Donnerstag, 24. März 2011

Die Verschleuderung der Allmende

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Ich werde nie die Zustände in der DDR beschönigen; mein Leben ist vermutlich sehr viel einfacher dadurch abgelaufen, dass ich in Westdeutschland aufwachsen und leben konnte. Auch ist mir bewusst, dass in der DDR aus ideologischen und wirtschaftlichen Gründen viel Schindluder mit dem geschichtlichen Erbe getrieben wurde. Historische Gebäude, durchaus noch restaurierbar, wurden gesprengt, weil sie nicht mehr ins Geschichtsbild passten, alte Stadtsubstanz vergammelte. Alles ganz anders, als es z.B. die ökonomisch viel schlechter gestellten Polen mit Warschau und Danzig machten, deren Innenstädte sie mustergültig rekonstruierten.

Aber dennoch: Privatleute konnten sich nicht auf Kosten der Allgemeinheit bereichern und sich nicht Filetstücke von Grund und Boden zu ihrem Privatvergnügen einverleiben. Da der "reale Sozialismus" aber ausgedient hat und viele Menschen an die oben genannten Auswüchse denken werden, verbrennt sich wahrscheinlich jeder den Mund oder die Finger, der heute noch etwas Gutes daran findet, wenn privater Besitz an Grund und Boden eingeschränkt würde. Ich will es dennoch tun, weil ich in der letzten Zeit soviele Beispiele dafür erlebt habe, wie - laut Titel - "die Allmende verschleudert wird", nur weil Besitz offenbar eine Grundkategorie unseres kapitalistischen Systems ist. (Die alten Germanen, unsere Urväter, haben das noch anders gesehen ...)

Hier die Ärgernisse, auf die ich mich konkret aus meinem Umfeld beziehe:

1. In Brandenburg werden offensichtlich Seen verscherbelt! Sie gehören dann nicht mehr der Allgemeinheit, wahrscheinlich kann der neue Besitzer ihren Zugang beschränken und Besucher ausschließen. Wohin das führen kann, zeige ich weiter unten am Beispiel von Petersdorf bei Bad Saarow, einem kleinen Nachbarort meiner jetzigen Heimatstadt Fürstenwalde.

2. Immer wieder durch die Presse gehen die Kämpfe um einen Uferweg am Griebnitzsee in Potsdam/Babelsberg. Da hatte die entsprechende staatliche Stelle, die Allgemeinbesitz privatisiert, zunächst Ufergrundstücke an Privatpersonen verscherbelt, die nun nicht mehr dulden wollten, dass auf dem bisherigen Uferweg direkt am Wasser jedermann spazieren gehen dürfte. Ihre Finanzkraft war dabei höher als diejenige der Kommune Potsdam, und so hat der Staat nicht an den Staat, sondern an Privatleute verkauft. Bürgerinitiativen bildeten sich, Potsdam forderte ein Vorkaufsrecht ein, es wird prozessiert... Ich finde, ein Possenspiel!

3. In meiner Heimatstadt Fürstenwalde gibt es ein Jagdschlösschen der Preußenkönige, das wahrscheinlich völlig in Vergessenheit geraten ist. Schon Friedrich II. nutzte es nicht mehr und ließ es zu einem Magazin umbauen. Aber es ist ein historisches Gebäude und liegt in der Nähe der Spree auf einem großen Gelände, das die Stadt gern in ihre Konzeption eines Uferparks mit einbezogen hätte. Dafür ließe sich das alte Gemäuer und sein Umfeld sicher gut nutzen, während sonst natürlich die Verwendung und Unterhaltung solcher Gebäude nicht einfach ist, wenn es schon hinreichend viele andere kulturelle Veranstaltungsorte gibt. So gab es Planungen für die Beteiligung der Stadt an einer Landesgartenschau, die aber dann wohl auch an der Nichtverfügbarkeit dieses Gebäudes gescheitert ist. Es gammelt vor sich hin und bietet einen trostlosen, beschämenden Anblick. Man kann richtig darauf warten, wann Mauern einstürzen und das Dach einfällt. Der jetzige Besitzer hat es nach der Wende für einen Betrag erworben, den er vermutlich locker "aus seiner Portokasse" begleichen konnte. Ich habe das Gerücht gehört, dass er seinen Besitz durchaus an die Stadt abtreten würde, aber nur für ein stattliches Sümmchen... (das diese aber nicht locker hat). So versuchen Leute, ihren Reibach auf Kosten der Allgemeinheit zu machen.

4. Petersdorf, zwischen Fürstenwalde und Bad Saarow gelegen, hat einen sehr schönen See, den meine Frau und ich von vielen Spaziergängen her schätzen. Außerdem gab es dort bisher ein kinderfreundliches Freibad - mit zugehöriger Infrastruktur und Badwache - , das wir auch gern mit unserem Sohn genutzt haben. Damit dürfte jetzt Schluss sein! Denn möglicherweise wird das Bad nicht wieder eröffnet. Die Gemeinde hatte Fördermittel aufgetrieben, um die hinterwäldlerischen sanitären Einrichtungen zu sanieren, eine stattliche Summe. Sie kann aber wohl nicht verbaut werden, weil die Gemeinde sich nicht mit dem Besitzer des Sees einigen kann, dem auch die Uferzone zu gehören scheint. Kurios! Wahrscheinlich spielen hier persönliche Animositäten eine große Rolle, denn nach der Wende wurde auf dem See eine Wasser-Ski-Anlage gegen heftigsten Widerstand vieler Anlieger errichtet, für die der Betreiber einen Teil des Sees gekauft hatte. Mittlerweise gehört ihm wohl die ganze Fläche, wer weiß so etwas schon genau. Die Fronten sind verhärtet, leiden tun diejenigen, die gern weiterhin dort baden würden.

So ist das bei uns in Brandenburg, sicherlich in anderen Teilen Deutschlands nicht besser. Eigennutz geht in der Regel vor Allgemeinnutz und kann gerichtlich durchgesetzt werden.

Mittwoch, 23. März 2011

Die Welt ist aus den Fugen: Anti-AKW-Demonstrationen am kommenden Samstag

Angesichts der atomaren Katastrophe in Japan muss m.E. jeder nur halbwegs einsichtige Mensch einen beschleunigten Ausstieg aus der Versorgung mit Atomstrom fordern. Die Bundesregierung ist angesichts der Stimmungslage in der Bevölkerung vor wichtigen Landtagswahlen halbherzig ein wenig "eingeknickt" und hat ein Drei-Monate-Moratorium hinsichtlich der geplanten Laufzeitsverlängerung unserer deutschen AKWs verkündet. Und hinterher??

Wer das ebenso empörend und als reine Augenwischerei empfindet wie ich, hat Gelegenheit, seinen Ärger produktiv am kommenden Samstag auf einer von vier großen geplanten Demos einzusetzen. Aber was schreibe ich da! Wahrscheinlich wissen das alle schon länger einschlägig Engagierten längst, aber vielleicht besucht auch jemand meinen blog, der bisher eher unschlüssig war und den ich auf diese Weise zusätzlich für diese Aktion gewinnen kann! Eine meiner relativ wenigen Möglichkeiten, etwas sachlich beizusteuern.

Ein großes Bündnis einschlägiger Organisationen wie attac, campact, BUND, ROBIN WOOD u.a. rufen auf zu großen Demonstrationen in Hamburg, Berlin, Köln und München am Samstag, 26.3.2011!

Ausführlichere Infos finden sich auf der Website dieses Bündnisse unter http://anti-atom-demo.de ,
genauer für den Ablauf in Berlin unter http://anti-atom-demo.de/start/ablauf/berlin .

In Berlin treffen sich die Demonstranten ab 11.00 am Potsdamer Platz, Abmarsch des Demonstrationszuges ist um 12.00, die Abschlusskundgebung beginnt um 14.00 auf der Straße des 17. Juni.

Was mich sehr freut: Zu den Rednern der Kundgebung soll auch Michael Sommer, der Bundesvorsitzende des DGB gehören! Schön, dass sich die Gewerkschaften ebenfalls einklinken!

Dienstag, 22. März 2011

Das Prekariat unter den freien Lehrkräften

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Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich 2011 nach 18 Jahren Anstellung als Dozent an einer Fachschule endgültig in Rente gehe. Reich werde ich voraussichtlich davon nicht, aber meine Existenz (und die meiner Familie, Dank sei meiner weiterhin arbeitenden Frau!) ist abgesichert.

Wieviel schlechter geht es all den vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich "frei" in diesem Bereich tummeln und für diese "Freiheit" eine miserable Bezahlung hinnehmen müssen! Skandalöse Zustände!

Darüber habe ich den folgenden Bericht in VER.DI PUBLIK 3/2011 gefunden, den ich solidarisch mit allen Betroffenen hier in Auszügen vorstellen möchte:


Hoch qualifiziert, 600 Euro netto

Arbeitsmarkt / Gegenwehr von Selbständigen: Freie Lehrkräfte werden miserabel bezahlt

von Birgit Tragsdorf

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen /Prekäre Beschäftigung lässt zuerst an Leiharbeit, Minijobs und Teilzeit und an befristete Stellen denken: In Deutschland arbeiten 22 Prozent der Beschäfigten, das sind 6,5 Millionen Menschen, für einen Niedriglohn. 1,3 Millionen von ihnen beantragen zusätzlich Hartz IV (DGB, 2010).

Das Prekariat ist zunehmend aber auch ein Problem der Selbständigen, der Soloselbständigen. 2,3 Millionen sind es in Deutschland, etwa eine Million arbeiten in ver.di-Branchen, Tendenz steigend. Es sind Künstler/innen, freie Dozent/innen, freie Musiklehrer/innen, freiberufliche Journalist/innen - viele von ihnen leiden unter miserabler Bezahlung. Aber auch Beschäftigte im wissenschaftlichen Mittelbau an den Unis und Hochschulen gehören dazu: Drei Viertel der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen haben befristete Verträge und davon wiederum arbeitet die Hälfte noch in Teilzeit.

Karl Kirsch unterrichtet Deutsch als Zweitsprache und leitet Integrationskurse. Zu Hause ist er in der Nähe von Dessau. Er wehrt sich dagegen, dass er und seine Kolleg/innen in der Weiterbildung und den Integrationskursen nicht von ihrer Arbeit leben können. In diesem Januar hat er mit 13 Mitstreiter/innen einen Arbeitskreis für freie Dozent/innen gegründet. [...] Sie wollen aus dem Teufelskreis der prekären Beschäftigung heraus [...]

Was ist nun so prekär an ihrer Arbeit? Karl Kirsch erklärt es: Der Honorarsatz für eine Unterrichtsstunde liegt im Osten bei durchschnittlich 15 Euro. Arbeiten dürfen die Dozent/innen maximal 25 Stunden in der Woche. So schreibt es das Bundesinnenministerium vor. Die Vor- und Nachbereitungszeit erledigen sie kostenlos, ihre Weiterbildung auch. Bei den Sozialversicherungen sind sie ebenfalls benachteiligt. Freie Dozent/innen zahlen unabhängig vom Einkommen einen festen Satz für die Kranken- und Rentenversicherung - und zwar den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Eine Vollzeitstelle bringt ihnen dann nach allen Abzügen etwa 600 Euro Nettoeinkommen. Arm trotz Arbeit ist da das Fazit.

[...]

Die Verfasserin berichtet anschließend über die Versuche der Gewerkschaften ver.di und GEW, Netzwerke für die Betroffenen zu bilden, um - mäßige - Forderungen zu stellen und durchzusetzen.

Dafür werden noch zwei (regionale) Kontaktmöglichkeiten genannt:
- Arbeitskreis freie Dozent/innen: karlkirsch@gmx.de
- Fachbereich 8 (ver.di): gabriele.leonhardt@verdi.de

Im Vergleich zu diesen Konditionen hat mein früherer Arbeitgeber an meiner Fachschule Lehrbeauftragte zwar nicht üppig, aber doch noch erträglich bezahlt... Ich bin bestürzt über diesen Artikel! Es ist eine Schande für unser Land, wenn eine so hochwertige und gesellschaftlich notwendige Arbeit wie Unterricht im Integrationsbereich mit Hungerlöhnen auf dem oben genannten Niveau abgegolten wird. Es muss die schiere Not sein, die die betroffenen Dozent/innen an diesem Job festhalten lässt. Aber welche Alternative hätten sie? Außerdem sind viele - auch aus den anderen genannten Selbständigenbereichen - "Überzeugungstäter", die ihre Arbeit lieben und anderen Menschen wichtige Impulse geben können. Da sie an ihrer jeweiligen "Front" aber zumeist als Einzelkämpfer dastehen, gibt es bisher gesellschaftlich kaum ein Bewusstsein für die Nöte dieser für die Weiterentwicklung unserer Bildung und Kultur so wichtigen Personengruppe. Gut, dass sich Gewerkschaften, die ja sonst mit Selbständigen wenig am Hute haben, jetzt auch auf diesen Personenkreis einlassen. Aber werden die Betroffenen sich gewerkschaftlich orientieren wollen - und können sie von ihren 600,- € monatlich noch Gewerkschaftsbeiträge leisten? Ein großes Problemfeld ...

Lieblingszitate CLVI: Romano Guardini

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Wann es Zeit ist


Sobald man etwas Lebendiges zwingen will,

verkümmert es. Es muss Zeit haben.

Und Dienst am Leben

bedeutet vor allem Wartenkönnen.

Freilich muss man auch wissen,

wann es Zeit ist, und zugreifen,

denn heute ist die Frucht reif,

und man kann sie pflücken;

morgen ist es vielleicht schon zu spät.


Romano Guardini


Gefunden in: Publik Forum Newsletter 2/2011 v. 9.2.2011.

Mittwoch, 16. März 2011

Der Sprachenstreit um türkische Migrantenkinder

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Bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten war meine Sympathie nicht bei Christian Wulff. Mittlerweile finde ich aber, dass er einen realistischen Blick hat und sich um Verbesserungen in Deutschland sehr verdient macht. Meine höchste Anerkennung für seinen Mut in der aufgebrochenen Islam-Debatte, als er sich deutlich zur Anerkennung der Realitäten in unserem Lande bekannte, gipfelnd in seiner Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland"!

Das hat ihm, speziell unter seinen Parteifreunden, viel Unmut eingebracht, wenn ich nur an die harsche Kritik des Union-Fraktionschefs Volker Kauder denke. Offenbar ist für viele eher konservativ Gesinnte dadurch "das Abendland in Gefahr", was für Wurzeln auch immer beschworen werden. Dass wir hingegen "im Abendland" nur deshalb wieder - nach Jahrhunderten von geistig ziemlich tristen Zeiten nach der Völkerwanderung, in der alte Kulturgüter "über Bord geworfen" wurden - Kontakt zu den philosophischen Schriften der alten Griechen bekommen haben, ist nur islamischen Gelehrten zu verdanken... Aber wer weiß schon so etwas...

Eine andere Reizfigur ist der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der schon mehrfach Reden in Deutschland vor Landsleuten gehalten hat. Unvorsichtigerweise hat er in ihnen immer betont, dass die Auslandstürken in Deutschland ihre Kultur nicht aufgeben und ihre Sprache bewahren sollten. Das wird ihm von entsprechenden Kreisen so ausgelegt, als würde er zur Ghettoisierung der hier lebenden türkischstämmigen Bevölkerung aufrufen und zur Verweigerung, die Deutsche Sprache zu erlernen. Dies ist sicherlich überspitzt formuliert, aber die Empörung, die ich in der Berichterstattung über seine letzte Rede herauslesen konnte, ging in diese Richtung.

Da haben alle Kritiker wohl nicht ganz aufgepasst. Immerhin hatte Erdogans Parteifreund, der türkische Präsident Abdullah Gül bereits im letzten Herbst in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, "seine Landsleute in Deutschland sollten Teil der Gesellschaft werden. Sie sollten Deutsch lernen, und zwar fließend und ohne Akzent. Die Integration müsse schon im Kindergarten beginnen, bereits dort müssten türkische Kinder Deutsch lernen." (Zitiert nach dem Artikel "Werbeträger in der Fremde" von Thomas Seibert im Tagesspiegel v. 17.10.2010)

Wie so oft: Viel Aufregung und wenig Sachliches dahinter!!!

Sehr erhellend und vieles wieder in die richtige Augenhöhe bringend finde ich da den Artikel von Eva Baumann-Lerch aus dem Publik-Forum 5/2011 v. 11.3.2011, den ich deshalb hier vorstellen möchte.


Sprache ist Seele

Erst Türkisch oder erst Deutsch? Eine Debatte ohne Sachkenntnis

Politiker sind meist schlechte Erziehungsberater. Denn ihre Ratschläge dienen weniger dem Wohl der Kinder als der eigenen Ideologie und sind von keiner Sachkenntnis getrübt. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls in der aktuellen Debatte um den Spracherwerb von Migrantenkindern.

In einer Rede in Düsseldorf hatte der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan seine Landsleute aufgefordert, mit ihren Kindern Türkisch zu sprechen. Türkische Kinder sollten zuerst die Muttersprache lernen und dann erst Deutsch. Doch das empört konservative Politiker. Hermann Gröhe und Maria Böhmer (CDU) sowie Christian Lindner (FDP) werfen Erdogan vor, die Integration seiner Landsleute zu verhindern: "Wer in Deutschland lebt, muss zuallererst die deutsche Sprache erlernen." Die Integrationsbeauftragte Böhmer erklärt: "Wo zu wenig Deutsch in den Familiren gesprochen wird, beträgt der Bildungsrückstand der Kinder bis zu zwei Jahre." Sprachforscher haben dagegen längst erkannt, dass Kinder zwei Sprachen fehlerlos erlernen können, wenn diese an unterschiedlichen Orten gesprochen werden. Am besten gelingt der bilinguale Spracherwerb, wenn zu Hause konsequent die Muttersprache und draußen die Landessprache gesprochen wird. Die Kinder der Einwanderer müssen dann allerdings viel Kontakt mit Einheimischen haben und so früh wie möglich in den Kindergarten gehen. Wenn Ausländer aber auch zu Hause in der Fremdsprache reden, ist das Resultat oft eine "doppelte Halbsprachigkeit": Die Kinder lernen keine Sprache richtig.

Die Muttersprache vermittelt zudem viel mehr als verbale Information: Koseworte, Rüttelreime, Lieder und Segenssprüche lassen sich nicht übersetzen. Wer Migrantenfamilien die Muttersprache ausredet, der nimmt ihnen die Seele und fördert ihre Entwurzelung. Die Wortführer dieser Debatte sollten sich lieber für eine Politik einsetzen, die kostenlose Kitaplätze anbietet und Ausländerghettos verhindert. Das Deutsche lernen die Kinder dann von ganz allein.
[Hervorhebungen von J.L.]

Montag, 7. März 2011

Vom Messbarkeitswahn in unserer Wettbewerbsgesellschaft

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"Sinnlose Wettbewerbe"

lautet der Titel des Buches von Mathias Binswanger, das im Herder-Vlg., Freiburg i.Br., erschienen ist. Ich wurde darauf aufmerksam durch die darauf bezogene Buchbesprechung "Der produzierte Unsinn. [...] Vom Unfug, Qualität in Quantität zu verwandeln", die Norbert Copray verfasst hat und die im Publik-Forum 56/2010 v. 3.12.2010 erschienen ist.

"Wettbewerb" als Allheilmittel in unserer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft! Welche Auswirkungen das wirtschaftlich hat, ist ein Hauptanliegen dieses Buches. Aber dieses Prinzip, speziell zu sehen an immer neuen Rankings, beschränkt sich ja nicht mehr nur auf den rein ökonomischen Bereich, unser ganzes Leben ist mittlerweile davon durchtränkt. Staatliche Institutionen, Bildung und Gesundheitswesen werden ebenso derartigen Forderungen unterworfen, offensichtlich mit einer Selbstverständlichkeit, dass sich mir die "Nackenhaare sträuben". Ich hätte diesen Text auch unter meiner Rubrik "Dinosauria" veröffentlichen können, so stark weicht die jetzige Praxis von den Gepflogenheiten meiner Vergangenheit ab. Als ob nur härteste Konkurrenz mit messbaren Rankings Menschen dazu brächte, etwas zu leisten. Aber sich zu bilden, kreativ zu sein, soziale Taten zu vollbringen, sich zu engagieren, das verliert dagegen an Wert, immer weniger ist die Sprache von Kooperation und Solidarität. Das macht mich zornig, ich bin aber vollkommen hilflos gegenüber dieser Tendenz, alles zahlenmäßig zu bewerten und nach Überlegenheit zu streben. Das oberste Treppchen auf der Olympiade bedeutet gleichzeitig, dass es viele Verlierer geben muss. So werden wir eine Gesellschaft von einigen Siegern und vielen Verlierern ...

Um so sympathischer finde ich den Bericht von Norbert Copray, aus dem ich deshalb hier ein längeres Stück zitieren möchte:

Die Illusion der Wettbewerbsverfechter ist laut Binswanger: Effizienz oder gar Exzellenz gebe es nur durch Wettbewerb. Und wo keiner sei, müsse er künstlich geschaffen werden. So wollten Regierungen "durch künstlich inszenierte Wettbewerbe auf Pseudomärkten" Institutionen entbürokratisieren.

Auch in den Unternehmen wurden interne Wettbewerbsmärkte geschaffen, um angeblich Leistungsergebnisse vergleichbar und verrechenbar zu machen. Instrumente dafür sind: Kennziffern, Rankings, Wettbewerbe - bis die künstliche Wettbewerbssituation sich selbst verstärkt und schließlich zum Selbstzweck wird. Dabei spielt der Messbarkeitswahn eine große Rolle. Er soll die Leistungsgesellschaft prägen und Leistungen aller Art vergleichbar machen. Binswanger kommt zu der begründeten Erkenntnis, dass "die Messung von Leistung mithilfe von Kennzahlen perverses Verhalten erzeugt". Qualitative Leistung lässt sich nicht quantitativ messen, mit keiner Methode.

Binswanger zeigt die enormen Schwächen der praktizierten Verfahren auch für Laien auf. Was effizient sein soll, gerät schnell zur Kosmetik angeblich bester Praxis. Was exzellent sein soll, entpuppt sich als Glanz einer gekonnten Verpackung. Anhand der Pseudomärkte Bildung, Wissenschaft und Gesundheitswesen analysiert und kommentiert Binswanger brillant den Unsinn der Produktion von immer mehr Abschlüssen und Studenten, von immer mehr Publikationen und Rankings, von immer mehr Untersuchungen und Medikamentenvergaben.

Das Ruder herumzureißen bedeutet: Qualität, Effizienz und Exzellenz anders zu verstehen. Anstelle von Zahlenkolonnen Verantwortung zu setzen. Wo Märkte keinen Sinn, aber viel Unsinn produzieren, Geldmittel an die Akteure anders zu verteilen. [Hervorhebungen von J.L.]


Lieblingszitate CLV: Gedichte von Mascha Kaléko: Grundlos vergnügt!

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Hier nun das dritte Gedicht von Mascha Kaléko! Mir bestätigt es die Einsicht, dass nur derjenige, der einen ernsthaften Blick auf das Leben geworfen hat, auch die Fähigkeit zur Heiterkeit besitzt. Nach dem großen Ernst der ersten beiden Texte deshalb jetzt etwas Beflügelndes!

(Mascha Kaléko möge mir verzeihen, dass ich oben die männliche Sprachform gewählt habe. Es gab einmal eine Zeit, in der alle "korrekten" Leute bemüht waren, durch komplizierte Formulierungen jeweils beide Geschlechter wiederzugeben, es sieht aber fürchterlich "unheiter" aus und ich habe es mir wieder abgewöhnt.)




Sozusagen grundlos vergnügt

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen
Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.
Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,
Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.
- Dass Amseln flöten und dass Immen brummen.
Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.
Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht
Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.
Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,
Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,
Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.
Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehn!
Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.
Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

In mir ist alles aufgeräumt und heiter;
Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.
An solchen Tagen erklettert man die Leiter,
Die von der Erde in den Himmel führt.
Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,
- Weil er sich selber liebt - den Nächsten lieben.
Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne
Und an das Wunder nie gewöhne.
Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!
Ich freu mich, dass ich ... Dass ich mich freu.

Mascha Kaléko


Wiederum hat mir eine Blogger-Kollegin auf die Sprünge geholfen! Mein Dank an Rosinas Poesiealbum v. 31.3.2005 auf "http://poesiealbum.blogspot.com".

Lieblingszitate CLIV: Gedichte von Mascha Kaléko: Memento mori

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Ich möchte heute das zweite angekündigte Gedicht von Mascha Kaléko aufführen. Es hat mich sehr beeindruckt, dabei kann ich die mitgeteilten Gefühle und Einstellungen teilen. Es ist immer wieder ein Erlebnis für mich, wie andere das vorwegnehmen, was ich noch nicht ausdrücken könnte, aber als unfertigen Gedanken auch in mir trage. Ein Dank an Mascha Kaléko, die mir diesen Dienst erwiesen hat!



MEMENTO

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?

Allein im Nebel tast ich todentlang
Und lass mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.

Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
- Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muss man leben.

Mascha Kaléko

Auch dieses Gedicht verdanke ich einem anderen blog, nämlich "http://medbrain2001.wordpress.com", veröffentlicht am 8. Mai 2001.

Samstag, 5. März 2011

Lieblingszitate CLIII: Gedichte von Mascha Kaléko

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Eine echte Bereicherung für mich war der Vorschlag meiner Frau, am vergangenen Freitag einen Rezitations-Abend zu besuchen, dessen Schwerpunkt Gedichte von Mascha Kaléko bildeten. Mit Gedichten tue ich mich ohnehin eher schwer und diese jüdische Dichterin, die zu Zeiten der Weimarer Republik in Berlin ihre beste Zeit hatte, dann emigrieren musste und danach wohl weitgehend verstummte, war mir bislang nahezu unbekannt. Umso stärker mein Erlebnis, wie betroffen mich Texte dieser Frau machen. Heute und in den beiden folgenden Einträgen möchte ich deshalb die Gedichte vorstellen, die mir besonders im Gedächtnis geblieben sind.

Das erste dieser Gedichte befasst sich mit einem meiner derzeitigen Hauptthemen, dem Älterwerden und dem Versuch, alles bisherige Erleben irgendwie zu begreifen und den "roten Faden" im eigenen Leben zu suchen.


Die Zeit steht still

Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen.
Und doch, wenn wir im Zug vorüberwehen,
Scheint Haus und Feld und Herden, die da grasen,
Wie ein Phantom an uns vorbeizurasen.
Da winkt uns wer und schwindet wie im Traum,
Mit Haus und Feld, Laternenpfahl und Baum.

So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens
An uns vorbei zu einem andern Stern
Und ist im Nahekommen uns schon fern.
Sie anzuhalten suchen wir vergebens
Und wissen wohl, dies alles ist nur Trug.

Die Landschaft bleibt, indessen unser Zug
Zurücklegt die ihm zugemessnen Meilen.

Die Zeit steht still. Wir sind es, die enteilen.


MASCHA KALÉKO


Den Text verdanke ich einer Mit-Bloggerin, ich habe ihn unter "http://gabrielastagebuch.blogspot.com" als Beitrag für den 13. Juni 2007 gefunden. Danke!

Dienstag, 1. März 2011

Mein Motto für den Monat März 2011

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Draußen ist strahlende Sonne, dabei bleibt es kalt. Aber ein Fingerzeig, dass der leidige Winter hoffentlich seinem Ende entgegengeht und der Frühling sich ahnen lässt. Deshalb eine Aussage, die vielleicht auch etwas gegen ausklingende Winterdepressionen sagt: Wir können schlicht und ergreifend die Welt nicht ändern, nur unseren Blick auf sie! Und das kann Auswirkungen haben, wie sie hier Kofi Annan mitteilt!


Die Welt besteht aus Optimisten und Pessimisten.

Letztlich liegen beide falsch.

Aber der Optimist lebt glücklicher


Kofi Annan


Dieses Zitat verdanke ich unserem Steuerbüro, das es als Leitspruch auf den uns zugesandten Weihnachtsgruß 2009 gesetzt hatte.