Samstag, 9. Januar 2010

Dinosauria XIV: Wende-Kinder

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Die Dinosaurier werden immer jünger!!


Im SPIEGEL 48/09 v. 23.11.09 schreibt der SPIEGEL-Reporter und Autor Matthias Matussek noch einmal über seine Erlebnisse im Ost-Berlin von 1989, insbesondere über die prominenten Wende-Mitgestalter, die er seinerzeit interviewt hat. Er hat sie in den letzten Monaten noch einmal aufgesucht und schildert, darauf basierend, die Veränderungen in 20 Jahren.


Sein Lebensthema!? Immerhin hat er kurz danach seine Ehefrau im Osten kennengelernt, mit der er gemeinsam einen 15jährigen Sohn hat. Das erinnert mich daran, dass ich ohne die Wende niemals ins Land Brandenburg gezogen wäre und meine Frau nie getroffen hätte und es entsprechend unseren kleinen Sohn nicht gäbe. Ich kenne Herrn Matussek nicht, vermute aber doch, dass er bei den erwähnten biographischen Stationen jünger ist als ich vom Jahrgang 1947, deshalb die Vorbemerkung.


Neben vielen hochinteressanten Passagen in diesem Artikel finde ich besonders bemerkenswert, was Matthias Matussek über den Umgang der Nach-Wende-Generation mit den Ereignissen von 1989 schreibt, sicherlich im Einklang mit seinen Erlebnissen mit seinem eigenen Sohn und dessen Alterskameradinnen und Kameraden.


Mich hat es so nachdenklich gemacht, dass ich die Schlusspassage aus seinem Artikel hier zitieren möchte:


Meine Frau und ich haben 1991 geheiratet. Unser Sohn ist 15. Er hört die alten Geschichten wie Legenden aus grauer Vorzeit, in der es noch keine virtuellen Welten und kein YouTube gab, und das gilt für die alte BRD genauso wie für die alte DDR.


Wo beide geblieben sind? Sie sind in die neuen Biografien eingegangen, in die der Einheitsgeneration. Für die ist die Frage, ob nun der Westen den Osten geprägt hat oder umgekehrt, völlig uninteressant geworden. (A.a.O. S. 151).


Ist die „Halbwertszeit“ des Bedeutungszerfalls geschichtlicher Ereignisse schon so weit gesunken? Ich glaube Matthias Matussek das nur teilweise. An der Oberfläche mag er recht haben, derartige Fragen werden kaum Gesprächsstoff unter Jugendlichen sein, eher schon die Frage, in welcher Region Deutschlands sie nach einer erfolgreichen Ausbildung/Studium noch die besten Chancen haben, einen halbwegs gut bezahlten Job zu finden. (Junge Frauen sollen z.B. weiterhin eher in westliche Bundesländer umziehen.) Aber sind die jungen Leute wirklich so frei vom Leben ihrer Altvorderen?? Die umfangreiche Literatur über die Nachwirkungen der NS-Zeit und der Kriegs- und Fluchterlebnisse auf die Kinder- und Enkelgeneration der unmittelbar Betroffenen zeigen etwas anderes.


Einschneidende Ereignisse – und das dürfte die Wende für alle Älteren in der DDR gewesen sein – hinterlassen Spuren im Gemüt der Betroffenen, die sie g a r a n t i e r t gefühlsmäßig in irgendeiner Form an ihre Kinder und Enkel weiterreichen, die sie großziehen und beeinflussen. Ebenso sind ja auch nicht alle Erzieherinnen, Lehrkräfte und Uni-Dozenten „ausgewechselt“ worden und werden deshalb ihre gefühlsmäßige Stellungnahme, sicherlich oft damit ihre Verunsicherung und auch Entwurzelung, ebenfalls weitergegeben haben und geben. Bis so etwas "den Erzogenen" auffällt und bearbeitet wird, können allerdings Jahrzehnte vergehen.


Ohne Kenntnis der Zeit, aus der wir kommen, ist die Gefahr sehr groß, dass wir die Fehler unserer Vorfahren wiederholen! Das haben schon viele kluge Leute betont. Auch der jetzt aufwachsenden Generation wird diese Wahrheit irgendwann „auf die Füße fallen“, wenn sie sie nicht wahrhaben will. Dafür sind die jungen Leute aber wahrscheinlich wirklich noch zu jung…


Und wie sieht es mit dem Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schulen aus? Sicherlich ist es für Lehrer mühsam, Inhalte zu behandeln, für die sich Kinder und Jugendliche nicht sonderlich interessieren. Aber gerade hier in meinem Wohnort Fürstenwalde gab es schon völlig gegenläufige Ereignisse! Die Ortszeitung berichtete von der Eingabe einer Gymnasiastin, die sich darüber beschwerte, dass in ihrem Geschichtsunterricht viel zu wenig Zeit für die Behandlung der DDR-Vorgeschichte gewesen sei, d.h. die Lehrer hätten dieses wichtige Thema nur unvollständig behandeln wollen oder können. Sie ist mit dieser Kritik an die Öffentlichkeit gegangen und hat wohl sogar einen Brief an das einschlägige Ministerium geschrieben. Leider habe ich diesen Vorfall nicht weiter verfolgt und kann deshalb nicht über Reaktionen informieren. Jedenfalls dürfte doch, zumindestens bei einigen jungen Leuten, ein Interesse dafür vorliegen, jenseits von Legenden genauere Kenntnis über die jüngste Vergangenheit zu erlangen. Das macht mich hoffnungsfroh!

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