Montag, 26. Oktober 2009

Die Zehn Gebote

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Sind sie nicht eine geniale Leistung von Moses, dem jüdischen Staatsgründer?

Äußerst vernünftig, seiner Kultur und allen in ihr lebenden Menschen einen festen Rahmen für ein sinnvolles Zusammenleben gebend! Und verbunden mit der genialen Idee, wie sie in den Büchern der Genesis dargestellt wird, dies als göttliche Gesetzgebung zu verkünden und sie dadurch sozusagen in einer Dimension „über uns“ anzusiedeln, nicht hinterfragbar, nicht kritisierbar, für alle Zeiten fest verankert.

Ich bin in anderen Religionen als den jüdisch-christlichen nicht so bewandert, um ein umfassendes Urteil abgeben zu können, aber zumindest der Islam hat seine „Grundgesetze“ auch auf diesem Weg als Offenbarung eines höheren Wesens begründet.

Wie mir scheint, ähneln sich die Grundforderungen aller dieser Lehren sehr, auch wenn man zusätzlich die alten philosophisch-religiösen Lehren in Indien, China und Japan hinzuzieht.

Offenbar gibt es da einen Urgrund vernünftiger menschlicher Ideen, die dem Sozialen Halt geben und dem Einzelnen eine Richtschnur für ein erfülltes Leben sein können.

Die Fortüne aller Religiösen ist dabei ihre wunderbare Fähigkeit, diese Regelungen mit einer höheren Macht außerhalb von uns legitimieren zu können, was Diskussionen über die Grundfesten ausschließt und Zusammenhalt gewährt.

Da haben es die Freigeister unverhältnismäßig schwerer! Sie können nur auf die schon uralte Kulturentwicklung der Menschheit verweisen, auf den generationenübergreifenden Diskurs und die darin entwickelten Vorstellungen von „allgemeinen Menschenrechten“.

Aber ein Diskurs muss immer weitergeführt werden, ist nie abgeschlossen und auch nie ein fester Besitz (glücklicherweise!), dadurch immer wieder eine Aufforderung, Altes zu hinterfragen, Neues zu denken oder wenigstens zu suchen, auch Amalgierungen auszuprobieren.

Dieser Weg erfordert unbedingt eine Vertrautheit mit den kulturellen Wurzeln des Denkens, der Geschichte der Begriffe, Werte und Traditionen, um die Fülle der Möglichkeiten zu bewahren und sich nicht von Besserwissern und Ideologen einkassieren zu lassen.

Vielleicht ist das der Grund, warum Diktaturen nichts mehr fürchten als eine schlichte Beschreibung von Vergangenheit und Gegenwart, die sie am liebsten durch eine ausschließlich in ihrem Blickwinkel umgestaltete Geschichtsschreibung und Sprache ersetzen würden: Gleichschaltung durch Gehirnwäsche und Ausradieren anderer Denkformen! (Ich denke an die „Neusprech“ bei George Orwell; aber auch in unseren Landen wurde Sprache schon vergewaltigt und umgeformt bzw. umzuformen versucht, um aus den Gehirnen unbotmäßige Vorstellungen zu entfernen, z.B. bei „Reformen“ die Erwartung von Verbesserungen für die breite Bevölkerung.)

Die Gelddruckmaschine


Die neue Koalition hat jetzt die von ihr mäßig bis aggressiv angekündigten Steuererleichterungen beschlossen.


Endlich, es wäre auch ein starkes Stück, wenn sie ihre Wahlversprechen nicht einhielten.


Abgesehen davon, dass sie noch nicht wirklich da sind, sind Steuererleichterungen bares Geld für uns, die wir Steuern zahlen müssen, je mehr, desto mehr! Also werden wiederum wir am meisten davon profitieren, die wir eh’ schon am meisten haben. So ist es richtig! Für uns Tüchtige! Leistung soll sich wieder lohnen!


Da wir es möglicherweise (und bei steigender Einkunftshöhe immer wahrscheinlicher) gar nicht nötig haben, die so geernteten Beträge in den Konsum fürs Alltägliche zu stecken, können wir alles Zusätzliche prima sparen oder profitabel anlegen.


Und das ist auch unbedingt erforderlich, denn wir müssen dringend dem Staat helfen!!


Er kann nämlich nach allen bisherigen Erkenntnissen diese Steuersenkungen nur durch neue Schulden finanzieren, also ist er hungrig nach Geld, für das er seine Bundesschätzchen und Obligationen ausloben wird.


Das ist doch toll!!


Ich bekomme Geld vom Staat geschenkt, das ich ihm dann allerdings sofort zurück leihe, wofür ich auf unabsehbare Zeiten Zinsen und Zinseszinsen kassieren kann, ohne dafür zusätzlich etwas tun zu müssen! Die Zinsen auf Staatspapiere sind zwar zum Naserümpfen niedrig, dafür wird er aber toi, toi, toi nie pleite gehen – und auf die Dauer sammelt sich auch so ein nettes Sümmchen an …


Die ideale Gelddruckmaschine als Selbstläufer!


Und wenn’s mir gar zu langweilig wird, kann ich ja auch noch anderswo spekulieren und einen größeren Reibach versuchen. Wem’s nach den Erfahrungen der Finanzkrise aber zu riskant ist, der kommt jedoch auch so auf seine Kosten, zwar langsam, aber nachhaltig! (Der Zinseszins hat ja so einen wunderbaren exponentiellen Funktionsverlauf!)


Wer fragt da schon noch nach den wirklichen Kosten? Das können doch nur Neidhammel oder Untüchtige sein! Warum nutzen sie ihre Chancen auch nicht besser, statt immer nur zu meckern!

Samstag, 24. Oktober 2009

Gedanken bewahren ...

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Mein blog ist eine wunderbare Hilfe für mich! Einerseits zwingt er mich, Gedanken so präzise auszudrücken, dass auch andere Menschen sie verstehen können (hoffentlich!), was ja bekanntlich dazu führt, sich selbst auch besser zu verstehen. Andererseits habe ich das gute Gefühl, das alles, was ich erst einmal hier aufgeschrieben habe, damit auch vor dem Vergessen gerettet ist, vor dem Vergessen durch andere (sofern es sie überhaupt interessiert) natürlich auch, aber vor allem vor meiner eigenen Vergesslichkeit bei meinem oft schon arg nachlassenden Gedächtnis.

Was hier erst einmal steht, ist damit auch archiviert, so hoffe ich jedenfalls, und wird vom Betreiber dieser Seite nicht so schnell gelöscht (klein gedruckte Anmerkungen in den Benutzer-Hinweisen habe ich allerdings nicht studiert). Wer denkt dabei in Ewigkeiten … aber doch in Jahren! Ich habe selbst schon mehrfach in (etwas) älteren Beiträgen gesucht und war hoch erfreut, Gedanken und Texte wieder zu finden, die so auch eine äußere Ordnung für mich gefunden haben und nicht mehr „auf dem Berg meines Gesammelten“ so lange liegen, bis ich sie selbst nicht mehr wieder finden kann und sie schlimmstenfalls dann irgendwann endgültig vergesse.

Heimgekehrt aus Dresden mit Erich Kästner im Koffer

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Ich bin wieder zurück von der herbstlichen Reise mit meiner Frau nach Dresden! Allein schon die Tatsache, dass wir „kinderfrei“ ein paar anregende Tage gemeinsam verbringen konnten, ist eine wunderbare Angelegenheit, mittlerweile unsere gemeinsame Geflogenheit jedes Jahr für eine knappe Woche. Sehr empfehlenswert für Eltern für die „Beziehungspflege“!! Verbunden mit einem großen Dankeschön an liebe Omas und Opas, denn wie sollte es sonst gelingen!


Dresden: Eine Großstadt, mit kaufwütigen Menschen in großen Einkaufspassagen, Gedrängel, das Elbufer, der Zwinger und all die anderen historischen wieder erschaffenen Gebäude, ein Grauen gerade dort bei dem Gedanken, wie es 1945 aussah, denn in Berlin und Hamburg war ich schon so oft, dass ich dort nicht mehr an Bomben denke, wundervolle Gemälde, erstaunliche Sammlungen von Kunstgegenständen (dafür hat der Fürst allerdings das Geld seiner Bevölkerung verprasst, immerhin aber einen bleibenden Gegenwert erworben), Bergbahnen und wunderbare Ausblicke, ein Abstecher in die Sächsische Schweiz nach Rathen mit fantastischen Bergkuppeln – und Erich Kästner!


Diesen Autor hatte ich überhaupt nicht auf meinem Reiseplan, er gehört wohl auch nicht zum üblichen „Dresden-Kulturpensum“. Meine Wiederbegegnung mit ihm hat sich einfach so – dafür aber ganz nachhaltig – ergeben, weil meine Frau noch ein paar Empfehlungen einer Freundin für unseren Dresden-Aufenthalt mitgenommen hatte, u.a. den Hinweis auf ein ganz neues, winziges Museum zu Ehren Erich Kästners, in dem man sich – ganz modern „interaktiv“- durch Belegstücke aus seinem Leben und seinen Werken mit seinem Wirken vertraut machen kann.


Kinderbücher von ihm habe ich in einschlägigen Zeiten gelesen, dabei mit „Pünktchen und Anton“ gelitten, später dann seine satirischen Gedichte entdeckt („Die Entwicklung der Menschheit“), wahrscheinlich habe ich dies noch einem meiner engagierten Lehrer am Gymnasium zu verdanken! Kästner als Satiriker und großer Moralist! Der ist mir heute natürlich viel näher. Und ihn habe ich auch bei meiner Abschiedsrede "zur Pensionierung" im Fürstenwalder Dom zitiert. (vgl. meinen blog v. 23. September 2008)


Durch unseren Dresden-Besuch habe ich jetzt aber noch einen anderen Zugang zum Werke Erich Kästners gefunden, denn mit seiner Biographie hatte ich mich noch nie weiter beschäftigt. Wir lesen jetzt gemeinsam ein Buch über ihn:


Klaus Kordon: Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner. – Weinheim und Basel: Beltz & Gelberg 1994. (= Gulliver-Reihe).


Ein schwieriges Leben, überschattet von einer erdrückenden Mutterbeziehung! Und ein genialer Autor! In einer Zeit lebend, in der Deutschland von „großen Köpfen“ schier überquoll. (Wir lesen gerade über seine Schaffensjahre in der Weimarer Republik vor den Nazis, in denen Berlin noch eine Weltmetropole war.)


Es ist sicherlich eine „Wende“-Folge, dass es jetzt für ihn einen Gedenkort in Dresden gibt, denn er hat sich nach dem Desaster 1945 bewusst im Westen Deutschlands angesiedelt. Wie auch immer: er war ein sehr kritischer, allem Autoritären gegenüber abgeneigter und eher linker Zeitgenosse.


Ein weiteres Verdienst von Erich Kästner: Er hat mit Epigrammen literarische Kurzformen wieder belebt, hier eine Kostprobe zum Abschied:




Präzision


Wer was zu sagen hat,

hat keine Eile.

Er lässt sich Zeit und sagt’s

in einer Zeile.


ERICH KÄSTNER



Zitiert nach: Erich Kästner: Kurz und bündig. Epigramme. 7. Aufl. – München: Deutscher Taschenbuch Vlg. 2004. (= dtv 11013). S. 13.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Lieblingszitate LXXII

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Bevor ich mit meiner Frau für eine hoffentlich schöne Herbst-Woche nach Dresden fahre, möchte ich zum Abschied noch ein weiteres Zitat zum Besten geben! Auch einer meiner „Klassiker“, der zu den ältesten Beständen in meiner Sammlung gehört!

Menschen, die sich über die Kürze der Zeit beklagen, pflegen sie meist schlecht anzuwenden. Sie vergeuden sie damit, sich anzukleiden, zu essen und zu schlafen, alberne Gespräche zu führen und zu überlegen, was sie tun müssen, ohne es nachher wirklich zu tun. Wer seine Zeit zu nutzen versteht, behält immer noch davon übrig.

LA BRUYERE

In: Carl Hagemann (Hrsg.): Der Mensch im Spiegel. Aussprüche französischer Moralisten. – Wiesbaden: Verlag der Greif 1946. S. 69.

[in meiner Sammlung seit dem 29.3.1975]

Lieblingszitate LXXI

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Dieses Zitat begleitet mich seit vielen Jahren. Es hat mir oft Kraft gegeben. Ich finde, dass Erich Fromm darin auch eine Aussage macht, wie Menschen das Gefühl behalten oder erwerben können, wirklich am Leben zu sein und am Weltgeschehen teilzuhaben.


Das Wesen der Liebe besteht darin, für etwas zu arbeiten, etwas wachsen zu lassen. Liebe und Arbeit sind untrennbar miteinander verbunden. Man liebt das, wofür man arbeitet, und man arbeitet für das, was man liebt.


ERICH FROMM


Dies ist eine etwas freiere Umschreibung des tatsächlichen Zitats bei Erich Fromm in „Psychoanalyse und Ethik“, Zürich 1954, S.114.


Dort heißt es wörtlich:


Gott erklärt ihm, das Wesen der Liebe bestehe darin, „für etwas zu arbeiten“, „etwas wachsen zu lassen“. Liebe und Arbeit seien untrennbar miteinander verbunden. Man liebt das, wofür man arbeitet, und man arbeitet für das, was man liebt.


[in meiner Sammlung vermutlich seit 1980]

Mittwoch, 14. Oktober 2009

Ich gieße meinen Bonsai

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Was mache ich hier eigentlich? Darüber nachzudenken, ist immer wieder einen neuen Beitrag wert! Ein Anlass bot sich mir gestern, als mir ein sehr launiger und damit nicht gerade schmeichelhafter Artikel über das Bloggen eines Zeitungsredakteurs "aus der alten Zunft“ in die Hände fiel. In der Programmzeitschrift „prisma“, 17. – 23. Oktober 2009, schrieb Detlef Hartlap den folgenden Beitrag:


Blogs und Beuys


Das oft zitierte Beuys-Wort, wonach jeder ein Künstler sei, hat sich auf eine andere als von Beuys gedachte Art bewahrheitet. Heute ist jeder, fast jeder, ein Schreiber. Es wird getwittert und gesimst, es werden täglich Millionen Blogs verfasst, die Mailboxen quellen über, und dass die Bücherproduktion zurückginge, lässt sich nicht feststellen.


Wenn aber alle schreiben, wer liest dann noch? Was sagt uns das Phänomen der Vielschreiberei über uns selbst? Natürlich existieren Zufluchtspunkte vor der Schreibflut. Deren sicherster heißt Ignoranz. Augen zu vor allem Druckwerk. Fernsehen genügt doch. Doch ob das ein lebenswerter Ort ist?


Andere Möglichkeiten heißen Konzentration und Redaktion. Wissenschaftler, die sich in ihr Sujet verbeißen, wurden früher als Fachidioten belächelt. Heute bleibt ihnen gar nichts anderes übrig. Wer zu weit über den Tellerrand schaut, wird leicht zur Kippfigur.


Redaktion ist das, was eine gut gemachte Zeitung immer schon ausmachte: Das Wichtigste vom Tage, plus Hintergrund. Die Blogger und Twitterer ficht das nicht an. Wie besessen schreiben sie drauflos. Alles Private muss raus! Jeder Gedanke ist schreibens-, wenn auch nicht lesenswert. Der eigene Horizont ist das Maß. Gesellschaft? Zusammenhalt? Zustände von gestern.


Beuys hatte recht. Jeder ist sein eigener Künstler. Im Bonsai-Format.


Danke, Detlef Hartlap, für diese anregenden Zeilen, auch wenn ich mich als „Blogger“ nicht gerade gestreichelt fühle! Damit es aber nicht noch schlimmer wird, will ich auch zukünftig meinen Bonsai mit Geist gießen (jedenfalls was ich darunter verstehe) und mit klugen Gedanken anderer Zeitgenossen düngen und hoffe, dass sich dabei nicht allzu viel Triviales mit hineinmogelt (ohne Werksgarantie). Lesen ist ja ohnehin – wenn es denn nach den Worten von D. Hartlap überhaupt noch stattfindet – „auf eigene Gefahr“ ohne Umtauschrecht, aber mit „Entf“-Taste am Computer.

Dienstag, 13. Oktober 2009

Monster, Retter und Mediokritäten

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Das ist der Untertitel des Buches von

Hans-Peter Schwarz: Das Gesicht des Jahrhunderts. Monster, Retter und Mediokritäten. – München: Wilhelm Goldmann Vlg. 2001 . (= Goldmann Tb. 15087).

Von meinem vorletzten blog-Eintrag ist es nur ein kurzer Schritt zu diesem monumentalen Buch, in dem der Verfasser viele hochberühmte aber z.T. auch sehr berüchtigte Staatsmänner des 20. Jahrhunderts vorstellt (fast - aber nicht ganz - ausnahmslos Männer). Enorm, welchen Überblick er hat und welche Faktenfülle er bewältigt!

In Klappentexten wird das jeweilige inseitige Buch gerühmt, sie sind damit zumeist keine objektive Rezension. Aber bei diesem Buch, in dem ich von Zeit zu Zeit immer wieder einmal lese, finde ich das Lob angemessen! Ich zitiere:

Hans-Peter Schwarz zieht in seinem Opus magnum seine Bilanz des 20. Jahrhunderts. Ein Zeitalter wird besichtigt, in dem herausragende Charaktere die gewohnte Ordnung zerstörten und der Weltgeschichte eine neue Richtung gaben: „Monster“ wie Hitler und Stalin, „Retter“ wie Roosevelt und de Gaulle, „große Ruinierer“ wie Nikolaus II. und Wilhelm II., Freiheitskämpfer wie Gandhi und Mandela. Zum ersten Mal tritt in dieser Portraitgalerie des bekannten Historikers das vergangene Jahrhundert als Ganzes ins Blickfeld.

Ich möchte eingangs dem Vorwurf entgegenwirken, ich würde Faschismus und Kommunismus „in einen Topf“ werfen, wenn hier Hitler neben Stalin steht. Eine hirnlosere und menschenverachtendere Ideologie und Praxis als im Wirken von Adolf Hitler kann ich mir nicht vorstellen! Das ist unüberbietbar und in Idee und Ausmaß des Holocaust ein (hoffentlich) einmaliges Ereignis der Weltgeschichte, auch wenn es immer wieder „Nachfolgertaten“ im Hinblick auf Völkermorde gibt. Aber wegen ihrer Kaltherzigkeit und Brutalität im Umgang mit der eigenen Bevölkerung führt kein Weg daran vorbei, neben Hitler auch Lenin, Stalin, Mao und Pol Pot zu den großen Schlächtern des 20. Jahrhunderts zu zählen. Da ihre Taten bewusst geplant waren und sie das Leid der Bevölkerung billigend in Kauf genommen oder sogar absichtlich herbeigeführt haben, kann man sie also auch als „Mörder“ bezeichnen.

Immerhin sind alle diese kommunistischen Führer einmal von Grundideen ausgegangen, die schon viele freiheitlich gesinnte Menschen auf dieser Erde fasziniert haben und weiterhin faszinieren: eine sozialistische Gesellschaft und eine marxistische Gesellschaftstheorie dazu. Nur was haben sie und ihre Nachfolger daraus gemacht? Heutige Vertreter des Sozialismus müssen wieder sehr mühsam um das Renommee ihrer Vorstellungen kämpfen, nachdem die Altvorderen des „Realen Sozialismus“ 1989 alles heruntergewirtschaftet hatten.

Aber ich wollte ja von Stalin, Lenin und Mao reden, die eine völlig andere Dimension darstellen! Allein schon die Wucht ihrer Namen! Nach meinen Kenntnissen marxistischer Geschichtsauffassung war es immer das Volk, die Masse „kleiner Leute“, die durch ihre Arbeit erst die großen Leistungen ermöglicht hat, die dann schließlich in der „bürgerlichen Geschichtsschreibung“ irgendwelchen Potentaten zugeschrieben wurden. Also ein Geschichtsverständnis von der Basis her, nicht von den abgehobenen Führungsspitzen. Aber kaum ein Kaiser oder König hat sich jemals mehr in den Vordergrund gedrängt als diese kommunistischen Über-Kaiser. Sie haben sich in ihrer Herrschaft absolut über alle anderen hinweg gesetzt und alle vernichtet, die ihnen diese Position streitig machen wollten. (M.E. ist diese Personifizierung der erste Verrat an der Theorie …)

Da sie außerdem offenbar absolut autoritäre Persönlichkeiten waren, maßten sie sich das Recht an, „im Besitz der Wahrheit“ zu sein und von diesem Verständnis her ihre Bevölkerungen um jeden Preis umerziehen und das Leben aller völlig umgestalten zu dürfen, egal, wie viele Menschenleben das forderte. (Ein Verrat an den allgemeinen Menschenrechten und an Mitmenschlichkeit)

Die „Proletarier“ bei Marx, die die bürgerliche Welt überwinden sollten, waren Fabrikarbeiter. Die Umwälzungen, die er voraussah, waren dadurch von einem bestimmten Niveau der Produktionsbedingungen abhängig. Im Chaos der Zustände in Russland nach dem I. und in China nach dem II. Weltkrieg war der Nährboden auch so bereitet für revolutionäre Umwälzungen, aber die Proletarier in diesen Ländern waren Bauern, keine Arbeiter. Die mussten sich Stalin und Mao erst noch „heranzüchten“ durch den nachträglichen Aufbau der Schwerindustrie. Die bäuerliche Bevölkerung hat dafür geblutet, viele Millionen der Landbevölkerung sind in Russland und China bei den „Umstrukturierungen“ des Systems elendig verhungert, ohne dass es die „neuen Zaren“ bekümmert hätte. (Ist das nicht auch ein weiterer Verrat an der ursprünglichen marxistischen Theorie, vom gefühllosen Umgang mit Menschenleben ganz zu schweigen?)

Nach meinen Informationen war der marxistische Ansatz von der Theorie her außerdem immer streng atheistisch. „Religion ist Opium für das Volk“, diese eindeutige Aussage habe ich mir als Kernzitat von Karl Marx gemerkt. Dies hat Lenin, Stalin und Mao (oder ihre Apologeten) jedoch nicht davon abgehalten, einen ungeheuren Personenkult um diese Führer zu veranstalten, der quasi religiöse Züge annahm. Ich erinnere mich noch an einen Bericht von Alberto Moravia „Eine russische Reise“, in dem er von seinen Erlebnissen im Lenin-Stalin-Mausoleum auf dem Roten Platz in Moskau berichtete. Einbalsamiert wie die Pharaonen (die sich für göttlich hielten), aber der öffentlichen Besichtigung und andächtiger Verehrung freigegeben, ruhten dort für Jahrzehnte die Ahnväter des Marxismus-Leninismus. Reliquien einer mittlerweile vergangenen Zeit! Da waren Kaiser und Könige früher bescheidener, aber sie wären wahrscheinlich sonst auch vom Papst gebannt worden … Diese Zeiten des Toten-Kults sind wohl nach den Umwälzungen in Russland vorbei, haben aber Jahrzehnte „den Ton angegeben“, m. E. ein weiterer Verrat an der religionskritischen Grundhaltung der marxistischen Theorie.

Je mehr ich darüber nachdenke, um so stärker wird mir bewusst, das ich im Kern offenbar ein Fundamentalist bin, der sich über jegliche Form von „doppelter Moral“ und den Verrat eigener Grundsätze aufregt, sei es bei Politikern, Wissenschaftlern, religiösen Führern, Autoren, Menschen, die durch Amt und Würden oder wirtschaftliche Macht Einfluss auf andere haben. Diese Brüche sind allerdings wahrscheinlich irgendwie auch sehr menschlich und schmälern nicht automatisch die Leistung großer Persönlichkeiten. (Wenn man Biographien berühmter Menschen liest, hatten die meisten von ihnen auch irgendwelche „Macken“ und Brüche in ihrem Lebenslauf.) Bewusst aber Derartiges in diesem Ausmaß in Kauf zu nehmen und daraus ein Machtmittel zur eigenen Gewalt-Ausübung zu machen, empfinde ich als unverzeihliche Sünde gegen Menschlichkeit und intellektuelle Redlichkeit, die – gegen alle Legendenbildungen – zum unverzichtbaren Ruf dieser Personen für alle Zeiten gehören sollte, so wie Hitler den Titel eines monströsen Ungeheuers verdient hat.

Es ist natürlich einfach, sich – rückwärts gerichtet – mit solchen „kräftigen Worten" Erleichterung zu verschaffen und seinen Zorn auszudrücken. („Mögen sie ewig in der Hölle schmoren“ … nicht sehr christlich, aber vielleicht menschlich.) Das wirklich beängstigende Phänomen ist aber eigentlich ein anderes, das immer wiederkehren kann, während diese Darstellung nur Vergangenes berührt: Diese monströsen Herrscher konnten ja nur ihre Taten begehen, nachdem sie durch eine breite bis riesige Unterstützung in der Bevölkerung an ihre Posten gelangt waren. Und später hatten sie Heerscharen von Schergen, die willig ihre menschenverachtenden Befehle ausgeführt haben. D.h. sehr, sehr viele Menschen waren Mitwisser, Unterstützer und willige Helfer! Wie leicht lassen sich Menschen verführen! Wie wenig kritisch stehen sie Führerpersönlichkeiten, die vielleicht auch noch mit einem hohen Charisma ausgestattet sind, gegenüber! Bin ich selbst gegen Derartiges gefeit? Der Blickwinkel rückwärts erleichtert eine kritische Einordnung der Ereignisse. Sind wir aber alle auch kritisch genug, um gegenwärtige Ereignisse und Zukünftiges ebenfalls angemessen zu hinterfragen und Schlüsse daraus zu ziehen?

Montag, 12. Oktober 2009

Lieblingszitate LXX

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Bei allen zeitgeschichtlichen Reflexionen, bei allen Fragen, bei denen es um Opfer, Schuldige und Mitwisser geht, kann es nur gut sein, nicht aus Betroffenheit überzureagieren, sondern aus einem kühlen Kopf heraus den Überblick zu behalten und sich um Gerechtigkeit den einzelnen „Mitspielern“ gegenüber zu bemühen. Da gefällt mir sehr das folgende Zitat meines Fürstenwalder Mitbürgers (er dürfte z.Zt. der bekannteste hier im Ort sein!) Friedrich Stachat, Künstler, politisch engagierter Zeitgenosse und vor Jahren Organisator des Kulturlebens in unserer Stadt:


Unsere Generation ist nicht aufgerufen, die ältere anzuklagen. Wir müssen selbst vor der nächsten Rechenschaft ablegen.


FRIEDRICH STACHAT


Zitiert nach: Friedrich Stachat: Notizen zu den „Euthanasie-Aktionen“ in den Samariteranstalten. – In: Insel im Meer oder Teil der Stadt. 100 Jahre Samariteranstalten. Fürstenwalde 1992. S. 24.

[In meiner Sammlung seit dem 21.3.1994]

Freitag, 9. Oktober 2009

Selbstreinigungskräfte

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Ich bin immer wieder von dem Phänomen beeindruckt, dass ich in den vergangenen 10 Jahren mehr über die seelischen Wunden der Deutschen durch den II. Weltkrieg, ebenso aber auch von der schuldhaften Verstrickung vieler in die Taten des NS-Regimes erfahren habe als in meinen 50 Lebensjahren zuvor. Und das, obwohl ich von meiner Lebens- und Studentenzeit einer von den Jahrgängen der sog. „68-er“ bin, zu deren Markenzeichen es gehört haben soll, ihre Väter nach ihrer Beteiligung in der NS-Zeit zu hinterfragen. Ich war zwar ein eher stiller Student, aber hoch engagiert und aufmerksam und auch damals schon alles andere als gleichgültig. So leicht hätte derartiges doch nicht unbemerkt an mir vorbeigehen können!

Die Stunde für dieses Thema war aber offenbar noch nicht wirklich gekommen. Bis vergangene Sünden und Wunden bearbeitet werden (können), dauert es offensichtlich lange: Die Beteiligten wollten meistens nicht darüber reden und hatten voll damit zu tun, sich nach Kriegsende wieder „ein Standbein“ auf dieser Welt zu erarbeiten; sie sterben jetzt langsam aus. Ihre Kinder haben andere Sorgen gehabt, waren mehr damit beschäftigt, sich von „alten Zöpfen“ zu emanzipieren und in Abhebung von der Elterngeneration nach Selbstverwirklichung zu streben, als sich die Sorgen ihrer Väter und Mütter bewusst zu machen und echte kollektive Abbitte für früher zu leisten. Das sieht bei den Enkeln offenbar anders aus, wenn man den zahlreichen Veröffentlichungen Glauben schenken mag. „Eigentlich“ fühlen sie sich völlig frei von geschichtlichen Lasten, schließlich sind sie erst in großem Abstand zu den Ereignissen auf die Welt gekommen. Gleichzeitig spüren manche, dass ihnen noch „ein Klotz am Bein“ aufgrund der Taten ihrer Vorfahren hängt, der sie und ihre Familienatmosphäre untergründig belastet und nach Bewusstmachung und Auflösung drängt.

Dieser zeitliche Abstand zu den Ereignissen ermöglicht es gleichzeitig, ihnen offener gegenüberzutreten und ehrlicher zu sein: Verbrechen können jetzt als Verbrechen bezeichnet werden, Schuld kann Schuld genannt werden, Leid bleibt Leid und ein kollektives Vermächtnis, das alle Nachgeborenen in ihren Überlegungen berücksichtigen können, wenn auch in ihrem Leben wieder große Ereignisse und Entscheidungen anstehen. Und noch ein ganz wesentlicher Punkt: Verstoßene und „Vergessene“ können wieder einbezogen und geachtet werden, wie es zuletzt z.B. bei den „Kriegsverrätern“ der Fall war. (Vgl. meinen blog v. 14. September 2009!)

Somit sind wir bei 1945 angelangt. Bis 1989 sind es dann wieder knapp 45 Jahre. Wird es auch wieder zwei Generationen dauern, bis offener über alle Untaten, die im Namen des Staates und der „neuen Gesellschaft“ in der DDR begangen wurden, gesprochen werden kann? Allen voran stehen natürlich die unsäglichen Tätigkeiten der Stasi, die so großen Zwiespalt gesät und die Menschen entzweit haben. Dabei müssen sehr viele Menschen „auf beiden Ufern“ betroffen sein, die mit den alten Erinnerungen, Erlebnissen und Taten noch immer herumlaufen, ohne dass es ein wirklich offenes echtes gesellschaftliches Thema wäre, immer bis zur nächsten „Enthüllung“, wenn sich die Presse neuer (oder aufgewärmter) Informationen annimmt. Es ist kein Thema für Strafprozesse (das hat wohl vorausschauend der Einigungsvertrag ausgeschlossen), aber ebenso wenig für eine öffentliche Bearbeitung der kollektiven Verstrickung. Wer könnte sich denn da als ehemaliger DDR-Bürger wirklich heraushalten? Es war doch sicherlich ein Großteil der Bevölkerung auf der einen und/oder anderen „Seite“ beteiligt, nicht nur eine Randgruppe. Und alle haben davon gewusst. Auch ich als „Uralt-Wessi“, der jedoch seit nunmehr 16 Jahren intensiven Kontakt zur hiesigen „Binnenkultur“ in Brandenburg und zu seinen Bewohnern hat, spüre das. Wahrscheinlich ist das Thema einfach noch zu schmerzlich… Und alle wollen (und müssen) weiterhin miteinander leben. Da ist dann der Teppich groß, unter den man alles kehren kann, Ausnahmen bestätigen die Regel. So bleibt alles „schwarzweiß“ und Grautöne können noch nicht wahrgenommen werden. Vielleicht schreiben auch hier später einmal Enkel über ihre Großväter und Großmütter …


Wie mögen andere Länder, andere Nationen mit derartigen Problemen umgehen? Immerhin war das 20. Jahrhundert ja die Zeit einer Reihe „großer Despoten“, die als Henker ihrer Völker aufgetreten sind und deren Bevölkerung millionenfach dezimiert haben. Da sich solche Persönlichkeiten kaum je selbst die Hände schmutzig machen, werden sie ihre Schergen gehabt haben, die für sie tätig wurden. D.h. dass die Zahl derjenigen, die Schuld auf sich geladen haben, sehr viel größer sein muss, ähnlich wie in Nazi-Deutschland. Und wahrscheinlich gibt es auch aktuell tätige Despoten, vielleicht „kleineren Kalibers“, aber das reicht …

Sensibilisiert für dieses Thema, fand ich kürzlich einen entsprechenden Pressehinweis auf Ereignisse in Russland, der ein bezeichnendes Licht auf die dortigen Zustände wirft und zeigt, wie schwierig der Umgang mit der Vergangenheit ist:

In der Märkischen Oderzeitung vom 16.9.2009 stand folgende kleine Nachricht:

Stalin-Enkel zieht vor Gericht

Frankfurt (Oder) (MOZ) Ein Enkel des früheren sowjetischen Diktators Stalin hat die russische Zeitung „Nowaja Gaseta“ verklagt. Jewgenij Dschugaschwili fordert von ihr 310000 Dollar, weil sie Stalin verunglimpft habe, schreibt die „Süddeutsche“. Sein Ansehen sei in einer Beilage über den Gulag beschädigt worden. Dort hieß es, Stalin habe die Massenexekution von Sowjetbürgern angeordnet. Seit Jahren mahnt die „Nowaja Gaseta“ eine kritische Aufarbeitung des Terrors unter Stalin an.

Und in derselben Ausgabe ein Kommentar von Dietrich Schröder zu dieser Nachricht:

Stalin und der Gulag

Dass man in Russland immer noch Probleme mit der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit hat, ist nicht neu. Gerade deshalb überraschte kürzlich die Nachricht, dass das Buch „Archipel Gulag“ von Alexander Solschenizyn zur Pflichtlektüre für Schüler werden soll. Der einstige Dissident hat darin jenes verbrecherische Straflagersystem beschrieben, in dem während des Stalinismus Hunderttausende ihrer Würde und ihres Lebens beraubt wurden.

An das Motto „Ein Schritt vorwärts, zwei Schritte zurück“ – so der Titel eines Werks, das Lenin vor über 100 Jahren schrieb – erinnert dagegen eine andere Nachricht. Ein Enkel Stalins hat die Zeitung „Nowaja Gaseta“ angezeigt, weil sie seinen Großvater verunglimpft haben soll. „Stalin steht für Ströme von Blut“, hatte das Blatt geschrieben. Der Enkel beruft sich auf ein Gesetz, laut dem die Geschichte des Landes nicht verfälscht werden darf.

Kommt es tatsächlich zum Prozess, dann könnte freilich ausgerechnet dieser dafür sorgen, dass die Verbrechen des Stalinismus endlich juristisch bewertet werden müssten.

Lieblingszitate LXIX


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Es ist Zeit, in unserer Gesellschaft das zu retten,

was sich nicht funktional rechtfertigen lässt.

Es ist Zeit, für die Dinge einzutreten,

die keine Zwecke haben,

für das Spiel, für die Musik, für die Gedichte,

für das Gebet, für das Singen, für die Stille,

für alle poetischen Fähigkeiten des Menschen.

Sie haben keine Lobby und sie bringen keine Profite.

Aber sie stärken unsere Seelen.


FULBERT E. STEFFENSKY


Dieses Zitat verdanke ich einer früheren Schülerin, die es 2008 im Rahmen einer Ausarbeitung für ihr Examen aufschrieb. (Weitergehende Quellenangaben habe ich nicht.)

Mittwoch, 7. Oktober 2009

Noch ein Nachtrag: letzte Nachlese zur Wahl

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Beim Aufräumen meiner Zeitungsausschnitte zur Wahl habe ich noch einen Kommentar wiedergefunden, den ich wegen seiner Pfiffigkeit und seinem durchtriebenen, eher bitteren Humor nicht gerne in meiner Sammlung von Meinungen vermissen möchte:

"Es gibt wieder klare Verhältnisse: Auf der einen Seite stehen die marktliberalen Kündigungsschutzabschaffer, Steuersenker und Atomlobbyisten. Auf der anderen Seite die Guten. Dass die Guten nicht an der Regierung sind, macht nichts. Im Gegenteil: Denn nur in der Opposition können sie die Guten bleiben."

(Gefunden als 3. Trost in dem Artikel "Nicht heulen! Trost. Nicht alles war schlecht an dieser Wahl. taz-Autorinnen und Autoren spenden 23 Trostpflaster" in der taz v. 29.9.2009, abgezeichnet mit "KUZ")

Dienstag, 6. Oktober 2009

Mein 200. blog-Eintrag! Gleichzeitig: Lieblingszitate LXVIII

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Ein Jubiläum, nachdem ich meinen allerersten Eintrag am 13. April 2007 ins Internet setzte und am 12. September 2008 dann richtig mit dem Schreiben begonnen habe! D. h., ich habe meine bisherigen Beiträge innerhalb gut eines Jahres ins Netz gestellt. Ich hoffe, dass ich weiterhin so produktiv bleiben kann!


Einen großen Teil meiner Beiträge nehmen dabei Zitate ein, nicht nur aus Bequemlichkeit, sondern aus voller Überzeugung. Darum will ich „zur Feier des Tages“ eines meiner „absoluten Lieblingszitate“ in den blog setzen, Bert Brechts Keuner-Geschichte von der „Originalität“:



Originalität


Heute, beklagte sich Herr K., gibt es Unzählige, die sich öffentlich rühmen, ganz allein große Bücher verfassen zu können, und dies wird allgemein gebilligt. Der chinesische Philosoph Dschuang Dsi verfasste noch im Mannesalter ein Buch von hunderttausend Wörtern, das zu neun Zehnteln aus Zitaten bestand. Solche Bücher können bei uns nicht mehr geschrieben werden, da der Geist fehlt. Infolgedessen werden Gedanken nur in eigner Werkstatt hergestellt, indem der sich faul vorkommt, der nicht genug davon fertig bringt. Freilich gibt es dann auch keinen Gedanken, der übernommen werden, und auch keine Formulierung eines Gedankens, der zitiert werden könnte. Wie wenig brauchen alle diese zu ihrer Tätigkeit! Ein Federhalter und etwas Papier ist das einzige, was sie vorzeigen können! Und ohne jede Hilfe, nur mit dem kümmerlichen Material, das ein einzelner auf seinen Armen herbeischaffen kann, errichten sie ihre Hütten! Größere Gebäude kennen sie nicht, als solche, die ein einziger zu bauen imstande ist!


Zitiert nach: Bertolt Brecht: Kalendergeschichten. 131. – 155. Tausend. – Reinbek bei Hamburg: Rowohlt 1960. (= rororo 77). S. 131.


[In meiner Sammlung seit 1974.]

Noch eine Wahlnachlese: Der große Schlamassel

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Jetzt liegen die Wahlen schon wieder einige Tage zurück, viele mehr oder weniger kluge Analysen und Meinungen sind bereits veröffentlicht worden. Ich will aber auch meinen „Senf“ noch dazu tun, es jedoch nicht ausufern lassen.

Frau Merkel hat kurz nach der Wahl betont, sie wolle jetzt Kanzlerin aller Deutschen sein. Mal sehen, wie weit sie das einlösen wird. Denn es stehen viele Begehrlichkeiten ins Haus, die Errungenschaften der Menschen in diesem Land in ökologischer und sozialer Hinsicht wieder demontieren wollen.

Ich vermute, es wird eine unruhige Zeit. Wenn an Atomausstieg, Kündigungsschutz, staatlicher Rente und sozialer Krankenversicherung Hand zur Demontage (höflich heißt es eher „Deregulierung“) angelegt wird, wird es große Demonstrationen in unserem Lande geben. Die Gewerkschaften werden eine neue Strategie brauchen und müssen auch unhöflich sein, Attac und andere Organisationen werden ihre Anhänger mobilisieren und in diesem Klima vielleicht auch weitere hinzugewinnen.

Mal sehen, wie die Historiker unsere Gegenwart in ein paar Jahrzehnten einschätzen werden (ich hoffe, unsere Kultur hält trotz drohender Menschheitskatastrophen bis dahin durch). Vielleicht wird es dann als „Witz der Geschichte“ bezeichnet werden, dass gerade die Kräfte, deren marktradikaler Ideologie der ausufernde Kapitalismus und die Finanzmarkt-Katastrophe zu verdanken sind, zur „Feuerwehr“ und Rettern des Landes gewählt worden sind … (Dazu habe ich ja schon einige blog-Einträge verfasst.)

Die SPD ist in einem schlimmen Zustand. Zwar gönne ich ihr diesen „Denkzettel“ aufgrund der Agenda 2010 und der Rente mit 67, und auch weiterhin sind noch alte Strategen an der Macht, die diese unseligen Regelungen verfochten haben und weiterhin verteidigen, es wurde auch schon wieder Kritik am „Basta-Stil“ von Führungskräften laut, die vollendete Tatsachen schaffen wollen: wie soll aber zukünftig eine vernünftige „linke“ Mehrheit in Deutschland für einen anderen Politikansatz entstehen können, wenn die SPD nicht eingebunden werden kann? Ihre Schwäche ist deshalb fatal für alle „links der Mitte“.

In gewissem Sinne ist wieder ein Zustand erreicht, der in Deutschland in der Vergangenheit schon häufiger eine destruktiv-lähmende Wirkung hatte: Die Leute von der "linken Seite" befehden sich untereinander heftig, wer denn die "richtige Lehre" vertrete und pflegen intensive Feindschaften; diejenigen auf der "rechten Seite" scheinen da viel pragmatischer zu sein und lassen sich die Chance, Macht auszuüben, nicht so leicht entgehen ...

Ich hatte noch eine lustige Idee: Dagobert Duck wird Ministerpräsident von Entenhausen. Er führt die Milliardärssteuer ein, saniert damit den Staatshaushalt und initiiert kostenlose Speisungen für die Armen, gleichzeitig werden unter seiner Führung Mindestlöhne für die Arbeiter in seinen Goldminen eingeführt und das Flugbenzin versteuert. Wie werden auf eine solche Wende die Mickey-Mouse-Fans reagieren?!

Montag, 5. Oktober 2009

Christlicher Erntedank kontra weltliche Habgier

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Ein ehemaliger Kollege von mir, gleichzeitig Pfarrer einer kleinen Gemeinde in einem Nachbardorf, hatte uns zum Erntedankfest eingeladen. Den Predigt-Text kannte ich nicht, aber ich bin auch nicht sonderlich bewandert in der Bibel. Ich fand ihn aber aus verschiedenen Gründen sehr ausdrucksstark und will ihn deshalb hier in meinen blog aufnehmen:


Lukas-Evangelium, 12. Kapitel


Warnung vor Habgier


13. Es sprach aber einer aus dem Volk zu ihm: Meister, sage meinem Bruder, dass er mit mir das Erbe teile.

14. Er aber sprach zu ihm: Mensch, wer hat mich zum Richter oder Erbschlichter über euch gesetzt?

15. Und er sprach zu ihnen: Seht zu und hütet euch vor aller Habgier; denn niemand lebt davon, dass er viele Güter hat.


Der reiche Kornbauer


16. Und er sagte ihnen ein Gleichnis und sprach: Es war ein reicher Mensch, dessen Feld hatte gut getragen.

17. Und er dachte bei sich selbst und sprach: Was soll ich tun? Ich habe nichts, wohin ich meine Früchte sammle.

18. Und sprach: Das will ich tun: ich will meine Scheunen abbrechen und größere bauen, und will darin sammeln all mein Korn und meine Vorräte.

19. und will sagen zu meiner Seele: Liebe Seele, du hast einen großen Vorrat für viele Jahre; habe nun Ruhe, iss, trink und habe guten Mut!

20. Aber Gott sprach zu ihm: Du Narr! Diese Nacht wird man deine Seele von dir fordern; und wem wird dann gehören, was du angehäuft hast?

21. So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott.


Aus:

Die Bibel. Nach der Übersetzung Martin Luthers. - Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 1991.



„Und die Moral von der Geschicht’“? Besonders vor dem Hintergrund der soeben abgelaufenen Wahlen ist es hochinteressant, wieweit gerade die Vertreter der Parteien, die das „C“ als Ehrenzeichen in ihrem Namen tragen, bibelfest sind und sich nach „Gottes Wort“, so wie hier angegeben, verhalten oder sich doch lieber wieder von Kapitalinteressen leiten lassen. (Dafür pochen sie dann bei anderen Themen, wo es ihnen besser ins Konzept passt, um so mehr auf ihre christlichen Wurzeln …)


Ich habe hingegen eine Hochachtung vor Sozialethikern beider großer Konfessionen, besonders vor dem Jesuiten Friedhelm Hengsbach, die diese soziale Seite der Bibel in den Vordergrund stellen. Von Hengsbach weiß ich, dass er von Seiten seiner eigenen Kirchenleitung viel Kritik dafür einstecken musste. Diese christliche Soziallehre hat meine große Sympathie, auch wenn meine Wege sonst ganz anderswo verlaufen. (vgl. aber auch meinen blog v. 25.8.09)

Ein Querkopf sein!

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In Kürze hat mein blog ein kleines Jubiläum: der 200. Eintrag ist bald dran!

Darauf bin ich schon ein wenig stolz, gleichzeitig erhebt sich für mich die Frage, wie es zukünftig weitergehen soll. Ich schreibe vorrangig für mich selbst, habe aber auch eine kleine Leserschaft. Was macht da von der Themenwahl her Sinn?

In den vergangenen Wochen habe ich mich sehr oft dazu hinreißen lassen, über aktuelle politische Ereignisse zu schreiben, so als könnte ich durch dieses Engagement irgendwelche Ergebnisse verbessern. Bewahrheitet haben sich leider nur meine Befürchtungen… Es gibt andere sehr gute Seiten, die aktueller, ausführlicher und viel fundierter über alle diese Fragen informieren, da werde ich mich zukünftig zurückhalten.

Alle meine sonstigen Themen haben das Merkmal, dass sie zumeist „quer“ zu einer offiziellen Meinung stehen, Fragen auch dort stellen, wo zumeist „Stille“ herrscht (Denkverbote haben mich schon immer geärgert) und Autoritäres in jeder Form ablehnen. Es gibt Leute, die schmücken sich für solche Ambitionen mit dem schönen Wort „Querdenker“. Das halte ich aber für einen Ehrentitel, der erstens schon vergeben sein dürfte und den ich mir selbst nicht zuerteilen kann. Darum mache ich es viel bodenständiger und derber:

Ich bin ein Querkopf und möchte einer bleiben! Mich nicht korrumpieren lassen, autoritäres Gehabe an den Pranger stellen, Denkverbote – wenn sie mir denn auffallen – hinterfragen und nachschauen, was unter glatten Oberflächen oft an verborgenen Motiven und handfesten Interessen steht!

Wenn mir das als Programm gelingt, bin ich vollauf beschäftigt, solange meine grauen Zellen mitmachen. Mein Alters-Fitness-Programm für meinen Geist! Vielleicht kann ich sogar andere damit anstecken.

Sonntag, 4. Oktober 2009

Lieblingszitate LXVII

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Großer Geist


Großer Geist, bewahre mich

davor,

über einen Menschen zu

urteilen,

ehe ich nicht eine Meile

in seinen Mokassins

gegangen bin.


Spruch der Apachen-Indianer


Gefunden in: Positiv den Tag beginnen. Meditationen.- München: Heyne 1996.

[In meiner Sammlung seit dem 29.5.1998.]

Freitag, 2. Oktober 2009

Wahlnachlese: "Die Menschen wählen ihre Henker selbst"

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Es so unverschlüsselt drastisch auszudrücken, hätte ich mich nicht getraut. Allerdings habe ich in meinem blog nach der Europawahl am 7.5.09 schon einmal ähnlich Stellung bezogen. ("Die Leute wählen ihre ... selbst".)

Gefunden habe ich diese treffende Aussage in der Berliner Ztg. v. 28. September 2009 im Feuilleton.

Dort gibt es in dem Artikel "Langweilig? Nein, jetzt sind wir depressiv - Ein Rundgang durch die Berliner Kulturszene am Wahlabend" den zusätzlichen Aufmacher

"Die Menschen wählen ihre Henker selbst."
Galerist Anselm Dreher über den Wahlsieg der Deregulierer


Und zwar schreibt Sebastian Preuss in seinem Bericht vom ART FORUM:

"Bei Anselm Dreher, dem Altmeister unter den Berliner Galeristen, war er [Guido Westerwelle] sogar am Stand und ließ sich die Kunst erklären. 'Die Menschen wählen ihre Henker selbst', kommentiert Dreher den Sieg der Verfechter einer Wirtschaftsderegulierung, die doch erst in die verheerende Finanzkrise geführt hat." (S.33)

Donnerstag, 1. Oktober 2009

Sind Förderschulen noch zeitgemäß? Ein Beitrag zur Debatte, ergänzt durch weitere Überlegungen zu Reformen im Behindertenbereich


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Immer lauter werden die Rufe, Förderschulen in Deutschland abzuschaffen; internationale Gremien schelten unser Schulsystem, das so viele Formen von Sonderschulen „pflege“ wie sonst nirgendwo. Unter den Prämissen von „Integration“, mittlerweile lautet das Zauberwort „Inklusion“, seien sie nicht mehr zeitgemäß und schmälerten die Zukunftsaussichten aller Kinder und Jugendlichen, die in ihnen beschult würden. Natürlich hätten sie auch große Fürsprecher, denn alle dort arbeitenden Lehrkräfte würden gern an diesem Modell festhalten, aber das sei ja Eigennutz ...

Ich sehe das sehr zwiespältig.

Einerseits habe ich lange im Fachschulbereich gearbeitet und dort durch meine Tätigkeit viel von moderner Behindertenpädagogik (oder wie sie sich sonst noch nennt, die Fachleute sind oft sehr empfindlich, dass man ihre Richtung auch mit dem akzeptierten Namen benennt …) und Heilpädagogik gehört, also auch von dem Paradigmenwechsel hin zu Normalisierung, Integration und Inklusion. Von meinen praktischen Erfahrungen in Behinderteneinrichtungen weiß ich allerdings auch um die Probleme, speziell bei Geistig Behinderten, wenn „reinrassig“ diese Prinzipien umgesetzt werden und meistens dadurch höhere Anforderungen an die Betroffenen gestellt werden, die nicht selten einen alt vertrauten „Schonraum“ dadurch einbüßen. Hätten die Betroffenen, in deren Namen alle Reformen geschehen, selbst im Vorfeld ihnen zugestimmt (sofern sie dessen mächtig sind)? Das wird von den Reformern immer als selbstverständlich angenommen – aber auch abgefragt?

Aber es soll hier ja vorrangig um Förderschulen gehen. Da bin ich besonders betroffen, weil unser kleiner Sohn Paul Jakob mit seiner schweren Sprach- und Entwicklungsstörung uns längere Zeit Rätsel aufgegeben hat, ob überhaupt und an welcher Schule er beschulbar sein könnte. Mittlerweile geht er – mit Einzelfallhelfer – in eine kleine Klasse in unserer hiesigen Allgemeinen Förderschule. Wir sind erleichtert, er vermittelt uns deutlich, dass er sehr gern zur Schule geht. In seiner Klasse sind 10 Kinder. Es ist uns unvorstellbar, wie es in einer größeren Klasse, auch als Integrationsklasse, mit ihm gehen könnte. Haben Integrationsbefürworter auch einen Paul Jakob im Blick? Da müssten die Bedingungen an Schulen hier zu Lande aber noch revolutionär verändert werden …


Diese Bedenken im Rahmen der Förderschul-Debatte trage ich schon lange mit mir herum. Vielen Befürwortern der Abschaffung von Förderschulen werde ich damit vermutlich als „Bremser“ erscheinen, aber alle meine Argumente haben einen lebenspraktischen Hintergrund.

Bereits vor knapp zwei Jahren habe ich einen diesbezüglichen Leserbrief an die Zeitschrift „Menschen“ geschrieben, die ebenfalls ein Plädoyer zur Abschaffung der Förderschulen veröffentlicht hatte.

Mein Leserbrief an die Redaktion „Menschen“ c/o Aktion Mensch v. 5.1.2008

Betrifft: „Menschen“ 1/2008, Beitrag über Förderschulen

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großem Interesse habe ich Ihren Beitrag gelesen, in dem Sie ausdrücklich für die integrative Beschulung von behinderten Kindern werben.

Ich kann mich in die Situation gut einfühlen, weil mein kleiner behinderter Sohn im Sommer eingeschult werden muss und wir aufgeklärt wurden, dass die allgemeinen Förderschulen in Brandenburg keine 1. Klassen mehr einschulen.

So weit so gut. Doch bis zu einer erfolgreichen Integration sind dann die Hürden bei uns in Brandenburg noch hoch: Alle Kinder werden in „normale“ 1. Klassen der Grundschulen eingeschult (Ausnahmen: Förderschulen für geistig behinderte und für körperbehinderte Kinder), nehmen gegebenenfalls an einem „sonderpädagogischen Feststellungsverfahren“ teil und sollen „maßgeschneiderte Hilfe“ bekommen. Das klingt schön. Bis aber alles abgeklärt ist, verbringen auch die Kinder mit eingeschränkten Möglichkeiten Wochen, Monate, vielleicht noch länger in der Regelklasse und werden sicherlich einigen Frust aushalten müssen, wenn sie nicht mithalten können.

Denn das schöne Konzept hat einen großen Pferdefuß: Offensichtlich laufen 1. Klassen weiterhin mit 25 – 28 Schülern, es dürfte auch keinen 2. Lehrer geben, vielleicht einmal einen Kollegen, der ein Kind im Rahmen des Feststellungsverfahrens stundenweise beobachtet.

Wie soll das laufen? Ich halte dies für eine Zumutung sowohl für Lehrkräfte als auch Kinder. Denn es wird am Notwendigsten gespart, trotzdem soll es nach einer pädagogischen Neuerung aussehen. Dafür wären aber kleine Klassen und mehr Lehrkräfte bzw. weiteres Personal notwendig. Grundsätzlich gibt es mehr als genug Lehrer in Brandenburg; wegen der verringerten Schülerzahl müssen sich Lehrkräfte auf Stundenkürzungen bzw. Versetzungen im Land einstellen.

Darum: Mehr schöner Schein als Sein! Bildung darf bei uns nicht mehr kosten. Traurig aber wahr.
Vielleicht sollten Sie auch über diese sozialen/ökonomischen Rahmenbedingungen berichten, in denen Deutschland offenbar in vielen Bundesländern sehr rückständig ist.

Mit freundlichen Grüßen
Jürgen Lüder

Mein Motto für den Monat Oktober 2009

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Humor ist, wenn man trotzdem lacht.

OTTO JULIUS BIERBAUM

Zitiert nach: Klaus-Dietrich Petersen (Hrsg.): Enzyklopädie der Zitate. Hamburg 1984. S. 170.

Es gibt ja auch Galgenhumor, galligen Humor, schwarzen Humor … allerdings jeweils nicht jedermanns Sache.