Sonntag, 27. Juni 2010

Nachlese zur Demonstration gegen die Sparpläne der Regierung am 12.6.10 in Berlin

.

Bereits am 11. Juni 2010 hatte ich auf meinem blog „Sparen, sparen, sparen: Demo am 12.6.2010“ auf diese Protestveranstaltung hingewiesen, an ihr am 12.6. wie angekündigt teilgenommen und die ganze Zeit seither darüber nachgedacht, welchen abschließenden Kommentar ich noch dazu schreiben könnte. Hier ist er!


Die Zahl von 20.000 Teilnehmern in Berlin und ähnlich vielen in Stuttgart ist zwar nicht gering, kommt aber nicht annähernd an die Zahlen aus dem Vorjahr heran. Da machte es sich deutlich bemerkbar, dass sich die Gewerkschaften, insbesondere der DGB, herausgehalten haben. Ob sie doch noch einmal ihre Mitglieder in diesem Jahr mobilisieren werden? Ohne ihre Mithilfe wird es nicht zu einer „Massenbewegung“ kommen. Ein lobenswertes Gegenbeispiel ist aber Ver.di, dessen Berliner Bezirksorganisation kräftig auf dem Marsch durch die Berliner Innenstadt mitmischte, während Frank Bsirske wohl sogar in Stuttgart eine Rede auf der Abschlusskundgebung hielt.


Zur zögerlichen Haltung der meisten Gewerkschaften fand ich das folgende treffende Zitat in der taz v. 14.6.10: „Wer erst dann auf die Straße geht, wenn er die eigenen Pfründen bedroht sieht, wird feststellen, dass es dann schon zu spät sein könnte. Denn wer sich als Arbeitnehmer heute in Sicherheit wähnt, kann morgen schon arbeitslos sein.“ (Svenja Bergt)


In der Zwischenzeit haben andere Ereignisse die mediale Oberhand gewonnen. Aber das Thema und die Betroffenheit der Menschen werden sich wieder melden, auch wenn alle jetzt im Fußballfieber liegen und zwischenzeitlich der idiotische Knallkörper auf der Berliner Demo eher für Schlagzeilen sorgte. Mein Mitgefühl für die verletzten Polizisten, sie zahlen persönlich den Preis für dieses gemeine Ereignis! Ansonsten hätte aber für die Gegner bzw. Feinde der Demo nichts Besseres geschehen können: Teile der Demonstranten wurden in ein kriminelles Licht gerückt und alle, die sich über diese Tat erregten, vergaßen darüber selbstverständlich das ursprüngliche Anliegen der Demo. Seither sind keine größeren Erkenntnisse über diese Tat mehr in der Zeitung veröffentlicht worden. Was soll man davon halten? Die Tat war verabscheuungswürdig, gemeingefährlich und verantwortungslos und gleichzeitig von ihrer Wirkung her so hirnrissig (im Sinne der Demonstranten), dass man schon beinahe böse Gedanken bekommen könnte, wer da an allem „gedreht“ hat und sein Süpplein kochte …


Wiederum hatte eine große Zahl von Gruppierungen zu dieser Demo aufgerufen, alle diejenigen, die bei derartigen Veranstaltungen in schöner Regelmäßigkeit eh’ dabei sind. Aufgrund der Aktualität wurde von den Veranstaltern noch hervorgehoben, dass auch mehrere griechische Gruppen beteiligt waren. Eher gering, wie schon oben erwähnt, die offizielle Beteiligung von Gewerkschaftern. Ob sie noch aufwachen? Ansonsten machte es auf mich den Eindruck: Je kleiner (und im Vergleich zu den „großen Namen“ unbedeutender) die Organisationen waren, umso geschlossener scharten sich ihre Unterstützer um Transparente und Fahnen und verteilten viele, viele Flugblätter. (Aber hauptsächlich an die anderen Teilnehmer der Demo, die eh’ schon für die Sache gewonnen waren … Vielleicht mit der kleinen Hoffnung, noch jemand seiner Organisation „abspenstig machen zu können“? Offensichtlich werden aber alle derartigen Veranstaltungen sehr gern zur Selbstdarstellung genutzt. Ich gehe bei solchen Gelegenheiten immer mit einem großen Batzen Papier nach Hause.)


Über den unseligen Knallkörper habe ich ja schon oben geschrieben. Ich kann mir jetzt aber noch besser vorstellen, was für eine fast hasserfüllte Stimmung zwischen den von Polizisten eingerahmten Autonomen und der „Begleitgarde“ geherrscht haben mag, zumal es aus vorangegangenen Zeiten schon manche „gemeinsamen Erlebnisse“ geben dürfte. Trotz ihrer schon fast wie eine Karikatur wirkenden „Einpackung“ und Panzerung in Schutzanzügen möchte ich nicht wissen, wie viel Angst auch Polizisten mit sich herumtragen. Vielleicht ist sie das Motiv für manche „Ausraster“ auf Seiten der Polizei.


Das war nämlich eines meiner eindrücklichsten Erlebnisse auf dieser Demo: Die allseits angetretene Polizei in ihren Schutzanzügen, im direkten Einsatz dann auch noch mit heruntergeklappten Helmen. Hundestaffeln hinter den Straßenbahnschienen, die den Demonstranten auf der anderen Seite Angst einflößten, wenn man sich vorstellte, dass den Hunden ihre Maulkörbe abgenommen würden… Wir leben – nach unserer Verfassung – in einem freiheitlichen Rechtsstaat, in einer Demokratie, in Berlin zumal noch von einem Rot-Roten-Senat regiert. Das Aussehen der Polizei hatte aber schon eher Ähnlichkeit mit bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Schrecklich!


Und das Verhalten der Polizei dann auf der Abschlusskundgebung fand ich schlimm und unbegreiflich. Wenn ich nicht selbst mitten drin gewesen wäre, hätte ich es nicht geglaubt, obwohl ich schon wiederholt Berichte über ähnliche Vorkommnisse gelesen hatte: Völlig ohne erkennbaren Anlass drangen plötzlich Ketten dieser so vermummten Polizisten in die Haufen der friedlich versammelten Demonstranten ein, die den Abschlussreden zuhörten, umringten einzelne, reagierten überhaupt nicht auf Proteste, sondern agierten wie Polizei-Roboter ohne Gnade. Wirkung: Sie heizten massiv die Stimmung an und brachten auch bisher eher unbeteiligte Teilnehmer gegen sich auf. Aus solchen Situationen speisen sich wahrscheinlich die Urteile gegenüber der Polizei als „Bullen“, die alles niedertrampeln und rücksichtslos agieren. Bisher wollte ich an dieser Stelle gerne „Vorurteil“ statt „Urteil“ sagen, das wäre aber wirklich eine unzutreffende Beschönigung aufgrund meiner Erlebnisse.


Meine kollegiale Frage an die Polizei-Psychologen: Wie haben Sie Ihre Leute vor Ort auf derartige Einsätze vorbereitet? Angst haben wahrscheinlich alle, besonders, wenn zuvor auch noch Kollegen wie auf dieser Demo verletzt wurden. Aber gerade dann dürfte es unverantwortlich sein, solche Massensituationen zuzulassen, die affektiv aufgeladen sind und regelrecht nach einer Eskalation schreien. Wie wollen Sie das noch steuern, wenn es zu einer größeren Eruption kommen sollte? Da ist doch dann “Mord und Totschlag“ fast vorprogrammiert. Ich hatte Angst vor diesen Ungetümen von gepanzerten Polizisten, die wie Roboter in die Menschenmassen eindrangen. Ist das eine aufgeklärte Strategie – oder nicht eher ein Vorgehen wie aus traurigen Vorzeiten?


Umso bemerkenswerter finde ich die Situation, dass in Berlin z.Zt. ein Konflikt zwischen Polizeipräsident Glietsch und dem Hauptpersonalrat der Polizei schwelt: Die Leitung will allen Polizisten vorschreiben, sich im Einsatz entweder durch ihren Namen oder die Dienstnummer an einem Schild erkennen zu geben. Bei Prügeleinsätzen hätten Bürger dann eher eine Möglichkeit zur gezielten Beschwerde. Die Polizei-Vertretung jedoch behauptet, dass ihre Mitglieder dann nicht mehr vor gezielten Racheakten geschützt seien. !!?? Einsätze wie der obige gingen dann sicherlich nicht mehr so einfach. Ich beneide Polizisten nicht um ihre Tätigkeit in solchen Auseinandersetzungen. Aber „Härte“, wie oben beschrieben, kann wohl keine Dauerlösung sein. Und eine Kennzeichnung zwingt zum Nachdenken über „flexiblere Strategien“, wie gesagt, meine Berufskollegen vom psychologischen Dienst sind gefragt!! Ich hoffe sehr, dass Herr Glietsch „nicht einknickt“ und sich durchsetzt, obwohl ich sonst fast immer auf Seiten von Gewerkschaften, Betriebsräten und einfachen Arbeitnehmern stehe. (Diesen Hinweis verdanke ich der taz v. 10.6.2010, die den Artikel von Plutonia Plarre mit dem Titel "Polizisten fürchten die Bürger" veröffentlichte.)

Keine Kommentare: