Mittwoch, 21. April 2010

Lieblingszitate CXIX

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Ich habe längere Zeit kein „Lieblingszitat“ mehr in meinem blog veröffentlicht. Deshalb heute neue „geistige Nahrung“! Es handelt sich um ein auf den ersten Blick nicht ganz leicht „verdaubares“ Zitat meines Lehrers in die Tiefenpsychologie Josef Rattner. Zwar handelt es a u c h vom Altern und Sterbenmüssen, aber die Kernaussage ist an uns alle, dass diese unausweichlichen Perspektiven ihren Schrecken verlieren, wenn wir unser gegenwärtiges Leben ernst nehmen und gestalten! Darum ist es eigentlich ein sehr aufbauender Text!




Weisheit und Einstellung zum Tode

Das „lebenskluge“ Greisenalter ist auch durch ein freundlich - akzeptierendes Verhältnis zum Tode gekennzeichnet. Wer wahrhaft gelebt hat, wird den Tod und das Sterbenmüssen nicht als etwas Untragbares oder gar Ungerechtes empfinden. Am meisten sperren sich jene gegen die Vergänglichkeit, die die ihnen zugemessene Lebenszeit gar nicht richtig genützt haben. Aus Angst vor Entscheidungen und Verantwortungsübernahme flohen sie stets aus den jeweils gegebenen Situationen und vertrösteten sich mit Zukunftsträumereien und Vergangenheitsreprisen. Das Leben findet aber immer „im Augenblick“ statt. Wer es dort nicht erhascht und ergreift, ist auch um seine Zukunft betrogen, da diese ja ebenfalls in Form von Augenblicken heranrollt oder heranreift.

Für eine entschlossene Lebensgestaltung ist der Tod die äußerste Möglichkeit des Daseins: Sie muss nicht unbedingt thematisch in unser Planen und Handeln einbezogen werden, aber sie soll doch im „Saum unseres Bewusstseins“ anwesend sein als Erkenntnis, dass wir unabdingbar sterben müssen – ungewiss ist nur das „Wann“. Wer von Todesangst besessen ist, versäumt nicht nur seine eigenen Chancen, da er gebannt auf das Unsichtbare starrt, er wird auch schuldig gegen seine Mit- und Nebenmenschen, denen er viel Kraft und Aufmerksamkeit entzieht, um das undurchdringliche Rätsel des Vergänglichseins aufzuhellen. Spinoza betonte mit Recht, dass der freie Mensch nicht an den Tod denkt und seine ganze Klugheit auf das Leben richtet.

Josef Rattner

In: Josef Rattner: Weisheit als Charakterzug. – In: Jahrbuch für verstehende Tiefenpsychologie und Kulturanalyse. Bd. 1. Berlin 1981. Zitat S. 143.

[In meiner Sammlung seit dem 30.1.1984.]

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