Montag, 8. November 2010

"Gelassenheit" - Der 7. Engel von Anselm Grün

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Den schönsten Text über Gelassenheit habe ich bei Anselm Grün gefunden. Mittlerweile gibt es so viele Schriften von ihm, einen Beratungsbrief und Kurse bietet er wohl auch an, außerdem ist er der Wirtschaftsleiter seines Klosters: Ob er das als Einzelperson wirklich alles schaffen kann? Oder ist es mittlerweile die Marke "Anselm Grün", zu der verschiedene Personen ihren Beitrag leisten?

Wie auch immer, ich finde sein Büchlein "50 Engel für das Jahr" sehr aufbauend und erhellend, obwohl ich eigentlich mit christlicher Erbauungsliteratur ein Problem habe. Die "Engel" stellen aber in einer so wunderbaren Weise menschliche Grundhaltungen und Werte dar, die in einer schwebend-meditativen Erzählweise den Leser beflügeln, sie sind ja schließlich auch Engel! Irgendwie ein wunderbares Bild für Helfer, die den Menschen zur Seite stehen könnten, wenn sie sie wahrnehmen oder zulassen.

Mag es Menschen geben, die ihnen eine reale geistige Kraft zumessen, während sie für andere nur Symbole wirkmächtiger Ideen sind. Sie haben in meiner Wahrnehmung und meinem Erleben Kraft und wirken. Auch bei einem Atheisten wie mir ...

Deshalb möchte ich Anselm Grün zitieren und von mir ausgewählt Auszüge seines "7. Engels" zur Erhellung des Problems der Gelassenheit in meinen blog setzen. Aber auch alle anderen 49 Engel sind studierenswert!!


Auszüge aus:

Anselm Grün:

7.

Der Engel der Gelassenheit

"Nichts haben, alles besitzen", so lässt sich die Haltung von Weisen aus allen Religionen, zu allen Zeiten, beschreiben. Nur wer sein Herz an nichts Geschaffenes hängt, wer loslassen kann, woran andere hängen, der ist wirklich frei. Gelassenheit war für die Mystiker des Mittelalters ein wichtiges Wort. Vor allem Meister Ekkehart spricht immer wieder von der Gelassenheit. Gelassen ist ein Mensch, der sein Ego losgelassen und sich in Gott hinein ergeben hat, der ruhig geworden ist in seinem Herzen, weil er sich in den göttlichen Grund hinein hat fallen lassen. [...] damit wir in unserem Innersten unser wahres Wesen erkennen, den unverfälschten Personkern. Gelasssenheit als Haltung innerer Freiheit, innerer Ruhe, als gesunde Distanz zu dem, was von außen auf mich einströmt [...] kann auch eingeübt werden. Um zur Gelassenheit zu gelangen, muss ich vieles lassen.

Da ist erst einmal die Welt, die ich lassen soll. [...] Der Mensch soll das Hängen am Eigentum, am Erfolg, an der Anerkennung lassen. Denn wer an etwas Irdischem hängt, der wird abhängig. [...]

Lassen ist keine asketische Leistung, die wir uns mühsam abringen müssen. Vielmehr kommt sie aus der Sehnsucht nach innerer Freiheit und aus der Ahnung, dass unser Leben erst dann wirklich fruchtbar wird, wenn wir unabhängig und frei sind. Wenn wir nicht mehr abhängig sind von dem, was andere von uns denken und erwarten, wenn wir nicht mehr abhängig sind von der Anerkennung und Zuwendung von Menschen, dann kommen wir in Berührung mit unserem wahren Selbst.

Die Gelassenheit fordert aber auch ein Lassen von mir selbst. Ich soll mich selbst nicht festhalten, weder meine Sorgen, noch meine Ängste, noch meine depressiven Gefühle. Viele Menschen klammern sich an ihren Verletzungen fest. Sie können sie nicht lassen. Sie benutzen sie als Anklage gegen die Menschen, die sie verletzt haben. Aber damit verweigern sie letztlich das Leben. Wir sollen auch unsere Verletzungen und Kränkungen lassen. [...] Fähigkeit, Dich von Dir selbst zu distanzieren, zurückzutreten und Dein Leben von einem anderen Standpunkt aus, von einem Stand jenseits Deiner selbst, anzuschauen. Wer sich so gelassen hat, der kann gelassen reagieren auf die aufgeregten Berichte der Medien. Der kann gelassen antworten auf Kritik und Ablehnung. Er gerät nicht in Panik bei jeder Kritik. Er fühlt sich nicht bedroht. Er hat keine Angst, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Denn er hat Distanz gewonnen [...]

Gelassenheit ist nicht Selbstbeherrschung. Der Gelassene braucht nicht Haltung zu bewahren, weil er einen andern Standpunkt hat, weil er von schlimmen Nachrichten gar nicht im Innersten getroffen wird. Weil er sich und seine Auffassung, wie sein Leben ablaufen sollte, gelassen hat, kann ihn nichts so leicht aus der Bahn werfen. [...]

Manch einer verbeißt sich in einer hitzigen Diskussion. Er meint, er sei es seinem Gewissen schuldig, dass er die Wahrheit vertritt. Der Engel der Gelassenheit zeigt Dir in solchen Diskussionen, dass die Wahrheit nicht in der Richtigkeit der Worte und der Argumente liegt, sondern auf einer anderen Ebene. Wahrheit meint Stimmigkeit, Übereinstimmung mit der Wirklichkeit. Das, was wir absolut wahr halten, ist oft nur Ausdruck unserer eigenen Projektionen. [...] Wer um die tiefste Wahrheit weiß, der geht gelassen in die Diskussion, nicht resignierend, weil wir die Wahrheit doch nicht erkennen können, sondern im Wissen darum, dass unsere Erkenntnis immer relativ ist, dass es immer verschiedene Standpunkte geben kann, dass die Wahrheit wohl in der Mitte der streitenden Parteien liegen wird. [...]

Quelle: Anselm Grün: 50 Engel für das Jahr. Herder-Vlg. 1997. S. 32 - 35.


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