisher eher unbeteiligte Teilnehmer gegen sich auf. Aus solchen Situationen speisen sich wahrscheinlich die Urteile gegenüber der Polizei als „Bullen“, die alles niedertrampeln und rücksichtslos agieren. Bisher wollte ich an dieser Stelle gerne „Vorurteil“ statt „Urteil“ sagen, das wäre aber wirklich eine unzutreffende Beschönigung aufgrund meiner Erlebnisse.


Meine kollegiale Frage an die Polizei-Psychologen: Wie haben Sie Ihre Leute vor Ort auf derartige Einsätze vorbereitet? Angst haben wahrscheinlich alle, besonders, wenn zuvor auch noch Kollegen wie auf dieser Demo verletzt wurden. Aber gerade dann dürfte es unverantwortlich sein, solche Massensituationen zuzulassen, die affektiv aufgeladen sind und regelrecht nach einer Eskalation schreien. Wie wollen Sie das noch steuern, wenn es zu einer größeren Eruption kommen sollte? Da ist doch dann “Mord und Totschlag“ fast vorprogrammiert. Ich hatte Angst vor diesen Ungetümen von gepanzerten Polizisten, die wie Roboter in die Menschenmassen eindrangen. Ist das eine aufgeklärte Strategie – oder nicht eher ein Vorgehen wie aus traurigen Vorzeiten?


Umso bemerkenswerter finde ich die Situation, dass in Berlin z.Zt. ein Konflikt zwischen Polizeipräsident Glietsch und dem Hauptpersonalrat der Polizei schwelt: Die Leitung will allen Polizisten vorschreiben, sich im Einsatz entweder durch ihren Namen oder die Dienstnummer an einem Schild erkennen zu geben. Bei Prügeleinsätzen hätten Bürger dann eher eine Möglichkeit zur gezielten Beschwerde. Die Polizei-Vertretung jedoch behauptet, dass ihre Mitglieder dann nicht mehr vor gezielten Racheakten geschützt seien. !!?? Einsätze wie der obige gingen dann sicherlich nicht mehr so einfach. Ich beneide Polizisten nicht um ihre Tätigkeit in solchen Auseinandersetzungen. Aber „Härte“, wie oben beschrieben, kann wohl keine Dauerlösung sein. Und eine Kennzeichnung zwingt zum Nachdenken über „flexiblere Strategien“, wie gesagt, meine Berufskollegen vom psychologischen Dienst sind gefragt!! Ich hoffe sehr, dass Herr Glietsch „nicht einknickt“ und sich durchsetzt, obwohl ich sonst fast immer auf Seiten von Gewerkschaften, Betriebsräten und einfachen Arbeitnehmern stehe. (Diesen Hinweis verdanke ich der taz v. 10.6.2010, die den Artikel von Plutonia Plarre mit dem Titel "Polizisten fürchten die Bürger" veröffentlichte.)

Die Fußspur

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Ich bin ein Mensch, der von seinen Eltern sehr zur Ordentlichkeit erzogen worden ist, äußerlich und innerlich. Das ist irgendwo schon eine gute Eigenschaft, denn es betrifft auch meine Haltung gegenüber sozialen Ordnungen. Da ist mir in Fleisch und Blut übergegangen, Regeln einzuhalten und anderen das zukommen zu lassen, was ihnen offiziell zusteht. Soweit, so gut, aber es hat auch seinen Preis.


Denn wenn ich durch unseren Ort gehe, gerade am Wochenende, wenn Ruhe eingekehrt ist und ich mich einfach umschauen kann, sehe ich, dass offensichtlich viele Jüngere diesen Ordnungsgeist (oder Fimmel??) nicht mehr beigebracht bekommen haben oder gerade ihren Ärger über "die anderen" oder "die da oben" dadurch ausleben, dass sie z.B. die Straße zur Müllkippe erklären oder durch die 30-km-Innenstadtzone mit Lautstärke durchbrettern. Dann spüre ich die Nachteile meiner "frühen Sozialisierung": Entweder überkommt mich großer Ärger bis Abscheu (und tut damit meinem Blutdruck nicht gut) und eine aussichtslose Vorwurfshaltung - oder, versteckter, eine ziemliche Überheblichkeit. Vielleicht ja nur ein Kompensationsversuch für meinen Ärger, den ich nicht ausleben kann. Es tut schließlich gut, sich als edleren Menschen empfinden zu können, der verantwortlicher ist, anderen derartiges nicht antut und sich auch wenigstens einen Rest von ästhetischen Gefühlen angesichts dieser Schlampereien bewahrt hat.


Wenn ich aber nicht nur in diesem moralischen Imponiergehabe steckenbleiben möchte (es bringt leider kaum Punkte ... und macht die Straße nicht sauberer), fällt mir manchmal die folgende Szene wieder ein:


Vor über 25 Jahren wohnte ich vorübergehend in Charlottenburg in der Bleibtreustraße in einem etwas verwunschenen alten Haus in einer WG. Es gehörte zu den stattlichen Gründerzeithäusern, die dort der Stadt das Gepräge geben. Allerdings hatten die Bomben in ihm gewütet und in den höheren Stockwerken einige Teile der Hausfassade und der Wohnungen zum Verschwinden gebracht. Ein bemerkenswerter Anblick (noch heute!).Ich wohnte im obersten Stockwerk, also im dritten oder vierten Stock.


Eines Tages kam ich nach Hause und stellte fest, dass irgendwo im Haus gemalert wurde. Denn ein nichtsnutziger Mensch war mit seinen Schuhen in weiße Farbe getappst und hatte eine eindrucksvolle Spur im Hausflur hinterlassen. "Wie kann man nur...", "Hat der denn garnichts gemerkt?", "Wieso hat der denn das immer noch nicht saubergemacht?", "Wer war denn dieses Erdferkel (sozialere Form von "Schwein")?". Mit solchen Gedanken stieg ich die Treppe zum ersten Stock hoch. Etwas gedämpfter in meinen Anklagen war ich dann, als die Spur immer noch nicht aufhörte und mich ins nächste Stockwerk begleitete. "War das etwa jemand von uns aus der WG?" dachte ich schon sehr viel verhaltener, ansatzweise bereit, von einer Anklagehaltung auf Verteidigung und Rechtfertigung umzusteigen. Als die Spur dann immer noch nicht aufhörte, wurde ich allmählich kleinlaut und malte mir aus: "Mensch, was mache ich bloß, wenn ich das selbst gewesen sein sollte?". Vor der endgültigen Zerknirschung bewahrte mich allerdings die Tatsache, dass die Spur im vorletzten Stockwerk in eine fremde Wohnung führte. Erleichtert ging ich die letzten Stufen hoch... Immerhin habe ich dieses kleine Erlebnis bis heute nicht vergessen, es hat mich etwas bescheidener gemacht. Und machmal fällt es mir wieder ein, wenn mich ein moralischer Rigorismus und Überlegenheitswahn überfällt. Wo ist die eigene Nase? Noch dran?


Das kühlt dann mein Mütchen etwas ab und lässt mich wieder anderen Themen zuwenden. Gelegentlich hebe ich auch eine besonders hässliche Tüte auf der Straße auf und befördere sie in den nächsten Papierkorb, das beruhigt mich etwas und gibt mir immerhin ein aktives Gefühl.

Samstag, 26. Juni 2010

Lieblingszitate CXXX

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Und hier noch einmal das Zitat v. 23.6., jetzt mit der genauen Quellenangabe (soweit mir verfügbar):

Nicht im Vergessen, sondern im sich Erinnern besteht das Geheimnis der Erlösung.

Baal Schem Tov

(18. Jahrhundert)

Zitiert nach dem Motto des Programmhefts zur Aufführung des Theaterstücks von An-ski "Der Dibbuk" an der Schaubühne in Berlin 1982.

[In meiner Sammlung seit dem 11.9.1982]

Kurz und schmerzlos - gleichzeitig Lieblingszitate CXXIX

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Wer könnte unseren Erdenaufenthalt kürzer und präziser benennen?

Nein, da hilft kein Prahlen und kein Trompeten, Schwester Almas Blick stutzt jeden auf das zurück, was er ist: ein Menschlein, das kommt, eine Weile lang schnauft und dann vergeht. [Hervorhebungen von J.L.]

Diese vortreffliche Beschreibung fand ich in dem launigen Buch von Dieter Moor, der seine Erlebnisse als aus der Schweiz zugereister "Neu-Ossi" im Brandenburgischen beschreibt und in liebevoll-ironischen Kapiteln die Menschen in seiner neuen Heimat vorstellt, hier die frühere Ortshebamme Alma.

In: Dieter Moor: Was wir nicht haben, brauchen sie nicht. 5. Aufl. - Reinbek b. Hamburg: Rowohlt Tb. Vlg. 2010. (= rororo 62475). S. 181.

Mittwoch, 23. Juni 2010

Kollektive Abwehrmechanismen

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Verdrängungen, Familiengeheimnisse und kollektive Gedächtnisstörungen

Seitdem ich mich mit Psychoanalyse beschäftige, weiß ich um die Wirksamkeit verdrängter Erinnerungen. Für Freud ist ihre Aufdeckung, Bearbeitung und (wenn möglich) Überwindung Kern seiner therapeutischen Bemühungen, denn sie konfrontieren das Individuum mit seiner persönlichen Wahrheit und setzen im positven Fall Kräfte frei, die bisher zur Unterdrückung dieser unerwünschten Erinnerungen gebunden waren, auch wenn es möglicherweise mit Trauerarbeit verbunden ist: Ich lerne stärker über mich selbst zu bestimmen und befreie mich von aufoktroyierten Einschränkungen! Einige der "Abwehrmechanismen", zu denen man die Verdrängung zählen kann, haben allerdings durchaus auch eine schützende Funktion für die Persönlichkeit, um nicht von allen Seiten psychisch "überrollt" zu werden. Aber je mehr ich über mich weiß, um so freier und eindeutiger kann ich mich entscheiden und Konsequenzen meines Verhaltens abschätzen.

Später befasste ich mich auch mit Familientherapie und - wie es mittlerweile modisch hieß und heißt - systemischer Therapie, d. h. mit der Einbettung des Einzelnen in seinen familiären Zusammenhang. Auch hier hat die Psychoanalyse wichtige Erkenntnisse beitragen können, z.B. mit der Generationen übergreifenden Perspektive. Sie besagt, dass wir offenbar noch viel weniger frei in unseren Anschauungen und Entscheidungen sind, als es eh' schon der Fall zu sein schien, weil offensichtlich auch unsere "Altvorderen" ein gewichtiges Wörtlein mitzureden haben. Sie haben uns manchmal Verpflichtungen und Eingrenzungen aufgrund von "Familiengeheimnissen" auferlegt, für die eigentlich nur sie, nicht aber wir Verantwortung tragen. Mitgefangen, mitgehangen ... Generationen müssen so oft die Schuld der Alten mittragen.

Die Situation ist ideologisch leicht angeheizt: Es gibt begeisterte Anhänger des Ansatzes von Bert Hellinger und seiner Form von "Familienaufstellungen", für andere hingegen ist diese Methode "das rote Tuch". Ich bin da eher pragmatisch und interesse mich für das, "was wirkt"! Und da kann ich - auch wenn es mein rationales Psychologen-Gehirn durcheinandergebracht hat - nicht anders Stellung beziehen, als dass ich aufgrund von Familienaufstellungen erstaunliche Einsichten in meinen eigenen "Clan" gewinnen konnte und auch klärende Einsichten und Erlebnisse hatte, die mich mit Früherem Frieden schließen und alte Kapitel abschließen ließen. So bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass es tatsächlich Verstrickungen der jetzt Lebenden mit dem Schicksal Früherer gibt, die uns Fesseln anlegen und Dinge tun lassen, deren Sinn wir solange nicht wirklich ergründen können, solange wir nicht den familiengeschichtlichen Hintergrund verstanden haben. Dementsprechend schwer fällt es, das eigene Handeln zu verändern. Wie Hellinger gezeigt hat, geht es auch hier meistens um familiär-kollektive Formen von Verdrängungen, eben die "Familiengeheimnisse", um "vergessene" Mitglieder, die dem Clan peinlich waren und in irgendeiner Form ausgeschlossen wurden. Werden sie wieder ins bewusste System hineingeholt (wirklich "verschwunden" waren sie ohnehin nicht) und gewürdigt, stehen plötzlich verstärkte Entwicklungskräfte für Zukünftiges im System zur Verfügung, also für uns und unsere Kinder. Diese Würdigung der Ausgeschlossenen finde ich vergleichbar mit der Trauerarbeit bei S.Freud.

Erst in jüngster Zeit wurde ich darauf aufmerksam, dass es offenbar in noch viel größeren Zusammenhängen kollektive Verdrängungsmechanismen geben muss, die ganze Kulturen und Völker zu beeinträchtigen scheinen. Vielleicht bin ich auch nur unwissend und es gibt schon lange Forschungsansätze, die sich genau dieser Frage widmen. Ich kenne sie aber nicht, und meine Leser mögen es mir verzeihen, wenn ich hier vielleicht hinreichend Bekanntes als meine Ideen ausbreiten sollte. (Das wäre dann so ein Phänomen, wie ich es in meinem blog v. 21.6.10 "Im Strom der Gedanken mitschwimmen" beschrieben habe.)

Handgreiflich vor Augen hatte ich ein solches Phänomen, als es vor einigen Wochen um eine Fernsehdokumentation ging, die dem Völkermord an den Armeniern am Ende des I. Weltkriegs im Osmanischen Reich gewidmet war. (vgl. meinen blog v. 11.4.2010 über "Die Flut der Ereignisse ...") Über 90 Jahre liegen diese Ereignisse nun zurück, unter Historikern sind die Abläufe nicht strittig, und dennoch kämpft die offizielle Türkei gegen eine Anerkennung der Schuld, die ihre Urgroßvätergeneration einmal verantwortet hat. Ich verstehe dieses Leugnen nicht. Es geht ja so weit, dass die Türkei diplomatische Verwicklungen mit den Ländern herbeigeführt hat, deren Parlamente Resolutionen zugestimmt hatten, die den damaligen Völkermord auch wirklich als "Völkermord" deklarieren. Ich habe dabei nicht gehört, dass es um wirtschaftliche Interessen ging und erhebliche Ausgleichszahlungen für Betroffene gefordert worden wären, sondern einzig und allein um das Anerkennen einer früheren Schuld, damit die Heutigen in der Region friedlicher miteinander leben könnten.

"Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen!" Bei anderen sind solche Verdrängungen leichter zu sehen als im eigenen "Dunstkreis", in dem gerade wir Deutschen sicherlich einiges zu bieten haben ... Den Holocaust konnten die Deutschen nach dem II. Weltkrieg nicht verdrängen, da hatten zu viele Andere "die Finger in der Wunde". Einzelne taten es dennoch, mit welchem Gewinn? (Ich denke da an Bischof Williamson, der sich mit seiner Holocaust-Leugnung in die Nähe zu Antisemiten und Rechtsradikalen begab.) Aber kollektiv wirksam war sicherlich in der frühen Bundesrepublik das Verdrängen der Tatsache, dass die meisten Bundesbürger wenige Jahre zuvor - als Mitläufer oder Mitgestalter - das Nazi-System gestützt und durchaus auch zeitweilig von ihm profitiert hatten. Nie ein wirkliches Thema in der Bevölkerung, an das ich mich als Kind und Jugendlicher erinnern könnte. Wenn auch ganz anders gestrickt, aber von breiten Bevölkerungsschichten ebenso mitgetragen, gab es Zustände in der ehemaligen DDR, an denen viele mitgewirkt haben und die ebenso einer Aufarbeitung noch harren. Wird auch das erst der Enkel- oder Urenkel-Generation gelingen, so wie es z.Zt. mit der Aufarbeitung von Verstrickungen einzelner Familien in Nazi-Deutschland in Büchern und Filmen erst jetzt geschieht, nachdem die betroffenen Täter nicht mehr leben? Viele Fragezeichen. Es gibt sicherlich noch viele, viele andere Beispiele, besonders in Ländern, in denen zeitweilig totalitäre Systeme gewütet haben, die aber ihre Untaten nicht ohne die Hilfe vieler Menschen aus der jeweiligen Bevölkerung hätten umsetzen können. Leider ein weites Feld ...

Was bedeutet das alles nun unter psychologischen Gesichtspunkten?

Allen aufgezeigten Formen von Verdrängungen gemeinsam ist m. E., dass eine freie Weiterentwicklung, sei es auf persönlicher, familiärer oder gesellschaftlicher Ebene, daran gekoppelt sein dürfte, dass alte Wunden überhaupt zunächst einmal erkannt, dann anerkannt und schließlich auch betrauert werden müssen. Erst danach kann sich "Schorf" auf den Wunden bilden, gefolgt von Narben, die in manchen Fällen, aber nicht immer, unschön aussehen, dafür aber beredt Auskunft über Früheres geben und dadurch auch für den Reichtum des Lebens stehen und für die Kraft, auch unter widrigen Bedingungen sein Leben gestalten und weiter entwickeln zu können. Ohne diese Schritte ist die Gefahr sehr groß, dass alte Wunden wieder aufbrechen, mit entsprechender fataler Wirkung, denn ohne Aufarbeiten der Hintergründe der Symptome und Ereignisse droht der "Wiederholungszwang", wie Freud dieses Phänomen nannte. Hätte dies für das einzelne Individuum allein schon die fatale Wirkung, das der Kreis der Neurose nie verlassen werden kann, ist es auf kollektiver Ebene noch viel gefährlicher, wenn alle nichts aus der Geschichte lernen können und in der Gefahr stehen, in ähnlichen Situationen wieder auf Diktatoren und falsche Propheten hereinzufallen und die Katastrophen der Vergangenheit zu wiederholen. Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden, soll eine humanere Gesellschaft entstehen!!!



Nicht im Vergessen, sondern im sich Erinnern besteht das Geheimnis der Erlösung.

Baal Schem Tov

[Eine Quellenangabe liefere ich in einem meiner nächsten Posts nach!]

Überstunden ...

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Eine Bekannte berichtete von ihren neuesten Erlebnissen auf dem Arbeitsmarkt: Sie hatte jetzt mit ihrem neuen Chef eine Besprechung, weil sie kurz vor dem Abschluss ihrer Probezeit steht und auf eine feste Übernahme in die Firma hoffte.

Sie war davon überzeugt, gute Arbeit geleistet zu haben einschl. mehrerer erfolgreicher Dienstreisen ins Ausland. Niemand hat bisher an ihrer Arbeit etwas auszusetzen gehabt, ihre Leistungen wurden von den Kollegen akzeptiert. Um so überraschter war sie, dass ihr Chef, mit dem sie in der alltäglichen Arbeit keine Berührung hat, sich über ihre Leistungen überhaupt nicht informiert hatte, sondern als einziges Thema auf ihre in seinen Augen fehlenden Überstunden einging. "Wir können keine Mitarbeiterinnen gebrauchen, die so wenige Überstunden machen wie Sie!" Zwar war mit der Personalabteilung geklärt worden, dass sie als alleinerziehende Mutter mit einem Kleinkind zeitlich enge Grenzen hat, aber das war dem "großen Boss" offensichtlich völlig wurscht, eine derartige soziale Einstellung stört den Geschäftsbetrieb und nur solche Arbeitnehmer sind attraktiv, die sich weit über tarifliche Grenzen hinaus noch benutzen und ausbeuten lassen. Hauptsache, der Profit stimmt! [Es ist leider so, aber bei ähnlichen Themen erlebe ich immer wieder, wie Wut in mir aufsteigt. Schädlich bei meiner Neigung zu "erhöhtem Blutdruck" ...]


Arbeitskraft wird auf dem Markt überreichlich angeboten, so sieht es in Deutschland seit den Jahren höherer Arbeitslosigkeit aus. Und Arbeit ist nach dem Marktverständnis auch nichts anderes als eine Ware. Alle Arbeitssuchenden sind zudem durch verschärfte Gesetze (HARTZ IV) gezwungen, notfalls minderwertig bezahlte Arbeitsplätze anzunehmen. Es ist eine alte Marktregel, dass im Überfluss angebotene Waren im Preis absacken. So haben Arbeitnehmer in Deutschland seit Jahren schlechte Karten und wurden bei der Aufteilung des gesamtgesellschaftlich erwirtschafteten "Kuchens" weit abgehängt. EU-weit gab es kaum andere Länder mit ähnlich geringen Lohnsteigerungen wie bei uns. Wer da etwas fordert, sieht natürlich schlecht aus, wenn er nicht eine starke Gewerkschaft hinter sich weiß. Die wenigsten Arbeitgeber sind aus freien Stücken "edel" und nutzen die Situation für ihre Zwecke. Das Risiko war bislang gering bei den vielen Arbeitssuchenden. "Wenn du es nicht machst, warten schon viele andere auf deinen Job." Vielleicht gibt es allmählich eine Trendwende, weil manche Fachkräfte angesichts des demographischen Wandels allmählich knapp werden. Aber in der breiten Masse können sich die Chefs offenbar immer noch ihre alten Allüren leisten, siehe das obige Beispiel!

"Systemimmanent" ist das alles sehr logisch und folgerichtig. Der "Markt" nach kapitalistischen Regeln funktioniert nun einmal so. Allerdings hat so etwas natürlich mit den Bedürfnissen der meisten Menschen nichts mehr zu tun. Wie lange werden sie sich das noch gefallen lassen? Oder sind alle schon über lange Zeit an derartige Zustände so gewöhnt, dass sie sie für selbstverständlich halten und deshalb nicht mehr aufbegehren? Ohne starke Gewerkschaften wird da wahrscheinlich auch nur wenig zu machen sein. Sie zu stärken, ist meiner Ansicht nach ein Gebot der Stunde!

Montag, 21. Juni 2010

Ver.di zum Sparpaket der Bundesregierung

Politik macht Arme ärmer

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Den folgenden Argumenten von Ver.di habe ich wenig hinzuzufügen. Ich zitiere deshalb weitgehend komplett die folgende Internet-Information:



Wirtschaftspolitik aktuell Nr. 13/2010 v. Juni 2010


Politik macht Arme ärmer


Das „Sparpaket“ der Bundesregierung trifft Erwerbslose, Eltern, den öffentlichen Dienst. Vermögende und Gutverdienende brauchen nichts beizutragen. Schon seit vielen Jahren macht die Politik die Armen ärmer und die Reichen reicher.


Von Ralf Krämer, Sabine Reiner, Norbert Reuter, Anita Weber, Bereich Wirtschaftspolitik,ver.di Bundesvorstand Berlin


wirtschaftspolitik@verdi.de ; http://wipo.verdi.de



„Sozial ausgewogen“ nennt Kanzlerin Merkel das geplante „Sparpaket“ der Bundesregierung. Tatsächlich handelt es sich um ein Programm der Sozialkürzungen, das die Kluft zwischen Arm und Reich weiter vertiefen wird.


Einschnitte im Sozialbereich und beim Personal machen weit über die Hälfte des Pakets aus. Über ein Drittel sind allein Kürzungen bei den Arbeitslosen. Vermögende und Personen mit hohen Einkommen dagegen brauchen keinen Cent beizutragen.


Schon in den letzten zehn Jahren hat die Politik für eine Vertiefung der sozialen Kluft gesorgt. Der Höchstsatz der Einkommensteuer wurde von 53 auf 42 Prozent gesenkt, die Gewinnsteuer der AGs und GmbHs von 40 auf 15 Prozent. Die Vermögensteuer wird schon seit 1997 nicht mehr erhoben.


Erwerbslose sowie Rentnerinnen und Rentner mussten dagegen heftige Kürzungen hinnehmen. Und der Niedriglohnsektor ist geradezu explodiert durch Hartz IV und die Förderung von Leiharbeit, Befristungen und Minijobs.


Wohin das führt hat eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung erneut bestätigt: Die Armen werden mehr und immer ärmer, die Reichen werden immer reicher. Schon 2009 hatten Millionäre die Verluste aus dem Finanzmarktcrash wieder wett gemacht – mit tätiger Hilfe des Staates.


www.gerecht-geht-anders.de


Dazu noch eine schöne Karikatur, die Interessenten aber am besten auf der Ver.di-Seite einsehen könnten: Kanzlerin Merkel steht in der Mitte der Landschaft, über ihr die große Sprechblase "Wir haben eben über unsere Verhältnisse gelebt"! Rechts von ihr bemühen sich viele Leute unter Aufbietung ihrer letzten Kräfte, ein riesiges "Sparpaket" anzuheben, darunter ein Arbeiter, eine Mutter mit schreiendem Baby, ein Alter, der seinen Krückstock verloren hat und ein kleines Kind, dem sein Teddy entglitten ist. Links im Hintergrund, durch die Entfernung zwar kleiner wirkend, aber von ähnlicher Größe das "Rettungspaket", auf dem mehrere Männer im Smoking gerade mit Sekt anstoßen. À propos: Natürlich stehen sie bequem auf ihrem Paket bzw. sitzen auf ihm und müssen es nicht wie die Erstgenannten auf ihren Schultern tragen ...

Im Strom der Gedanken mitschwimmen

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Je mehr ich lese, desto häufiger erlebe ich, dass kluge Autoren schon lange vor mir Gedanken formuliert haben, die jetzt in mir selbst hochkamen und die ich zunächst ganz als meine Errungenschaft aufgefasst hatte. In jüngeren Jahren war ich über ähnliche Erlebnisse erstaunt und meistens ein wenig beschämt und beleidigt, weil ich damit offensichtlich nicht das „Urheberrecht“ für diese Idee hatte. Jetzt freue ich mich und fühle mich bestätigt, dass diese Idee offensichtlich sehr gut ist, so gut, dass sie meinem Vorläufer auch schon gekommen ist. Das ist doch ein echtes Kompliment!


Ich habe aber ebenso schon mehrfach erlebt, dass ich seit längerem Gedanken gehegt habe, die ich wertvoll und aufschreibenswert fand, ohne das jemals zu tun. Plötzlich finde ich diesen Gedanken, anders formuliert, vielleicht auch in einem anderen Zusammenhang, aber deutlich ähnlich meinem eigenen, in einer Zeitung oder einem Buch oder in einer Sendung, eindeutig erst n a c h meiner gedanklichen Akrobatik veröffentlicht. Schon wieder ist es nichts mehr mit einem „Copyright“ für meine Idee! Da ist mir jemand zuvorgekommen! Aber auch das finde ich mittlerweile wunderbar und bestätigend, denn meine Idee war offensichtlich so gut und überhaupt nicht abwegig, dass auch andere auf sie gekommen sind. So habe ich Bundesgenossen für gute Gedanken – und nicht mehr Konkurrenten, wie ich es früher eher empfunden hätte.


So kann ich im Strom der Gedanken mitschwimmen!

Lieblingszitate CXXVIII


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Werte


Die guten Dinge des Lebens

Sind alle kostenlos:

Die Luft, das Wasser, die Liebe.

Wie machen wir das bloß,

Das Leben für teuer zu halten,

Wenn die Hauptsachen kostenlos sind?

Das kommt vom frühen Erkalten.

Wir genossen nur damals als Kind

Die Luft nach ihrem Werte

Und Wasser als Lebensgewinn,

Und Liebe, die unbegehrte,

Nahmen wir herzleicht hin.

Nur selten noch atmen wir richtig

Und atmen Zeit mit ein,

Und leben eilig und wichtig

Und trinken statt Wasser Wein.

Und aus der Liebe machen

Wir eine Pflicht und Last.

Und das Leben kommt dem zu teuer,

Der es zu billig auffasst.


Eva Strittmatter



Gefunden in dem wunderbaren Sammelband mit Gedichten und Bildern:


Eva Strittmatter und Erwin Strittmatter: Landschaft aus Wasser, Wacholder und Stein. Ein Jahreszeitenbuch. Hg. von Almut Giesecke. Mit 78 Fotos von Anke Fesel. – Berlin: Aufbau Vlg. 2005. Darin: S. 15.

Dinosauria XIX: Wer soll das alles lesen? ... Gedanken zu Erasmus

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In einem Artikel von Cees Nooteboom in der ZEIT (Nr. 4, 2010) stand, dass Erasmus, einer der bedeutendsten Wissenschaftler des 16. Jahrhunderts, eine Bibliothek von 500 Bänden besaß, vermutlich ein ungeheurer Besitz für die damalige Zeit! Heute erscheinen wahrscheinlich allein täglich mehr neue Bücher und eine ungeheure Flut von anderen Druckerzeugnissen hinzu; wenn man dann auch noch alles aus dem Internet hinzunimmt, sitzen wir buchstäblich in einer Arche Noah inmitten eines Meeres von digitalen Informationen. Alle produzieren, was das Zeug hält ... (Ich auch ...).


Wer liest das alles? Wieviel Zeit bleibt da noch zum gründlicheren Lesen und Studieren? Ich will ja nicht schon wieder in so etwas wie Kulturpessimismus verfallen. Aber um heutzutage halbwegs "up to date" zu sein, muss man sich über vieles wenigstens ganz oberflächlich informieren. Wem bleibt da die Zeit zur Vertiefung? Es ist ähnlich wie beim Briefeschreiben: Für die Kreise, in denen Briefe "in" waren, bedeutete diese Ebene vor Jahrzehnten und Jahrhunderten (ich denke z.B. an die Deutsche Romantik) etwas sehr Wichtiges. Denn über Briefe geschah ein wesentlicher Austausch als Ausgleich dafür, dass man weder telefonieren noch mailen konnte noch sich häufiger besuchen. Jeder Brief wurde ausführlich beantwortet, Gedanken aus ihm weiterentwickelt. Nähe zwischen den Schreibern entstand und ein Anreiz, Ideen weiter zu "spinnen". Denn so konnte man über seine eigene Meinung reflektieren und erhielt aufgrund der Reaktion des Partners Impulse für weitere Schritte, so wie auch in einem guten Gespräch. Gegenseitige Entwicklungshilfe!


Heute: unendliche Möglichkeiten, wahrscheinlich viel weniger Nähe zwischen den Kommunikationspartnern, viele Gedanken, die aber nicht aufgegriffen und deshalb wahrscheinlich meistens auch nicht fortentwickelt werden können mangels Rückmeldung. - Die Welt ist rund und dreht sich und alte Zustände kommen nicht noch einmal wieder. Die Oberflächlichkeit aber nimmt zu.

Therapeutische Reminiszenzen III

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Diese Rubrik habe ich am 7. Juni erläutert. Heute folgt die 2. Fortsetzung.



Eigene Mängel als Entwicklungschancen


Jeder sollte über seine Mängel glücklich sein, denn sie sind der Ansatzpunkt für Wachstumsprozesse! Ohne Mängel wären wir „göttergleich“, damit starr und unlebendig. Es kann für einen Analysanden deshalb ein großer Schritt sein, seine Mängel zu entdecken. Mit denjenigen, die keine in der Therapie benennen, ist nur schwer zu arbeiten.

Liebe


Eine wichtige Voraussetzung für echte Liebesgefühle ist die Fähigkeit, sich auch abgrenzen zu können. Fehlt sie, kann das Liebesangebot des anderen auch als bedrohlich empfunden werden. Es kann dann wie eine Anforderung erlebt werden, von der man befürchtet, verschluckt zu werden.


Unter dem Deckmantel „Liebe“ können auch viele andere Gefühle und Charakterzüge versteckt sein, die ihr eherabträglich sind, wie z.B. Herrschsucht, Masochismus, Eitelkeit, Bequemlichkeit, Anspruchshaltung u. a.


Masochismus


Zum Masochismus gehören zwei Seiten einer Medaille: Auf der Handlungsebene unterzieht sich der Masochist, leidet und steckt mit seinen Möglichkeiten zurück. In der Phantasie/ in den eigenen Überlegungen jedoch leitet er gerade aus diesem Verhalten das Gefühl moralischer Überlegenheit her.


Deutungen


Eine gute Deutung leistet die Verknüpfung von bisher unverbunden erlebten Fakten und erhöht damit das Selbstverstehen. Derart mit Sinn behaftetes Wissen über sich selbst bleibt dann auch eher im Bewusstsein haften.


Originelle Leistungen


Etwas wirklich Originelles kann nur derjenige schaffen, der sich zuvor das vorliegende Wissen erarbeitet und in sich aufgenommen hat.

Wunderkinder haben mit diesem Lernprozess schon frühzeitig angefangen und zumeist auch später im Leben weiterhin Kultur und Wissen in sich aufgenommen.


Unterschiedliche Bedürfnisse in einer Partnerschaft


In einer mehr symbiotischen Beziehung spürt man seine eigenen Bedürfnisse und Grenzen und ebenso diejenigen des Partners nicht mehr. Andere Wünsche werden als bedrohlich erlebt. Gleichzeitig droht eine solche Beziehung langweilig zu werden.

In einer sich entwickelnden Partnerschaft hingegen sind Konflikte durch unterschiedliche Bedürfnisse der Partner unvermeidlich.

Jeder hat unterschiedliche Bedürfnisse, die er an den anderen herantragen muss. Ziel ist, sich auf gemeinsame Bedürfnisse zu einigen, gegebenenfalls auch etwas allein oder mit anderen zu tun bzw. auch sich abwechselnd auf die Bedürfnisse des jeweiligen anderen Partners einzulassen.

Hierdurch wird die Beziehung farbiger, naturgemäß aber auch konflikthafter. Dafür bekommen beide Partner mehr Kontur und jeder kann den anderen eher spüren.


[Fortsetzung folgt]




Mittwoch, 16. Juni 2010

Wieder einmal: Griechenland

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Meine Startseite im Internet ist T-Online wegen meines einschlägigen Vertrags mit der Telekom. Normalerweise klicke ich dann sofort weiter, manchmal schaue ich aber doch auf die aktuellen Schlagzeilen: "Griechen schaffen Geld ins Ausland" war es am 15.6.2010.

Ich zitiere noch einmal ausführlicher:

Aus Sorge vor einem Staatsbankrott schaffen zahlreiche Griechen ihr Geld ins Ausland. In den ersten vier Monaten des Jahres sind nach Angaben der griechischen Zentralbank (Bank of Greece) 18,5 Milliarden abgeflossen.

Allein im April verringerten sich die Geldeinlagen bei griechischen Banken von 268,8 Milliarden Euro, wie aus Informationen der Notenbank laut Medienberichten in Athen hervorgeht. Die Tendenz halte auch im Mai und Juni an. Die Gelder fließen nach den Angaben vornehmlich ins benachbarte Zypern sowie nach Großbritannien - wo vermögende Griechen in den vergangenen Monaten vor allem im Großraum London Immobilien kauften. (dpa-AFX)

Unkommentiert ist dies eine wunderbare Nachricht, um, wie in den vergangenen Wochen gang und gebe, "die Griechen" ob ihres Schlendrians, ihrer verantwortungslosen Kassenführung und ihrer erpresserischen Art, die "tüchtigeren" europäischen Staaten für ihre Schulden aufkommen zu lassen, anzuklagen und schlecht zu machen: "Die Ratten verlassen das sinkende Schiff!"

Was ist tatsächlich passiert? Hier wurde vom Pressedienst eine verkürzte Schlagzeile verwendet, die dann tatsächlich all die obigen Vorurteile bedient. Richtig müsste die Botschaft lauten: "Die Reichen in Griechenland retten ihr Geld ins Ausland." Dann wird ein Schuh daraus!

Nirgendwo habe ich bisher gelesen, dass in Griechenland Reiche und Super-Reiche herangezogen worden sind, um einen größeren Beitrag zur Verringerung der Griechischen Staatsschulden zu leisten, das ist wie bei uns in Deutschland. Es gibt nur gewaltige soziale Kürzungen bei den weniger Betuchten, gegen die seit Wochen die Gewerkschaften Streiks organisieren. Diese Schonung könnte sich natürlich noch einmal ändern, und so bringen die Vermögenden ihr Geld in Sicherheit, bevor sie etwas abgeben müssen... Wie sollte die Mehrzahl der "kleinen Leute" wohl Milliarden bewegen? Sie müssen wahrscheinlich eher ihre Sparbücher plündern, soweit vorhanden, um nach den vehementen Einkommensabsenkungen über die Runden zu kommen.

In der gewählten Formulierung bleibt an allen - in der Überzahl völlig unbeteiligten - Griechen etwas hängen. Das empfinde ich nicht nur als unfair, sondern schon regelrecht als "Meinungsmache".

Dienstag, 15. Juni 2010

Alles halb so schlimm ...

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Entwarnung! Alle Reichen und Superreichen dieser Welt können aufatmen, denn die schlimmsten Auswüchse der Finanzkrise liegen hinter ihnen! Es geht wieder bergauf! Wer noch ungläubig ist, lasse sich durch folgendes Zitat eines Besseren belehren:

"Die Reichen dieser Welt haben die Finanzkrise überstanden", meldet die Nachrichtenagentur AFP nach einer Studie der Boston Consulting Group. Bargeld, Aktien, Wertpapiere und Fonds privater Anleger haben mit einem Gesamtwert von 111,2 Billionen Dollar das Vorkrisenniveau wieder erreicht.

Gefunden habe ich diese beruhigenden Angaben in dem Artikel "Der Unmut geht auf die Straße. Bündnis aus Linken und Gewerkschaftern protestiert in Berlin und Stuttgart gegen die Sparmaßnahmen der Bundesregierung", verfaßt von Regina Stötzel und abgedruckt im Neuen Deutschland v. 12.6.2010 auf der Titelseite.

Verdrossenheit

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Im Tagesspiegel v. 13.6.2010 fand ich in einem Leserbrief von Prof. Dr. Hans-Dieter Gelfert eine sehr gelungene Formulierung zum Sparpaket der Regierung:

Das beschämende Ergebnis der Kabinettsklausur hat nun endgültig gezeigt, dass die Regierung auf die vielbeklagte Politikverdrossenheit des Volkes mit einer Politikverdrossenheit der Politik reagiert. Das Volk hätte einer Sparpolitik zugestimmt, die alle trifft, aber die Besserverdienenden mehr. [...] Stattdessen hat sich die Koalition für eine reine Klientelpolitik entschieden, die nur denen wehtut, die weder FDP noch CDU wählen. [...] (Hervorhebungen von J.L.)

In eigener Sache: Das "Amalgam" meiner Beiträge

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Wer meinen blog verfolgt, wird sich vielleicht über die Unterschiedlichkeit meiner Beiträge wundern. Manchmal "gehen mit mir die Pferde durch", wenn ich gar zu viele Ungerechtigkeiten und Ärgernisse in der Welt um mich herum entdecke; da kann ich dann nicht anders, als meinen Zorn darüber in einen Beitrag zu stecken und hier zu veröffentlichen. Ich sehe aber auch, dass ein solcher Zorn zu einer verzehrenden Leidenschaft werden kann und angesichts der "widerständigen Welt" leicht Resignation oder Groll erzeugt, wenn man sich bei einzelnen Problemen "festbeißt".

Da helfen mir dann immer die vielen aufbauenden, eher meditativ-philosophischen Zitate aus meiner Sammlung oder das Wissen um Vorbilder, insbesondere solche, die der Gewalt abgeschworen haben und nur mit ihrem Geist für Verbesserungen kämpfen. Gelegentlich liebe ich aber auch "etwas Pfeffer" in Form einer Satire.

Es ist ein langer Weg zur Weisheit. Wer sagt denn, dass es weise ist, milde über alles zu urteilen und meditativ das Leben aus abgehobener Position zu betrachten!? Vielleicht ist das für einige Menschen der angemessene Weg. Ich kann mir für mich jedoch vorstellen, dass es für mich eher richtig ist, einen klaren Blick zu gewinnen, mich dabei nicht zu verzehren, aber für Humanität und menschlichen Fortschritt zu streiten, mit meinen Mitteln, solange ich dafür Kraft habe und mein Geist klar bleibt. (Wer weiß, wie lange meine grauen Zellen mitmachen...) Und: "Der Weg ist das Ziel", kein idealer Endzustand.

Zur Weisheit passt die folgende Anekdote überhaupt nicht, aber sie geht wie ein Ohrwurm in meinem Kopf herum und hat damit etwas mit meiner Befindlichkeit zu tun. Dem ersten offiziellen Schachweltmeister Wilhelm Steinitz wird die folgende Aussage zugeschrieben: Als er - schon leicht betagt - einen Wettkampf mit Michael Iwanowitsch Tschigorin spielte, gewann er eine Partie, weil dieser etwas unvorsichtig seine Königsstellung geschwächt hatte: "Ich bin schon etwas alt. Aber wenn mir jemand einen Finger in den Mund steckt, beiße ich!" (Ausnahmsweise einmal ohne Quelle ...)

"Bissig" möchte ich nicht unbedingt sein, aber wenn mich eine Aussage oder ein Ereignis provoziert und ärgert, will ich auch weiterhin dagegen Stellung beziehen. Andererseits genauso wunderbare Ereignisse und Aussagen vorstellen, damit auch andere noch Gewinn aus ihnen ziehen können!

Lieblingszitate CXXVII

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Das folgende Zitat ist sehr aktuell, wenig charmant, eher bissig, aber dadurch außerordentlich nachdenkenswert! Zumindestens kann man sagen, dass die Berliner Koalition sehr klug handelte, ihre derzeitigen Zumutungen für die Bevölkerung zu einer Zeit zu präsentieren, in der die Aufmerksamkeit der meisten Menschen kurz danach völlig vom Fußball absorbiert werden würde! Absicht oder Zufall? (Bei den vielen Marketing-Strategen, die heutzutage überall mitmischen, kann ich mir die zweite Variante kaum vorstellen.)

Der Fußball ist einer der am weitesten verbreiteten Aberglauben unserer Zeit. Er ist heute das wirkliche Opium des Volkes.

Umberto Eco

Ich habe, wenn ich mich recht erinnere, dieses Zitat mehrfach gelesen. Zuletzt im Neuen Deutschland v. 12.6.2010, das ich auf der großen Demo in Berlin zugesteckt bekam.

Freitag, 11. Juni 2010

Lieblingszitate CXXVI

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Nur von Verwandelten können Wandlungen ausgehen.

Sören Kierkegaard


Soeben gefunden als "Schlussstein" in der neuen Ausgabe von Publik-Forum 11/2010 v. 11.6.10.

Sparen, sparen, sparen: Demo am 12.6.2010

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Zur Sparorgie der Koalition gibt es viele Gegenstimmen. Interessanterweise auch von der CDU! Einige Abweichler in ihr sind wohl immer mutig, aber das ausgerechnet ein Sprecher des Wirtschaftsflügels eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes einfordern würde, hätte ich nie gedacht! Seine Vermutung, dass der soziale Friede nachhaltig gestört werden könnte, wenn nicht auch die Betuchteren ihren Beitrag zum Abbau der Staatsverschuldung leisten, ist sicherlich sehr zutreffend. Gleichzeitig dürfte der Sprecher aber auch aus eigenen Erfahrungen wissen, dass sich die Reicheren in unserer Gesellschaft eine solche Beteiligung leisten könnten, ohne sich allzusehr weh zu tun. (Franklin D. Roosevelt im New Deal in den USA hatte da ganz andere Steuersätze durchgesetzt ...).

Jedenfalls dürfte das letzte Wort zu den Sparbeschlüssen der Koalition noch nicht gesprochen sein. Gegendruck hat noch eine Chance!!

Wie immer, in vorderster Reihe der Kritiker, Attac und Ver.di!
Beide rufen mit vielen anderen Organisationen gemeinsam auf zu einer Großdemonstration am 12. Juni in Stuttgart und Berlin!

Berlin: Beginn 12.00 auf dem Alexanderplatz vor dem Roten Rathaus!!

nähere Informationen u.a.:

https://berlin.verdi.de/

http://www.attac.de/aktuell/veranstaltungen

Sehr informativ zum Thema finde ich die neuen Wirtschaftspolitischen Informationen Nr.1/2010 -zum Sparpaket der Regierung: "Reiche verschonen - Wachstum und Sozialstaat ruinieren" von Ver.di (Quelle: http://wipo.verdi.de).

Seit langem erstmalig werde ich morgen wieder an einer Demo teilnehmen!