.
Das folgende Zitat von Erich Fromm hat mich seit Studentenzeiten
begleitet und mir eine Orientierung gegeben. Es hat meine Gedanken im Post v. 2.1.2018 zum Thema "Sinn" stark beeinflusst. [Ich hatte es bereits früher gepostet. Weil es aber zwingend in den Zusammenhang meiner jetzigen Überlegungen gehört, wiederhole ich dies heute.]
Der Mensch kann auf historische
Widersprüche [von Menschen erzeugte Probleme und Ungerechtigkeiten, Anm. JL] reagieren, indem er sie durch eigenes Handeln aufhebt;
existentielle Widersprüche [der unausweichliche Tod, Anm. JL] dagegen kann er nicht aufheben, sondern nur
auf verschiedene Art darauf reagieren. Er kann sie durch beruhigende und
beschönigende Ideologien beschwichtigen. Er kann seiner Ruhelosigkeit
durch äußerste Aktivität, sei es in Vergnügungen oder in der Arbeit, zu
entfliehen suchen. Er kann seine Freiheit aufzuheben suchen, indem er
sich zu einem Instrument außer ihm liegender Mächte macht, mit denen er
sein Ich identifiziert. Trotzdem bleibt er unzufrieden, angsterfüllt und
ruhelos. Es gibt nur eine Lösung: Der Wahrheit ins Auge sehen und sich
mit dem fundamentalen Alleinsein und der Verlassenheit in einer Welt
abfinden, die dem menschlichen Schicksal gegenüber indifferent ist, und
anzuerkennen, dass es keine den Menschen transzendierende Macht gibt,
die sein Problem für ihn lösen kann,
Der Mensch
muss die Verantwortung für sich selbst übernehmen und sich damit
abfinden, dass er seinem Leben nur durch die Entfaltung seiner eigenen
Kräfte Sinn geben kann. Aber dieser Sinn bedeutet nicht Gewissheit; das
Suchen nach einem Sinn wird durch den Wunsch nach Gewissheit sogar
erschwert. Ungewissheit ist gerade die Bedingung, die den Menschen zur
Entfaltung seiner Kräfte zwingt. Sieht er der Wahrheit furchtlos ins
Auge, dann erfasst er, dass sein Leben nur den Sinn hat, den er selbst
ihm gibt, indem er seine Kräfte entfaltet: indem er produktiv lebt. Nur
ständige Wachsamkeit, Aktivität und unermüdliches Bemühen bewahrt uns
davor, in der wesentlichen Aufgabe zu versagen - in der Aufgabe, unsere
Kraft voll zu entwickeln innerhalb der Grenzen, die durch unsere
Lebensgesetze gezogen sind. Der Mensch wird nie aufhören, immer wieder
verwirrt zu sein und sich neue Fragen zu stellen. Nur wenn er die
menschliche Situation, die seiner Existenz innewohnenden Widersprüche
und seine Fähigkeit der Entfaltung erfasst, kann er seine Aufgabe lösen:
er selbst und um seiner selbst willen zu sein und glücklich zu werden
durch die volle Verwirklichung der ihm eigenen Möglichkeiten - der
Vernunft, der Liebe und der produktiven Arbeit.
Erich Fromm: Psychoanalyse und Ethik. - Zürich: Diana-Vlg. 1954. S. 59 - 60.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen