Samstag, 13. November 2010

Dinosauria XXI: Bezogenheit

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Als Dinosaurier kann ich auf Berichte aus der Romantik zurückblicken, dass die Menschen, die etwas auf sich hielten und die dazugehörige (Herzens-)Bildung besaßen, sich gegenseitig lange Briefe schrieben, über eine Antwort gründlich nachdachten und dann ausführlich zurückschrieben. Natürlich gingen sie dann auch auf Fragen ein und kommentierten Ausführungen ihres Gesprächspartners/ihrer Gesprächspartnerin. Auch aus späteren Zeiten gibt es Briefwechsel berühmter Zeitgenossen, die es bis zur Buchform gebracht haben. (Die der weniger berühmten Mitmenschen finden sich vielleicht noch in den Schuhkartons, die wir beim Aufräumen des Erbes von Großeltern und Urgroßeltern finden, denn Derartiges wurde natürlich aufgehoben!)

Das meine ich mit "Bezogenheit"! Jemand tritt an mich heran, grüßt mich, stellt mir eine Frage, teilt mir eine Meinung mit, möchte meine Gegenmeinung dazu wissen. Und ich reagiere darauf in angemessener Weise. Wenn es funktioniert, sozusagen eine Form von "Ping-Pong-Kommunikation". Gibt es das heute noch? Oder habe ich da zu ideale Vorstellungen im Zeitalter von Emails, You Tube, Chatrooms und ähnlichen schönen Sachen? Briefe dürften schon einmal fast ausgestorben sein, Graphologen langsam völlig überflüssig werden, weil sie kein geeignetes Material mehr vorfinden, denn keiner entwickelt mehr eine individuelle Handschrift, wenn er nur noch auf seine Tastatur einhämmert.

Neben diesem eher Wehmütigen, was halt so mit den "Dinosauria-Themen" verbunden ist, trifft diese Fragestellung mich allerdings auch "mit einer roten Nase" vom vielen Selbstanfassen, denn meinen eigenen idealen Erwartungen entspreche ich selbst oft nicht, was aber nicht heißen soll, dass sie nicht dennoch sinnvoll sind (und ich mich um ein Dazulernen und Bessermachen noch bemühe).

Ich habe darüber nachgedacht, in welchen Lebensbereichen mir oft etwas an Bezogenheit gefehlt hat und was ich mir statt dessen wünschte - nicht zuletzt auch von mir selbst!

Ich habe mir dabei drei Bereiche sehr unterschiedlichen Charakters ausgesucht, ich möchte etwas schreiben über
  1. den dienstlichen Umgang mit Kollegen und Chefs und was da so alles sinnvoll sein könnte im Zusammenhang mit einer heute viel gepriesenen "Mitarbeiterpflege", wenn Chefs sich mehr auf ihre Mitarbeiter beziehen würden,
  2. den Umgang mit Emails und den doch noch nicht ganz ausgestorbenen Briefen im Privatbereich und
  3. den Umgang mit Büchern und Texten, die bei mir zum Geburtstag und Weihnachten auf dem Gabentisch landen, aber auch alle anderen Schriften, die ich von Freunden erhalte - vice versa alles das, was ich selbst in diesem Genre schon an andere geschickt habe.
Zu 1.: Von den drei Unterthemen nimmt dieses schon eine Sonderposition ein. Ich habe es hier mit aufgenommen, weil ich es in der Vergangenheit doch sehr belastend und enttäuschend fand, auch wenn es in meiner derzeitigen Lebenssituation kaum noch eine Rolle spielt: Ich war immer ein eher "unbequemer" Mitarbeiter, sei es, dass ich mich in der Mitarbeitervertretung engagierte, sei es, dass ich auch sonst mit meiner Meinung "nicht hinter dem Berg hielt". So habe ich in den letzten Jahren meiner Berufstätigkeit mehrfach meinen Chefs (auf unterschiedlichen Leitungsebenen) etwas geschrieben, Anregungen gegeben, auch etwas kritisiert. Meist wurde es totgeschwiegen, obwohl ich die Adressaten meiner Botschaften fast täglich getroffen habe. Keine Reaktion! Das kann ich dann in meinem Sinne interpretieren: Entweder ist es eine besondere Form von Machtausübung ("was schert mich Dein Geschreibsel") oder die Notbremse, sich nicht mit unliebsamen Themen beschäftigen zu müssen, also eher ein Zeichen von Schwäche ("lass mich zufrieden mit Deinen Sachen, ich habe schon genug andere Sorgen"). Auf jeden Fall demotivierend und eine sehr schlechte Mitarbeiterpflege! Es soll Betriebe geben, die Preise für Mitarbeiter ausloben, die Ideen und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Ein gutes Potential, wenn man es zu heben versteht!

Dieses Thema "kommt mir immer mal wieder hoch", obwohl es in den Bereich der Erlebnisse und Erinnerungen gehört, die ich gern "loslassen" möchte, um mehr Gelassenheit in mein Leben hineinzulassen. Keine leichte Übung, aber ich befinde mich auf dem Weg ...

Zu 2.: Hier können meine Ausführungen kurz bleiben, denn der Sachverhalt ist sonnenklar: Zu einer guten Kommunikation im privaten Bereich gehört es unausweichlich, sich für Briefe und Mails zu bedanken, gestellte Fragen zu beantworten, eigene zu formulieren, damit auch der Austausch auf Gegenseitigkeit beruht, auch etwas von sich selbst mitzuteilen, so dass der andere sich einbezogen fühlen kann. Eine zeitnahe Reaktion ist sicherlich am günstigsten, mit dem Markenzeichen "lieber kurz als spät"! In diesem Bereich habe ich schon viel gesündigt und musste lieben Menschen Abbitte leisten, weil ich oft so lange gewartet habe, dass ich diese Pause erklären musste, und das konnte dann schon etwas peinlich sein (und die "lange Bank" noch einmal ein Stück verlängern). Ich sehe als Abhilfe, wie oben gesagt, nur den Weg, schneller "kurz" zu reagieren und auf längere Varianten zu verzichten, auch wenn mein ursprünglicher Anspruch einmal ein anderer war.

Ich übe ...

Zu 3.: Weihnachten "ante portas"! Aber auch Geburtstage und ähnliche Anlässe gibt's zu Hauf!
Hinterher bin ich immer um eine kleine Bibliothek reicher. Aber auch ich selbst verschenke gern Bücher, versende aber auch fotokopierte Artikel, die mir aufgefallen sind, und freue mich, wenn mir meine Cousine in der Anlage einer Email die Buchbesprechung mitschickt, die sie gerade fertiggestellt und eingereicht hat. So viel Geist auf einem Haufen! Damit könnte man doch nun wunderbare Briefwechsel eröffnen und dem Schenkenden eigene Assoziationen mitteilen, positive und negative. Jedenfalls sehe ich in einem Buch auch ein Gesprächsangebot! Also auch ein Anlass für Bezogenheit!

Natürlich ist das schon ein gutes Stück aufwendiger, als nur auf einen Brief zu antworten, denn ich muss dafür wenigstens in das Buch hineingucken und mir einen Überblick verschaffen, "wessen Geistes Kind" es überhaupt ist, um mir eine Meinung zu bilden. Früher habe ich Bücher gesammelt, so wie es halt ein Sammler tut: Hauptsache besitzen und gut sichtbar aufbewahren! So stehen noch viele ungelesene Schätze bei mir herum. Auch hier ist meine neue Strategie: weniger ist mehr, darum mehr lesen! (Und weniger kaufen.)

Hier möchte ich in Zukunft auch ein besserer "Mitspieler" werden, der seine Meinung als Dank zurückgibt und vielleicht dadurch einen kleinen Dialog ermöglicht. Mit meinen Büchergeschenken an andere sieht es auch nicht viel besser aus, aber bevor ich bei anderen etwas einfordere, fange ich am besten bei mir selbst an! Das war und ist immer noch der am meisten Erfolg versprechende Ansatzpunkt.

Für eine neue Kultur der Bezogenheit!

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