Montag, 7. März 2011

Vom Messbarkeitswahn in unserer Wettbewerbsgesellschaft

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"Sinnlose Wettbewerbe"

lautet der Titel des Buches von Mathias Binswanger, das im Herder-Vlg., Freiburg i.Br., erschienen ist. Ich wurde darauf aufmerksam durch die darauf bezogene Buchbesprechung "Der produzierte Unsinn. [...] Vom Unfug, Qualität in Quantität zu verwandeln", die Norbert Copray verfasst hat und die im Publik-Forum 56/2010 v. 3.12.2010 erschienen ist.

"Wettbewerb" als Allheilmittel in unserer kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft! Welche Auswirkungen das wirtschaftlich hat, ist ein Hauptanliegen dieses Buches. Aber dieses Prinzip, speziell zu sehen an immer neuen Rankings, beschränkt sich ja nicht mehr nur auf den rein ökonomischen Bereich, unser ganzes Leben ist mittlerweile davon durchtränkt. Staatliche Institutionen, Bildung und Gesundheitswesen werden ebenso derartigen Forderungen unterworfen, offensichtlich mit einer Selbstverständlichkeit, dass sich mir die "Nackenhaare sträuben". Ich hätte diesen Text auch unter meiner Rubrik "Dinosauria" veröffentlichen können, so stark weicht die jetzige Praxis von den Gepflogenheiten meiner Vergangenheit ab. Als ob nur härteste Konkurrenz mit messbaren Rankings Menschen dazu brächte, etwas zu leisten. Aber sich zu bilden, kreativ zu sein, soziale Taten zu vollbringen, sich zu engagieren, das verliert dagegen an Wert, immer weniger ist die Sprache von Kooperation und Solidarität. Das macht mich zornig, ich bin aber vollkommen hilflos gegenüber dieser Tendenz, alles zahlenmäßig zu bewerten und nach Überlegenheit zu streben. Das oberste Treppchen auf der Olympiade bedeutet gleichzeitig, dass es viele Verlierer geben muss. So werden wir eine Gesellschaft von einigen Siegern und vielen Verlierern ...

Um so sympathischer finde ich den Bericht von Norbert Copray, aus dem ich deshalb hier ein längeres Stück zitieren möchte:

Die Illusion der Wettbewerbsverfechter ist laut Binswanger: Effizienz oder gar Exzellenz gebe es nur durch Wettbewerb. Und wo keiner sei, müsse er künstlich geschaffen werden. So wollten Regierungen "durch künstlich inszenierte Wettbewerbe auf Pseudomärkten" Institutionen entbürokratisieren.

Auch in den Unternehmen wurden interne Wettbewerbsmärkte geschaffen, um angeblich Leistungsergebnisse vergleichbar und verrechenbar zu machen. Instrumente dafür sind: Kennziffern, Rankings, Wettbewerbe - bis die künstliche Wettbewerbssituation sich selbst verstärkt und schließlich zum Selbstzweck wird. Dabei spielt der Messbarkeitswahn eine große Rolle. Er soll die Leistungsgesellschaft prägen und Leistungen aller Art vergleichbar machen. Binswanger kommt zu der begründeten Erkenntnis, dass "die Messung von Leistung mithilfe von Kennzahlen perverses Verhalten erzeugt". Qualitative Leistung lässt sich nicht quantitativ messen, mit keiner Methode.

Binswanger zeigt die enormen Schwächen der praktizierten Verfahren auch für Laien auf. Was effizient sein soll, gerät schnell zur Kosmetik angeblich bester Praxis. Was exzellent sein soll, entpuppt sich als Glanz einer gekonnten Verpackung. Anhand der Pseudomärkte Bildung, Wissenschaft und Gesundheitswesen analysiert und kommentiert Binswanger brillant den Unsinn der Produktion von immer mehr Abschlüssen und Studenten, von immer mehr Publikationen und Rankings, von immer mehr Untersuchungen und Medikamentenvergaben.

Das Ruder herumzureißen bedeutet: Qualität, Effizienz und Exzellenz anders zu verstehen. Anstelle von Zahlenkolonnen Verantwortung zu setzen. Wo Märkte keinen Sinn, aber viel Unsinn produzieren, Geldmittel an die Akteure anders zu verteilen. [Hervorhebungen von J.L.]


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