Dienstag, 23. September 2008

Rede zur Schulentlassung am 15.Juli 2008

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Liebe Absolventinnen und Absolventen,
sehr geehrte Gäste,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
liebe Schülerinnen und Schüler!

Ich stehe hier mit einem lachenden und einem weinenden Auge vor Ihnen, freue mich auf die zukünftige größere Freiheit ohne schulische Belastungen, ahne aber bereits den Verlust an Einfluss, Anregungen und Beziehungen, den mein Abschied mit sich bringen wird.

15 Jahre lang war ich hier an der Korczak-Schule in Fürstenwalde. Das ist gleichzeitig die längste Arbeitsphase meines Lebens am selben Ort. Alle Klassen ab der "1" habe ich kennengelernt: die HEP 1, die HP 1, einiges später die BFS 1 und schließlich zuletzt auch die SP 1.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, den mit mir abschließenden Klassen zu gratulieren, allen auf Wiedersehen zu sagen, der Schule und damit allen Betroffenen, Lehrern und Schülern, Herrn Prof.Dr.P., allen Kolleginnen und Kollegen für die gemeinsame Zeit zu danken, jedem für das Ausmaß an Beziehung, das zwischen uns möglich war. Bildlich gesprochen für den Garten voller kleiner Blumen, großer Blumen und Disteln.

Als Dozent habe ich natürlich die Hoffnung, dass meine Schüler und Studenten auch etwas von mir profitiert haben. Das kann ich allerdings sehr viel weniger einschätzen als meinen eigenen Lernzuwachs, den mir die vielen Jahre praktischer Beziehungsarbeit und auch die notwendige Beschäftigung mit neuen Themen gebracht hat.

Eines hoffe ich allerdings auf jeden Fall, nämlich dass es mir gelungen ist, die richtige Fahrtroute zu finden zwischen den Ungeheuern Skylla und Charybdis, ich meine damit den schmalen Grat zwischen autoritärem Gehabe einerseits und Fraternisieren und Kumpelei andererseits. Jedenfalls war es immer mein Anliegen, mich um einen partnerschaftlichen Stil zu bemühen, möglichst sachlich, möglichst gerecht und nach Möglichkeit auch großzügig, wenn es angezeigt war.

Denn so bin ich 1993 hier angetreten. Und wenn auch die Schüler allmählich immer jünger wurden, so bleibt es doch dabei, dass unsere Schule ein Ort der Erwachsenenbildung ist, wobei alle sich zumindestens im anstrengenden Übergang in dieses Stadium befinden. Am Rande vermerkt: manche Menschen werden auch mit 80 noch nicht ganz erwachsen und außerdem lassen die Rahmenbedingungen einer Schule auch Erwachsene gelegentlich wieder in uralte, eher der Kindheit und Jugend zuzuordnende Schülerrollen rutschen.

Eine abschließende Botschaft möchte ich aber allen hier noch mitgeben. Dafür muss ich anfangs eine kleine Anekdote erzählen.

In den 90er Jahren fuhr eine HEP-Teilzeitklasse kurz vor ihrem Examen auf Studienreise nach Dänemark. Beseelt kamen alle zurück, denn sie hatten dort eine Arbeitsform kennengelernt, die sie tief beeindruckt hatte. Die Arbeit stand dort nämlich unter dem Motto:

"Wenn es den Betreuern gut geht, geht es auch den Behinderten gut!"

Und die Dänen beherzigten diese Aussage und hatten entsprechende Rahmenbedingungen geschaffen.

Objektiv betrachtet, könnte man hier sogar die uralte Bibelweisheit "Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst" wiederentdecken. Nur wem es selbst gut geht, hat die physische und psychische Kraft, andere zu unterstützen, zu pflegen und zu fördern. Nahezu eine Grundregel für Helfer in jeglicher Form!

Auf meine Anregung für die Studierenden, dies sei ja eine tolle These, die könnten sie doch alle jetzt hier in ihre Einrichtungen weitertragen, folgte zunächst betretenes Schweigen und dann die Antwort, diesen Ärger wollten sie sich lieber nicht einhandeln. Auch meine Ermutigung, dies müssten sie doch nicht einzeln vortragen, sondern könnten es solidarisch tun, stimmte sie nicht um.

Ich habe das - als alter "Wessi" - damals nicht verstanden.Nach all den Jahren hier weiss ich jetzt aber mehr um die Angst der Menschen um ihren Arbeitsplatz, ebenso von dem zunehmenden Rationalisierungsdruck - trotz schönklingender Neuerungen -, dem die Träger sozialer Einrichtungen ausgesetzt sind. Begründet wird dies stets mit wirtschaftlichen Zwängen. Verschwiegen wird dabei allerdings immer, dass die Finanzarmut des Staates auf grundlegende politische Entscheidungen zurückzuführen ist, nämlich auf den Verzicht wesentlicher Einnahmen. Die Finanzschwäche ist damit ein hausgemachtes Problem und keine Naturkatastrophe, wirkt sich jetzt aber massiv im Bereich des Sozialen und der Bildung aus.

Leider solidarisieren sich die Einrichtungsträger kaum gegenüber den politischen Entscheidungsträgern und fordern viel zu selten finanzielle und soziale Verbesserungen gemeinschaftlich ein. Wenn man bedenkt, dass Diakonie und Caritas in Deutschland über Hunderttausende von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verfügen, die sie gewisslich unterstützen würden ... Lieber geben die Einrichtungen als Einzelne den Druck einfach nach unten an ihre Mitarbeiter weiter nach dem Radfahrerprinzip ("nach oben buckeln, nach unten treten").

Deutlich sichtbar wird dies an der zunehmenden Zahl prekärer Arbeitsverhältnisse, zahllosen befristeten Verträgen, nicht nur für Berufseinsteiger, und schwierigen Arbeitszeiten, wenn Einrichtungen immer mehr nur noch Teildienste fahren.

Wer von den jungen Absolventen kann sich unter solchen Bedingungen irgendwo niederlassen, eine längerfristige Perspektive entwickeln, die z.B. für eine Familiengründung notwendig ist - und welcher behinderte Mensch kann sich noch vertrauensvoll auf neue Mitarbeiter einlassen, die doch bald wieder gehen?

Meine Botschaft an alle in diesem Zusammenhang ist: Lassen Sie Sich nicht weismachen, dass es nicht anders geht! Engagieren Sie Sich für bessere Arbeitsbedingungen, zu Ihrem eigenen Nutzen und zum Nutzen der Ihnen anvertrauten behinderten Menschen! Und machen Sie das nicht einzeln, sondern solidarisieren Sie Sich!

Ich wünsche Ihnen die Kraft zu kritischer Reflexion, Solidarität und Zivilcourage! Das ist zwar für alle Beteiligten unbequem, aber gibt es einen besseren Weg?

Verlassen Sie Sich dabei nie darauf, dass doch "die anderen" anfangen könnten, beherzigen Sie stattdessen lieber den schönen Satz von Erich Kästner:

"Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."

In diesem Sinne danke ich Ihnen fürs Zuhören und wünsche Ihnen noch eine schöne Feier!

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Hallo und guten Abend lieber Kollege Jürgen,

so so, dass sind also deine ersten Dinotapser im I-Net ;o)
Na: Herzlichen Glückwunsch zur erfolgreichen (Teil-)Homepage.
Schöne Grüße an die Familie und mach' et' gut...

...René

Katrin hat gesagt…

Lieber Jürgen,heute hab ich nun die Zeit und Ruhe, mir mal Deine neue Webseite anzusehen. Ich gratuliere! Ich werde Dir demnächst mal eine private E-Mail schreiben. Alles Gute für Dich, Deine Familie und herzliche Grüße und Danke für das Foto.
Katrin
P.S. Mit dem Kaffee...das machen wir!
P.S.2 Du fehlst an der Schule...