Freitag, 3. Februar 2017

Luthers Irrtum

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Vor kurzem las ich in einem Essay über Luther, er sei ein früher Fundamentalist gewesen. (Leider habe ich mir weder Verfasser noch Quelle notiert.) Das geht mir immer noch nach, denn das Thema "Fundamentalismus" beschäftigt mich sehr, wenn ich an manche Vorgänge der Gegenwart denke. Allerdings hat es für mich bevorzugt die Bedeutung, dass es Menschen gibt, die im Rahmen einer Lehre sich im Besitz der unveränderlichen Wahrheit wähnen und für sich daraus die Berechtigung ableiten, alle "Abtrünnigen" abzuwerten oder ihnen sogar ans Leben zu gehen. Für mich hat dieser Begriff dadurch eine sehr negative Konnotation: was Gewalttaten im Auftrag eines Gottes oder Führers betrifft, ohnehin, aber auch in intellektueller Hinsicht, wie jemand ohne Selbstzweifel und ohne den Diskurs mit anderen Menschen für sich eine für ihn so unumstößliche Meinung bilden kann und dann auch noch ein großes Sendungsbewußtsein entwickelt.

Derartiges hatte ich bei Luther bisher nicht erkennen können, auch garnicht in diesen Bahnen gedacht, vielmehr hatte ich seine Kritik an den Auswüchsen der damaligen Kirchenführung, die so stark von früheren biblischen Werten abgewichen war, als berechtigt anerkannt. Nun ja, fundamentalistisch im obigen Sinne ist dann sicherlich sein Vorgehen, alles an der "Elle" der Bibel zu messen, sie als einzige Quelle der Erkenntnis zu sehen und Traditionen und Lehrmeinungen der Kirche, die in ihr explizit nicht aufgeführt werden, zu verwerfen.

Das hat ja auch etwas Faszinierendes! Eine Quelle zu besitzen, die uns unmittelbar mit dem Göttlichen verbindet und die nicht angezweifelt werden kann. Das erinnert an die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten, die Moses vom Berge Sinai zu den Israeliten bringt. Und bei den Mormonen gibt es ja wohl die Geschichte vom Buch "Mormon", das dem Religionsgründer auch direkt von Gott geschickt wurde. Vermutlich gibt es in der Religionsgeschichte manche weiteren Belege für solche Beweise des Wirkens eines Gottes, die durch ihre materielle Anwesenheit jeden Zweifel erübrigten und damit sehr viel einfacher waren als der reine Glauben.

Hat Luther in der Bibel auch so eine Quelle gesehen, die ohne jeden Zweifel wahr ist? Dann würde ich allerdings an dieser Stelle seinen großen Irrtum sehen, der ihm aber gut zu verzeihen ist, denn damals gab es ja noch keine quellenkritische Bibelforschung, eine Entwicklung erst in unserer Neuzeit. Heute wissen wir, dass die Bibelvorlage, die Luther zur Übersetzung ins (neue!) Deutsche heranzog, selbst bereits das Ergebnis eines Diskurses war und eine lange Entstehungsgeschichte hatte, in deren Verlauf immer wieder über die richtige Version und die Auswahl von Texten gestritten wurde, die "würdig" genug waren, in den Kanon der "Heiligen Schriften" aufgenommen zu werden. So wird die Bibel zu einem großen Zeugnis der Menschheitsgeschichte und ihrer kulturellen Entwicklung, aber nicht zu einer nicht  hinterfragbaren göttlichen Offenbarung.

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