Montag, 14. September 2009

Kriegsverräter ?!

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Offenbar war es eine hochkarätige Nachricht, denn sonst wäre sie nicht bis in die Tagesschau vorgedrungen und ich hätte nichts davon bemerkt: Ein älterer Herr wurde interviewt, der seine Genugtuung darüber aussprach, dass entweder er selbst – oder aber seine Freunde - endlich rehabilitiert seien. Der Bundestag hatte zuvor die Urteile aus der NS-Zeit gegenüber „Kriegsverrätern“ aufgehoben (Montag, 8.9.2009).

Hellhörig geworden, wollte ich mehr über dieses Ereignis in Erfahrung bringen. Früher hatte ich am Rande zwar schon einmal von diesem Problem gehört, es aber nicht weiter verfolgt. Deshalb kenne ich auch den parlamentarischen Vorlauf nur ungenügend und kann ihn aufgrund der Zeitungsnachrichten nur mühsam rekonstruieren.

Dabei war diese Botschaft in den Zeitungen des Folgetags nicht leicht zu finden. Wurde ihr von den Redaktionen nur eine geringere Bedeutung beigemessen?
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Im Tagesspiegel v. 9.9.2009 fand ich schließlich einen kleinen Info-Kasten, der in einen sehr viel längeren Artikel über die zeitgleich eingeweihte Gedenkstätte für alle ums Leben gekommenen zivilen und militärischen Bundeswehrangehörigen im Bendler-Block in Berlin eingebettet worden war. Merkwürdige Koinzidenz der Ereignisse!

„Kriegsverräter“

Endlich rehabilitiert

Rund 30000 Deserteure, Verweigerer oder andere „Kriegsverräter“ wurden von der NS-Militärjustiz verurteilt, schätzungsweise 20000 hingerichtet. Deserteure verdienen nichts anderes, lautete Hitlers Vorgabe. Jetzt, 64 Jahre nach Ende der NS-Schreckensherrschaft, werden die Opfer dieser Weisung endlich wenigstens juristisch rehabilitiert. Der Bundestag beschloss am Dienstagabend die pauschale Aufhebung von Urteilen aufgrund des Straftatbestands „Kriegsverrat“. Der Beschluss, ursprünglich eine Initiative der Fraktion der Linken, fiel einstimmig. Die Union hatte die pauschale Rehabilitierung von Deserteuren lange abgelehnt und das Gesetz damit blockiert. babs

Auch die Märkische Oderzeitung widmete diesem Ereignis unter ihrer Rubrik „Kurz und knapp“ eine Nachricht am 9.9.2009, die noch Ergänzungen bringt:

„Kriegsverräter“ rehabilitiert

Berlin (dpa) Der Bundestag hat die sogenannten Kriegsverräter der Wehrmacht aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs nach jahrzehntelanger Diskussion rehabilitiert. Mit großer Mehrheit stimmte der Bundestag gestern dafür, entsprechende NS-Unrechtsurteile pauschal aufzuheben. Historikern zufolge waren damals willkürlich Todesstrafen verhängt worden. Vor allem die Linksfraktion hatte die Rehabilitierung initiiert und jahrelang gegen den Widerstand von Union und SPD gekämpft.

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Bemerkenswert: 64 Jahre hat das gedauert …

Sonst geht es in unserer Gesellschaft mit dem „Heldengedenken“ und der Anerkennung von Widerstand gegen die Nazis schneller. Die Geschwister Scholl und der Graf v. Stauffenberg „genießen“ sozusagen posthum höchstes Ansehen, den zahllosen Kriegstoten hat sich besonders der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge“ zugewandt, so dass Angehörige Orte zum Trauern haben können, die Bundeswehr schafft einen Ort des Gedenkens für verstorbene Bundeswehrangehörige in Friedenszeiten (wie sieht es aus mit Afghanistan?), die sogenannten „Kriegsverräter“ aber wurden geleugnet, diejenigen, die von ihnen hingerichtet wurden, seinerzeit wahrscheinlich anonym verscharrt, kein Ort des Trauerns für sie, geschweige denn eine Anerkennung und Würdigung!

Waren sie nicht auch „Helden“ (bei aller Fragwürdigkeit dieses Begriffs)? Auch sie haben auf ihre Weise Widerstand gegen den NS-Terror geleistet. Der größte Teil von ihnen hat dabei sein Leben gegeben. Niemand hat für sie Ruhm eingefordert, nur verurteilte und damit geächtete Verbrecher wollten sie nicht sein.

Warum hat ihre Rehabilitierung so lange gedauert?

Oft gibt es bei politischen Entscheidungen eine massive Bremse, weil wirtschaftliche Kräfte betroffen sind und aufschreien. Das kann hier nicht gewesen sein. Dann bleiben eigentlich nur noch Fragen der „Ehre“ übrig, wobei die Auswirkungen ähnlich sind.

Oder lag es schlicht und ergreifend daran, dass die bisherigen Initiativen hauptsächlich von den Linken bzw. der PDS ausgingen? – Was von ihnen, den „nur notdürftig gewendeten Kommunisten“ ausgeht, kann ja nur abgelehnt werden … (War das nicht bisher z.B. CDU-Strategie?)

Ich vermute, dass vieles am letzten Punkt liegt, daneben aber auch irgendwie das „Ehrgefühl der Nation“ (??!) getroffen war, dass Desertieren aus deutschen Einheiten akzeptiert würde. Noch schlimmer: Es könnte sogar noch einen Wert darstellen, wo doch so viele andere Soldaten (allerdings wohl kaum freiwillig) in den Tod gegangen sind (und sich nicht selten bei völlig abstrusen Kampfmaßnahmen unter verantwortungsloser Führung in einem verbrecherischen politischen System völlig sinnlos haben abschlachten lassen). Derartiges dürfte jede Art von Traditionsgruppe und alle Vertreter „nationaler Gesinnung“, in welcher Form auch immer, in Rage bringen.

Ich erinnere mich noch daran, dass vor Jahren die „Wehrmachtsausstellung“, die die Verstrickung der regulären Wehrmacht mit Untaten im Russland-Krieg aufzeigte, geharnischten Protest auslöste, sich aber schließlich nicht verhindern ließ. Über längere Zeit wird schließlich doch wirksam, was Historiker in sachlicher Form herausfinden … Aber der Zeitbedarf scheint sich in Generationen zu messen.

Immerhin ist dieser Vorgang endlich abgeschlossen (wohl auch deshalb, weil der diesmalige Gesetzentwurf von der Großen Koalition formuliert wurde und nicht von den Linken). Insgesamt ein beschämendes Schauspiel, dass durch die Verweigerungshaltung großer Parteien ein solcher Schritt so lange dauert.

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