Sonntag, 29. November 2009

Die Weisheit des Rabbi

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Eines meiner Lieblingsbücher ist die Sammlung jüdischer Witze von Salcia Landmann. Aber auch in anderen Quellen habe ich schöne Beispiele für diese besondere Form von Humor entdeckt, der mich in irgendeiner Weise sehr anzieht. Ich kann das Motiv dafür nicht klar benennen, aber in ihrer Art und Weise haben diese Witze etwas Unnachahmliches. Sonst kenne ich ähnliche Phänomene nur noch bei Klezmer-Stücken auf der Ebene der Musik, immerhin derselbe Kulturkreis! Wahrscheinlich ist es ein besonderes Merkmal dieser Witze, dass sie sich nicht wie sonst so üblich über andere Menschen lustig machen oder auch über andere Bevölkerungsgruppen erheben, sondern sie haben oft etwas Selbstreflexives und dadurch Bescheidenes, sie prunken mehr mit ihrer Intelligenz als mit irgendwelchen Grobheiten.


Und sie haben manchmal auch etwas Mehrschichtiges. Bei der folgenden Geschichte habe ich früher den Kopf geschüttelt und mich über den Rabbi lustig gemacht, dem ich mich als Verfechter der „reinen Wahrheit“ überlegen wähnte. Immerhin habe ich aber diese Geschichte nie vergessen. Als sie mir jetzt wieder in den Sinn kam (vgl. meinen Folge-blog!), hatte ich einen neuen Eindruck, nämlich dass der Rabbi der Geschichte der Weiseste und Bescheidenste von allen ist, mit klarem Wissen um die Grenzen seiner Urteilsfähigkeit.


Ich will meine armen Leser aber nicht weiter auf die Folter spannen und stattdessen die Geschichte zum Besten geben:


Das Urteil


Zwei Juden hatten einen Streit und kamen zum Rabbiner. Der Rabbi hörte den einen an und sagte:

„Du hast recht.“

Dann hörte er den anderen an und sagte: „Du hast recht.“

Daraufhin fragte ihn seine Frau:

„Wie kommt es, dass du den beiden zerstrittenen Seiten recht gibst. Entweder die eine oder die andere Seite kann nur recht haben.“

Darauf der Rabbi:

„Du hast auch recht.“


Gefunden in: Alexander Drozdzynski: Jiddische Witze und Schmonzes. – Augsburg: Weltbild 2001. S. 88-89.

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