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Diesen Text habe ich gerade
wiederentdeckt und er gefällt mir gut, obwohl er jetzt schon 5 Jahre alt ist,
also 2011 entstanden. Die Ereignisse des 1. Absatzes sind längst
eingetreten, das Folgende aber gilt weiterhin und ich habe es gegenüber der
alten Fassung nur wenig korrigiert:
Es hat mich wieder ereilt! Vor wenigen Tagen bin ich 64
[tatsächlich bin ich heute 69!] geworden und frage mich, was das eigentlich so für mich bedeutet. Nun, mein
Rentenbeginn (nach der Ruhephase meiner Altersteilzeit) rückt beängstigend
näher, beängstigend deshalb, weil mein Portemonnaie dann wesentlich schlechter
bestückt sein wird…
Daneben habe ich mich unter den Verwandten und Bekannten
umgesehen, die mir schon ein paar Jahre voraus sind. Sehen, hören, laufen
können die meisten weniger gut als früher, geschenkt, das ist unausweichlich.
Ebenso wahrscheinlich die nachlassende Gedächtnisleistung. Mit meinem
Kurzzeitgedächtnis habe ich ja selbst schon seit längerem meine Blessuren und
Peinlichkeiten erlebt, finde aber mittlerweile meine Brille meistens wieder,
weil ich sie diszipliniert nur noch an bekannte Orte lege, anderes regele ich
mit einer Unzahl von Notizzetteln. So ist es, toi, toi, toi, bislang nur eine
zunehmende Altersschwäche und noch kein Alzheimer … (Alzheimer finde ich die
schlimmste Drohung, die ich mir vorstellen kann, obwohl die Betroffenen in einem
späteren Stadium es wohl selbst kaum noch merken und ihre Umwelt mehr darunter
leidet als sie selbst …)
Dann wird vom Alter noch berichtet, dass einige – die
Glücklichen ! – milder und weiser und gütiger werden, andere aber –
wahrscheinlich die größere Gruppe – unflexibel, starrer und schlimmstenfalls
wehleidig oder verbittert auf die Wunden der Vergangenheit schauend. Das wollte
ich zum Hauptthema dieses blogs nehmen.
Ich habe mich lange genug mit Tiefenpsychologie und
Psychotherapie beschäftigt, um zu wissen, welche prägende Wirkung frühe
Lebenserfahrungen auf das Erleben und den Charakter eines Menschen über seine
gesamte Lebenszeit haben können. Und doch gibt es auch hier Unterschiede,
wahrscheinlich gemäß den beiden Gruppen von Menschen, von denen ich soeben
geredet habe.
Da gibt es diejenigen, die sich unentwegt in die uralten
Wunden und Kränkungen, die sich irgendwann in ihrer Kindheit ereignet und
manche Fortsetzungen im späteren Leben nach sich gezogen haben, regelrecht
verbeißen und keinen Deut davon ablassen können. Ihre Freiheit, es in höheren
Jahren einfach auch mal anders zu versuchen und höchstwahrscheinlich auch
machen zu können (wer ist mit Älteren nicht auch nachsichtig!!), ist dadurch
natürlich sehr gering und die Lebensfreude entsprechend eingeengt.
Dieser Gruppe fühle ich mich nicht zugehörig, aber mit der
Milde und Weisheit ist es auch bei mir noch
nicht so ganz weit gediehen, aber vielleicht mit einem eigenen Weg, den ich die
Haltung von „Wurschtigkeit“ nennen
möchte, die mir ungemein das Leben erleichtert. Lange habe ich mich mit den
Problemen meiner Kindheit beschäftigt, mit meinen Eltern gehadert, mich selbst
über vieles geschämt, denn ich wäre gern anders gewesen, ein besserer
„Mitspieler“ mit den Kindern und Jugendlichen meiner Umgebung, nicht so einsam
auf meinem eigenen Stern. Irgendwie ist
das jetzt aber alles sehr verblasst. Die Idee, einen Roman über meine Kindheit
zu schreiben („Die Leiden des jungen JÜLÜ“), habe ich schon vor längerem
verworfen, für wen sollte er interessant sein? Meinen Eltern gegenüber habe ich
eine eher ferne, aber freundliche Erinnerung ohne Anklage. Auch den kleinen
Jungen von damals, der ich einmal war, würde ich jetzt freundlich in den Arm
nehmen und ihn trösten, nicht aber auch noch Vorwürfe machen. Er konnte es eben
nicht besser und hatte es nicht leicht.
Darüber hinaus: Wer von meinen Mitschülern etc. sollte mir
jetzt noch etwas vorwerfen oder mich abschätzig behandeln? Ich bin doch in
ihrem Leben bestenfalls noch eine unscharfe Erinnerung, vielleicht noch als
Spur eines „Spinners“ vorhanden, das wäre aber schon viel! Meine Haare werden
auch allmählich grau, das Alter zeichnet mich ebenfalls, genauso wird es meinen
Mitspielern von damals ergehen, die in meinem Gedächtnis aber noch als „junge Leute“
abgespeichert sind, so als würden sie ewig auf diesem Stand verharren. Da ich
kaum einen jemals wieder gesehen habe, sind diese inneren Bilder nicht mit dem
Lebensweg aller Betroffenen mit gewachsen und haben sich deshalb nicht an
irgendwelche Veränderungen angepasst.
Dafür habe ich ein treffliches Beispiel, für das ich mich in
meiner Jugend sehr geschämt habe: Ich war Mädchen gegenüber außerordentlich
verklemmt – und höchst interessiert! Eine schwierige Mischung! Meine Erfolge
waren entsprechend und alles war mir so peinlich, dass ich es als echte
Befreiung erlebte, zum Studium aus meiner Heimatstadt weggehen zu dürfen. Ein
Neuanfang, denn in der Uni kannte niemand mein früheres Leben. (Wirklich
befreit hat mich das allein natürlich überhaupt nicht, was ich damals noch
nicht wusste, war aber schließlich mein Einstieg in mein Lebensthema
„Tiefenpsychologie und Psychotherapie“.)
In meinen Vorstellungen habe ich die Erfahrungen mit Mädchen in meiner Kindheit und
Jugend natürlich mit mir und den Gefährtinnen meiner Phantasien, Wünsche und seltenen
holprigen Begegnungen so mit den Bildern von uns abgespeichert, wie wir
jugendfrisch damals aussahen. Und Mädchen sind besonders hübsch in diesem
Alter! Noch später wurde ich innerlich rot, wenn ich an diese Situationen
dachte, so als wäre alles ganz frisch und spielte sich immer noch zwischen den unveränderten
Gestalten aus meiner Vergangenheit ab. Weit gefehlt! Die damaligen Damen meines
Herzens müssten mittlerweile auch alle mindestens 60 Jahre alt sein. Ich weiß
Frauen dieses Alters durchaus zu schätzen, es gibt sehr kluge unter ihnen, mit
einigen bin ich gut befreundet. Aber der erotische Liebreiz meiner Jugendtage
ist dahin, auch bei mir, und sie lösen in mir freundschaftliche Gefühle aus,
nur noch selten erotische wie in meiner Jugend! Dass niemand mich falsch
verstehe: ich weiß Frauen außerordentlich zu schätzen, mit ihnen kann man
meistens vernünftig reden, mit Männern ist das oft schon eher ein Kunststück…
Dieses Zurechtrücken meiner Erinnerungen auf die wirklichen
Zeitläufe hat mich sehr befreit! Ich darf mich mit heutigen Augen betrachten
und muss nicht mehr den schamvollen Blick meiner Kindheit und Jugend einnehmen.
Das heißt aber auch, dass ich freier über mich und meine heutigen Gefühle entscheiden
darf. Wer sollte mir das Alte noch vorwerfen, wenn ich selbst es nicht mehr
tue! Das nenne ich einen echten Zugewinn an Freiheit und Lebensfreude und eine
der wenigen wirklich angenehmen und positiven Chancen des Älterwerdens!
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