Freitag, 30. April 2010

Lieblingszitate CXXI

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Das Buch ist der bequemste Freund.

Man kann sich mit ihm unterhalten,

so lange und so oft man will.


Angelus Silesius


Gefunden in: Kurt Franz: Lesen macht stark. dtv junior 7919.

(In meiner Sammlung seit dem 10.11.1980.)


Donnerstag, 29. April 2010

Gefährdete Voraussetzungen der Demokratie: "Meinungsmache" IV

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Die Entwicklung unserer deutschen TV-Landschaft gefährdet die Demokratie


Als eines der Hauptmedien, über die in Deutschland "Meinungsmache" geschieht, sieht Albrecht Müller das Fernsehen. Es war nicht immer so! Erst durch die von Helmut Kohl eingeleitete "Wende" nach 1982 in Westdeutschland hat sich die Fernsehlandschaft deutlich verfinstert. Kommerz, Beliebigkeit und fehlende Hintergrundinformationen bestimmen die Inhalte, kritische Berichterstattung wird immer mehr zurückgedrängt. Müller sieht darin eine grundlegende Beschädigung unserer Demokratie, denn immer weniger Menschen können sich so noch ein Bild von den tatsächlichen Beweggründen vieler Entwicklungen machen, die unabdingbare Voraussetzung für ein unabhängiges Urteil. Viel schlimmer: Sie merken es wahrscheinlich nicht einmal mehr - und noch schlimmer: sie vermissen es auch nicht mehr und halten die Zustände - wenn sie sogar noch mit Bildern im Fernsehen unterlegt werden - für "gottgegeben" und nicht weiter hinterfragbar. Armes Deutschland!!


Ein besonders trauriges, aber wichtiges Kapitel aus diesem Buch! Ich zitiere ausführlich:


Deutschland hat die zahlenmäßig größte Vielfalt an Fernsehsendern in Europa. Wer allerdings durch die Programme zappt, merkt schnell, wie er im medialen Einheitsbrei stecken bleibt.


Mit der Einführung des kommerziellen Rundfunks nach 1982 leitete die Regierung Kohl die eigentliche geistig-moralische Wende ein. Erklärtes Ziel der Konservativen und Liberalen war es damals, den Einfluss des angeblich von Linken dominierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks („Rotfunk“) zurückzudrängen. […]


Den politischen Förderern brachte das den millionenschweren Dank der Geförderten ein. Vor allem Leo Kirch bedankte sich später bei Kohl, Schwarz-Schilling und Co. Mit Beraterverträgen. Den Fernsehzuschauern und Radiohörern jedoch bescherte die Wende eine geistige Vermüllung in riesigem Ausmaß. Information und Unterhaltung werden gleichermaßen unter einer Welle von Schund und Kitsch begraben. Unter dem zunehmenden Druck der Quotenmessungen und der daran gebundenen Werbepreise und Werbegelder passen auch die öffentlich-rechtlichen Sender sich den neuen Sehgewohnheiten und den neuen Inhalten an.

[…]

Jungen Menschen das Ausmaß der Veränderung begreiflich zu machen ist nicht einfach. Sie haben sich an so vieles schon gewöhnt, worüber wir Älteren uns noch empören können. Es wäre ein Leichtes, diese Haltung als kulturpessimistisch und moralisierend zu brandmarken. Ginge es nur um Fragen des guten oder schlechten Geschmacks oder um die Frage nach der Verletzung religiöser Gefühle, hätten die Kritiker recht. Es geht aber um nicht weniger als den Bestand der Demokratie, denn mit Informiertheit und der Urteilsfähigkeit verschwinden die Voraussetzungen der Demokratie. Die Entwicklung unserer TV-Landschaft zerstört diese Voraussetzungen. (Müller, Meinungsmache, S. 388 – 389, Hervorhebungen von J.L.)

Mackenroths Theorem und unsere Alterssicherung: "Meinungsmache" III

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Mackenroths Theorem und die Wahrheit über die gesetzliche Rentenversicherung und private Altersvorsorgemodelle


Dies soll mein nächstes Thema werden, das ich noch näher ausformulieren möchte. Hier schon einmal wieder ein Zitat von Albrecht Müller und einige Anmerkungen von mir:


Selbst bei vollständiger Umstellung auf die Privatvorsorge wäre es immer die arbeitsfähige Generation, die die Rentner und die Kinder und Jugendlichen versorgen, ernähren, aushalten müsste. So hat es ein Nationalökonom, der Kieler Professor Gerhard Mackenroth, einmal formuliert. Gegen seine Beobachtung rennen heute die von der Versicherungswirtschaft engagierten Wissenschaftler reihenweise an – mit Theorien über die Vermehrung des Kapitalstocks und über die Anlage des Kapitals in angeblich produktiveren ausländischen Volkswirtschaften. Das sind abenteuerliche Theorien. Meist werden dabei fälschlicherweise betriebswirtschaftliche Gesichtspunkte auf eine volkswirtschaftliche Betrachtung übertragen. ( Müller, Meinungsmache, S. 321 )


Eigentlich ganz einfach: Es ist immer nur soviel zum Verteilen da, wie die gerade aktiven Menschen hergestellt haben. Von meinem Sparen allein wird es nicht mehr, nur dadurch, dass mein Erspartes als Kapital in irgendeine produktive Anlage einfließt und längerfristig zu mehr verteilbaren Waren und Leistungen führt. (D.h. Zocken auf den Kapitalmärkten führt nicht zu solchen Zuwächsen ...) Entscheidend ist nur, wie dann später die Verteilung begründet wird, wer welche Ansprüche hat. Ob das über Privatfürsorge geregelt wird oder über das bisherige Rentensystem, ändert an der Größe des verteilbaren Kuchens nichts. Bei der Privatfürsorge haben sich allerdings die privaten Gesellschaften zuvor schon über die üppigen Gebühren ein schönes Stück kontinuierlich herausgeschnitten … Und die meisten Menschen werden denken: Wenn ich jetzt fleißig spare, ist später einfach mehr vorhanden. In dieser schlichten Variante wahrscheinlich ein fundamentaler Irrtum. Der Kuchen in 50 Jahren wird dadurch nicht größer sein; wenn alle gleichermaßen Geld anhäufen, werden nur die Preise für das zu Verteilende steigen, je nach Bedarf.

Dienstag, 27. April 2010

Stirbt Deutschland aus? - "Meinungsmache" Teil II

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Demographie, Arbeitsplatzsituation und Gründe für geringe Geburtenquoten

Zu den Märchen und Mythen, mit denen wir ständig unter Druck gesetzt werden, gehört auch der stete Hinweis auf die Demographie, d.h. das angeblich drohende "Aussterben" der Deutschen, die daraus prognostizierten Konsequenzen für unseren Lebensstandard und die behauptete Notwendigkeit, auch hier den Gürtel enger schnallen zu müssen und vor allem: wegen der zukünftig gefährdeten Altersrenten kräftig in die private Vorsorge zu investieren. (Ein Bombengeschäft für die Versicherungswirtschaft ...)

Albrecht Müller sieht die wirklichen Bedrohungen eher in der Gegenwart:

Falls sich überhaupt etwas aus der Entwicklung der Geburtenziffern im Zeitablauf und aus ihrer Verschiedenheit von Region zu Region ablesen lässt, dann vielleicht dies: dass die wirtschaftliche Entwicklung, dass die Berufsperspektiven und vermutlich auch die Art der Arbeitsverträge und der Entlohnung entscheidende Faktoren für die Bevölkerungsentwicklung sind. Einem Dreißigjährigen mit einem befristeten Arbeitsvertrag und seiner Partnerin mit einem Mini- oder Ein-Euro-Job kann man verantwortungsvollerweise nicht zumuten, zwei oder drei Kinder zu kriegen. Und eine junge Familie, deren Vater in der Nacht von Sonntag auf Montag von Brandenburg nach Stuttgart und am Freitagabend wieder zurück fährt, wird sich sinnvollerweise nicht für viele Kinder entscheiden. (S. 315; Hervorhebung durch J.L.)

Mich erinnert das an einen Disput mit einem früheren Chef. Er wies meine Kritik an den ständigen befristeten Verträgen für Neueingestellte, die ich auch damals schon für einen Faktor für die "Kinderunlust" junger Kolleginnen und Kollegen hielt, mit den Worten zurück: "Aber, Herr Lüder! Wir haben doch alle schon einmal schwierige Zeiten durchgemacht und trotzdem unsere Kinder gut großgezogen!" - Ende der Debatte. Was soll man darauf noch erwidern? Die klare Analyse von Albrecht Müller spricht hingegen Bände und bestätigt meine Sicht.

Montag, 26. April 2010

"Meinungsmache": Albrecht Müllers geharnischte Kritik an deutschen Zuständen


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Ich bin ein Glückspilz! Denn ich habe zum Geburtstag das folgende instruktive Buch geschenkt bekommen, aus dem ich in der nächsten Zeit sicherlich häufiger zitieren werde:


Albrecht Müller: Meinungsmache. Wie Wirtschaft, Politik und Medien uns das Denken abgewöhnen wollen. – München: Droemer 2009.


Das Buch ist eine vehemente Kritik an deutschen Zuständen, die einhergehen mit einer Abstumpfung, ja Verdummung (sorry!) der meisten Menschen hinsichtlich der „Spielregeln“, nach denen tatsächlich in Deutschland „die Fäden gezogen werden“, während die breite Öffentlichkeit lediglich noch eine Zuschauerrolle hat. Müller versucht dagegen erneut – wie schon in früheren Büchern -, Aufklärung und kritische Gegenöffentlichkeit zu setzen.


Über seine früheren Publikationen und insbesondere seine www.nachdenkseiten.de, die er gemeinsam mit Wolfgang Lieb als alternative kritische Informationsquelle herausgibt, habe ich bereits in meinem blog v. 2. März 2010 berichtet.


Müller trifft in seiner Vorbemerkung fünf fundamentale Feststellungen hinsichtlich der Bedeutung von Meinungsmache und Meinungsbildung für politische Entscheidungen in unserem Lande und schreckt nicht davor zurück, sie mit den berühmten Beschreibungen von George Orwell aus „1984“ in Zusammenhang zu bringen. Da diese treffend das Anliegen des Buches wiedergeben, zitiere ich ausführlich:


Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen komme ich zu fünf Feststellungen:


Erstens: Meinung macht Politik. Die öffentliche Meinung ist oft maßgeblich für die politischen Entscheidungen.


Zweitens: In vielen Fällen bestimmt allein die veröffentlichte Meinung, also die von den tonangebenden Personen, Gruppen und Medien mehrheitlich vertretene Meinung, die politischen Entscheidungen.


Drittens: Meinung kann man machen. Das wissen auch jene, die zur Durchsetzung ihrer Interessen politische Entscheidungen bestimmen wollen.


Viertens: Wer über viel Geld und/oder publizistische Macht verfügt, kann die politischen Entscheidungen massiv beeinflussen. Die öffentliche Meinungsbildung ist zum Einfallstor für den politischen Einfluss der neoliberalen Ideologie und der damit verbundenen finanziellen und politischen Interessen geworden. In einer von Medien und Geld geprägten Gesellschaft ist das zum Problem der Mehrheit unseres Volkes geworden, zum Problem des sogenannten Mittelstands und vor allem der Arbeitnehmerschaft und der Gewerkschaften, denn diese Mehrheit und ihre Interessen werden zunehmend kaltgestellt. Das erklärt die breite und wachsende Kluft zwischen den Interessen der Mehrheit und den von oben eingeleiteten politischen Entscheidungen.


Fünftens: Die totale Manipulation ist möglich. Die gleichgerichtete Prägung des Denkens vieler Menschen ist möglich.



George Orwell schrieb in seinem Roman „1984“: „Und wenn alle andern die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.“


Wenn Sie diese Beobachtung von George Orwell gelegentlich zu Rate ziehen, werden Sie vieles, was um uns herum vorgeht, um vieles besser verstehen, als wenn Sie nach objektiven, in der Sache liegenden Erklärungen von für Sie rätselhaften Vorgängen suchen. Diese Suche ist in der Regel nämlich müßig, denn das, was wir täglich hören und sehen und was uns als demokratisch gesonnene Staatsbürger häufig das Leben so schwer macht, sind in Wahrheit Mythen, Legenden und Lügen. Sie bestimmen in weitem Maß die öffentliche Debatte und damit auch die politischen Entscheidungen, die sich massiv auf unsere konkrete Lebenssituation am Arbeitsplatz, bei der sozialen Absicherung oder im Alter auswirken. Sie berühren und betreffen ganz unmittelbar unseren Alltag. Wenn Sie die Wirkung perfekter Meinungsmache durchschauen, dann werden Sie auch verstehen, dass wir als Steuerzahler so lautlos die Wettschulden derer bezahlen, die sich auf den internationalen Finanzmärkten verspekuliert haben und das Casino so weiterbetreiben, als wäre nichts geschehen. (S. 8 - 9. Hervorhebungen von J.L.)


Abschließend noch ein weiteres Zitat aus der folgenden Einführung, das die Themen vorzeichnet, die Müller dann ausführlich in den folgenden Kapiteln seines Buches behandelt:


Meinungsmache und Manipulation sind seit Jahrhunderten geläufige Erscheinungen. In jüngster Zeit jedoch entfalten diese Kampagnen eine zerstörerische Wirkung, wie sich an gravierenden Fällen belegen lässt: die Auslieferung unserer öffentlichen Universitäten an die Wirtschaft, die Zerstörung des Vertrauens in die sozialen Sicherheitssysteme, die bewusst betriebene Verarmung des Staates, die Kommerzialisierung und Privatisierung unserer Medien, der Verkehrssysteme und kommunaler Versorgungseinrichtungen. Gespielt, gezockt und geplündert wird aber nicht nur im öffentlichen Bereich, geplündert wird zu Lasten der betroffenen Arbeitnehmer und zu Lasten der Gemeinschaft auch im Bereich der privaten Unternehmen. Deutschland im Ausverkauf. Auch die Unfähigkeit zu einer wirksamen Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik folgt aus der systematischen Irreführung des Publikums. Systematisch hat man auch versucht, uns beizubringen, die traumhaften Renditen und Boni der von nahezu allen Regeln befreiten Finanzwirtschaft kämen auf anständige Weise zusammen und seien deshalb erstrebenswert. Jetzt zahlen wir Steuerzahler die Zeche. Die neoliberale Ideologie erweist sich über weite Strecken als Instrument zur Bedienung privater Interessen zu Lasten der Allgemeinheit. (S. 13. Hervorhebungen durch J.L.)

Mittwoch, 21. April 2010

Lieblingszitate CXX

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Ich versuche immer, halbwegs stimmig meine Beiträge aufeinander zu beziehen. Und da ich zuletzt ein Zitat von Josef Rattner aufgeführt hatte, kann ich sicherlich dieses hier noch gut hinzufügen. Während mich seinerzeit allerdings besonders die Kritik am "Selbst-Nörgeln" interessiert hat, sehe ich jetzt mein Hauptaugenmerk eher beim Bezug auf das Vermächtnis von Alfred Adler: Als Vertreter einer Werte-geleiteten Psychotherapie hielt er nicht "hinter dem Berg" mit seinen Ansichten über ein "gutes Leben" und den wünschenswerten Zielen in der Persönlichkeitsentwicklung von Menschen. So formulierte er ursprünglich "drei Lebensaufgaben des Menschen", nämlich Liebe, Arbeit und Gemeinschaft, zu den später noch Lebenskunst und Selbstverwirklichung hinzutraten, so wie im Arbeitskreis von Herrn Rattner gelehrt. Das waren noch Zeiten! Keine Verhaltenstechnologie mit Anleitungen zum Antrainieren irgendwelcher erwünschter Verhaltensweisen, isoliert und ohne größeren Kontext. Aber eine Lehre wie bei Adler ist ja in der heutigen Zeit eher als "umfassender Weltentwurf" im Ideologie-Verdacht und damit verpönt. Manchmal habe ich Sehnsucht nach den alten Zeiten ... und kann allen technokratischen Lehren kaum etwas abgewinnen.



Viele Neurotiker missverstehen die Idee der Selbstüberwindung, in dem sie dauernd ergebnislos mit sich selbst hadern, d.h. sich Vorwürfe machen und kein gutes Haar am eigenen Ich lassen. Solche Selbstquälereien verdüstern die Stimmung und bewirken in der Regel auch Aggressionen gegen andere, die in der Nähe derartiger „Selbstbezwinger“ nicht gerade gut florieren. Wer sich selbst wirklich überwinden will, soll seine zwischenmenschlichen Beziehungen verbessern und seine eigentlichen Lebensaufgaben – Arbeit, Liebe, Gemeinschaft, Lebenskunst und Selbstverwirklichung – angehen. Das binnenseelische Herumnörgeln führt zu nichts.


JOSEF RATTNER


In: Josef Rattner: Psychotherapie und Humor. In: Miteinander leben lernen. H.1./1981. S. 30 – 35. Zitat S. 31.

[In meiner Sammlung seit dem 15.1.1981.]

Lieblingszitate CXIX

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Ich habe längere Zeit kein „Lieblingszitat“ mehr in meinem blog veröffentlicht. Deshalb heute neue „geistige Nahrung“! Es handelt sich um ein auf den ersten Blick nicht ganz leicht „verdaubares“ Zitat meines Lehrers in die Tiefenpsychologie Josef Rattner. Zwar handelt es a u c h vom Altern und Sterbenmüssen, aber die Kernaussage ist an uns alle, dass diese unausweichlichen Perspektiven ihren Schrecken verlieren, wenn wir unser gegenwärtiges Leben ernst nehmen und gestalten! Darum ist es eigentlich ein sehr aufbauender Text!




Weisheit und Einstellung zum Tode

Das „lebenskluge“ Greisenalter ist auch durch ein freundlich - akzeptierendes Verhältnis zum Tode gekennzeichnet. Wer wahrhaft gelebt hat, wird den Tod und das Sterbenmüssen nicht als etwas Untragbares oder gar Ungerechtes empfinden. Am meisten sperren sich jene gegen die Vergänglichkeit, die die ihnen zugemessene Lebenszeit gar nicht richtig genützt haben. Aus Angst vor Entscheidungen und Verantwortungsübernahme flohen sie stets aus den jeweils gegebenen Situationen und vertrösteten sich mit Zukunftsträumereien und Vergangenheitsreprisen. Das Leben findet aber immer „im Augenblick“ statt. Wer es dort nicht erhascht und ergreift, ist auch um seine Zukunft betrogen, da diese ja ebenfalls in Form von Augenblicken heranrollt oder heranreift.

Für eine entschlossene Lebensgestaltung ist der Tod die äußerste Möglichkeit des Daseins: Sie muss nicht unbedingt thematisch in unser Planen und Handeln einbezogen werden, aber sie soll doch im „Saum unseres Bewusstseins“ anwesend sein als Erkenntnis, dass wir unabdingbar sterben müssen – ungewiss ist nur das „Wann“. Wer von Todesangst besessen ist, versäumt nicht nur seine eigenen Chancen, da er gebannt auf das Unsichtbare starrt, er wird auch schuldig gegen seine Mit- und Nebenmenschen, denen er viel Kraft und Aufmerksamkeit entzieht, um das undurchdringliche Rätsel des Vergänglichseins aufzuhellen. Spinoza betonte mit Recht, dass der freie Mensch nicht an den Tod denkt und seine ganze Klugheit auf das Leben richtet.

Josef Rattner

In: Josef Rattner: Weisheit als Charakterzug. – In: Jahrbuch für verstehende Tiefenpsychologie und Kulturanalyse. Bd. 1. Berlin 1981. Zitat S. 143.

[In meiner Sammlung seit dem 30.1.1984.]

Samstag, 17. April 2010

Die richtige Form der Anpassung

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Wer sollte angepasst werden – das Kind oder die Situation?

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Vielleicht ist dies ein ungewöhnlicher Beitrag für meinen blog. Aber er hat einen sehr persönlichen Bezug und hat mich zusätzlich noch einmal auf „mein früheres Leben“ als Dozent an einer heilpädagogisch ausgerichteten Fachschule verwiesen.


Mein kleiner Sohn, der mit mir zusammen die Startseite meines blogs ziert, ist behindert. Daran besteht kein Zweifel. Mittlerweile wissen wir auch, dass Eltern meistens die besten Experten für ihre Kinder sind, denn alle (zahlreichen) Ärzte, die wir im Laufe der Lebensgeschichte unseres mittlerweile 9jährigen Sohnes aufgesucht haben, mochten sich nicht festlegen und haben sich bisher bei einer eindeutigen Diagnose „gedrückt“. Wir sagen deshalb mittlerweile scherzhaft, er habe das „Paul-Jakob-Syndrom“, unbestritten vorhanden, aber einmalig. Bei der heute üblichen Aufweichung früherer strengerer Diagnose-Kriterien sind wir allerdings überzeugt, dass er dem Autismus-Spektrum zuzuordnen ist.


Bekanntermaßen brauchen Autisten ihre Ordnungsrituale und pflegen daneben oft Spezialthemen, in denen sie manchmal ungewöhnliches Wissen anhäufen können. So auch Paul Jakob, der Spezialist für Zirkus, Geographie und Geschichte ist. In diesen Bereichen macht ihm kaum ein Gleichaltriger etwas vor! Andererseits hat er noch seine fast kleinkindhaften festen Gewohnheiten, die ihm den Tag strukturieren und übersichtlich machen. Ein Tag, der ohne den „Sandmann“ im KIKA endet, ist ein unglücklicher Tag; es gibt Tränen und Geschrei.


Das war unser großes Drama zu Ostern, als wir Pauls Onkel und seine liebenswerte Tochter besuchten. Paul war zunächst beglückt!! Aber die beiden besitzen keinen Fernseher!! Ungewöhnlich in unserer heutigen Zeit, aber es kommt bei Überzeugungstätern noch vor! Pauls Kummer war groß und wir fürchteten schon Schlimmes für die Stimmung in den nächsten Tagen. Mit sachlichen Erklärungen zur Situation, mit Ankündigungen ungestörter Sandmann-Sendungen nach unserer Rückkehr und mit eher hilflos-autoritären „basta-Kommentaren“ wie „Es gibt nun einmal keinen Sandmann. Das weißt Du doch! Zwei Tage wirst Du das schon aushalten!“ war Paul Jakob nicht zu helfen. Wir hätten ihm auch noch sonst welche Belohnungen versprechen können. Der Abend schien „versaut“. Ein lieber Nachbar aus dem Haus hat sich dann erbarmt und die beiden Kinder an zwei Abenden für jeweils 10 Minuten an seinen Fernseher gelassen …


Schlicht und ergreifend die Frage an uns Eltern und Pädagogen: Sind wir gescheitert, wenn es uns nicht gelingt, Kindern einen „vernünftigen" Umgang in alltäglichen Situationen beizubringen? Oder wäre es nicht manchmal klüger, eine Situation an ein Kind so anzupassen, dass es sie noch aus eigener Kraft mit seinen z. Zt. verfügbaren geistigen Mitteln bewältigen kann? Beneidenswert, wer das Fingerspitzengefühl besitzt, auf „beiden Klaviaturen“ zu spielen und den Alltag so zu gestalten, dass das notwendige Vertrautsein erlebt werden kann, gleichzeitig auch alle noch etwas Spaß miteinander haben, ohne dass die Lernanreize wegfallen...


Das hat mir Paul Jakob durch seinen Sandmann in Erinnerung gebracht.

Freundschaft

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Die Psychologie Heute widmet ihr Mai-Heft 2010 diesem schönen Thema. Damit ist es ganz real und noch kein Stoff für meine eher wehmütigen „Dinosauria“- Reminiszenzen, wie ich schon eher befürchtet hatte.

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass der Herausgeber Heiko Ernst meiner Generation zugehörig ist, noch von „altem Schrot und Korn“ und deshalb skeptisch gegenüber all den hübschen Kommunikationskanälen wie z.B. Facebook. Er sieht nämlich durch all diese Dienste eine „dramatische Verflachung“ des Freundschaftsbegriffs, denn „in den communities, bei denen suggeriert wird, man gehöre irgendwie irgendwo dazu, wird unablässig getextet, gepostet und getwittert und gechattet. Aber es ist eine gefühlte, keine reale Verbundenheit, die da erzeugt wird. Wie sollte es auch anders sein – wir können nicht mit 40 oder 60 „Freunden“ eng sein.“

Wirkliche Freundschaft hingegen entstehe „durch Teilen, nicht durch Mitteilen. Sie braucht, um im modernen Medienjargon zu bleiben, vor allem face time: echte Begegnungen, geteilte Erfahrungen, langsam erzählte Geschichten statt broadcasts an alle. Das erfordert Zeit, Geduld und Präsenz. Nur unter diesen Bedingungen entsteht die Vertrautheit, die auch im Zeitalter der social media das Alleinstellungsmerkmal von Freundschaft bleibt.“

Ich hoffe sehr, dass Heiko Ernst und all die Experten, die in dieser Zeitschrift Artikel zum Freundschafts-Thema beigesteuert haben, Recht behalten und meine Skepsis unbegründet ist. Denn: Was wäre, wenn irgendwann eine Generation aufwächst, die „Freunde“ nur noch im Sinne von Facebook kennt? Das wäre dann nämlich ihre reale Erfahrungsebene, alle anderen schönen Berichte hingegen nur noch literarische Zeugnisse, das zugrunde liegende Phänomen ausgestorben, alles gehörte, wie gesagt, zu den „Dinosauria“! Das wäre schon eine bittere Realität, nur dadurch abgemildert, dass ich sie nicht mehr erleben müsste. Aber vielleicht bin ich ja auch nur ein zu eingefleischter Pessimist. Wäre ja immerhin schön …

[Alle Zitate von Heiko Ernst entstammen seinem „Editorial“ zu Psych. Heute, 5/2010, S. 3.]

Montag, 12. April 2010

Dinosauria XVIII: Psychotherapie per Internet

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Eines meiner letzten Tabus fällt: Jetzt gibt es Psychotherapie bereits per Internet – ohne dass sich Klient und Therapeut jemals physisch begegnen. Ich weiß nicht, ob ich eher lachen oder weinen soll, es scheint aber bereits – durchaus wirkungsvoll!! – praktiziert zu werden, kein Hirngespinst, sondern Realität.


In meiner Studentenzeit bemühten sich Psychologen und Psychologiestudenten, die etwas auf sich hielten, um eine Ausbildung in Gestalttherapie und Psychodrama, und das Ehepaar Tausch machte den Rogerschen Ansatz als „Gesprächspsychotherapie“ in Deutschland hoffähig. Die qualitative Datenverarbeitung hingegen steckte noch in den Kinderschuhen, aber es gab wohl schon ein Programm, dass soweit der Sprache mächtig war, dass es im Sinne der nondirektiven Therapie Fragen stellen konnte und einen möglichen Gesprächsverlauf simulierte. Ich erinnere mich nur schwach daran und weiß deshalb auch nicht mehr, ob dies ein ernsthafter Versuch oder eine Satire auf die Gesprächspsychotherapie war und zeigen sollte, wohin sie in den Händen von Anwendern führen könnte, die ihre Kriterien lediglich schablonemäßig ausführten. (Carl Rogers hingegen war ein Könner und Künstler der Gesprächsführung!)


Mein eigener Weg führte mich zur Tiefenpsychologie, insbesondere zum individualpsychologischen Ansatz von Alfred Adler. Hier steht die therapeutische Beziehung zwischen Therapeut und Analysand im Mittelpunkt, der emotional-geistige Austausch, das Selbstverstehen, die Vorbereitung neuer emotional tragfähiger Beziehungen und die Entwicklung von Strategien für das Leben in der Außenwelt, alles immer wieder besprochen im geschützten zwischenmenschlichen Rahmen zwischen den sich real in einer vertrauensvollen Situation begegnenden Menschen. Dieses „Ganzheitlich-Emotionale“beeindruckte mich zutiefst und ließ mich, vielleicht eine Spur arrogant, auf alle „Techniken“ der modernen Verhaltenstherapie hinunterblicken, die gerade zur Eroberung des „Psycho-Bereiches“ angesetzt hatte. Vielleicht ein Rückzugsgefecht …


Aber auch eine verhaltenstherapeutische Behandlung erforderte noch die Absprache zwischen Klient und Therapeuten. Und seinerzeit wurde auch eine berühmte Studie immer wieder zitiert, nach der der Behandlungserfolg einer Psychotherapie weniger von der Qualität der angewandten Methode als vielmehr von der Qualität der therapeutischen Beziehung abhinge.


Nun lese ich im Tagesspiegel v. 6. 4. 2010 einen Artikel von Adelheid Müller-Lissner über „Die Online-Therapie. Mit dem Notebook auf der Couch: Zum virtuellen Psychotherapeuten muss man nicht gehen – man kann ihm schreiben“.


Sie schreibt über eine Behandlungsform, die unter dem Namen „Interapy“ an der Uni Amsterdam von dem Psychologen Alfred Lange entwickelt worden ist. Ihre Wirksamkeit wurde speziell für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen nachgewiesen, die sich offenbar auf diese Weise ihre traumatischen Erinnerungen „von der Seele schreiben“ können. Sie soll auch hilfreich für Menschen sein, die am Ende des Zweiten Weltkriegs schlimmsten Erlebnissen ausgesetzt waren. Überraschend: Wird doch gerade älteren Menschen eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Anwendung von Computern nachgesagt, sind sie hier sogar Pioniere der Anwendung!


Ich zitiere hier ein Beispiel aus dem Bericht von A. M.-L. über eine durchgeführte Studie: Viele der Frauen sind vor mehr als 65 Jahren vergewaltigt worden, haben aber noch nie ausführlich und offen darüber gesprochen. „Hart wie Kruppstahl“, mit diesem Spruch sind viele Kriegskinder aufgewachsen. Jetzt, gegen Ende ihres Lebens, haben sie das Bedürfnis, die lebenslängliche Bedrückung loszuwerden. „Mein ganzes Leben lang ist der Geschlechtsakt für mich etwas Gewalttätiges geblieben“, sagte eine der Frauen.


Die Therapie besteht aus einem strukturierten Auftrag, bestimmte Texte zu verfassen und an eine persönliche Therapeutin per E-Mail zu schicken, die auf dem gleichen Weg oder per Post eine Rückmeldung gibt.


Vielleicht ist dies ja ein Weg für Menschen mit schwer schambesetzten Lebensthemen, die auf diese sehr distanzierte Kommunikationsweise leichter von sich berichten können. Dass biographisches Schreiben zu Erkenntnissen über sich selbst führt und auch gefühlsmäßige Veränderungen herbeiführen kann, habe ich an mir selbst erlebt. Aber noch nie mochte ich einen Gesprächspartner und alle emotionalen-nonverbalen „Beimengungen“ eines Gesprächs vollständig missen.


Das wird sicherlich auch ein Problem für die Online-Therapie werden, sollte sie sich noch mehr etablieren. Ich zitiere zum Abschluss noch einmal die Autorin: Einige Teilnehmer des „Lebenstagebuch“ – Projekts […] äußerten zum Abschluss der Therapie einen ganz persönlichen Wunsch: Sie wollten den Menschen, der sie behandelt hat, wenigstens einmal auf einem Foto sehen.

Mediale Ablenkungsmanöver und deutsche Eliten

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Unter dem Titel “Deutschlands Eliten haben sich radikalisiert“ brachte der Tagesspiegel am 6.4.2010 ein Interview mit dem Soziologen Michael Hartmann „über Debatten um Hartz-IV-Empfänger, Mittelschichten und die reicher werdenden Reichen“.

Alle in diesem Zusammenhang bekannten Namen tauchen auch in diesem Interview wieder auf: Westerwelle, Sarrazin, Sloterdijk, dazu die Medien, die ihre Botschaften verbreiten.

Nach Ansicht Hartmanns ist Deutschlands Elite homogener geworden, indem sich die politische der wirtschaftlichen angeglichen hat. Als Begründung für die immer radikalere Kritik am „armen Rand der Bevölkerung“ sieht er Verteilungskämpfe und analysiert sie so:

Der Kuchen ist schlicht kleiner geworden. In den 70er und 80er Jahren gab es mehr zu verteilen, da war man bereit, auch an das ärmere Drittel der Gesellschaft abzugeben. Jetzt aber geht es darum festzulegen, wie die Kosten der Finanzkrise verteilt werden. Und da heißt es dann: Die Hartz-IV-Empfänger verjubeln unsere Steuern.

--- Wollen Sie sagen, Missbrauch gibt es nicht? ---

Sicherlich gibt es den, aber selbst fünf bis zehn Prozent Missbrauchsfälle würden bei den infrage kommenden Summen den Kohl nicht fett machen. Das Getöse um die Frage, ob Hartz-IV-Empfänger Sozialschmarotzer sind oder nicht, lenkt davon ab, was am anderen Ende der Gesellschaft passiert. […]
Und richtig gewonnen hat in dieser Zeit das eine Prozent an der Spitze […]. Sie haben in fünf Jahren zehn Prozent dazugewonnen. Das heißt, dass dieser sehr kleine Teil der Bevölkerung, der nahezu ein Viertel des gesamten Vermögens in Händen hält, fast 150 Milliarden dazugewonnen hat. Darüber wird nicht geredet; dabei wäre es doch nahe liegend zu fragen, ob nicht sie ihren Anteil leisten müssten. Schließlich hat die staatliche Rettung der Banken vor allem ihr Geld gesichert.

--- Danach müsste die Masse der Steuerzahler fragen. ---

Das zu verhindern ist der Sinn all dieser Äußerungen. Die Mittelschichten sollen glauben, mit denen oben in einem Boot zu sitzen. [Hervorhebungen durch J.L.]

Ich danke Michael Hartmann für diese aufschlussreichen Worte!

Übrigens: In diesem Artikel wird auch eine der jüngsten Empfehlungen von Thilo Sarrazin wiedergegeben! Diesmal hat er Hartz-IV-Empfängern geraten, doch kalt zu duschen, wenn das Geld fürs warme Wasser nicht reicht. Ich hatte schon gedacht, er wollte ihnen aus eigener Anschauung Gesundheitstipps geben … Aber da lag ich leider daneben.

Wohin mit all dem Geld ...

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In meinem blog über die Fernsehnachrichten vom 8.4.2010 habe ich bereits über die Treberhilfe e.V. und ihren ehemaligen Geschäftsführer Harald Ehlers berichtet. Auch davon, welche katastrophale Wirkung diese Affäre auf alle anderen in diesem Sektor tätigen sozialen Träger haben dürfte, denn alle stehen jetzt irgendwie unter Rechtfertigungszwang. Es ist schon kurios, dass sich der Träger, der sich „den Ärmsten der Armen“, nämlich den Obdachlosen, gewidmet hat, möglicherweise am meisten an seiner Klientel bereichern konnte. Selbst bei den Armen ist etwas zu holen … Die extravaganten Dienstwagen (zur Aufbesserung des offenbar angeknacksten Selbstwertgefühls ihrer Nutzer) und gerüchteweise 35.000 € Monatsapanage für den Geschäftsführer sprechen eine eindeutige Sprache.


Hier will ich aber nicht weitermachen. Auf der moralischen Ebene ist eh’ schon alles gesagt, ansonsten ist wohl die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, und politisch hat der Senat viel Ärger wegen der bisher offenbar versagenden Kontrollen. Über alles das wird die Presse sicherlich noch ausführlich berichten.


Ich habe ein ganz anderes Thema: Wie kann man so gierig sein? Was ist das Befriedigende daran, 35.000 € im Monat zu verdienen? Das dürfte unter Managern ja gute Mittelklasse sein, also gibt es sicherlich noch manche andere in unseren Landen, die sich ebenso Gedanken machen müssen, wie sie ihr Geld anschließend wieder ausgeben… Und vor dem Finanzamt und den „ausgehungerten Hartz-IV-Empfängern“ schützen …


Hier versagt meine Einfühlungsgabe. Für mich war Geld zwar immer wichtig „als Mittel zum Zweck“, um mit meiner Familie in einer angemessenen Wohnung leben zu können, uns zu ernähren, vernünftige Kleidung zu kaufen, gelegentlich mal auszugehen, daneben Geld fürs Verreisen und für Geschenke an Freunde und Verwandte übrig zu behalten, bestenfalls auch etwas „für später“ und für die Kinder zurücklegen zu können und – meine größte Leidenschaft – Bücher und CDs zu kaufen. Dann aber Schluss!! Sicherlich ist das schon ein großer Luxus im Vergleich zu denjenigen Mitmenschen, die jeden Cent umdrehen müssen, aber es bewegt sich doch noch „im Limit unserer Gesellschaft“. Sehr, sehr viel, aber auch völlig genug!!


In einem Wagen für 20.000 € kann man doch sehr vernünftig fahren, warum brauche ich dann einen für 100.000 €? Ich habe noch nie für einen Pullover mehr als 50 € ausgegeben, offenbar gibt es aber auch welche für 250 € oder sogar 500 €. Misst eine Armbanduhr für 2.000 € die Zeit präziser als eine für 100 €? Dieser Sektor ist für mich völlig uninteressant und reizlos. Was haben die Leute bloß davon. Aber wahrscheinlich kann ich das Sozialprestige nicht richtig einschätzen und auch nicht das Machtgefühl, über Geld Besitz zu erwerben und Einfluss zu nehmen. Da bin ich wie ein Wesen von einem anderen Stern…


Ich kriege auch keine grüne Nase vor Neid. Höchstens denke ich, politisch sicherlich völlig inkorrekt, was man alles mit diesem schönen Geld anfangen könnte, wenn es für sozialere Zwecke zur Verfügung stünde …

Sonntag, 11. April 2010

Die Flut der Ereignisse am 8. April 2010

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[Ein Beitrag, den ich von meiner Reise mitgebracht habe und erst heute ins Netz stellen kann.]

Heute habe ich ausführlich ferngesehen, nicht nur die Tagesschau, sondern daneben auch das Magazin „Kontraste“ und die Tagesthemen. Es hat schon etwas von Selbstschutz, dass ich sonst eher nur Zeitung lese. Die Fülle der Informationen ist enorm. Die Bilder ziehen vorbei, und ich habe nicht die Chance, noch einmal in Ruhe alles nachzulesen. Dabei geschieht höchst Aufregendes. Ich will hier nur kurz auf drei völlig unterschiedliche Themenbereiche eingehen:

1. In „Kontraste“ wurde noch einmal der Skandal um die Berliner „Treberhilfe“ aufgerollt und die offensichtlich nicht greifenden öffentlichen Kontrollen, die es erst ermöglicht haben, dass sich Geschäftführer und Verein anscheinend maßlos an öffentlichen Hilfsgeldern bereichern konnten. Höchste Alarmstufe für alle gemeinnützigen Projekte und Einrichtungen, die in den Sog dieses Vorgangs geraten könnten! Denn ihr guter Ruf war bisher eines ihrer besten Argumente und Arbeitsmittel. Es steht viel auf dem Spiel! Das ganze Subsidiaritätsprinzip, durch das der Staat bisher die Arbeit in sozialen Brennpunkten an freie Träger weitergegeben hat, kommt durch solche Vorkommnisse in ein schlechtes Licht. „Raffke im Sozialbereich“, das ist eine für mich neue Erscheinung! Zu Harald Ehlers, dem bisherigen Leiter der Treberhilfe, werde ich zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal einen kurzen blog schreiben.

2. Ebenfalls in „Kontraste“ wurde ein Filmbericht über einen Mann gezeigt, der als Kind in einem „Spezialheim“ der DDR zwangsuntergebracht war und knastähnliche Zustände und Gewalt erleiden musste. Er kämpft um seine Rehabilitation und Wiedergutmachungsleistungen. Nach Vorkommnissen in kirchlichen Heimen in Westdeutschland nach dem Krieg, den unsäglichen Ereignissen um katholische Geistliche mit täglichen Neuigkeiten über sexuelle Übergriffe in Deutschland und aller Welt, den Skandalen an der Odenwaldschule taucht nun ein neues Minenfeld der Vergangenheit auf, das noch nicht geräumt worden ist… Welche weiteren werden noch folgen?

3. Ein völlig anderes Thema, gesendet in den Tagesthemen, wahrscheinlich mit noch viel größerer Brisanz, das aber ebenfalls mit geleugneter Wahrheit zu tun hat, mit großem Leid und viel verdrängter Schuld: Der Völkermord an den Armeniern am Ende des 1. Weltkriegs, der offenbar für die Türkei als Nachfolgestaat des untergegangenen Osmanischen Reiches immer noch „ans Eingemachte“ geht, denn warum können sich die dortigen Regierenden nicht zu einer versöhnlicheren Haltung verstehen? Kein Historiker wird mehr die Zahl der Toten in Frage stellen. Es gab Befehle, die den Ereignissen zugrunde lagen. Was soll das Leugnen? Und das 90 Jahre nach den Ereignissen! Ein schwärende Wunde, die so nicht heilen kann und den Frieden miteinander zwischen den betroffenen Völkerschaften auch in Zukunft immer noch in Frage stellt. Warum? Es übersteigt mein Verstehen. Eines habe ich allerdings nach der heutigen Sendung besser verstanden: Auch die Deutschen waren beteiligt, denn die Oberste Heeresleitung des Kaiserreiches stützte ihren osmanischen Verbündeten bedingungslos, um ihn „bei der Stange zu halten“. Aber nach allen Ereignissen der Zeitgeschichte ist es heutzutage für Deutsche offensichtlich einfacher, auch zu weiterer Schuld (durch unterlassene Hilfeleistung und Kritik) zu stehen, makaber, aber wahr. Immerhin ein Lernprozess. [Dies war ein Beitrag aus den Tagesthemen, verbunden mit dem Hinweis auf eine Fernsehdokumentation vom 9.4., die allerdings erst zu mitternächtlicher Stunde gezeigt werden sollte.]

Riesenspielzeuge der Könige

.Fett

Über Ostern haben wir einen Verwandtenbesuch in Dresden gemacht, jetzt bin ich ein paar Tage allein in Potsdam, „familienfrei“, eine wundervolle Verabredung! [Der Text erstand am 7.4.2010.]


In beiden Residenzstädten ein ähnliches Bild: es gibt eindrucksvolle Bauwerke der damaligen Herrscher, auch wenn Potsdam als Stadt nur „ein Zwerg“ im Vergleich zu Dresden ist. Innen dazu ein wunderbares Interieur: prunkvoll, pathetisch, verspielt, immer kunstvoll im Stil der jeweiligen Zeit – und ohne Ausnahme sündhaft teuer!


Ich bin hin- und her gerissen zwischen zwei Eindrücken: Die Potentaten der damaligen Zeit haben ihre Untertanen ausgepresst, um all das finanzieren zu können – gleichzeitig wäre viel an Kulturgütern nicht entstanden, wenn sie nicht so verschwenderisch gewesen wären.


Und davon profitieren dann auch wir Nachgeborenen – Nachfolger all jener, die seinerzeit die Kärrnerarbeit leisten mussten. Denn „Kammerdiener“ und „Zofe“ wäre schon eine hohe Karriere für meine Familie unter Friedrich II. gewesen, eher noch wäre ich wohl in einer seiner vielen Schlachten als Grenadier ums Leben gekommen … Mit dem Blut ihrer Untertanen gingen die Despoten der damaligen Zeit ja sehr freizügig um. Mehrere 100.000 Brandenburger sind wohl in den Eroberungskriegen Friedrichs II. durch Kriegsfolgen ums Leben gekommen.


Aber früher waren die Menschen ja so stolz auf den Zuwachs an Geltung und Ruhm für Preußen – angesichts der sonstigen Kleinstaaterei in Deutschen Landen -, dass sie ihm sogar den Ehrentitel „der Große“ verpassten und ihn zum sich in Sorge um seine Untertanen verzehrenden Landesvater hochstilisierten. Ob er wenigstens manchmal Alpträume von seinen gefallenen Soldaten hatte?

Lieblingszitate CXVIII

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Es ist leicht, für gestern klug zu sein.


Russisches Sprichwort


Frisch gefunden als „Schlussstein“ im Publik - Forum 6/2010 v. 26. 3. 2010.