Montag, 28. Juni 2010

Erlebnisse aus Absurdistan ...

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Kaum hatte ich meinen gestrigen blog über die Demo vom 12.6.2010 abgeschlossen, fiel mir wieder ein Erlebnis ein, das mich an diesem Tag sehr beeindruckt hat, mir aber mittlerweile doch wieder entfallen war. Ich möchte es an dieser Stelle nachtragen.

Der Alexanderplatz und das Gelände vor dem Roten Rathaus ist sozusagen "im Besitz der Allgemeinheit", entsprechend unterschiedliche Personen und Gruppen bevölkern deshalb auch wie selbstverständlich die Gegend und scheinen sich miteinander zu vertragen. Das hatte ich wohl nicht bedacht, als ich am 12.6. vom S-Bahnhof her zum Sammlungsort der bevorstehenden Demo lief und alles sozusagen "in Händen der Demonstranten" wähnte und an die anderen nicht dachte.

Gleich am Rande des Neptunbrunnens, in dessen Nähe verschiedene Demo-Gruppen Stände aufgebaut hatten, gab es eine kleine Bühne mit Leinwand, wo offensichtlich Pop-Musik lief, einzelne Teilnehmer "live" etwas mitmachten, und ich dachte dabei nur, was für ein interessantes Vorprogramm, um auch jugendlichere Demonstranten beim Warten "bei der Stange" zu halten!

Dieses Musikprogramm lief dann aber immer weiter, auch während der Demonstrationszug noch unterwegs war, und ich begriff allmählich, dass diese Leute nichts, aber auch wirklich nichts mit der Demo zu tun hatten, sondern ihr ureigenes Thema abspulten. Offenbar war es mit einem Preisausschreiben gekoppelt und eine Traube von jungen Leuten war um die Bühne herum versammelt. So gut, so schön.

Dann allerdings kam der Demonstrationszug zurück, füllte das ganze Gelände und rahmte auch die "Musikanten" ein. Die Party dort ging aber unbeeindruckt von allem weiter. Auch als dann die Polizei-Kolonnen über das Gelände ausschwärmten und lauteste Protestrufe der Kundgebungsteilnehmer durch die Luft schwirrten, machte der Entertainer auf seiner Musikveranstaltung weiter, als wäre die Bühne die ganze Welt, neben der nichts anderes existierte, selbst als die Polizisten auf der Rückseite der Bühne erschienen und laute Schreie ertönten.

Ich kenne eine Zeichnung des Karikaturisten A.Paul Weber, der mich seit meiner Jugend sehr beeindruckt hat: Es ist seine Lithographie mit dem Titel "Der letzte Privatier". Inmitten eines völlig vom Krieg verwüsteten Geländes, offensichtlich auf Dauer für Menschen unbewohnbar, steht ein gemauertes Rund, ähnlich einer Burg. Darin ein hübsches kleines Häuschen mit Türmchen und Fahne und ein idyllischer Garten. In seiner Haustür lehnt der Privatier und guckt, wahrscheinlich zufrieden (die Postkarte, die ich besitze, ist zu klein, um das wirklich sehen zu können) über sein hübsches Anwesen, das er als einziger bewohnt.

Eines weiß ich damit seit dem 12.6.: Um ein Spießer zu sein, muss man nicht erst alt und grau werden, das ist auch schon unter jungen Leuten sehr verbreitet. "L.m.a.A.", was geht es mich an, was zwei Meter neben mir geschieht, Hauptsache, mein Programm läuft weiter.

Apropos A.Paul Weber: Er war ein hellsichtiger Mann und hat viele Themen vorweggnommen, die uns Heutige sehr beschäftigen. Vielleicht komme ich noch einmal auf ihn zurück.

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