Donnerstag, 25. Juni 2009

Lieblingszitate XXXXI

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Das Gedicht spricht für sich! Etwas leicht Freches und Ironisches noch zum anstehenden Wochenende, bevor ich wegen einer kleinen Reise eine Pause bis zur nächsten Woche einlege. J.L.



Der tugendhafte Hund


Ein Pudel, der mit gutem Fug

Den schönen Namen Brutus trug,

War viel gerühmt im ganzen Land

Ob seiner Tugend und seinem Verstand.

Er war ein Muster der Sittlichkeit,

Der Langmut und Bescheidenheit.

Man hörte ihn loben, man hörte ihn preisen

Als einen vierfüßigen Nathan, den Weisen.

Er war ein wahres Hundejuwel!

So ehrlich und treu! Eine schöne Seel’!


Auch schenkte sein Herr in allen Stücken

Ihm volles Vertrauen, er konnte ihn schicken

Sogar zum Fleischer. Der edle Hund

Trug dann einen Hängekorb im Mund,

Worin der Metzger das schön gehackte

Rindfleisch, Schaffleisch, auch Schweinefleisch packte.

Wie lieblich und lockend das Fett gerochen:

Der Brutus berührte keinen Knochen,

Und ruhig und sicher, mit stoischer Würde,

Trug er nach Hause die kostbare Bürde.


Doch unter den Hunden wird gefunden

Auch eine Menge von Lumpenhunden –

Wie unter uns – gemeine Köter,

Tagdiebe, Neidharte, Schwerenöter,

Die ohne Sinn für sittliche Freuden

Im Sinnenrausch ihr Leben vergeuden!

Verschworen hatten sich solche Racker

Gegen den Brutus, der treu und wacker,

Mit seinem Korb im Maule, nicht


Und eines Tages, als er kam

Vom Fleischer und seinen Rückweg nahm

Nach Hause, da ward er plötzlich von allen

Verschworenen Bestien überfallen;

Da ward ihm der Korb mit dem Fleisch entrissen,

Da fielen zu Boden die leckersten Bissen,

Und fraßbegierig über die Beute

Warf sich die ganze hungrige Meute. –

Brutus sah anfangs dem Schauspiele zu

Mit philosophischer Seelenruh;

Doch als er sah, dass solchermaßen

Sämtliche Hunde schmausten und fraßen,

Da nahm auch er an der Mahlzeit teil

Und speiste selbst eine Schöpfenkeul’.



Moral


Auch du, mein Brutus, auch du, du frisst?

So ruft wehmütig der Moralist.

Ja, böses Beispiel kann verführen;

Und, ach! Gleich allen Säugetieren,

Nicht ganz und gar vollkommen ist

Der tugendhafteste Hund – er frisst!



HEINRICH HEINE


Gefunden in: Paul Alverdes (Hg.): Das Nashorn als Erzieher. Fabeln der Welt. dtv 439.

[in meiner Sammlung seit dem 16.9.1980]

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