Freitag, 19. Juni 2009

"Wenn sich die Zeiten verdunkeln ..." - die Psychologie und der Zeitgeist

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Wenn sich die Zeiten verdunkeln, orientiert sich die Psychologie immer eher an der Biologie als an den Sozialwissenschaften.


Mit diesen Worten zitierte Bernd Matthies im Tagesspiegel v. 28.2.1999 den Bremer Psychologie-Professor Thomas Leithäuser aus dessen Einführungsrede für einen Psychologen-Kongress (vgl. Quelle 1). Ähnliche kritische Äußerungen hatte ich auch schon von anderen Autoren gehört, aber ich finde, Thomas Leithäuser bringt es exakt „auf den Punkt“: psychologische Studien zu lebensgeschichtlichen Entwicklungen von Menschen, deren kulturellen Hintergründen und Beeinflussungsmöglichkeiten sind eher „out“, Studien über genetische Einflüsse auf menschliches Verhalten und seine Steuerung durch Gehirnprozesse, denen sich die höchst populären Neurowissenschaften widmen, hingegen mit ansteigender Tendenz „in“. In meiner Studentenzeit war das noch eher verpönt, es gab aber auch noch nicht die heute so ausgereiften medizin-technischen Untersuchungsinstrumente. Die Psychologen reklamierten damals einen eigenständigen Forschungsgegenstand und tadelten Versuche, psychische Erlebens- und Verhaltensweisen und deren Sinnstrukturen ausschließlich naturwissenschaftlich über Biologie und Physiologie erklären zu wollen, als unzulässig verkürzenden „Reduktionismus“.


Über dieses Problem wird in Fachkreisen auch heute weiterhin gestritten. In der Öffentlichkeit hingegen dürfte hauptsächlich der „Sieg“ der Neurowissenschaften angekommen sein. Er würde ein einfachereres Menschenbild nahe legen, das schon immer populär war: Nicht wir selbst sind es, die sich mühsam ihr Lebensschicksal erarbeiten und selbstverantwortlich „daran stricken“, nein, hauptsächlich bestimmen von uns kaum beeinflussbare Gene und Gehirnstrukturen, wie wir wirklich „ticken“. Das ist zwar irgendwie deprimierend, gleichzeitig aber auch entlastend, weil niemand mehr dafür verantwortlich gemacht werden könnte, dass er nicht „über seinen Schatten springt“.


Ist ein Mensch so nicht auch viel besser ökonomisch planbar und einsetzbar? Hier beginnt für mich das, was Thomas Leithäuser mit seiner „Verdunkelung der Zeiten“ gemeint haben könnte. Nicht mehr mühsame lebenslange Bildung steht im Vordergrund, sondern die schnelle Verwertung der „Intelligenz-Reserven“ in zügigen Studiengängen a´ la´ „Bologna“, die der Wirtschaft tüchtige Nachwuchskräfte zur Verfügung stellt, die dafür viel Wissen angehäuft haben sollen, aber nun wirklich nicht im Reflektieren ihrer Lebensgeschichte geschult sein müssen! Und: Die guten Gene werden sich durchsetzen! Warum soll der Staat soviel Geld für die Förderung der anderen ausgeben? Das war in meiner Studentenzeit anders, als Regierungen in Westdeutschland noch anstrebten, die Studentenquoten bei Kindern von Arbeiterfamilien/ ärmeren Schichten anzuheben. Aber das ist doch auch schon 40 Jahre her, „Schnee von vorvorgestern“! Und viel zu teuer! Das Geld wird viel dringender gebraucht zur Finanzierung des Banken-Rettungs-Schirms! (Ich kann bei diesem Thema nur polemisch sein, Entschuldigung!)


In Wirklichkeit vertreten Neurowissenschaftler mittlerweile viel differenziertere Standpunkte. Z.T. kam es zu einer regelrechten „Rehabilitation“ der Freudschen Theorie vom Unbewussten (vgl. Quelle 2). Auch die Verschränkung der Wirkung von Genen mit Umwelteinflüssen ist heutzutage eine selbstverständliche Sichtweise (vgl. Quelle 3).


Dennoch kann ich eine gewisse Genugtuung (als ausgewiesener Anhänger einer lebensgeschichtlich – „verstehenden“ Psychologie) nicht verhehlen, als ich vor zwei Tagen eine kleine Nachricht im Tagesspiegel fand, die einmal mehr bestätigt, dass wir nicht so ganz einfach über unsere Gene erklärt werden können. Ich schreibe sie in Auszügen ab (Quelle 4):


Depression: Das Risikogen, das keines war

2003 glaubten Forscher, eine Genvariante gefunden zu haben, die zusammen mit belastenden Lebensereignissen das Depressionsrisiko erhöht. Jetzt stellt sich heraus, dass diese Erbanlage diese Gefahr doch nicht erhöht. Das ergab eine umfassende Untersuchung der 14 Studien, die sich bisher mit dem Risikogen befassten. [ … ] Das verdächtige Gen enthält den Bauplan für ein Serotonin-Transportereiweiß. Serotonin ist ein chemischer Bote für bestimmte Nervenzellen im Gehirn, der für das Gefühlsleben wichtig ist. Die „verdächtige“ Spielart des Serotonin-Transportergens ist weniger aktiv und wurde deshalb mit dem Risiko für Depressionen in Verbindung gebracht. wez

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Quelle 1: Bernd Matthies: Wo Ich war, soll Es werden. Wie sich Psychologen den Gefühlen nähern. In: Tagesspiegel v. 28.2.1999


Matthies schreibt über den Kongress der „Neuen Gesellschaft für Psychologie“ über „Das sogenannte Gefühl“. Gut kommen Psychologen in seiner Beschreibung dieser „Zunft“ nicht gerade weg … Vielleicht ist es aber auch Selbstironie, denn der Verfasser kennt sich gut aus und könnte vielleicht selbst dazu gehören …


Quelle 2: Es gibt darüber viele Veröffentlichungen. Ich habe z. Zt. nur einen älteren Text zur Hand, den ich aufführen kann, und zwar ein Interview mit dem bekannten Hirnforscher Gerhard Roth:


„90 Prozent sind unbewusst“. Unser Ich täuscht sich, wenn es meint, Herr im eigenen Haus zu sein. Die moderne Neurobiologie stützt Freuds Theorie vom Unbewussten: Wir werden vom Es, von unterschwelligen Gefühlen und Motiven gesteuert. Ein Gespräch von Ulfried Geuter mit dem Bremer Hirnforscher Gerhard Roth. – In: Psychologie Heute. Februar 2002. S. 44 – 49.


Quelle 3: Ich kenne am besten das folgende empfehlenswerte Buch von Joachim Bauer. Dieser Autor hat sich auch verdienstvoll der Burn-Out-Gefährdung von Lehrern angenommen und über die „Spiegel-Neuronen“ als biologische Grundlage der Einfühlung und des Verstehens geschrieben.


Joachim Bauer: Das Gedächtnis des Körpers. Wie Beziehungen und Lebensstile unsere Gene steuern. – Frankfurt a.M.: Eichborn Vlg. 2002.


Quelle 4: In: Tagesspiegel v. 17.6.2009

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