Donnerstag, 22. Januar 2009

Was brüten sie aus ...

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Es fällt mir schwer, meinen folgenden Gedankengang gut herzuleiten und zu begründen; seitdem er mich irgendwann vor einigen Tagen „überfallen“ hat, halte ich ihn aber für nachdenkenswert:

Wenn ich junge Menschen heute so sehe, auf der Straße, im Fernsehen, vor einiger Zeit auch noch in der Schule, Kinder, Jugendliche, Heranwachsende, junge Erwachsene, so ist mir vieles fremd, wofür sie sich begeistern, Musik, Idole, Shows, Handys, Lieblingsfernsehsendungen …, irgendwie eine Welt, zu der ich nur ansatzweise Zugang habe, etwas Eigenes. Wahrscheinlich sind die jungen Leute auch stolz darauf, sich von den „Alten“ abzuheben und ihr eigenes Ding zu machen. Aber ist das nicht nur die Oberfläche, sind sie wirklich so frei in ihrer andersartigen Lebensgestaltung, rumort nicht doch vieles darunter, was ihnen ohne ihre Zustimmung aufgebürdet wurde? Was „brüten sie aus“, was in ihnen steckt wie ein geheimer Bazillus, ihnen aber heute noch gar nicht zugänglich ist, vielleicht erst später, wenn sie wie ich mit 61 Jahren über „früher“ nachdenken?

Ich glaube, dass ich in meiner Jugend von meiner „Kultur“ her meinen Eltern auch irgendwie fremd war, darunter litt, von ihnen nicht recht verstanden zu werden, aber auch froh über den großen Freiraum war, den ich z.B. als Student genießen konnte. Meine Eltern waren sehr bemüht, uns als ehemalige Flüchtlinge wieder wirtschaftlich auf die Beine zu bringen; um uns herum blühte der (im heutigen Blick bescheidene) Wohlstand mit seinen offensichtlichen Erkennungszeichen wie Telefon, Fernsehen, Autos, Reisen allmählich auf (ich bin ein gebürtiger „Wessi“!) und alle waren sehr damit beschäftigt, daran teilzuhaben und sich vor den bösen Kommunisten zu fürchten.

Als ich älter wurde, habe ich dann begriffen, was uns jungen Leuten aber wirklich von unseren Vorderen aufgebürdet worden war, was sie selbst kaum als Thema ertragen konnten und uns Nachgeborenen zur Verarbeitung „vererbt“ haben. Das Thema Nationalsozialismus war weitestgehend tabu in meiner Kindheit und Jugend. Eine wirkliche Aufarbeitung scheint erst heute zu gelingen, wo die wirklich Betroffenen schon gestorben oder Greise sind. Eine Vielzahl von Büchern thematisiert die Versuche von Kindern und Enkeln, die unaufgelösten Widersprüche der damaligen Generation aufzulösen. Auch die Aufarbeitung der eigenen dramatischen Ereignisse im Zusammenhang mit Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung hatte erst in den letzten Jahren wirklich „Konjunktur“, was einschlägige Veröffentlichungen betrifft. Bei meiner eigenen Familie sehe ich, das ist mein individuelles Schicksal, wie die Nachwirkungen von 1945 zu ihrer Zerrüttung beigetragen und meine Eltern nach der Flucht in einem Gefühl tiefer Heimatlosigkeit zurückgelassen haben. Irgendwie waren wir immer Fremde unter den anderen Menschen. Dass das auch anders sein kann, habe ich erst nach sehr vielen Umwegen und Umzügen erleben können. Hier, in Brandenburg, fühle ich mich heimisch. Ich bin gerne hier und will nicht mehr anderswo hin, was über Jahrzehnte ein Traum von mir war. Der hat sich erst hier in der Heimat meiner Vorfahren aufgelöst. An diesen ungelösten Problemen meiner Eltern, die sie vielleicht so gar nicht hätten benennen können, habe ich lange gearbeitet, denn sie waren in meinen persönlichen Problemen immer mit enthalten. Jetzt ist es friedlicher für mich geworden. Das hat aber viel Kraft gekostet. Aber ich glaube nicht, dass andere meiner Generation völlig „ungeschoren“ davongekommen sind und ich ein Einzelschicksal bin.

Nach diesem langen Exkurs in meine Vergangenheit möchte ich jetzt den Bogen zu den jungen Leuten heute wieder herstellen. Was haben sie von ihren Eltern an Lasten übertragen bekommen, welche Probleme „brüten sie noch aus“? Was sind heute die Tabus, an die die Älteren zumeist nicht heran wollen? Vordergründig gibt es natürlich einen Haufen Probleme, riesige sogar, wenn ich an die ökologische Zukunft der Welt, den Abbau des Sozialstaats, die Aufspaltung in arm und reich, die Überalterung unserer Bevölkerung bei gleichzeitig gigantisch anwachsender Weltbevölkerung denke und dadurch die „Verteilungsprobleme“ der Zukunft sehe (es haben auch schon andere Leute von zukünftigen Verteilungskämpfen, ja Kriegen gesprochen) … Aber ist das schon alles? Leider wohl nicht. Meine Elterngeneration hat sich davor gedrückt, ihre NS-Vergangenheit zu bearbeiten, vielleicht auch Schuld abzutragen und zu trauern. Es können ja nicht alle nur harmlose Mitläufer gewesen sein ... Und heute? Wo hat z.B. eine wirkliche Verarbeitung aller Verstrickungen aus DDR-Zeiten stattgefunden? Wie haben die Älteren den Bruch 1989 in ihrer Biographie verkraftet? Das wäre die Frage an die „Ossis“, bei den Westdeutschen würde ich schon gerne wissen, warum sie sich so wenig gegen den grenzenlosen Kapitalismus der neoliberalen Zeit gewehrt haben und so wenig Interesse hatten, sich in demokratischen Institutionen zu engagieren. Ein wenig „1968“ täte wahrscheinlich uns allen gut. Das geht natürlich im wörtlichen Sinne nicht, denn man kann nicht in der Vergangenheit leben, allerdings aus ihr lernen. Verkrustungen wie damals gäbe es genug …

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