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Praxis der Menschenkenntnis: Einsatz von Deutungen: Möglichkeiten und Gefahren
Wie bereits gestern, möchte ich auch heute mit diesem Eintrag ein altes Manuskript aus meiner Dozententätigkeit durch die Veröffentlichung hier im blog „retten“. Es stammt aus dem Februar 1993, ganz zu Beginn meiner Tätigkeit in der Heilpädagogen-Ausbildung in der Fachschule in Fürstenwalde. Ich habe damals versucht, meine tiefenpsychologischen und therapeutischen Kenntnisse auf die Praxis meiner erwachsenen Schülerinnen und Schüler zu übertragen.
Wir kamen dabei u.a. zu der Fragestellung, in welcher Form und mit welcher Legitimation eine Heilpädagogin Eltern ihre Einschätzung über die Ursachen und möglichen Beeinflussungsmöglichkeiten bei Verhaltensproblemen der Kinder mitteilen darf. Im Sinne einer analytischen Kindertherapie wäre so etwas eine „Deutung“. Aber auch ein „Nicht-Therapeut“ im Erziehungsalltag hat Ansichten, Einsichten, Vorstellungen, die für sein Gegenüber sehr wertvoll sein können, wenn sie auf einer gesunden „Menschenkenntnis“ und fundierten Beobachtungen beruhen. (Nicht ohne Grund trägt eines der Bücher von Alfred Adler diesen Titel!) Lernen kann er aber von Therapeuten insbesondere etwas über die Feinfühligkeit, mit der derartige Bemerkungen gemacht werden sollten, um vom Gegenüber akzeptiert werden zu können.
Daran hapert es offensichtlich häufiger. Eine der Mütter aus dem Kurs, zukünftige Heilpädagogin, wusste davon „ein Lied zu singen“. Eines ihrer eigenen Kinder im Kindergarten verhielt sich in der letzten Zeit etwas auffällig. Ein Betreuer klärte sie darüber auf, dass ihr Kind nur deshalb so schwierig sei, weil es gerade ein weiteres Geschwisterchen bekommen habe, machte aber keine Hilfsangebote. Sachlich war daran vermutlich wenig zu rütteln, aber sie fühlte sich durch den Tonfall verletzt, zumal sie ja auch „vom Fach“ war und ähnliche Gedanken auch schon selbst gehabt hatte.
Dieses Beispiel nahm ich damals zum Ausgangspunkt für meinen kleinen Vortrag:
Unser Thema hat sich entzündet an dem Beispiel von Frau Z., die sich über eine deutende Äußerung eines Erziehers im Kindergarten aufregte. („Ihr Sohn reagiert jetzt so, weil Sie ein weiteres Kind gekriegt haben.“)
Ich habe dabei herausgehört, dass vermutlich folgende Gründe für den Ärger mitgespielt haben:
(a) ist es eine „platte“ Interpretation nach Schablone, die gern einfach so angewendet wird. Ich bin aber nicht nach Schablone zu verstehen, mein Kind auch nicht, die Verhältnisse sind komplizierter. Aber das versteht dieser Mann nicht!
(b) Irgendwie klingt auch ein Vorwurf dabei mit durch, als hätte ich mein Kind mutwillig in eine schwierige Situation gebracht. Aber was soll ich denn anders tun?
Stimmt das so?
Missbrauch von Deutungen:
Wissen oder als Wissen Angenommenes (Vermutungen, Halbwissen, das zur „Wahrheit“ stilisiert wird) können regelrecht zur Kampfmethode im Umgang mit Eltern gemacht werden:
Mögliche „begleitende“ Botschaften könnten sein:
- Sieh her, wie klug ich bin – im Gegensatz zu dir, denn du verstehst dich ja selbst nicht. ( = du bist dumm!)
- Siehst du, du brauchst mich, weil nur ich kapiere, was mit dir los ist.
- Wie konntest du nur so etwas machen? Muss das sein? Siehst du nicht, was du angerichtet. hast?
- Ich habe recht, du hast unrecht.
Damit dürfte dann eine erquickliche Zusammenarbeit beendet sein.
Verantwortungsvoller Gebrauch von Deutungen:
Auch wenn wir keine Therapeuten sind, können wir von ihren Grundsätzen lernen, wie sie mit Deutungen umgehen, nämlich sehr sparsam!
- Ein Therapeut wird seinen Klienten dabei unterstützen, wie auch immer nur möglich, seine Lebenssituation selbst zu verstehen.
- Wenn der Klient dabei zu einer eigenen Deutung kommt („Jetzt habe ich endlich verstanden…“), so ist dies sicherlich die günstigste Möglichkeit, weil sie dann auch gefühlsmäßig vom Klienten mitgetragen wird und akzeptiert werden kann. Diese Form bringt am meisten!
- Wenn er aber doch Interpretationen/Deutungen bringt, wird er dies wahrscheinlich in einer der folgenden Formen tun, die auch eine Ablehnung ohne Gesichtsverlust ermöglichen, z.B.
(a) als Frage: „könnte es sein, dass …“ oder
(b) als Formulierung einer eigenen Wahrnehmung: „Als ich von ihnen hörte, ging mir
. durch den Kopf / habe ich erlebt / gesehen … / dass… Ist da etwas dran?
==> So bleibt dem anderen die Freiheit, sich verstanden zu fühlen oder diese Möglichkeit abzulehnen ohne deshalb schlechter dazustehen . Die Deutung bleibt ein Angebot.
- Entscheidend für die Akzeptanz der Deutung ist dabei das Gefühl des Klienten, nicht die „objektive Wahrheit“: egal, wie „richtig“ eine Deutung ist, sie wird beim Klienten nur dann etwas positiv verändern, wenn er sie gefühlsmäßig sich zu eigen machen kann.
- Wie kann es dabei zu einer Ablehnung der Deutung kommen?
(a) Entweder liegt sie ganz falsch und löst im Klienten gar keine Gefühle aus („kann nichts mit anfangen“) oder das Gefühl, nicht verstanden zu werden.
(b) Oder die Deutung ist inhaltlich schon berechtigt, zielt aber auf eine Wunde, die unbewusst noch geschützt werden muss. ==> Dann ist die Zeit für diese Interpretation noch nicht gekommen, denn sie kann noch nicht verarbeitet werden.
Es ist also ein sehr behutsames Vorgehen gefordert!
Wie können wir unser Wissen nutzen?
==> für ein angemessenes Verhalten gegenüber dem Kind oder den Eltern (was braucht es
wirklich, was kann ich ihm geben)
==> Verständnis hilft Wege suchen, wie man Eltern und Kinder zur Mitarbeit gewinnen . kann (sich nicht zu den besseren „Ersatzeltern“ hochstilisieren!)
==> immer im Bewusstsein behalten, dass unsere Einsichten nur Arbeitshypothesen sind, die . wir immer wieder überprüfen müssen!
(In meinem Original-Manuskript als Word-Dokument hatte ich alles etwas schöner eingegeben, diese bessere graphische Anordnung des Textes hat aber leider nicht die Übertragung auf den vom Schreibprogramm her viel schlichter gestrickten blog überstanden, sorry!)
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