Mittwoch, 25. Juni 2014

Dinosauria XXIX: Ade, Graphologie!


In meinem Studium habe ich über Graphologie nahezu nichts gelernt. Die Handschrift gehört zu den Ausdruckserscheinungen, und diese waren in der Regel viel zu wenig exakt, um den Ansprüchen meiner damaligen Ausbildung als Datenquelle zu genügen. Da war nur wenig zu messen und objektiv festzuhalten, folglich galten Graphologen bei uns "wissenschaftlichen Psychologen" nicht viel mehr als Kaffeesatzleser. Daran änderten auch Graphologen wie Klages wenig, der ja immerhin versucht hatte, ein  ausgefeiltes Interpretationsverfahren zu entwickeln.

Ich fand Handschriften allerdings immer sehr interessant. Wie unterschiedlich sie  mich anmuteten! Ob meine Interpretationen nun immer zutreffend waren oder nicht, stets veranlassten sie mich zu Vermutungen  über den Urheber. Wenn man davon ausgeht, dass - außer Tagebüchern und persönlichen Notizen - Schriften immer eine Botschaft an einen anderen Menschen, also Akte der Kommunikation sind, so lösen sie etwas in mir aus, was ich mir bewußt machen und dann auf die Stichhaltigkeit meiner Hypothesen  hin untersuchen kann, meine Vorstellungen haben also heuristischen Charakter. In meiner langen Dozententätigkeit hatte ich viel Gelegenheit, bei Klausuren unterschiedlichste Handschriften kennenzulernen und auch nahezu alle zu entziffern, auch wenn sich häufiger Schüler wegen dem "Gekliere" entschuldigten. Das war nichts im Vergleich zu den Hieroglyphen einer jungen Frau, die ich vor vielen Jahren  in einer Selbsterfahrungsgruppe kennengelernt hatte. Diese blieben mir so unentzifferbar wie die junge Frau rätselhaft ...

Auch meine eigene Handschrift war mir immer wichtig. Ich denke, sie ist über die vielen Jahre recht ähnlich geblieben und wird nur jetzt etwas fahriger, weil einfach meine Augen sehr nachgelassen haben. Ich merke das daran, wenn sich Leute meine Korrekturen in Arbeiten von mir vorlesen lassen ...

Junge Leute können in einem rasanten Tempo SMSs in die Tastatur ihres Handys eintippen, überhaupt schnell etwas auf dem Computer eingeben, auch ohne 10-Finger-System, das ich noch in grauen Schreibmaschinen-Vorzeiten erlernt habe, rascher als ich.  Wozu brauchen sie da noch eine Schreibschrift? Zwar lernen Kinder diese noch in der Grundschule. Mangels späterer ständiger Übung dürfte sich aber eine individuelle Handschrift bei vielen Menschen immer weniger ausformen ... Ich finde das eine kulturelle Verarmung, habe aber schon Kommentare gelesen, die die Schreibschrift in unserem heutigen Zeitalter für verzichtbar halten. Armes Abendland, denke ich, oder bin ich der Gestrige und Verblendete? Es wäre nicht das erste Mal, aber dieser Blickwinkel schmerzt.



  

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