Dienstag, 22. März 2011

Das Prekariat unter den freien Lehrkräften

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Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich 2011 nach 18 Jahren Anstellung als Dozent an einer Fachschule endgültig in Rente gehe. Reich werde ich voraussichtlich davon nicht, aber meine Existenz (und die meiner Familie, Dank sei meiner weiterhin arbeitenden Frau!) ist abgesichert.

Wieviel schlechter geht es all den vielen Kolleginnen und Kollegen, die sich "frei" in diesem Bereich tummeln und für diese "Freiheit" eine miserable Bezahlung hinnehmen müssen! Skandalöse Zustände!

Darüber habe ich den folgenden Bericht in VER.DI PUBLIK 3/2011 gefunden, den ich solidarisch mit allen Betroffenen hier in Auszügen vorstellen möchte:


Hoch qualifiziert, 600 Euro netto

Arbeitsmarkt / Gegenwehr von Selbständigen: Freie Lehrkräfte werden miserabel bezahlt

von Birgit Tragsdorf

Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen /Prekäre Beschäftigung lässt zuerst an Leiharbeit, Minijobs und Teilzeit und an befristete Stellen denken: In Deutschland arbeiten 22 Prozent der Beschäfigten, das sind 6,5 Millionen Menschen, für einen Niedriglohn. 1,3 Millionen von ihnen beantragen zusätzlich Hartz IV (DGB, 2010).

Das Prekariat ist zunehmend aber auch ein Problem der Selbständigen, der Soloselbständigen. 2,3 Millionen sind es in Deutschland, etwa eine Million arbeiten in ver.di-Branchen, Tendenz steigend. Es sind Künstler/innen, freie Dozent/innen, freie Musiklehrer/innen, freiberufliche Journalist/innen - viele von ihnen leiden unter miserabler Bezahlung. Aber auch Beschäftigte im wissenschaftlichen Mittelbau an den Unis und Hochschulen gehören dazu: Drei Viertel der wissenschaftlichen Mitarbeiter/innen haben befristete Verträge und davon wiederum arbeitet die Hälfte noch in Teilzeit.

Karl Kirsch unterrichtet Deutsch als Zweitsprache und leitet Integrationskurse. Zu Hause ist er in der Nähe von Dessau. Er wehrt sich dagegen, dass er und seine Kolleg/innen in der Weiterbildung und den Integrationskursen nicht von ihrer Arbeit leben können. In diesem Januar hat er mit 13 Mitstreiter/innen einen Arbeitskreis für freie Dozent/innen gegründet. [...] Sie wollen aus dem Teufelskreis der prekären Beschäftigung heraus [...]

Was ist nun so prekär an ihrer Arbeit? Karl Kirsch erklärt es: Der Honorarsatz für eine Unterrichtsstunde liegt im Osten bei durchschnittlich 15 Euro. Arbeiten dürfen die Dozent/innen maximal 25 Stunden in der Woche. So schreibt es das Bundesinnenministerium vor. Die Vor- und Nachbereitungszeit erledigen sie kostenlos, ihre Weiterbildung auch. Bei den Sozialversicherungen sind sie ebenfalls benachteiligt. Freie Dozent/innen zahlen unabhängig vom Einkommen einen festen Satz für die Kranken- und Rentenversicherung - und zwar den Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Eine Vollzeitstelle bringt ihnen dann nach allen Abzügen etwa 600 Euro Nettoeinkommen. Arm trotz Arbeit ist da das Fazit.

[...]

Die Verfasserin berichtet anschließend über die Versuche der Gewerkschaften ver.di und GEW, Netzwerke für die Betroffenen zu bilden, um - mäßige - Forderungen zu stellen und durchzusetzen.

Dafür werden noch zwei (regionale) Kontaktmöglichkeiten genannt:
- Arbeitskreis freie Dozent/innen: karlkirsch@gmx.de
- Fachbereich 8 (ver.di): gabriele.leonhardt@verdi.de

Im Vergleich zu diesen Konditionen hat mein früherer Arbeitgeber an meiner Fachschule Lehrbeauftragte zwar nicht üppig, aber doch noch erträglich bezahlt... Ich bin bestürzt über diesen Artikel! Es ist eine Schande für unser Land, wenn eine so hochwertige und gesellschaftlich notwendige Arbeit wie Unterricht im Integrationsbereich mit Hungerlöhnen auf dem oben genannten Niveau abgegolten wird. Es muss die schiere Not sein, die die betroffenen Dozent/innen an diesem Job festhalten lässt. Aber welche Alternative hätten sie? Außerdem sind viele - auch aus den anderen genannten Selbständigenbereichen - "Überzeugungstäter", die ihre Arbeit lieben und anderen Menschen wichtige Impulse geben können. Da sie an ihrer jeweiligen "Front" aber zumeist als Einzelkämpfer dastehen, gibt es bisher gesellschaftlich kaum ein Bewusstsein für die Nöte dieser für die Weiterentwicklung unserer Bildung und Kultur so wichtigen Personengruppe. Gut, dass sich Gewerkschaften, die ja sonst mit Selbständigen wenig am Hute haben, jetzt auch auf diesen Personenkreis einlassen. Aber werden die Betroffenen sich gewerkschaftlich orientieren wollen - und können sie von ihren 600,- € monatlich noch Gewerkschaftsbeiträge leisten? Ein großes Problemfeld ...

1 Kommentar:

Tamer hat gesagt…

Im Moment kämpfen Musikschullehrer der Bezirke Berlins um Ihre Existenz.
Ihre schon sehr prekäre Lage wird mit den neuen Verträgen des Senats von Berlin noch mehr verschlechtert!
Damit möchte der Senat die Situation der freien Mitarbeiter an den Berliner Musikschulen, immerhin sind es 94% der Musikschullehrer, aus der Scheinselbständigkeit herausholen. Dies geht aber deutlich zu Lasten der Musikschullehrer/innen!

-keine vollständige Honorarfortzahlung im Krankheitsfall erhalten,
-keinen Mutterschutz bekommen,
-keine Alterssicherung zu erwarten haben,
-ohne Angabe von Gründen kündbar sind,
-nahezu keinen arbeitsrechtlichen Schutz genießen,
-gegenüber angestellten Lehrkräften erheblich schlechter bezahlt werden und
-durch bezirkliche Willkür bei Aufnahmestopps oft monatelange Honorarausfälle hinnehmen müssen.

Aus diesem Grund habe die Musikschullehrer eine online Petition gegründet und brauchen Unterstützung!
Die Petition ist unter folgendem Link zu finden:
http://www.openpetition.de/petition/online/diese-vertraege-fuer-die-nicht-festangestellten-musikschullehrer-berlins-wollen-wir-nicht

Ich finde, dies sollten andere Interressierte auch wissen.

Grüße aus Berlin
Tamer