Freitag, 27. März 2009

Andrew Sullivan: Warum ich blogge

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Wie bereits in meinem Blog vom 25.3.09 angekündigt, möchte ich heute den Essay von Andrew Sullivan über das Bloggen ausführlicher vorstellen. Es handelt sich dabei um den Text


Andrew Sullivan: Warum ich blogge. – In: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. 63. Jahrgang. Heft 2. Februar 2009. S. 103 – 114.


Sullivan bloggt seit 2000 und dürfte damit einer der Pioniere dieser Mitteilungsform sein. Er tut es intensiv mit „ein paar hundert Blog-Beiträgen“ pro Woche (S. 113).


Ein Blog ist für ihn „ein Logbuch mit Gedanken und Aufzeichnungen, das öffentlich ins World Wide Web […] gestellt wird.“ Es handele sich um eine „Form des sofortigen und globalen Selbstverlags“ ohne geplantes ausführliches Redigieren aber mit der Besonderheit, sich durch Links mit allen möglichen anderen Quellen verknüpfen zu lassen. (S. 103)


Als Vorläufer und Verwandte beschreibt er Logbücher von Schiffen wegen ihrer ständigen Protokollierung von Ereignissen und individuelle Tagebücher. Aber im Gegensatz dazu sei ein Blog immer öffentlich, geschehe im „Jetzt“ mit heute als Abgabetermin.


Sullivan erlebte das Bloggen als revolutionäre Befreiung aus den Zwängen/Abhängigkeiten, denen sonst Journalisten/Autoren gegenüber Verlagen, Redakteuren und Veröffentlichungsmodalitäten unterliegen. Diesem Gewinn an Freiheit stünde aber eine „brutale“ Schutzlosigkeit gegenüber den Nutzern entgegen, die durch emails den Blogger „drangsalieren“ könnten. (S. 106 und 107) Ein Blogger könne sie nicht ignorieren, sondern müsse aufgrund solcher Rückmeldungen zur Selbstkorrektur bereit sein, wolle er nicht seine Leserschaft einbüßen.


Durch die Rahmenbedingungen der Entstehung im Augenblick sei ein blog eher oberflächlich, aber das sei nur die eine Seite der Medaille: Durch die Möglichkeit der Verlinkung mit allen mögliche anderen Texten/Quellen/Beweismitteln eröffne er völlig neue Möglichkeiten einer großen Tiefe.


Dann holt Sullivan weit aus und zeigt, dass es in der Geistesgeschichte schon immer Autoren gab, deren Absicht es weniger war, die fertige Lösung von Gedanken/Überlegungen zu präsentieren, sondern die allmähliche, eher mäanderartige Entwicklung über verschiedene Stadien/Versionen/Auflagen ihres Werkes vorzustellen und dadurch die Leser an diesem Gedankenprozess teilhaben zu lassen. Er nennt hier PASCAL, MONTAIGNE und KARL KRAUS. (S. 108 – 109)


Ein Blog hänge sehr von der Persönlichkeit des Bloggers ab (sic !); da er in Echtzeit schreiben müsse, habe alles Geschriebene unvermeidlich eine persönliche Einfärbung. Dadurch entstünde aber auch ein persönliches Band zwischen Blogger und seinen Lesern, was man durchaus als „Freundschaft“ bezeichnen könne. (S. 110)


Sullivan gibt dann einen Überblick über den Entwicklungsstand heutiger blogs. Neben so „kleinen Klitschen“, wie es meine Seite sein dürfte, ganz privat betrieben und ohne offizielleren Anspruch (das war übrigens m e i n Zitat!), gibt es mittlerweile eine Reihe sehr großer blogs, die eine hohe Verbreitung und offenbar auch einen hohen Anspruch haben. Hinter ihnen stehen mittlerweile richtige Wissensdatenbänke, sie werden als „Gemeinschaftsunternehmen“ zwischen Hauptverantwortlichen, Helfern und all den Nutzern, die aber durch ihre Rückmeldungen ebenfalls zum Gelingen beitragen, geführt. Er gibt dafür mehrere Beispiele aus dem Amerikanischen Raum. (S. 111 – 112)


Zur Einordnung des Bloggens noch ein kurzer Ausflug in die Philosophie: Das Bloggen habe einen postmodernen Charakter. Der Blogger mische immer neue Quellen zusammen. Dadurch habe sein Wirken die gleichen Mängel wie die Postmoderne, nämlich das Unvermögen, sichere Wahrheiten und dauerhafte Perspektiven zu liefern. (S. 113)


In keinem Falle wolle er Bloggen und herkömmliche Texte gegeneinander ausspielen. Immerhin bewege er sich selbst in beiden Bereichen. Blogger und Autoren ergänzten einander, so wie auch blogs und klassische Texte.

Um dies nachvollziehbarer zu machen, wendet Sullivan einen schönen Vergleich an, um das Verhältnis von Printmedien und Blogs auf den Punkt zu bringen:


Der Jazz, um auf eine nahe liegende Analogie zurückzugreifen, wurde viel später Teil unserer Kultur als die nach festen Regeln komponierte Musik. Aber er hat sie nicht ersetzt, und kein Jazzmusiker würde jemals behaupten, dass der Jazz sie ersetzen könne. Jazz verlangt nur eine andere Art, Musik zu machen und zu hören, so wie Bloggen eine andere Art des Schreibens und Lesens darstellt. Jazz und Bloggen sind unmittelbar, improvisiert und individuell – aber zugleich ihrem Wesen nach ein gemeinschaftliches Unternehmen. Und das Publikum redet bei beiden. (S. 114)


Jedes Medium habe seine berechtigte Funktion, man dürfe sie nur nicht miteinander verwechseln. Das Bloggen sei wie eine Art Musik, die Beteiligung verlange, nicht Vertiefung. Gedrucktes hingegen führe eher zu einer entspannteren und nachdenklicheren Reaktion. In keiner Weise aber würde das Bloggen herkömmliche Texte verdrängen, eher im Gegenteil „einen Hunger und ein Verlangen nach traditionellen Texten [aufzeigen], die im Zeitalter der Dominanz des Fernsehens im Schwinden begriffen schienen.“ (S. 114)


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Dies sind aufschlussreiche Ausführungen, aber einiges klammert der Autor aus, was mich besonders interessiert hätte:


Alles, was Sullivan beschreibt, klingt so, als hätten sämtliche Akteure an diesem Geschehen unbegrenzt Zeit und vor allem auch ausreichend Geld (wie ich vielleicht als zukünftiger Rentner …, sorry, das sollte eigentlich ein Witz sein, der mir aber wohl daneben gegangen ist), um sorgenfrei nichts anderes zu tun als zu bloggen. Wie das?


Da Bloggen seine Hauptbeschäftigung zu sein scheint, er sogar noch Helfer benötigt, das nötige/mögliche Wissen herbeizuschaffen und zu sortieren, gleichzeitig aber die Nutzung von Blogs gratis ist, also seinen Schreibern kein Honorar einbringt, muss er eine andere Finanzierungsquelle haben, die er aber verschweigt. Im Regelfall macht Geld abhängig: sofern man nicht von seinen Zinsen leben kann, von seinem Arbeitgeber oder Sponsor. Und die wollen doch meistens irgendwie auch Einfluss nehmen auf das, was da geschrieben wird…


Und wie sieht es bei den Nutzern aus? Bei der von Sullivan beschriebenen Intensität der Auseinandersetzung zwischen dem Blogger und seinen Lesern, die offenbar aber auch noch auf anderen blogs unterwegs sind, müssten diese wenigstens ihre gesamte Freizeit nur vor dem Computer verbringen, wenn das überhaupt ausreicht. Oder sind sie hauptamtliche Leser? Wie geht das alles zusammen?


Oder liegt alles nur daran, dass ich als „alter Dinosaurier“ eben unendlich langsam bin und die jungen Leute heute alles in einem zügigeren Tempo locker erledigen können? Aber selbst dann: kann man das noch alles wirklich innerlich verarbeiten und bewerten?


Puh, mit diesem Beitrag habe ich einiges erlitten, was Sullivan beschrieben hatte: Durch meine Ankündigung, seinen Essay darzustellen und zu kommentieren, habe ich – so öffentlich, wie es mein blog sein mag – Erwartungen in die Welt gesetzt, die ich in irgendeiner Weise erfüllen musste, wollte ich nicht wortbrüchig werden (oder den entsprechenden Satz aus meinem letzten blog löschen, das hätte ich aber nur im äußersten Notfall getan und mir selbst eher übel genommen). Eigene Gedanken zu formulieren, sich auch über eine „kleine Spitze“ zu freuen, die ich hineinkomponiert habe, ist unendlich viel einfacher und irgendwo auch befriedigender, als die „Kärrnerarbeit“ auf sich zu nehmen, möglichst korrekt die Gedanken eines Anderen wiederzugeben. Das ist dann schon richtig „Arbeit“, das andere eher ein Vergnügen. Aber durch solche Arbeit (in meiner Freizeit! dadurch erhält Arbeit einen anderen Charakter als im geldabhängigen Arbeitsleben!) lerne ich etwas dazu, fühle mich kompetenter und tue es deshalb auch gern.

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