Samstag, 12. Dezember 2009

Mein soziales Korrektiv

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Irgendwie hatte ich mir mein Rentnerleben einfacher vorgestellt. Unser kleiner Sohn, behindert, ist nicht gerade „pflegeleicht“ und braucht besondere Aufmerksamkeit und Zuwendung, schon allein, um die ganze Schulsituation mit Fahrdienst etc. täglich hinzubekommen. Meine Frau, jünger als ich, geht weiterhin arbeiten. Da sie beruflich stark eingespannt ist, erhofft sie sich von mir Entlastung zu Hause (sehr berechtigt!) und Aufmerksamkeit. So ist bei uns immer etwas los, manchmal auch atemlos. Ich bin stets und ständig irgendwo eingebunden und gefordert.


Das hatte ich mir, wie gesagt, vor Jahren noch etwas lockerer vorgestellt, aber es hat auch viele gute Seiten, wenn ich mich mit manchen Menschen aus meinem Umfeld vergleiche! Bei einigen Älteren, Gleichaltrigen, manchmal aber sogar auch bei Jüngeren kann ich beobachten und auch direkt am eigenen Leibe erfahren, welche Auswirkungen das Fehlen solcher Einbindung haben kann. Hinzu kommt noch, dass Menschen meiner Altersgruppe zunehmend weniger flexibel sind, so dass bereits früher vorhandene Charaktermerkmale zunehmend „markanter“ hervortreten.


Ich habe schlicht und ergreifend meistens gar nicht die Zeit, mich als das Zentrum allen Geschehens auf dieser Welt zu begreifen, wie es bei einigen anderen „Exemplaren“ meines Zuschnitts aber verstärkt auftritt. (Wahrscheinlich ginge es mir unter anderen Lebensbedingungen sehr ähnlich. Ich bin da ganz bescheiden und will mich gar nicht über die anderen stellen, sondern nur meine Beobachtungen mitteilen, wenn auch aus Darstellungsgründen in ironischer Form.) Die von ihnen empfundene Mittelpunktstellung gebietet natürlich besondere Aufmerksamkeit und andere müssten sich eigentlich dementsprechend ehrerbietig darauf einlassen! Wer in einem solchen Königsreich herrscht, hat deshalb oft ein ausgesprochenes Redebedürfnis. Alle anderen sollen über große und kleine, manchmal auch kleinste Nachrichten ausführlich in Kenntnis gesetzt werden, ob es ihnen nun passt oder nicht. Natürlich gibt es unterschiedliche Regierungsformen. Für einige Könige gehört z.B. Recht zu haben dazu. Andere erleben die Welt als ungerecht ihnen gegenüber, fühlen sich sträflich vernachlässigt und beklagen, dass ihnen wichtige Unterstützungen vorenthalten werden. Sie sind also eher wehleidig oder anklagend. Allen gemeinsam ist, dass sie als Könige alles Geschehen bezogen auf sich selbst erleben, ihnen also ein sachbezogener Blickwinkel allmählich verloren geht. Verschärfend kommt oft noch hinzu, dass bei Menschen mit gelockerten sozialen Kontakten die Einsamkeit steigt und proportional zu ihr das Mitteilungsbedürfnis, wenn sich dann doch einmal eine Gelegenheit ergibt. Das kann dann auch sehr einseitig ausfallen, d.h. die Fähigkeit zum Zuhören nimmt evtl. umgekehrt proportional ab.


Anderen zuhören, ihnen durch Anteilnahme Zuwendung geben, auch etwas Heiterkeit verbreiten und eine gute Stimmung, aus der für alle Anwesenden etwas erwachsen könnte, sind dann natürlich nicht drin. Ebenso nicht die bei solchen erfreulichen Merkmalen auftretende selbst verstärkende Wirkung, durch die jemand mit einem guten Gefühl für sich selbst durch die Welt laufen könnte, ohne dass ihn stets und ständig jemand dafür loben muss. Menschen mit übergroßem Redebedürfnis werden vermutlich stattdessen eher Erlebnisse haben, die sie in dem Eindruck verstärken, dass andere ihnen nicht genügend zuhören mögen und sich von ihnen abkehren. Das ist natürlich bitter.


Paul Jakob ist mein soziales Korrektiv. Ich bin ihm dankbar dafür, auch wenn es gelegentlich knirscht …

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