Montag, 4. Juni 2012

Arabische Revolution: Ende eines Traums?

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Zu diesem herausragenden Thema des letzten Zeitabschnitts habe ich im Publik-Forum 4/2012 v. 24.2.2012 einen hervorragenden und ermutigen Essay des Publizisten Hamed Abded-Samad unter der obigen Überschrift gefunden.

Er stellt die dortigen Ereignisse in einen größeren Zeitrahmen und zieht weltgeschichtliche Parallelen mit anderen Revolutionen, die sich z.T. erst Jahrzehnte später zu ursprünglich angestrebten Zielsetzungen nach langen Irrwegen und Rückfällen geführt haben, wie z.B. die Französische Revolution von 1789 und die deutschen Versuche von 1848.

Bitter für die "Leute der ersten Stunde" dürfte dabei aber immer sein, dass ohne ihr Engagement und ihren Mut in manchmal lebensgefährlichen Situationen nichts in die Gänge gekommen wäre, dass sie aber nach ersten Erfolgen oft von der breiten Bevölkerungsmehrheit wieder "weggefegt" wurden bis hin zur Einfluss- oder sogar Bedeutungslosigkeit. So geschehen in den neuen Bundesländern nach 1989, als sich die Aktivisten des Umbruchs nach den ersten Wahlen nur noch in Splitterparteien wiederfanden, während die große Mehrheit den Kohlschen Versprechungen glaubte und keine eigenständigen Veränderungen wünschte. Ähnlich - wenn auch unter sonst wahrscheinlich in keiner Weise vergleichbaren Bedingungen - muss es den mutigen Menschen in Ägypten ergangen sein, die den Untergang der alten Herrschaft ertrotzt haben und sich jetzt von den Muslimbrüdern regiert sehen.

Da sind dann die Ausführungen von Hamed Abdel-Samad sehr ermutigend, aus denen ich hier zitieren möchte:

[...]

Gescheitert? Ein Jahr nach Beginn der Arabischen Revolution ist kein Land der Region da, wo es sich die Bevölkerung gewünscht hätte. [...] Und in Ägypten scheinen die Menschen eine Form der Bevormundung gegen eine andere getauscht zu haben. Dort herrschen die Islamisten über das Parlament und der Militärrat über die Ressourcen des Landes. Die Jugend der Revolution bleibt außen vor. [...]

Und dennoch ist es voreilig, von einem Scheitern der Revolution zu reden. Denn die jungen Menschen, die diese Revolution initiiert haben, sind, auch wenn sie nicht die Mehrheit der arabischen Bevölkerung ausmachen, sehr stark und aktiv. Ihnen fehlen nur die Strukturen und die politischen Erfahrungen. [...]

Selbstverständlich ist die Islamisierung in Ägypten und Nordafrika beunruhigend, nur hat sie nicht das letzte Wort. Ich sehe sie als einen Umweg auf dem Weg zur Demokratisierung. [...]

Das politische Erdbeben in Arabien hat einen innerarabischen Kampf der Kulturen zustande gebracht: zwischen Facebook und Kamel,zwischen der Demokratiebewegung und der Militärherrschaft, zwischen Liberalen und Islamisten. Dieser Kampf kann zerstörerisch, aber auch fruchtbar sein. In beiden Fällen ist er unvermeidbar. Er pflügt die versteinerte Erde und bringt alles hervor, was unter der Decke der Diktatur versteckt war: die Kreativität der jungen Menschen und den Mut der Frauen, aber auch die Krankheiten der arabischen Welt, die nun ausbrechen - Intoleranz, Gewalt, Fanatismus und die politische und wirtschaftliche Planlosigkeit.

[...] Revolutionen sind weder gut noch schlecht an sich. Sie sind keine Lösungen für die Krankheiten einer Gesellschaft, sondern Motoren der Geschichte. Sie zerstören viel und verändern viel - jenseits der Erwartungen der Revolutionäre und der Konterrevolutionäre. So bleibt das erste Jahr der Arabischen Revolution nur die Eröffnungsszene in einem langen Schauspiel. [...]


Möge er recht behalten!

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