Freitag, 15. Dezember 2017

Wehmütige Gedanken an Polen

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Wenn ich wieder einmal Nachrichten lese, in denen von Maßnahmen der jetzigen polnischen Regierung die Rede ist, ihre Herrschaftsansprüche im Inneren gegen alle bisherigen demokratischen Regeln für die Zukunft abzusichern und gleichzeitig Emotionen gegen die Zusammenarbeit, ja Freundschaft mit Deutschland zu schüren und eine neue "Eiszeit" vorzubereiten, bin ich im ersten Augenblick in einem Zustand ungläubigen Staunens über solche merkwürdigen und in meinen Augen unwürdigen Ereignisse. Und dann noch die Bilder von riesigen Aufmärschen von Rechtsradikalen in Warschau, an denen die Regierung nichts auszusetzen hat und damit ihre Akzeptanz eines solchen Gedankenguts zeigt:  Ich reagiere mit einer Mischung von Zorn und Trauer - und Wehmut.

Das ist eine Gefühlslage, die mich in letzter Zeit häufiger überkommt, wenn  ich die jetzige Welt mit ihren "bescheuerten" Auswüchsen (ich habe beim Nachdenken keinen besseren Begriff gefunden) sehe und mit derjenigen  in meiner Vergangenheit vergleiche. Diese war durchaus auch beängstigend und wahrscheinlich sogar bedrohlicher für uns Deutsche als heute, wenn ich noch an den "kalten Krieg" und die gegenseitige Atombedrohung denke (die aber noch immer nicht grundlegend abgebaut ist ... , vgl. meinen Beitrag v. 11.12.17). Aber es gab immer wieder und immer häufiger Lichtblicke in diesem Nebel, die eine Besserung verhießen - und auch brachten. Ich denke an Willy Brandts Kniefall vor dem Warschauer Ghetto-Denkmal, die beginnende Annäherung zwischen den Blöcken und die friedliche Revolution in der DDR. Gewaltig! Und Hoffnung machend! Das ist jetzt aber eine Weile her und z. Zt. erlebe ich eher ein "Rollback" in verfahrene Weltenlagen - auf jeder Ebene. Deprimierend! Daher in Erinnerung an frühere Aufbruchstimmungen die Wehmut...

Meine Wehmut gegenüber der Lage in Polen hat dabei eine lange Vorgeschichte. [Wenn ich jetzt polnische Ortsnamen in "deutscher" Umschreibung benenne, so hat dies lediglich etwas mit meiner Bequemlichkeit und Vergesslichkeit zu tun. Ich muss nirgendwo nachgucken, ob ich die für mich oft nicht ganz einfache korrekte polnische Schreibweise getroffen habe, die ich mir vielleicht nicht richtig eingeprägt habe. Ich weiß aber durchaus, dass "Posen" richtig "Poznan" heißt und "Krakau" "Krakow"!] Sie beginnt mit den immer wiederkehrenden Berichten meiner Mutter (vielleicht versuchte sie auf diese Weise, ihre damalige Traumatisierung abzuarbeiten ...) von ihrer Flucht 1945 mit meinen beiden Brüdern und ihren Eltern aus dem damaligen Landsberg a.d. Warthe (heute Gorzow W.) auf großen Umwegen bis hin nach Berlin. Ergänzt wurde das meistens durch die Erwähnung, dass ihre Mutter im damaligen Meseritz geboren sei und deren Vater "Kastellan" in einem großen Gericht in Posen gewesen war. Dies ergänzte sie, mit leuchtenden Augen, durch ihren Bericht von einem Besuch bei Onkel und Tante im damaligen Drossen, nicht weit von Frankfurt/O. auf der anderen Seite der Oder in der sog. "Neumark" gelegen. Der Onkel leitete eine Art von Musikkapelle, für die er "Lehrlinge" ausbildete. So etwas dürfte es heute nicht mehr geben! Drossen grenzt an einen kleinen See, in dem meine Mutter gerne badete und sich einmal bei einem Gewitter aus dem Wasser retten musste, wie sie immer ausführlich erzählte. In diesem See habe ich jetzt auch gebadet! Dort liegt nämlich eine "Pension" bzw. ein Schönheits-  und Wellness-Hotel, das meine Frau entdeckt hat und gerne besucht, wenn sie einmal zwei oder drei Tage "familienfrei" hat!

Das alles berichtete meine Mutter stets ohne alles Ressentiment und im Bewusstsein, dass diese Landstriche nie wieder zu Deutschland gehören würden. Sie wollte nicht einmal mehr eine Besuchsreise dorthin machen, was sie im hohen Alter nach der Wende durchaus noch hätte tun können. Diesen Besuch hat ihr mein älterer Bruder abgenommen, 1939 in Landsberg geboren und offensichtlich mit großem Interesse an den Orten seiner frühen Kindheit. Er erkundete Ende der 60-er Jahre, dass es an der Universität Hamburg einen "Arbeitskreis Polen" gab, der jedes Jahr eine Busreise nach Polen unternahm. Voller Begeisterung berichtete er davon nach seiner Rückkehr; ich habe dann in den folgenden drei Jahren auch immer mitgemacht. Die Route führte durch alle großen polnischen Städte - und immer auch nach Auschwitz. Bewundert habe ich die polnische Aufbauleistung nach dem Krieg, besonders den entbehrungsreichen Wiederaufbau der historischen Innenstädte von Warschau und Danzig, auch in Breslau, unbehelligt davon, wer früher einmal hier "Besitzer" war. Wir wurden überall freundlich und offen empfangen und spürten kaum Vorbehalte uns gegenüber. Bezeichnend dafür war Tadeusz, bereits im Rentenalter, den mein Bruder bei seinem ersten Besuch in Warzawa kennengelernt hatte. Er zeigte uns die Gedenkstätten in der Stadt, wusste aber strickt zu unterscheiden zwischen den fürchterlichen "Hitlerowski" und uns deutschen Freunden, die er zu sich in seine Wohnung hoch oben in einem Hochhaus direkt gegenüber dem Kulturpalast einlud. Für die Stimmungslage in Polen sprachen auch unsere Reiseerfahrungen: Die Grenzkontrollen beim Übergang durch die DDR waren eine Tortur, wir durften ja noch nicht einmal aus dem Bus heraus und wurden peinlich genau überprüft. Welch ein Aufatmen, wenn wir dann den polnischen Grenzpunkt erreichten! Hier wurde nicht mehr "gepingelt" und wir durften uns auch die Füße vertreten. Eine ganz andere Welt! Klar, es gab in Polen politisch sehr schwierige Zeiten und wir haben - solidarisch mit der Solidarnosc! - um einen guten Ausgang gebangt, aber nach der Wende taten sich dann noch weitere, ganz einfache Möglichkeiten auf, vom kleinen Grenzverkehr bis hin zu Ferienreisen nach Polen.

Verstärkt hat dies alles, dass auch die Verwandten meiner Frau väterlicherseits Flüchtlinge wie meine Eltern nach 1945 sind, ebenfalls aus der Neumark, nur nicht wie in meinem Fall in Schleswig-Holstein "gelandet", sondern in Frankfurt/O. und Umgebung. Wir haben die alten "Familien"-Orte jenseits der Oder mehrfach besucht, waren ebenso in dem wunderschönen Lagow und haben auch größere Reisen nach Krakow und an die Masurischen Seen gemacht, alles ganz selbstverständlich, in einer freundlichen Atmosphäre. Wenn ich in meinen Erinnerungen "krame", fällt mir eine ähnliche Leichtigkeit nur ein, wenn ich an Reisen und Besuche in Holland oder Dänemark denke.

Diese langjährige Selbstverständlichkeit  erscheint jetzt in Frage gestellt, deshalb meine Traurigkeit, mein Kummer. Wissen eigentlich die Herrschenden in Polen, was sie ihrer Bevölkerung und den Menschen in Europa antun? Fühlen sie sich für die Pflege solcher gewachsenen Strukturen nicht verantwortlich? Was gewinnen sie stattdessen - wirklich oder vermeintlich?

Am 17.12.17 habe ich eine Ergänzung zu diesem Text hinzugefügt!

  

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