Sonntag, 10. Januar 2010

Dinosauria XV: Ich alte Plaudertasche und die Vergangenheit

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In meinem letzten Blog über „Wende-Kinder“ (9.1.2010) wurde für mich deutlich, dass junge Leute fest in ihrem Jetztzeit-Rahmen stecken. Er ist für sie Realität und Bewertungsmaßstab gleichzeitig. Wie sollte es auch anders sein, haben sie doch kaum gelebte Lebenszeit-Geschichte hinter sich gebracht, die emotional Spuren in ihnen hinterlassen und mehr als eine Perspektive eröffnet haben könnte.


Allmählich begreife ich dieses Faktum und lerne es zu akzeptieren. Es ist so gegenläufig zu meinem eigenen Lernprozess, mich zunehmend mehr für Berichte aus älteren Zeiten zu interessieren und mir dabei die Relativität von Lebensperspektiven, Zielsetzungen und Bewältigungsstrategien für das „kurze Erdenleben“ verschiedenster Menschen aus unterschiedlichen Bedingungen heraus klar zu machen. Dabei suche ich nach Vorbildern für mich selbst und nach Hinweisen, was von diesen Einstellungen auch Generationen und Zeiten übergreifend weiterhin Bestand haben könnte und nicht nur eine vorübergehende Laune der jeweiligen Zeit-Mode ist.


Früher habe ich von Älteren häufiger gehört, dass sie gerne Biographien lesen, auch von Menschen aus früheren Jahrhunderten. Ich habe das manchmal „mild belächelt“, wenn meine Mutter z.B. über irgendeine deutsche Gräfin aus der Romantik-Epoche etwas las und mir davon vorschwärmte. Das wird voraussichtlich auch weiterhin nicht meine Lektüre sein, aber ich habe jetzt viel mehr Verständnis für ihre Vorlieben – rückwärts gewandt, in (vermeintlich) heilere Zeiten, denn sie hatte die Schrecken der Flucht 1945 miterlebt. Mein erwachtes historisches Interesse schließt allerdings gerade solche schlimmen geschichtlichen Ereignisse ein, dafür bin ich zum Ausgleich in meinem eigenen Leben von einer vergleichbaren Dramatik bisher verschont geblieben.


Wenn ich hierüber nachdenke, fällt mir ein Erlebnis aus meiner Fachschullehrer-Zeit wieder ein, das mich damals schon sehr nachdenklich gemacht hat. Es liegt etwa fünf Jahre zurück. Im Zusammenhang mit der Präsentation eines älteren Films über das Leben von Janusz Korczak im Kulturzentrum unserer Stadt gab es eine Vorführung, in der der Regisseur des Films, ein mittlerweile stark ergrauter älterer Herr, anwesend war und anfänglich über die Entstehungsbedingungen des Films berichtete bzw. plauderte. Für mich eine hoch spannende Angelegenheit!! Meine durchwegs schon etwas älteren Schüler, mit denen ich gemeinsam zu dieser Vorführung gegangen war, berichteten hingegen hinterher einhellig, dieser völlig überflüssige Vorspann sei furchtbar langweilig gewesen und sie hätten die ganze Zeit über nur darauf gewartet, dass endlich der Film gestartet wird.


So können Perspektiven voneinander abweichen!

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