Mittwoch, 23. September 2009

Eine Lanze für Psychoanalyse und Psychotherapie!

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Älter werden heißt auch immer häufiger Abschied nehmen, von Menschen, Orten, Aufgaben, Möglichkeiten, Illusionen … Keine ganz einfache Übung, aber wer sich gegen sie sperrt, wird von Veränderungen überrollt und verbittert im schlimmsten Fall, wenn er nicht bereit ist, sich auf die neue Situation nach dem Abschied einzulassen.

Vor einigen Tagen habe ich so einen Einschnitt erlebt, wir haben ihn aber in ruhiger Form gefeiert, so dass seine Bedeutung gewahrt blieb und gewürdigt wurde: Ich habe mich nämlich von meinem Psychoanalytiker verabschiedet, der mich, unterbrochen von längeren Pausen, über 16 Jahre begleitet hat. Bei einer so langen Zeit verschwimmen manche Konturen, ich kann deshalb nicht sagen, zu welchen Zeiten es Therapie, Supervision, Beratung oder auch ein Gespräch über gemeinsame Themen war, wahrscheinlich eine Mischung aus allem!

Ich werde ihn sehr vermissen! Denn wie findet man so leicht einen Menschen, der zuhört, versteht, weitergehende Fragen stellt, in Notsituationen Zeit hat und sich auch noch mit über Erfolge und positive Veränderungen freut? Er hat mein „Lebensschiff“ in turbulenten Zeiten durch Untiefen und Felsen hindurch begleitet, war Lotse und Unterstützer, auch wenn alle Einsichten erst dann wirksam wurden, wenn ich sie innerlich umsetzen konnte. Und: Handeln musste ich immer für mich selbst alleine, aber das ist ja ein Grundmerkmal von Psychotherapie. Vieles hat sich für mich in dieser Zeit verändert, äußerlich und sehr stark auch innerlich. Wer weiß, wo ich ohne diese Begleitung jetzt stünde…

Dies sind natürlich sehr private Bemerkungen, allerdings ohne jede inhaltliche Akzentuierung. Denn meine Hauptabsicht beim Verfassen dieses Textes war es weniger, hier so etwas wie eine „Lebensbeichte“ abzulegen, sondern vielmehr erneut eine Lanze für Psychoanalyse und Psychotherapie zu brechen!

Für viele Menschen dürfte es weiterhin ein eher geheimnisvoller Bereich sein, unheimlich, dazu mit sehr problematischer gesellschaftlicher Akzeptanz: was muss jemand für schlimme Probleme haben, der so etwas nötig hat! Also lieber verschweigen und niemanden davon informieren, wenn man einmal selbst betroffen ist, bestenfalls hinter vorgehaltener Hand. So erlebte ich die Situation vor Jahren, und ich glaube nicht, dass sich die Grundhaltung in der Bevölkerung schon sehr gewandelt hat, auch wenn sich in lobenswerter Weise verschiedene Medien in den vergangenen Jahren sehr um Aufklärung bemühen.

Ich möchte nur durch mein eigenes Beispiel Menschen ermutigen, sich in seelischen und sozialen Krisen Beistand zu holen! Für Angehörige sozialer Berufe halte ich es dagegen fast für ein „Muss“, sich über eine psychotherapeutisch angeleitete Form von Selbsterfahrung / Reflexion selbst „auf die Schliche“ zu kommen, um mit den eigenen Klienten besser arbeiten zu können, die Übersicht auch in Konfliktsituationen zu behalten und vor allem nicht Klienten die eigenen Probleme „ausbaden“ zu lassen. (In psychoanalytischer Terminologie ist das das Problem einer Kontrolle der Gegenübertragung.)

Noch etwas zu meinen konkreten Erfahrungen: Durch unseren gemeinsamen „Grundberuf“, z. T. gemeinsame Studienorte und ein ähnliches Alter, gab es für mich und meinen Analytiker auch gemeinsame Wegstücke auf dieser Strecke, auf denen wir uns z.B. manchmal über einschlägige psychologische Themen austauschen konnten. So waren wir uns irgendwie – wenn auch mit ungleicher Rollenverteilung – Wegbegleiter über eine längere Zeit.

Vieles hat sich in der Psychotherapie in diesem Zeitraum verändert. Einschneidend war das Psychotherapeutengesetz, durch das erstmalig psychologische Psychotherapeuten Medizinern gleich gesetzt und außerdem überhaupt eindeutige „Standards“ für die gesetzliche Anerkennung in diesem Berufsfeld geschaffen wurden. Gleichzeitig war noch nie so deutlich, welche handfesten ökonomischen Interessen auch in diesem Sektor herrschen: Da nur wenige Therapie-Richtungen im Anerkennungsstreit „gesiegt“ haben (Psychoanalyse, tiefenpsychologisch fundierte Verfahren, VT) und sich damit „den Kuchen“ der Krankenkassenerstattungen teilen dürfen, gehen andere, ebenfalls renommierte Verfahren leer aus, wie Gesprächstherapie, Gestalttherapie, Transaktionsanalyse … Ungerecht und eine Verarmung!

Wenn ich in populären einschlägigen Zeitungen lese (z.B. Psychologie Heute), so haben Verfahren, die das Antrainieren erwünschter einzelner Verhaltensweisen versprechen und dabei ganz in der Gegenwart arbeiten, ihren Siegeslauf angetreten gegenüber allen Ansätzen, die – mehr tiefenpsychologisch orientiert – auf Aufarbeitung der individuellen Vergangenheit und eine mögliche Versöhnung mit ihr setzen und eine fortlaufende Persönlichkeitsbildung anstreben. „Systemisch“ ist heutzutage sowieso alles, aber das dürfte ein sehr schillerndes Gebiet ohne eindeutige „Schulen“ sein, eher eine Metatheorie, eben die z. Zt. herrschende Mode. Mal sehen, wie es in 20 Jahren aussieht …

Das allmähliche Verschwinden mehr ganzheitlich orientierter Verfahren, die sich der allgemeinen Persönlichkeitsentwicklung verschrieben haben, empfinde ich aber schon als herben Verlust. Da sich deren Wirkung nie ganz eindeutig wird operationalisieren lassen (welch Glück!!), haben sie schlechte Karten gegenüber dem Methodenkatalog der VT, solange die herrschende Psychotherapie-Wirkungsforschung sich Paradigmata bedient, die den Anerkennungsverfahren für die Entwicklung neuer Medikamente mit präziser Indikation entlehnt zu sein scheinen. Welche großen Vereinfacherer sind da am Werke! Aber der Zeitgeist huldigt den Naturwissenschaften und schätzt den selbstkritischeren Ansatz der Sozial- und Geisteswissenschaften weniger, der auch Werte und Sinnfragen formuliert und in ständiger Reflexion hinterfragt. Da war das Abendland schon einmal weiter ...

Gerade deshalb:

Eine Lanze für die Psychoanalyse und Psychotherapie! Das heißt also für mich, der Psychotherapie das Dämonische nehmen, Menschen zur Aufnahme einer Therapie ermutigen und gleichzeitig das Anliegen der Psychoanalyse stärken, beim Verstehen menschlichen Verhaltens sich nicht nur mit der Oberfläche zufrieden zu geben, sondern genauer und tiefer hinzuschauen, nach Sinnzusammenhängen mit früherem Leben zu forschen, sich mit Erlebtem auszusöhnen und darauf aufbauend, eine (wenn auch manchmal noch so kleine) Vision für die Zukunft zu entwickeln und die Gegenwartskräfte in deren Dienst zu stellen: das bedeutet für mich lebendig sein, stimmig mit mir zu leben!!

Irgendwann in meinem Leben bin ich auf Synchronizitäten (Ereignisse, die „eigentlich“ nichts miteinander zu tun haben, aber dennoch gleichzeitig auftreten) aufmerksam gemacht worden, seither verfolgen sie mich und lassen mich immer wieder einmal erstaunen:
Wir wollten an einem schönen Ort essen gehen. Herr K. empfahl die Wannsee-Gaststätte am Schildhorn. Als ich mir deren Lage hinterher noch einmal auf dem Stadtplan ansah, musste ich schmunzeln, als ich den Namen der kleinen Wannsee-Bucht las: „Jürgenlanke“!

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