Sonntag, 21. November 2010

Märchen und Ethik

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In meinem kleinen Literaturkreis, in dem wir hier in meiner Heimatstadt von Zeit zu Zeit die unterschiedlichsten Texte lesen und unsere Eindrücke darüber austauschen, waren in den letzten Wochen "Märchen" dran, ein Thema, das mich in seiner Vielfalt immer wieder fasziniert.

Einige meiner ältesten Erinnerungen ranken sich dabei um ein kleines, schäbiges Märchenbuch der Gebrüder Grimm, mit kaputtem Einband, Brandflecken und losen Seiten. Meine Mutter hat es wohl als Trümmerfrau 1945 in einer Ruine in Berlin gerettet. Die Auswahl der Märchen war etwas ungewöhnlich, jedenfalls waren nicht nur die üblichen berühmten Märchen abgedruckt. Wenn ich mich richtig erinnere, las ich in diesem Buch erstmalig "Die Nixe im Teich" und "Die beiden Brüder", zwei Märchen, die in ihrem "Skript" irgendetwas mit mir zu tun haben müssen, denn ich las sie immer wieder... (Ich denke jetzt, es hat etwas mit dem Motiv der Treue zu tun, die auf einer langen Lebensreise trotz größter Schwierigkeiten Bestand hat und schließlich nach vielen Plackereien doch noch zu einem guten Ende führt. Aber erst dann.)

Mittlerweile habe ich von psychologischen Ansätzen erfahren, die Märchen dafür einsetzen, Zugänge zum eigenen Erleben und der eigenen Entwicklungsgeschichte zu finden und sie dadurch therapeutisch nutzbar zu machen. Ich denke, da ist wirklich etwas dran. Jedenfalls haben mich Märchen, insbesondere Volksmärchen, nie mehr losgelassen, auch wenn dieses Buch meiner Kindheit leider schon vor vielen Jahren irgendwie abhanden gekommen ist.

Wir haben in dem Kreis darüber diskutiert, woher wohl die Märchen stammen mögen (die Wissenschaftler sind sich nicht einig) und welche Aufgabe sie ursprünglich hatten. Meine Meinung - jenseits aller Wissenschaftlichkeit: Volksmärchen dienen der Grundlegung einer Ethik! "Gut" und "Böse" werden eindeutig aufgezeigt, die dahinterstehende Ordnung ist einfach und überzeugend. (Fast) immer siegt zum Schluss das Gute! (Vielleicht gibt es Gegenbeispiele, sie sind mir aber z.Zt. nicht präsent). Kindern ist diese Ordnung in bestimmten Entwicklungsabschnitten sofort zugänglich und einleuchtend. Dabei sind die Märchen garnicht für Kinder erzählt (und später aufgeschrieben) worden, es waren ursprünglich Berichte für Erwachsene.

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