Mittwoch, 16. März 2011

Der Sprachenstreit um türkische Migrantenkinder

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Bei der Wahl des neuen Bundespräsidenten war meine Sympathie nicht bei Christian Wulff. Mittlerweile finde ich aber, dass er einen realistischen Blick hat und sich um Verbesserungen in Deutschland sehr verdient macht. Meine höchste Anerkennung für seinen Mut in der aufgebrochenen Islam-Debatte, als er sich deutlich zur Anerkennung der Realitäten in unserem Lande bekannte, gipfelnd in seiner Aussage "Der Islam gehört zu Deutschland"!

Das hat ihm, speziell unter seinen Parteifreunden, viel Unmut eingebracht, wenn ich nur an die harsche Kritik des Union-Fraktionschefs Volker Kauder denke. Offenbar ist für viele eher konservativ Gesinnte dadurch "das Abendland in Gefahr", was für Wurzeln auch immer beschworen werden. Dass wir hingegen "im Abendland" nur deshalb wieder - nach Jahrhunderten von geistig ziemlich tristen Zeiten nach der Völkerwanderung, in der alte Kulturgüter "über Bord geworfen" wurden - Kontakt zu den philosophischen Schriften der alten Griechen bekommen haben, ist nur islamischen Gelehrten zu verdanken... Aber wer weiß schon so etwas...

Eine andere Reizfigur ist der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan, der schon mehrfach Reden in Deutschland vor Landsleuten gehalten hat. Unvorsichtigerweise hat er in ihnen immer betont, dass die Auslandstürken in Deutschland ihre Kultur nicht aufgeben und ihre Sprache bewahren sollten. Das wird ihm von entsprechenden Kreisen so ausgelegt, als würde er zur Ghettoisierung der hier lebenden türkischstämmigen Bevölkerung aufrufen und zur Verweigerung, die Deutsche Sprache zu erlernen. Dies ist sicherlich überspitzt formuliert, aber die Empörung, die ich in der Berichterstattung über seine letzte Rede herauslesen konnte, ging in diese Richtung.

Da haben alle Kritiker wohl nicht ganz aufgepasst. Immerhin hatte Erdogans Parteifreund, der türkische Präsident Abdullah Gül bereits im letzten Herbst in einem Interview der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, "seine Landsleute in Deutschland sollten Teil der Gesellschaft werden. Sie sollten Deutsch lernen, und zwar fließend und ohne Akzent. Die Integration müsse schon im Kindergarten beginnen, bereits dort müssten türkische Kinder Deutsch lernen." (Zitiert nach dem Artikel "Werbeträger in der Fremde" von Thomas Seibert im Tagesspiegel v. 17.10.2010)

Wie so oft: Viel Aufregung und wenig Sachliches dahinter!!!

Sehr erhellend und vieles wieder in die richtige Augenhöhe bringend finde ich da den Artikel von Eva Baumann-Lerch aus dem Publik-Forum 5/2011 v. 11.3.2011, den ich deshalb hier vorstellen möchte.


Sprache ist Seele

Erst Türkisch oder erst Deutsch? Eine Debatte ohne Sachkenntnis

Politiker sind meist schlechte Erziehungsberater. Denn ihre Ratschläge dienen weniger dem Wohl der Kinder als der eigenen Ideologie und sind von keiner Sachkenntnis getrübt. Diesen Eindruck gewinnt man jedenfalls in der aktuellen Debatte um den Spracherwerb von Migrantenkindern.

In einer Rede in Düsseldorf hatte der türkische Ministerpräsident Recep Erdogan seine Landsleute aufgefordert, mit ihren Kindern Türkisch zu sprechen. Türkische Kinder sollten zuerst die Muttersprache lernen und dann erst Deutsch. Doch das empört konservative Politiker. Hermann Gröhe und Maria Böhmer (CDU) sowie Christian Lindner (FDP) werfen Erdogan vor, die Integration seiner Landsleute zu verhindern: "Wer in Deutschland lebt, muss zuallererst die deutsche Sprache erlernen." Die Integrationsbeauftragte Böhmer erklärt: "Wo zu wenig Deutsch in den Familiren gesprochen wird, beträgt der Bildungsrückstand der Kinder bis zu zwei Jahre." Sprachforscher haben dagegen längst erkannt, dass Kinder zwei Sprachen fehlerlos erlernen können, wenn diese an unterschiedlichen Orten gesprochen werden. Am besten gelingt der bilinguale Spracherwerb, wenn zu Hause konsequent die Muttersprache und draußen die Landessprache gesprochen wird. Die Kinder der Einwanderer müssen dann allerdings viel Kontakt mit Einheimischen haben und so früh wie möglich in den Kindergarten gehen. Wenn Ausländer aber auch zu Hause in der Fremdsprache reden, ist das Resultat oft eine "doppelte Halbsprachigkeit": Die Kinder lernen keine Sprache richtig.

Die Muttersprache vermittelt zudem viel mehr als verbale Information: Koseworte, Rüttelreime, Lieder und Segenssprüche lassen sich nicht übersetzen. Wer Migrantenfamilien die Muttersprache ausredet, der nimmt ihnen die Seele und fördert ihre Entwurzelung. Die Wortführer dieser Debatte sollten sich lieber für eine Politik einsetzen, die kostenlose Kitaplätze anbietet und Ausländerghettos verhindert. Das Deutsche lernen die Kinder dann von ganz allein.
[Hervorhebungen von J.L.]

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