Samstag, 21. Januar 2017

"Volksverräter" als "Unwort des Jahres" 2016

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Am 15.1.17 habe ich mich an dieser Stelle bereits über das "Wort des Jahres" 2017 ausgelassen, die merkwürdige Wortneubildung "postfaktisch". Heute folgt das Pendant dazu, das "Unwort" "Volksverräter".

Wiederum möchte ich die MOZ zu Worte kommen lassen, die am 11.1.17 darüber den folgenden Artikel verfasste und die Meldung offensichtlich für sehr bedeutsam hielt, denn er erschien auf der Titelseite unter den wichtigsten Nachrichten:

"Volksverräter" ist Unwort des Jahres

 

Jury verweist auf Herkunft aus NS-Diktatur  

 

 Der Begriff "Volksverräter" ist das Unwort des Jahres 2016. Das teilte die Sprecherin der "Unwort"-Jury, die Sprachwissenschaftlerin Nina Janich, am Dienstag in Darmstadt mit. Das Wort sei ein "Erbe von Diktaturen", unter anderem der Nationalsozialisten. "Als Vorwurf gegenüber PolitikerInnen ist das Wort in einer Weise undifferenziert und diffamierend, dass ein  solcher  Sprachgebrauch das ernsthafte Gespräch und damit die für Demokratie notwendigen Diskussionen in der Gesellschaft abwürgt."

Das Schlagwort "Volksverräter" werde auch in sozialen Netzwerken häufig verwendet, sagte Janisch. "Sprache sagt viel über Werthaltungen in einer Gesellschaft aus." Der Wortbestandteil "Volk" - ebenso wie die in der Flüchtlingsdebatte genannten Begriffe "völkisch" oder "Umvolkung" - steht laut Jury "dabei ähnlich wie im Nationalsozialismus nicht für das Staatsvolk als Ganzes, sondern für eine ethnische Kategorie, die Teile der Bevölkerung ausschließt".      [...] 

Das Wort ist ein Knüppel, um damit auf unliebsame Volksvertreter einzuschlagen; er hat für mich etwas Ähnliches wie der Galgen für Angela Merkel, der auf einer Pegida-Demonstration in Dresden gezeigt wurde. Ob die Nutzer dieses Begriffes ihn auch unter vollem eigenen Namen an einer zitierbaren Stelle anwenden würden? Oder sind sie dafür zu feige? Wahrscheinlich gehört die Zusammenrottung einer Schar von Gleichgesinnten dazu, verbal derartig zu entgleisen, denn dann ist der Beifall sicher.

Es ist relativ einfach, sich aus sachlichen und moralischen Gründen von dieser Wortwahl zu distanzieren, aber wie kann man verstehen, dass Menschen zu einer solchen Äußerung greifen? "Fetzt" sie die bösartige Kraft dieser Benennung, mit der man es "denen da oben" mal richtig zeigen kann, ohne dass sich die Nutzer der NS-Vergangenheit bewusst sind, in deren Fahrwasser sie sich begeben? Das fände ich schlimm genug und intellektuell "unter aller Sau" (jetzt bediene ich mich ähnlicher Mechanismen, die das angenehme Kitzeln hervorrufen, außerhalb der üblichen Spielregeln sein Mütchen gekühlt zu haben, nicht viel anders, als wenn Jugendliche "Scheiße" brüllen). Oder tun sie es  w e g e n  dieser Herkunft, die sie damit wertschätzen? Das wäre eine direkte Kampfansage an Menschen wie mich und alle, die weiterhin unsere Verantwortung für Untaten unserer Vorfahren sehen und sie im Bewußtsein halten wollen. Denn das Wachhalten der Erinnerung ist der einzige Weg gegen eine Wiederholung dieser schandbaren Taten in der Zukunft.

Auf diese Einstellung gegenüber unserer Vergangenheit bin ich durchaus auch ein Stück stolz. Und deshalb   kränkt mich der "Volksverräter", der dies verächtlich und lächerlich zu machen versucht, auch persönlich.




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