Dienstag, 30. September 2008

Rettet das Samariterfest!

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15 Jahre lang habe ich in den Samariteranstalten in Fürstenwalde gearbeitet, neben dem Wichernheim in Frankfurt/Oder „das Bethel“ in Ostbrandenburg. Für mich ist es eine lange Zeit, für manche Mitarbeiter und für einige ältere Bewohner, die hier fast ihr ganzes Leben zugebracht haben, nur ein längerer, aber gut überschaubarer Zeitabschnitt. Denn wie viele diakonische Einrichtungen können auch die Samariteranstalten auf eine Generationen übergreifende Geschichte zurückblicken.


In diesem Jahr gab es das 116. Samariterfest, wahrhaft eine lange Tradition! Die Bedeutung dieses Tages hat sich sicherlich in den Jahren gewandelt, aber immer noch dürfte es für alle, die hier leben, das wichtigste Fest im Jahr sein. Früher hatte es auch eine große Außenwirkung, insbesondere in DDR-Zeiten, als die Samariteranstalten auch als „Insel im Meer“ (Franz Fühmann) bezeichnet wurden. Diese Resonanz nach draußen ist in den letzten Jahren trotz erheblicher Werbung augenscheinlich geringer geworden, kaum ein Wunder angesichts vieler gleichzeitig stattfindender „Events“, die für die breite Bevölkerung attraktiver sind als ein Fest in einer Behinderteneinrichtung.


Immer wieder höre ich Gerüchte, dass das Samariterfest deshalb eingestellt werden sollte, weil es den Aufwand ohne größere Außenwirkung wohl nicht mehr lohne. Das ist für mich eine sehr traurige Vorstellung, gegen die Interessen der hier Lebenden und ein unverzeihlicher Bruch mit sinnstiftenden Traditionen. Gegen diese Gerüchte, wenn auch in „anderer Verpackung“, wendet sich mein folgender Leserbrief an die Zeitschrift der Samariteranstalten.

Leserbrief für „Unterwegs“ 4/08

Liebe „Unterwegs“,


ganz befreit von dienstlichen Verpflichtungen, konnte ich es in diesem Jahr erstmalig genießen, „ einfach nur so“ auf dem Samariterfest dabei zu sein, Leute wieder zu treffen, einen „Plausch“ zu halten, über das Gelände zu schlendern, die verschiedenen Darbietungen auf der Bühne der Festwiese zu verfolgen und zwischendurch einen Kaffee in meiner „alten“, tatsächlich aber stark erweiterten Korczak-Schule zu trinken. Mein kleiner Sohn war vom Festgottesdienst sehr beeindruckt und wollte am Nachmittag das Festgelände nicht verlassen. Zwar gab es offensichtlich weniger externe Stände als früher, vielleicht auch weniger Gäste „von draußen“, aber wen wundert das angesichts der zahlreichen „Events“, unter denen die Menschen im Umfeld im September wählen konnten!


Ich habe mich wohlgefühlt an diesem Tag in den SAF, es war eine verbindende Atmosphäre für Bewohner, Mitarbeiter und sicherlich auch Gäste, das wichtigste Fest, das neben zahlreichen kleineren in unserer Einrichtung gefeiert wird! So kann ich es nicht verstehen, wenn immer wieder einmal Gerüchte aufkommen, ein solches Fest habe sich überlebt und lohne den Aufwand nicht mehr. Ich hingegen freue mich auf das 117. Samariterfest im September 2009!

Jürgen Lüder



Dienstag, 23. September 2008

Rede zur Schulentlassung am 15.Juli 2008

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Liebe Absolventinnen und Absolventen,
sehr geehrte Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Schülerinnen und Schüler!

Ich stehe hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge vor Ihnen, freue mich auf die zukünftige größere Freiheit ohne schulische Belastungen, ahne aber bereits den Verlust an Einfluss, Anregungen und Beziehungen, den mein Abschied mit sich bringen wird.

15 Jahre lang war ich hier an der Korczak-Schule in Fürstenwalde. Das ist gleichzeitig die längste Arbeitsphase meines Lebens am selben Ort. Alle Klassen ab der "1" habe ich kennengelernt: die HEP 1, die HP 1, einiges später die BFS 1 und schließlich zuletzt auch die SP 1.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den mit mir abschließenden Klassen zu gratulieren, allen auf Wiedersehen zu sagen, der Schule und damit allen Betroffenen, Lehrern und Schülern, Herrn Prof.Dr.P., allen Kolleginnen und Kollegen für die gemeinsame Zeit zu danken, jedem für das Ausmaß an Beziehung, das zwischen uns möglich war. Bildlich gesprochen für den Garten voller kleiner Blumen, großer Blumen und Disteln.

Als Dozent habe ich natürlich die Hoffnung, dass meine Schüler und Studenten auch etwas von mir profitiert haben. Das kann ich allerdings sehr viel weniger einschätzen als meinen eigenen Lernzuwachs, den mir die vielen Jahre praktischer Beziehungsarbeit und auch die notwendige Beschäftigung mit neuen Themen gebracht hat.

Eines hoffe ich allerdings auf jeden Fall, nämlich dass es mir gelungen ist, die richtige Fahrtroute zu finden zwischen den Ungeheuern Skylla und Charybdis, ich meine damit den schmalen Grat zwischen autoritärem Gehabe einerseits und Fraternisieren und Kumpelei andererseits. Jedenfalls war es immer mein Anliegen, mich um einen partnerschaftlichen Stil zu bemühen, möglichst sachlich, möglichst gerecht und nach Möglichkeit auch großzügig, wenn es angezeigt war.

Denn so bin ich 1993 hier angetreten. Und wenn auch die Schüler allmählich immer jünger wurden, so bleibt es doch dabei, dass unsere Schule ein Ort der Erwachsenenbildung ist, wobei alle sich zumindestens im anstrengenden Übergang in dieses Stadium befinden. Am Rande vermerkt: manche Menschen werden auch mit 80 noch nicht ganz erwachsen und außerdem lassen die Rahmenbedingungen einer Schule auch Erwachsene gelegentlich wieder in uralte, eher der Kindheit und Jugend zuzuordnende Schülerrollen rutschen.

Eine abschließende Botschaft möchte ich aber allen hier noch mitgeben. Dafür muss ich anfangs eine kleine Anekdote erzählen.

In den 90er Jahren fuhr eine HEP-Teilzeitklasse kurz vor ihrem Examen auf Studienreise nach Dänemark. Beseelt kamen alle zurück, denn sie hatten dort eine Arbeitsform kennengelernt, die sie tief beeindruckt hatte. Die Arbeit stand dort nämlich unter dem Motto:

"Wenn es den Betreuern gut geht, geht es auch den Behinderten gut!"

Und die Dänen beherzigten diese Aussage und hatten entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen.

Objektiv betrachtet, könnte man hier sogar die uralte Bibelweisheit "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" wiederentdecken. Nur wem es selbst gut geht, hat die physische und psychische Kraft, andere zu unterstützen, zu pflegen und zu fördern. Nahezu eine Grundregel für Helfer in jeglicher Form!

Auf meine Anregung für die Studierenden, dies sei ja eine tolle These, die könnten sie doch alle jetzt hier in ihre Einrichtungen weitertragen, folgte zunächst betretenes Schweigen und dann die Antwort, diesen Ärger wollten sie sich lieber nicht einhandeln. Auch meine Ermutigung, dies müssten sie doch nicht einzeln vortragen, sondern könnten es solidarisch tun, stimmte sie nicht um.

Ich habe das - als alter "Wessi" - damals nicht verstanden.Nach all den Jahren hier weiss ich jetzt aber mehr um die Angst der Menschen um ihren Arbeitsplatz, ebenso von dem zunehmenden Rationalisierungsdruck - trotz schönklingender Neuerungen -, dem die Träger sozialer Einrichtungen ausgesetzt sind. Begründet wird dies stets mit wirtschaftlichen Zwängen. Verschwiegen wird dabei allerdings immer, dass die Finanzarmut des Staates auf grundlegende politische Entscheidungen zurückzuführen ist, nämlich auf den Verzicht wesentlicher Einnahmen. Die Finanzschwäche ist damit ein hausgemachtes Problem und keine Naturkatastrophe, wirkt sich jetzt aber massiv im Bereich des Sozialen und der Bildung aus.

Leider solidarisieren sich die Einrichtungsträger kaum gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und fordern viel zu selten finanzielle und soziale Verbesserungen gemeinschaftlich ein. Wenn man bedenkt, dass Diakonie und Caritas in Deutschland über Hunderttausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen, die sie gewisslich unterstützen würden ... Lieber geben die Einrichtungen als Einzelne den Druck einfach nach unten an ihre Mitarbeiter weiter nach dem Radfahrerprinzip ("nach oben buckeln, nach unten treten").

Deutlich sichtbar wird dies an der zunehmenden Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, zahllosen befristeten Verträgen, nicht nur für Berufseinsteiger, und schwierigen Arbeitszeiten, wenn Einrichtungen immer mehr nur noch Teildienste fahren.

Wer von den jungen Absolventen kann sich unter solchen Bedingungen irgendwo niederlassen, eine längerfristige Perspektive entwickeln, die z.B. für eine Familiengründung notwendig ist - und welcher behinderte Mensch kann sich noch vertrauensvoll auf neue Mitarbeiter einlassen, die doch bald wieder gehen?

Meine Botschaft an alle in diesem Zusammenhang ist: Lassen Sie Sich nicht weismachen, dass es nicht anders geht! Engagieren Sie Sich für bessere Arbeitsbedingungen, zu Ihrem eigenen Nutzen und zum Nutzen der Ihnen anvertrauten behinderten Menschen! Und machen Sie das nicht einzeln, sondern solidarisieren Sie Sich!

Ich wünsche Ihnen die Kraft zu kritischer Reflexion, Solidarität und Zivilcourage! Das ist zwar für alle Beteiligten unbequem, aber gibt es einen besseren Weg?

Verlassen Sie Sich dabei nie darauf, dass doch "die anderen" anfangen könnten, beherzigen Sie stattdessen lieber den schönen Satz von Erich Kästner:

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."

In diesem Sinne danke ich Ihnen fürs Zuhören und wünsche Ihnen noch eine schöne Feier!

Freitag, 12. September 2008

Jetzt geht's wirklich los!



Nachdem alles von der technischen Seite bereits seit über einem Jahr bereitsteht, habe ich jetzt auch Zeit, mich um die Inhalte meines Blogs zu kümmern, denn seit Ende der Sommerferien bin ich in der Ruhephase meiner Altersteilzeit.

Für Ermutigung, konkreten Unterricht und tatkräftige Hilfe bei allen technischen Fragen danke ich sehr meinem Sohn Jan Mirko, der nachsichtig und geduldig mit mir Computer-Muffel umgegangen ist.

Ich habe länger über einen treffenden Namen für diesen Blog nachgedacht. Mein Blick auf die Welt im Zusammenhang mit meinem Älterwerden sollte das Thema sein. An "Methusalem" habe ich gedacht, habe diese Wahl dann aber verworfen. "Methusalem" erinnert mich an Menschen, die im höheren Alter ein von anderen bewundertes Leben führen und deren Meinung besonderes Gewicht genießt. Was ich aber tatsächlich erlebe, ist eher, dass sich derzeit technische Möglichkeiten, Wertvorstellungen und Lebensentwürfe in einem rasanten Tempo verändern. Ältere Wertvorstellungen, soziale Tugenden (jedenfalls das, was ich dafür halte) und Handlungsziele scheinen mir in Gefahr, vergessen zu werden. Da lag mir der eher wehmütige Vergleich mit den "Dinosauriern" nahe, einst herrschend auf der Erde, dann ausgestorben. Allerdings z.Zt. unter Kindern wieder modern, die in Ausstellungen staunend vor Gerippen und Rekonstruktionen stehen.

So will ich mit meinen Aufzeichnungen an Werte erinnern, die ich vor dem Verschwinden bewahren möchte, ein Aufbäumen mit sicherlich nur geringem Einfluss, aber vielleicht finde ich ja Gleichgesinnte und Mitstreiter! Meine Themen ergeben sich aus meinen persönlichen und beruflichen Interessenfeldern: Literatur, Psychologie, Pädagogik, Therapie, soziale Arbeit und Sozialpolitik, ein weites Feld. Unsystematisch, je nach Anlässen.