Montag, 12. April 2010

Dinosauria XVIII: Psychotherapie per Internet

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Eines meiner letzten Tabus fällt: Jetzt gibt es Psychotherapie bereits per Internet – ohne dass sich Klient und Therapeut jemals physisch begegnen. Ich weiß nicht, ob ich eher lachen oder weinen soll, es scheint aber bereits – durchaus wirkungsvoll!! – praktiziert zu werden, kein Hirngespinst, sondern Realität.


In meiner Studentenzeit bemühten sich Psychologen und Psychologiestudenten, die etwas auf sich hielten, um eine Ausbildung in Gestalttherapie und Psychodrama, und das Ehepaar Tausch machte den Rogerschen Ansatz als „Gesprächspsychotherapie“ in Deutschland hoffähig. Die qualitative Datenverarbeitung hingegen steckte noch in den Kinderschuhen, aber es gab wohl schon ein Programm, dass soweit der Sprache mächtig war, dass es im Sinne der nondirektiven Therapie Fragen stellen konnte und einen möglichen Gesprächsverlauf simulierte. Ich erinnere mich nur schwach daran und weiß deshalb auch nicht mehr, ob dies ein ernsthafter Versuch oder eine Satire auf die Gesprächspsychotherapie war und zeigen sollte, wohin sie in den Händen von Anwendern führen könnte, die ihre Kriterien lediglich schablonemäßig ausführten. (Carl Rogers hingegen war ein Könner und Künstler der Gesprächsführung!)


Mein eigener Weg führte mich zur Tiefenpsychologie, insbesondere zum individualpsychologischen Ansatz von Alfred Adler. Hier steht die therapeutische Beziehung zwischen Therapeut und Analysand im Mittelpunkt, der emotional-geistige Austausch, das Selbstverstehen, die Vorbereitung neuer emotional tragfähiger Beziehungen und die Entwicklung von Strategien für das Leben in der Außenwelt, alles immer wieder besprochen im geschützten zwischenmenschlichen Rahmen zwischen den sich real in einer vertrauensvollen Situation begegnenden Menschen. Dieses „Ganzheitlich-Emotionale“beeindruckte mich zutiefst und ließ mich, vielleicht eine Spur arrogant, auf alle „Techniken“ der modernen Verhaltenstherapie hinunterblicken, die gerade zur Eroberung des „Psycho-Bereiches“ angesetzt hatte. Vielleicht ein Rückzugsgefecht …


Aber auch eine verhaltenstherapeutische Behandlung erforderte noch die Absprache zwischen Klient und Therapeuten. Und seinerzeit wurde auch eine berühmte Studie immer wieder zitiert, nach der der Behandlungserfolg einer Psychotherapie weniger von der Qualität der angewandten Methode als vielmehr von der Qualität der therapeutischen Beziehung abhinge.


Nun lese ich im Tagesspiegel v. 6. 4. 2010 einen Artikel von Adelheid Müller-Lissner über „Die Online-Therapie. Mit dem Notebook auf der Couch: Zum virtuellen Psychotherapeuten muss man nicht gehen – man kann ihm schreiben“.


Sie schreibt über eine Behandlungsform, die unter dem Namen „Interapy“ an der Uni Amsterdam von dem Psychologen Alfred Lange entwickelt worden ist. Ihre Wirksamkeit wurde speziell für Menschen mit posttraumatischen Belastungsstörungen nachgewiesen, die sich offenbar auf diese Weise ihre traumatischen Erinnerungen „von der Seele schreiben“ können. Sie soll auch hilfreich für Menschen sein, die am Ende des Zweiten Weltkriegs schlimmsten Erlebnissen ausgesetzt waren. Überraschend: Wird doch gerade älteren Menschen eine gewisse Zurückhaltung gegenüber der Anwendung von Computern nachgesagt, sind sie hier sogar Pioniere der Anwendung!


Ich zitiere hier ein Beispiel aus dem Bericht von A. M.-L. über eine durchgeführte Studie: Viele der Frauen sind vor mehr als 65 Jahren vergewaltigt worden, haben aber noch nie ausführlich und offen darüber gesprochen. „Hart wie Kruppstahl“, mit diesem Spruch sind viele Kriegskinder aufgewachsen. Jetzt, gegen Ende ihres Lebens, haben sie das Bedürfnis, die lebenslängliche Bedrückung loszuwerden. „Mein ganzes Leben lang ist der Geschlechtsakt für mich etwas Gewalttätiges geblieben“, sagte eine der Frauen.


Die Therapie besteht aus einem strukturierten Auftrag, bestimmte Texte zu verfassen und an eine persönliche Therapeutin per E-Mail zu schicken, die auf dem gleichen Weg oder per Post eine Rückmeldung gibt.


Vielleicht ist dies ja ein Weg für Menschen mit schwer schambesetzten Lebensthemen, die auf diese sehr distanzierte Kommunikationsweise leichter von sich berichten können. Dass biographisches Schreiben zu Erkenntnissen über sich selbst führt und auch gefühlsmäßige Veränderungen herbeiführen kann, habe ich an mir selbst erlebt. Aber noch nie mochte ich einen Gesprächspartner und alle emotionalen-nonverbalen „Beimengungen“ eines Gesprächs vollständig missen.


Das wird sicherlich auch ein Problem für die Online-Therapie werden, sollte sie sich noch mehr etablieren. Ich zitiere zum Abschluss noch einmal die Autorin: Einige Teilnehmer des „Lebenstagebuch“ – Projekts […] äußerten zum Abschluss der Therapie einen ganz persönlichen Wunsch: Sie wollten den Menschen, der sie behandelt hat, wenigstens einmal auf einem Foto sehen.

1 Kommentar:

Roberta Riesenbach hat gesagt…

Psychotherapie per Internet bedeutet für mich Distanzierung, wieder eine Distanzierung im Leben des Patienten. Und das ist für mich eine absolut falsche Behandlung.