Dienstag, 24. November 2009

Sarrazin und kein Ende ...

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Noch immer sind die Zeitungen voll von Verweisen auf das Sarrazin-Interview mit dem „Lettre International“. Das ist nicht verwunderlich, denn er hat eine vielschichtige Debatte losgebrochen, in der es nur noch vordergründig um Thilo Sarrazin geht.


Ich habe versucht, die verschiedenen Ebenen auseinander zu dividieren, die dabei m. E. im Spiel sind:


  1. geht es natürlich um den Protagonisten, Thilo Sarrazin. Er war ja schon als Berliner Finanzsenator dafür bekannt, kräftig vom Leder zu ziehen. Das ist ihm auch jetzt wieder in einigen Teilen des Interviews gelungen, in denen er hemdsärmelig, ohne einen Anspruch auf diplomatische Vermittlung seine „sozialen Wahrheiten“ unters Volk bringt. Da er krass verallgemeinert, verletzt er viele Migranten, die sich in diesen pauschalisierenden Vorwürfen nicht wiederfinden können.

  1. Er ist hart dafür angegangen worden; sein Dienstgeber, die Bundesbank, schränkte seinen Arbeitsbereich ein, vom Zentralrat der Juden kam ein „Nazi-Vorwurf“. Dagegen haben wiederum viele Stimmen ihn verteidigt: Muss es unsere Demokratie nicht aushalten, dass auch extreme Meinungen geäußert werden können, solange sie nicht verfassungsfeindlich sind? Ist damit nicht das Grundrecht auf Meinungsfreiheit berührt? Das führt m. E. dann zu Parallelen wie der mit der Diskussion um die unseligen Mohammed-Karikaturen. (Ich fand sie damals absolut geschmacklos, eine unnötige Provokation, aber die Reaktionen in der arabischen Welt waren auch überaus unmäßig, jedenfalls in unserem Verständnis …Ähnliche Persiflagen auf das Christentum erlebe ich aber ebenso als unappetitlich und würdelos. Ich erinnere mich dabei an den Film der englischen Gruppe „Monty Python“, gerühmt für ihren angeblichen „schwarzen Humor“, die in ihrem Film „Das Leben des Brian“ Jesus veräppelt haben. Ich treffe dann meine private Entscheidung und schalte so etwas aus. Aber mehr?)

  1. Besonders berührt hat mich aber der lang anhaltende Beifall, der ihm immer noch gespendet wird: Endlich einmal die Wahrheit! Endlich nennt jemand Ross und Reiter, Erkenntnisse, die bisher von den „Gutmenschen“ unterdrückt wurden!! Da graust es mich etwas, eine kühle Luft weht um mich. Gleichzeitig lässt es sich nicht leugnen, dass an dieser Stelle großer Diskussionsbedarf besteht. Es klingt aber streckenweise eine Radikalität mit an, bei der man fürchten muss, „das Kind könnte mit dem Bade ausgeschüttet werden“.

  1. Gleichzeitig leitet dies zu der wichtigsten Frage über: was tun? Kein vernünftiger Sozialwissenschaftler und Politiker, kein Vertreter von einschlägigen Wohlfahrtsverbänden und Organisationen wird leugnen, dass es eine brisante Zuspitzung in der Bevölkerung gibt, zu deren Behebung es bisher politisch keinerlei tragfähige Modelle für die Zukunft gibt, die aber unser Gemeinwesen auseinander reißen könnte. Nicht integrationswillige Migranten, die es sicherlich auch gibt, sind aber nur eine Teilgruppe des Problems. Die zunehmende Verarmung in unserem Lande schafft immer weitere Problempopulationen. Bildungsferne gibt es auch unter „reinrassigen“ Deutschen (aber wer ist das schon: wahrscheinlich heißt das nicht viel mehr, als dass der individuelle Migrationshintergrund bereits ein paar Generationen zurückliegt.). Ich habe die genaueren Angaben nicht zur Hand, die sich aber mit Leichtigkeit verschaffen ließen: Vor zwei oder drei Jahren wurde eine Studie über das Erziehungsverhalten von Eltern und das Leben der heutigen Jugend veröffentlicht, die der Jugendforscher HURRELMANN mit den Worten kommentierte, dass mittlerweile 10 – 15% der Eltern unfähig seien, ihre Kinder angemessen zu erziehen. Sicherlich gehäuft in der sog. „Unterschicht“, aber auch in anderen Kreisen unserer Gesellschaft. Es ist nicht schwer sich auszumalen, was mit den Kindern der Kinder dieser Eltern einmal geschehen wird und auf welche soziale Katastrophe wir zusteuern, wenn in unserem Lande kein Konzept gegen dieses Problem gefunden wird. Da wird es nicht reichen, 1. Klassen mit 23 statt 24 Kindern laufen zu lassen … (Ein Thema zum Haareraufen angesichts der Untätigkeit und offensichtlichen Unfähigkeit der Bildungspolitik bundesweit …)

Im Hinblick auf meinen 4. Punkt muss man Theo Sarrazin fast dankbar sein, dass er in eine Wunde gepiekt und eine Diskussion entfacht hat, auch wenn noch nicht klar ist, welche Geister er wachgerufen hat…

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