Dienstag, 11. Juni 2019

Mein Weltbild gerät ins Strudeln

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Z. Zt. erlebe ich häufiger, wie neue Entwicklungen und auch historische Forschungsergebnisse meine liebgewordenen Vorlieben und Einstellungen in Frage stellen und mich verunsichern, ob ich meine alten Meinungen beibehalten kann. Das kenne ich so von früher nicht! Da war ich eher stolz darauf, mir über meine nun doch schon umfangreiche Lebenszeit klare individuelle Vorstellungen erworben zu haben, was ich ethisch vertretbar, "gut" und "böse" finde, welche ästhetischen Vorstellungen mich leiten, wenn ich Kunstwerke betrachte, natürlich auch meine Bewertung von politischen Ereignissen.

Ein sehr ärgerliches Beispiel ist für mich dabei die augenblickliche Diskussion um "Antisemitismus" in Deutschland! Ich verurteile schärfstens alle übergriffigen Formen, die ihre bekannten rechtslastigen Ursachen haben. Wie sollte es anders sein, wo ich doch als Student auf drei Polenreisen immer wieder Auschwitz gesehen und niemals wieder die damaligen Bilder vergessen habe! Eine prägende Erfahrung für mein weiteres Leben! In den letzten Jahren beeindruckten mich aber besonders Initiativen in Israel, die  die Verständigung zwischen Israelis und Palästinensern suchen, z.B. eine Gruppe, die - von beiden Seiten - Todesopfer in den dortigen Auseinandersetzungen zu beklagen hat.  Friedensarbeit im Gegensatz zur aggressiven offiziellen Siedlungspolitik! Wer aber solche Initiativen unterstützt und Kritik an der augenblicklichen ultrarechten Politik Israels formuliert, gerät z.Zt. in die Schusslinie in Deutschland, nämlich in den Verdacht, ein "Antisemit" zu sein. Eine beschämende Entwicklung! Vielleicht werde ich dazu noch mehr schreiben.

Ganz anders und ein wirkliches Problem ist für mich dagegen, was jetzt über den Maler Emil Nolde bekannt geworden ist. Es steht jetzt wohl fest, dass er wirklich ein Antisemit und glühender Hitler-Anhänger gewesen ist, ganz im Gegensatz zu allen  früheren Bewertungen, die ihn eher als verfehmten Maler mit Malverbot in der NS-Zeit dargestellt haben. Ich habe immer seine Bilder mit ihren rauschhaften Farben oder wunderbaren Blumen geliebt und bin mehr als einmal nach Seebüll "gewallfahrtet". Das soll nun alles falsch sein!? Seine Nähe zum Naziregime finde ich verwerflich - aber was mache ich mit den Bildern, die mir immer sehr viel bedeutet haben? Die Einheit von Werk und Schöpfer ist für mich in diesem Fall zusammengebrochen. Muss aber mein ästhetisches Empfinden darunter leiden?  Und alle Seh-Erfahrungen mit Noldes Bildern? Das finde ich eine komplizierte Fragestellung.

(Ich beziehe mich hier auf den Artikel von Tobias Timm in der ZEIT 15/2019 mit dem Titel: Dunkelbraune Idyllen. Der Maler Emil Nolde verehrte Hitler noch glühender, als bislang bekannt war. Sollte die Kanzlerin ihren Nolde abhängen?)

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