Samstag, 25. Juli 2009

Auch Mitarbeiter diakonischer Einrichtungen fordern mehr Lohn

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Bericht von einer Demonstration, die von der AGMV (Arbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen) diakonischer Einrichtungen in Berlin-Brandenburg-Oberlausitz mit Unterstützung der Gewerkschaft Ver.di am 18.5.09 veranstaltet wurde


Ein alter Hut? Immerhin ist seit diesem Ereignis schon einige Zeit vergangen. Ich habe damals an dieser Demo teilgenommen und meiner alten MAV (Mitarbeitervertretung) versprochen, über dieses Ereignis noch einmal einen Bericht zu verfassen. Es haperte dann bei mir an der Technik mit der Übermittlung von Fotos, da brauche ich als „Dinosaurier“ noch Nachhilfe. Heute habe ich aber wenigstens mein Manuskript fertiggestellt, das ich zeitgleich an meine ehemalige MAV schicke.





Nach der Demo v. 18.5.09 ist vor der nächsten …

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Auch wenn jetzt schon etwas Zeit seit dieser Demonstration vergangen ist, möchte ich dennoch einen kurzen Bericht darüber verfassen und einige Fotos von damals anfügen. Denn so, wie sich uns die Situation darbietet, wird dies noch lange nicht die letzte erforderliche Demonstration sein, um den Anliegen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in unserem diakonischen Bereich BBO [Berlin – Brandenburg – Oberlausitz] Nachdruck zu verleihen und Verbesserungen zu erzielen!


Konkretes Anliegen war es am 18.5., der Dienstgeberseite im AK (arbeitsrechtliche Kommission) die Zusage zu einer Einmalzahlung abzuringen. Überfällig wären natürlich auch prozentuale Lohnerhöhungen, denn unser Diakonie-Distrikt hinkt allen anderen im Lande weit hinterher… Immerhin hat es aber mittlerweile mit der Einmalzahlung über eine Zwangsschlichtung geklappt; das zeigt aber auch, dass die Verhandlungssituation zwischen Dienstnehmer- und Dienstgeberseite bis zum Zerreißen gespannt ist und wahrscheinlich auch bleiben wird.


Die Diakonie darf bekanntlich nach eigenen Spielregeln leben. Die in anderen Bereichen des Arbeitslebens üblichen Tarifverträge mit Gewerkschaften gibt es nicht (der sog. „zweite Weg“), stattdessen sollen in paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen Dienstgeber und Dienstnehmer sich über tarifliche Fragen einigen, zunehmend mit Sand im Getriebe und äußerst frustrierend für die Dienstnehmerseite (der sog. „dritte Weg“). Immer wieder versuchen Einrichtungen, diese ohnehin eher „lasche“ Möglichkeit der Mitbestimmung auszuhebeln und „nach Gutsherrenart“ auf dem „ersten Weg“ mit autoritären einseitigen Festlegungen Tarifliches zu regeln. Dies abzuwehren, bedeutet für die Dienstnehmerseite in den Kommissionen einen ständigen aufreibenden Kampf.


So wurde auf der Demo zur Warnung der „dritte Weg“ symbolisch zu Grabe getragen. Ob er in der Realität noch eine Zukunft hat? Seit 2002 hat es in Berlin – Brandenburg – Oberlausitz keine nennenswerte Tariferhöhung mehr gegeben. Redner auf der Versammlung schätzten den Verlust an Realeinkommen auf 10% … Es soll mittlerweile nicht selten sein, dass Diakonie-Mitarbeiter eine Hartz-IV-Aufstockung beantragen müssen. Besonders dramatisch ist die Situation in den völlig unterfinanzierten Diakoniestationen.


Die Zukunft diakonischer Mitarbeiter - immerhin über 50.000 in unserem Bereich!! – dürfte eindeutig nur darin liegen, sich stärker den Gewerkschaften gegenüber zu öffnen und sich z.B. bei Ver.di zu organisieren. Ohne deren organisatorische Hilfe hätte auch diese Demo ziemlich schwach ausgesehen.


Zwar erschien bei der Abschlusskundgebung vor dem Gebäude des Diakonischen Werks in der Paulsenstr. in Berlin-Steglitz sogar der Dienstgebervertreter Herr Rosenberg (eine Aufwertung der Demonstration, denn bei früheren, an denen ich teilgenommen hatte, hatte sich kein Vertreter der Arbeitgeberseite dazu „bequemt“, mit den protestierenden Dienstnehmern zu reden), aber Perspektiven ergaben sich daraus auch nicht, eher ein „Austausch“ der üblichen Pro- und Contra-Argumente.


Abschließend haben wir alle das folgende Lied gesungen, das auf den AGMV-Demos schon Tradition hat. Es folgt in der Melodie dem bekannten „Danke für diesen Morgen…“:


Danke


Danke für unsre Arbeitsplätze

Danke für die Geborgenheit

Danke für all das Wertgeschätzte

und die Leiharbeit

Danke für unsre Lohnerhöhung

Danke, das ist fünf Jahre her

Danke, doch seit die Preise klettern

reicht uns das nicht mehr

Bitte, dass genug Knete da wär

Bitte für unsre Arbeitskraft

Bitte – wir hoffen, Euch ist klar wer

Euch das Geld ranschafft

Bitte, wir ham auf Lohn verzichtet

Bitte, das hamwer gern getan.

Bitte – Ihr konntet jahrelang

auf unsern Knochen sparn

Schluss jetzt – es geht um unser Essen,

Schluss jetzt mit der Bescheidenheit

Schluss jetzt – wir wollen angemessnen

Lohn für die Arbeit.


Da ich mittlerweile „auf dem Altenteil“ sitze, bekomme ich die tariflichen Auseinandersetzungen in der Diakonie nur noch mit zeitlichem Abstand mit. Ich wünsche allen Kolleginnen und Kollegen Durchhaltekraft für weitere Aktionen! Lassen Sie Sich nicht unterkriegen! Organisieren Sie Sich gewerkschaftlich! (Der nicht vermeidbare Beitrag schließt immerhin eine Rechtschutzversicherung für alle arbeitsrechtlichen Probleme mit ein, sehr beruhigend in diesen Zeiten!)


Vergessen Sie nie: Sie tun eine sehr wertvolle Arbeit, aber schenken tut Ihnen dafür niemand etwas, wenn Sie nicht selbstbewusst selbst einen angemessenen Teil am „großen Kuchen“ fordern! Arbeitgeber und Politiker werden Sie immer wieder darauf hinweisen, dass dieser „Kuchen“ leider nicht wachsen kann oder sogar schrumpfen muss, da er von der Gesellschaft nicht länger im bisherigen Maße finanzierbar ist. Das ist eine Lüge!!! Es gibt z.B. von Ver.di hervorragende Konzeptionen, wie sich in unserem Land der Staat – d.h. wir !! – deutlich verbesserte Einnahmen verschaffen kann, die für verbesserte soziale Leistungen zur Verfügung stehen würden. Im September ist Bundestagswahl! Die Parteien unterscheiden sich deutlich erkennbar bei solchen Fragestellungen!!!


Mit freundlichen Grüßen Jürgen Lüder


(Dieser Artikel wurde, allerdings mit anderen Fotos, veröffentlicht in "MAV-Aktuell der Samariteranstalten Fürstenwalde, Ausgabe 2/09, Oktober 2009")

Lieblingszitate LIV

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Im gestern besprochenen Buch „Zerrissene Herzen“ habe ich auch das berühmte Zitat von Heinrich Heine wieder gefunden, in dem er weitsichtig die Ereignisse 100 Jahre später vorhergesehen hat.


Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.

HEINRICH HEINE

Zitiert nach: Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann: Zerrissene Herzen. Die Geschichte der Juden in Deutschland. Frankfurt a.M. 2006. S. 109.

[Aus einer anderen Quelle in meiner Sammlung seit dem 5.6.1987]

Freitag, 24. Juli 2009

"Zerrissene Herzen" -- Die Geschichte der Juden in Deutschland




„Zerrissene Herzen“ – so nannten Ingke Brodersen und Rüdiger Dammann ihre „Geschichte der Juden in Deutschland“. Erschienen ist dieses Buch bei S.Fischer in Frankfurt a. M. 2006.


Sein besonderes Gepräge bekommt das Buch durch die zahlreichen Zeichnungen (!) von Klaus Ensikat, alle in einer hellen Farbgebung, dazu in roter Schrift Zwischentexte mit speziellen Erläuterungen. Aber keinerlei Fotos, wie sonst üblicherweise in Geschichtsbüchern Gang und Gebe.


Dies Buch will aber auch offensichtlich keine Dokumentation sein, sondern erzählt die (Leidens)Geschichte der Juden in Deutschland anhand der Lebens- und Wirkungsgeschichte ausgewählter Vertreter, die deutschen Geist und deutsche Kultur in einem unverhältnismäßig hohem Maße mitgeprägt haben. „Unverhältnismäßig“ empfinde ich es in dem Sinne, dass in dieser – gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung – doch eher kleinen Personengruppe eine ungewöhnliche Konzentration von geistigen Koryphäen und tatkräftigen und erfolgreichen Persönlichkeiten in Politik, Wirtschaft, Kultur und Wissenschaft zu beobachten ist. (Im Buch wird dies zwar nicht thematisiert, es ist aber halt „mein Spezialgebiet“: die gesamte Tiefenpsychologie hätte sich ohne ihre jüdischen Vertreter nicht entwickeln können, ich nenne nur ganz knapp S.Freud, A.Adler, E.Fromm und manche andere …).


Vom Aufbau des Buches und vom angegebenen „Vorleben“ der Autoren her wäre es denkbar, dass dieses Buch ursprünglich für jugendliche Leser verfasst wurde. Erwähnt wird es allerdings an keiner Stelle im Buch. Für mich ist dies aber keine Kritik, sondern eher ein großes Lob! Denn Bücher für diesen Personenkreis erfordern eine besondere Prägnanz und eine klare, verständliche Sprache. Alles das finde ich in diesem Buch wieder. So etwas hilft mir sehr, mich in bisher unbekannte Sachverhalte gut einzufinden und sie besser zu verstehen! Ganz anders als bei jener komplizierten „Gelehrsamkeit“, die mich bei manchen Fachbüchern erschreckt und vom weiteren Lesen abhält. (Auch Psychologen können auf dieser Ebene sehr sündigen …)


Meine Empfehlung: Unbedingt lesen!!

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Zwei Anmerkungen zur Veränderung meines Geschichtsbildes, z.T. aufgrund der Lektüre dieses Buches:


Schon seit längerem ist meine Bewertung von Friedrich II., dem Preußenkönig, ins Wanken geraten. Immerhin kann ich in ihm nur noch den „Schlächter“ seiner Untertanen sehen, denn in den von ihm angezettelten Kriegen sind mehrere Hunderttausend Soldaten und Zivilisten allein in Preußen gestorben, die er seiner „Glorie“ geopfert hat, auch wenn Derartiges unter den Herrschern damals „Zeitgeistcharakter“ hatte. Und seine geistige Freizügigkeit hatte auch ihre Grenzen. Den Juden in seinem Reich z.B. verweigerte er alle Rechte, ließ sie misstrauisch beobachten und gewährte nur einigen besonders Erfolgreichen „gegen Bares“ weitergehende Privilegien. Von wegen „nach seiner Facon selig werden“!

(Dieser Sachverhalt wird im Buch auf S. 84/85 dargestellt.)


Auch einige seiner Nachfolger stemmten sich gegen eine Gleichstellung der Juden, wie sie sich zunächst nach der Niederlage gegen Napoleon und die dadurch notwendigen Reformen in Preußen Anfang des 19. Jahrhunderts angebahnt hatte, insbesondere der reaktionäre Friedrich Wilhelm IV. (Im Buch in den oben anschließenden Kapiteln genauer dargestellt.)


Viel weniger hatte ich allerdings bisher über Martin Luther gewusst. Ein wahrer Judenhasser!!


Ich zitiere dafür aus dem Buch:


„In seiner 1543 veröffentlichten Schmähschrift ‚Von den Jüden und ihren Lügen’ erhob der Mönch Martin Luther die antijüdische Stimmung zum Programm: Die Synagogen seien in Brand zu setzen, die Häuser der Juden zu zerstören; ihre heiligen Bücher seien ihnen fortzunehmen, ihren Rabbinern solle jedweder Unterricht bei Todesstrafe verboten werden; jede Geschäftstätigkeit sei ihnen zu untersagen und aller Besitz abzunehmen. Am besten wäre es, sie ganz aus dem Land zu jagen. Viele Juden, die in Luther anfangs einen Hoffnungsträger gesehen hatten, waren bestürzt […].“ (S. 66)


Und als zweite Belegstelle:


„Martin Luther schrieb nicht nur judenfeindliche Bücher, er machte auch Politik. So überzeugte er den Kurfürsten von Sachsen, die Juden aus seinem Territorium zu vertreiben. Als Josel von Rosheim [ein damals hoch angesehener jüdischer Repräsentant, J.L.] davon erfährt, reist er 1537 nach Wittenberg, um den Reformator zur Rede zu stellen. Doch Luther will ihn erst gar nicht sehen und schreibt ihm in einem Brief unmissverständlich: Die Juden sollen gefälligst zum Christentum übertreten, ‚wo aber nicht, so sollen wir sie auch bey uns nicht dulden noch leiden’. Mit dieser unversöhnlichen Haltung hat der Reformator die judenfeindliche Tradition des Mittelalters in die Neuzeit und in den Protestantismus hinübergetragen.“ (S. 67)


Um es sehr freundlich auszudrücken: Neben seiner Leistung als Auslöser der Reformation war Luther in anderen Fragen des realen sozialen Lebens offensichtlich kein großer Geist, denn auch bei den ausbrechenden gewaltigen sozialen Spannungen im Bauernkrieg hat er keine besonders rühmliche Rolle gespielt und auf weltlichen Ebenen lieber alles beim Alten gelassen …

Lieblingszitate LIII

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Da ich jetzt bei Gedichten bzw. Liedern angekommen bin, darf auch dieses nicht fehlen! Es erinnert mich an meine erste Fachschulzeit in einer niedersächsischen Schule für Erzieher und Heilpädagogen. Jeder Kollege musste von Zeit zu Zeit eine Art von Andacht gestalten, die zum Wochenbeginn am Montag veranstaltet wurde (eine gute Gepflogenheit!). Ich habe damals eine Schallplatte mit Liedern von Bettina Wegner entdeckt und „die kleinen Hände“ vorgespielt. Meine jungen Schüler waren sehr berührt! Seither schätze ich dieses Lied, das wohl einige Berühmtheit erlangt hat.


Kinder


Sind so kleine Hände

winzge Finger dran.

Darf man nie drauf schlagen

die zerbrechen dann.


Sind so kleine Füße

mit so kleinen Zehn.

Darf man nie drauf treten

könn sie sonst nicht gehen.


Sind so kleine Ohren

scharf, und ihr erlaubt.

Darf man nie zerbrüllen

werden davon taub.


Sind so schöne Münder

sprechen alles aus.

Darf man nie verbieten

kommt sonst nichts mehr raus.


Sind so klare Augen

die noch alles sehn.

Darf man nie verbinden

könn sie nichts verstehn.


Sind so kleine Seelen

offen und ganz frei.

Darf man niemals quälen

gehen kaputt dabei.


Ist son kleines Rückgrat

sieht man fast noch nicht.

Darf man niemals beugen

weil es sonst zerbricht.


Grade, klare Menschen

wärn ein schönes Ziel.

Leute ohne Rückgrat

hab’n wir schon zuviel.


BETTINA WEGNER



Abgedruckt in: spielen und lernen. H.9, September 1979. S. 14.

[In meiner Sammlung seit dem 8.9.1979.]

Donnerstag, 23. Juli 2009

Lieblingszitate LII

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Was soll ich zu diesem Gedicht sagen? Es gefällt mir einfach, und in Zeiten, in denen ich in meinem Leben unter Arbeitsstörungen litt, war Goethe für mich ein großes Vorbild, wie man es besser machen kann. Denn er war außerordentlich produktiv und muss dementsprechend fleißig gewesen sein. Das Gedicht lässt aber erahnen, dass auch ihm das nicht nur zugeflogen sein dürfte … Der Schatz, den ich z. Zt. ergrabe, ist mein blog! Jedenfalls schenkt er mir Wohlbefinden und Selbstbestätigung, wenn ich etwas produziere und damit „auf meine alten Tage“ arbeite.



Der Schatzgräber


Arm am Beutel, krank am Herzen,

Schleppt’ ich meine langen Tage.

Armut ist die größte Plage,

Reichtum ist das höchste Gut!

Und zu enden meine Schmerzen,

Ging ich, einen Schatz zu graben.

„Meine Seele sollst du haben!“

Schrieb ich hin mit eignem Blut.


Und so zog ich Kreis um Kreise,

Stellte wunderbare Flammen,

Kraut und Knochenwerk zusammen:

Die Beschwörung war vollbracht.

Und auf die gelernte Weise

Grub ich nach dem alten Schatze

Auf dem angezeigten Platze:

Schwarz und stürmisch war die Nacht.


Und ich sah ein Licht von weitem,

Und es kam gleich einem Sterne

Hinten aus der fernsten Ferne,

Eben als es zwölfe schlug.

Und da galt kein Vorbereiten.

Heller ward’s mit einem Male

Von dem Glanz der vollen Schale,

Die ein schöner Knabe trug.


Holde Augen sah ich blinken

Unter dichtem Blumenkranze;

In des Trankes Himmelsglanze

Trat er in den Kreis herein.

Und er hieß mich freundlich trinken;

Und ich dacht’ : es kann der Knabe

Mit der schönen lichten Gabe

Wahrlich nicht der Böse sein.


„Trinke Mut des reinen Lebens!

Dann verstehst du die Belehrung,

Kommst mit ängstlicher Beschwörung

Nicht zurück an diesen Ort.

Grabe hier nicht mehr vergebens!

Tages Arbeit, abends Gäste!

Saure Wochen, frohe Feste!

Sei dein künftig Zauberwort.“



JOHANN WOLFGANG v. GOETHE


Dieses Gedicht habe ich vor langer Zeit einmal – ohne Quellenangabe – abgeschrieben, sicherlich bei Goethe kein Problem zum Wiederfinden. In meiner Sammlung seit dem 28.10.1975.

Lieblingszitate LI

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Kurz, präzise, in Übereinstimmung mit meinen Lebenserfahrungen und geschichtlichen Kenntnissen!



Es kommt alles wieder, was nicht bis zu Ende gelitten und gelöst ist.


HERMANN HESSE



Gefunden in:

Claudia Brunner & Uwe von Seltmann: Schweigen die Täter reden die Enkel. – Frankfurt a.M.: Fischer – Tb. 2006. [= Fischer – Tb. 16760]. S. 14.


Mittwoch, 22. Juli 2009

Aufklärung über Alkohol, ein Leserbrief an die MOZ

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In der Märkischen Oderzeitung (MOZ) erschien am 17.7.2009 unter dem Titel:

Bätzing will Unterricht gegen Alkohol. Drogenbeauftragte schlägt neues Fach vor

der folgende Artikel, den ich hier leicht gekürzt wiedergebe:

Im Kampf gegen das Koma-Trinken bei zehntausenden Jugendlichen hat die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing [SPD] flächendeckenden Schulunterricht für gesundes Leben vorgeschlagen. […] Die Aufklärung über Gefahren von Alkoholmissbrauch müsse schon bei Kindern beginnen und sich „wie ein roter Faden“ durch die Ausbildung ziehen. „In der neunten Klasse im Biounterricht über Alkohol zu sprechen, ist eindeutig zu spät.“

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund unterstützte die neuerliche Forderung nach einem Schulfach für mehr Lebenskompetenz und Alkoholvorbeugung. „Wenn die Elternhäuser das offenbar nicht mehr leisten können, muss der Staat das teilweise übernehmen“, sagte Geschäftsführer Gerd Landsberg. Mehr als 23 000 Kinder und Jugendlichen kamen nach Koma-Besäufnissen zuletzt ins Krankenhaus. Massiv griff Landsberg die Krankenkassen an. Sie gäben nur 18 Cent pro Jahr und Versicherten für Alkoholprävention aus […].

Auf der 2. Seite folgt unter der Rubrik „Gesagt ist gesagt“ zusätzlich noch das folgende erhellende Zitat von Sabine Bätzing:

„Wenn sie kein Jugendzentrum, keine Freizeiteinrichtung mehr haben, müssen wir uns nicht wundern, wenn sie mit einem Sixpack zum Bushäuschen gehen.“

Das hat mich veranlasst, der MOZ am 22.7.09 einen kurzen Leserbrief zu schreiben:
[ Dieser Leserbrief wurde tatsächlich in leicht abgewandelter Form am 25.7.09 in der MOZ veröfentlicht, vgl. meinen blog v. 3.9.2009!]

Leserbrief an die Märkische Oderzeitung

Sehr geehrte Damen und Herren,

mit großem Interesse habe ich am 17.7.09 Ihre Berichterstattung über den Vorschlag der Drogenbeauftragten Sabine Bätzing gelesen, ein neues Schulfach für gesundes Leben und zur Aufklärung über die Gefahren des Alkoholmissbrauchs einzuführen.

Ich finde es begrüßenswert und überfällig, dass nach dem großen Thema „Rauchverbot“ nun auch das von den Auswirkungen her viel schlimmere Thema „Alkohol“ angesprochen wird. Frau Bätzing wird aber noch viel Durchhaltekraft zum Kämpfen brauchen und viele Steine beiseite räumen müssen, die ihr mit Garantie Alkohollobby und Gesellschaft in den Weg legen werden, bevor sie wirkliche Verbesserungen initiieren kann. Denn „Aufklärung“ kann nur ein erster Schritt sein in unserem „vom Alkohol durchtränkten Land“. In diesem Sinne finde ich die im selben Artikel zitierte Stellungnahme von Gerd Landsberg (Deutscher Städte- und Gemeindebund), der die Krankenkassen wegen zu geringer präventiver Maßnahmen angriff, an den falschen Adressaten gerichtet. Es sind andere Mächte, die ein Interesse daran haben, dass weiterhin der Alkohol in Deutschland in Strömen fließt. Aber wahrscheinlich ist es gefährlicher, sich mit denen anzulegen …

Mit freundlichen Grüßen JÜRGEN LÜDER


Ein erster Schritt! Und jetzt auch für die richtige Zielgruppe! Ich fand es nämlich vorher manchmal schon eher komisch, mit welcher Vehemenz für und gegen das Rauchen gekämpft wurde, der Alkoholkonsum aber tabu blieb. Manchmal taten mir fast die Raucher leid, weil viele Regelungen nach dem „Alles-oder-Nichts“-Prinzip gestrickt waren und keinerlei Zwischentöne erlaubten. Mir selbst tat es allerdings nicht weh, denn ich rauche seit 9 Jahren nicht mehr, ohne dass mir etwas fehlt. Beim Alkohol empfinde ich es ähnlich, nur dass der Beginn meiner Abstinenz-Zeit nun schon bald 17 Jahre zurückliegt. Für beide „Abstinenzen“ empfinde ich etwas wie Dankbarkeit, denn ich vermisse nichts mehr von diesen „Volksdrogen“ in meinem Leben und es geht mir unvergleichlich viel besser ohne sie. Ich bin dadurch aber nicht zum Moralisten geworden, möchte eher solche Bewegungen unterstützen, die speziell die Ausbreitung des Alkohols in unserer Gesellschaft eindämmen wollen. Dafür habe ich schon zuviel Elend mitbekommen, der vom Alkohol ausgelöst wurde.

Hoffentlich wird dieser Impuls von den Schulen gut aufgegriffen. Denn allein von der Schulbürokratie steht dem ja einiges entgegen: Die Stundentafel müsste geändert werden, die Lehrbefugnis von Lehrkräften für dieses neue Fach müsste geklärt werden, Stoffverteilungspläne fehlen und, und, und…

Ein Frage ans Gewissen: Konnten Lehrer, denen dieses Thema wichtig war, es nicht auch bisher schon in ihrem Unterricht unterbringen? Wäre das nicht eigentlich „ein Job“ für Klassenleiter in entsprechenden Verfügungsstunden? Allerdings würde das alles natürlich auch ein wenig Selbsterfahrung bei solchen Lehrkräften erfordern und z.B. ein Nachdenken über das Gläschen Rotwein oder den Sekt, den jeder mal so gerne trinkt?

Grundsätzlich glaube ich, dass Kindern und Jugendlichen im schulischen Bereich ohnehin viel mehr an Wissen über pädagogische und psychologische Sachverhalte beigebracht werden könnte im Sinne einer sozialen „Grundausstattung“ für kompetentes Tun und Helfen, mit grundlegenden Kenntnissen über Kindererziehung, Sexualität, Gestaltung einer Partnerschaft, seelische Probleme einschl. süchtiges Verhalten und vieles mehr, eine praktische Ethik gesunder Lebensführung, warum nicht mit einschlägigen Übungen. Zwar gibt es wohl in Gymnasien Leistungskurse im Fach „Psychologie“, aber die dienen wahrscheinlich eher der Vorbereitung auf ein Psychologie-Studium als solchen lebenspraktischen Fragen. Dies ist ein Thema, für das ich mich gerne „stark“ machen würde, wenn es dafür einen Ansatzpunkt gäbe!

Ich habe mich mit dem Thema „Jugend und Alkohol“ übrigens schon vor Jahren ausführlicher beschäftigt und seinerzeit einen Artikel darüber geschrieben. Er findet sich bereits auf meinem blog unter dem Titel „Reminiszenzen: Jugend und Alkohol“ am 30. April 2009!

Dinosauria VI: "Qualität" und "Qualitätsmanagement"

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Seit den 90er Jahren hat sich das „Qualitäts(un)wesen“ im sozialen Bereich breit gemacht. Qualitätsmanagement, Qualitätszirkel, Qualitätshandbücher, Zertifizierungssysteme … Jede Einrichtung, die etwas auf sich hält, macht mittlerweile bei diesem Zirkus mit. Z.T. spielt wohl auch die Sozialgesetzgebung mit hinein, die für die Abrechnung von Leistungen eine derartige Grundlage fordert.


Grundsätzlich also vielleicht sogar eine positive Idee, die es ermöglichen könnte, a´ la´ Aschenputtel gute von schlechten Einrichtungen zu trennen. Das aber über ein Qualitätsdenken, das aus technischen Produktionsprozessen abgeleitet wurde und bei der Herstellung normgerechter Schrauben hervorragend funktioniert, nicht aber mehr bei der Bewertung von Beziehungsprozessen sozialer Arbeit.


Was wird dennoch in den Betrieben, die es auf sich genommen haben, ihre „Qualität“ zertifizieren zu lassen, auf sich genommen, um jede Einzelheit des Betreuungsablaufs zu operationalisieren! Möglicherweise kommt man sich dabei wirklich „auf die Schliche“ und kann vereinzelt Abläufe verbessern. Aber eine Kernfrage im Sozialen bleibt unlösbar, jedenfalls aus meinem Blickwinkel: Die Qualität sozialer Arbeit steht und fällt mit der Qualität der eingegangenen Beziehung zwischen Helfer und Hilfsbedürftigem. Wieweit ist der Helfer in der Lage (von seiner Persönlichkeit und von seiner aktuellen Bereitschaft her), sich auf sein Gegenüber einzulassen und diese Beziehung durchzustehen und zu gestalten? Dass es dafür erforderlich ist, die Rahmenbedingungen zu verbessern, Helfer ordentlich zu bezahlen und auszubilden, steht außer Frage. Aber wie soll man diesen Kernbereich „messen“? Und um messbare Prozesse dreht es sich im gesamten Qualitätswesen.


Ich habe überzeugte Vertreter des Qualitätsmanagementwesens kennen gelernt, die für dieses Argument völlig taub waren. Irgendwie war es für mich nicht möglich, mit ihnen in eine tiefer gehende Diskussion einzusteigen. Wie zwei Welten. Es erinnerte mich an frühere Auseinandersetzungen zwischen Tiefenpsychologen und Behavioristen. Auch in diesem Fall haben die Behavioristen „gesiegt“, in dem nämlich die von ihrem Gedankengebäude ausgehende Wirksamkeitsforschung in der Psychotherapie mittlerweile die Standards bestimmt, nach denen Therapieformen bei den Kostenträgern als anerkannt gelten oder nicht. Und da sind dann die aus der behavioristischen Tradition stammenden, gut operationalisierbaren Verfahren der Verhaltenstherapie immer „eine Nasenlänge“ voran …


Ein weiterer Grund, warum Vertreter des Qualitätsmanagements ihre Methode so vehement vertreten, könnte auch – schlicht und ergreifend – ökonomischer Natur sein. Es ist eine neue Welt entstanden (in anderer Terminologie „ein neuer Markt“), in der sich Ausbildungsstätten, Zertifizierungsgesellschaften, Berater und in den Institutionen zugeordnete Bereichsleiter und Fachpersonal „tummeln“, die es vor dem „Qualitätsboom“ so noch gar nicht gab. Und dieser Markt dürfte seine Fachleute gut ernähren! Wenn dies nur eine zusätzliche Sparte im sozialen Bereich wäre, könnte man es als teilweise fragwürdige, teilweise hilfreiche Ergänzung sehen, die aber im gesellschaftlichen Bereich offenbar noch irgendwie gut finanzierbar ist.


Dem ist aber nicht so!! Gleichzeitig mit der Forderung nach nachweisbarer Qualität deckelten die Leistungsträger seinerzeit die Höhe der Leistungen, die sie zu bezahlen bereit waren. Es gibt also nur einen gleich bleibend großen „Kuchen“, aus dem sich das Qualitätswesen ein schönes Stück herausgeschnitten hat. Also neue Jobs nur auf Kosten alter Ressourcen …


Die Entwickler des Qualitätswesens haben dabei gute Vorbilder. Denn es war früher im Bereich psychotherapeutischer Verfahren ganz ähnlich: Erfinde eine neue Methode, begeistere Anhänger dafür, gründe ein Ausbildungsinstitut und bilde die Leute aus. Dann hast du bis zu deinem Lebensabend ausgesorgt … Ein gutes Rezept!!


Ich bin und bleibe ein alter Dinosaurier und mache mich mit meinen Meinungen wahrscheinlich nicht beliebt. Aber vermutlich hört ohnehin kaum jemand darauf. „QM“ ist jedenfalls fest „implementiert“ und erfolgreich, es ist offensichtlich sehr nützlich für alle, die es hauptberuflich betreiben, möge es ebenfalls Nutzen haben für alle, die es nach diesen anwenden müssen …

Dinosauria V: 20 Sorten Klopapier

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„20 Sorten Klopapier“, das ist ein Ausspruch meiner Frau, den ich nie vergessen werde. Der tiefere Sinn erschließt sich schnell. Bei einem Besuch in Westdeutschland um die Wendezeit herum war sie neugierig in einen Markt gegangen und fühlte sich (als „Ossi“) von der Überfülle des Angebots erdrückt und eher abgestoßen. Mir war das selbst noch nie so aufgefallen, bis wir über solche Erlebnisse redeten. Denn ich als alter „Wessi“ hatte zeitlebens hauptsächlich beim ALDI eingekauft, und der begnügte sich auch mit 2 – 3 Sorten. (Mittlerweile scheint auch diese Kette stärker auf Diversifikation zu setzen, wenn man das heutige Angebot an Käse- und Wurstsorten mit früher vergleicht, in meinen Augen nur bedingt eine Verbesserung.)

Recht hat sie! Auch ich finde kein Vergnügen daran, mich in Regalen durch eine Vielzahl ähnlicher Angebote durchzuwühlen, bis ich endlich eine preiswerte Sorte entdeckt habe. Am schlimmsten finde ich Drogeriemärkte mit ihren unzähligen Duschgels, Deodorants, Haarwaschmitteln, Cremes und was es sonst noch alles an m. E. oft überflüssigen Sachen gibt. Ich bin eben ein unverbesserlicher Dinosaurier! Eine Standardsorte reicht mir, wenn sie halbwegs ordentlich ist, mein ganzes Leben lang! Alles andere finde ich verwirrend, meine Zeit ist mir für solche Sucherei zu schade.

Die Freuden des Kapitalismus, der Globalisierung, des „Markts“ in allen Facetten, der Konkurrenz und des Überangebots (solange es das noch gibt, denn kann das ewig so weitergehen?). In meiner Kindheit gab es Nivea-Creme und Atrix, gibt es die überhaupt noch? Welche Tausend Variationen sind daraus alles entwickelt worden?! „Der Markt wird’s richten“ und nicht erfolgreiche Produkte werden verschwinden, so lautet die Theorie. Trifft es wirklich nur die Waren? Zuerst bleiben doch eher die Konsumenten auf der Strecke, wenn ich z.B. an die zahllosen Telefon- und Handy-Tarife denke. Wer hat da wirklich noch einen Überblick und lässt sich nicht irgendetwas „unterjubeln“, was er gar nicht durchschaut? Welcher Mensch braucht wirklich 30 Fernsehprogramme, auf denen in vielen Fällen nur „reiner Schrott“ läuft, während die Werbe-Slogans bis ins Unterbewusste eindringen? Wer versteht noch die zahllosen Tarife und Sonderangebote von Bahn und Fluggesellschaften? Von „Schnäppchen“ und „Geiz ist geil“ - Parolen angestachelt, kaufen Menschen Dinge, die sie wahrscheinlich gar nicht benötigen. Allerdings wächst die Zahl derjenigen, die sich bestenfalls noch Waren auf „Schnäppchen-Preis-Niveau“ leisten können, wenn überhaupt.

Ich liebe Bücher. Ein nicht unerheblicher Teil meines Geldes ist in Buchhandlungen gelandet. Wenn ich aber nicht gezielt nach einem bestimmten Buch oder einem Buch-Typ suche, macht es mir zunehmend weniger Freude, in die großen Buchtempel zu gehen, die z.B. in Berlin entstanden sind und kleinere Buchhandlungen schon fast ausgerottet haben. In den riesigen Bücherbergen komme ich mir oft verloren vor. Ich kann es allerdings nicht lassen, mal hineinzuschauen … Zumal man heute überall dort ein Cafe´ finden kann. Das ist echt gut. Hinterher allerdings verlasse ich dieses Bücher-Warenhaus mit einem schlechten Gewissen. Dann fällt mir nämlich meine kleine Provinz-Buchhandlung ein, die vor einem Jahr Pleite gegangen ist. Meine Wunschtitel hatte sie zwar nie vorrätig, besorgte sie aber bis zum nächsten Tag. Wir kannten uns, und jeder Besuch bedeutete auch einen kleinen „Klöhnschnack“, das entfällt jetzt. Schade.

Dienstag, 21. Juli 2009

Reminiszenzen: Diakonie im Wichernjahr 2008

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Den folgenden Text habe ich vor etwa einem Jahr für die Seite der MAV (Mitarbeitervertretung) in der Zeitschrift meiner diakonischen Einrichtung in Fürstenwalde geschrieben. Sie erschien dort in „Unterwegs“ 2/2008, S. 20 – 21.


Wie das mit „Reminiszenzen“ halt so ist, sind diese Zeilen nicht mehr druckfrisch, m.E. aber in ihren Kernaussagen immer noch durchaus aktuell.


Ich veröffentliche hier meine ursprüngliche Manuskript-Version. Die Redaktion hat seinerzeit meine vorgeschlagenen Zwischenüberschriften abgewandelt. Diese Version füge ich abschließend noch hinzu.



Und sie predigen Wasser und trinken Wein.

Diakonie im Wichernjahr


JÜRGEN LÜDER


Als Wichern seine bahnbrechende Arbeit mit sozialen Randgruppen der Gesellschaft begann, war seine Absicht, Mildtätigkeit aus christlichen Motiven heraus zu üben. Er arbeitete zunächst mit Laienhelfern, gründete Diakonen-Ausbildungen und Diakonissen-Häuser, evangelische Orden, in denen Frauen aus christlicher Überzeugung heraus ihr Leben diakonischer Arbeit widmeten und für einen „Gotteslohn“ arbeiteten.


Später dann setzte eine Professionalisierung in der Behindertenarbeit und allen anderen Bereichen sozialer Arbeit ein. Es entstanden verschiedenen Berufsgruppen mit zugehörigen „Standards“ in den jeweiligen Ausbildungen, die staatlich abgesichert wurden. Diese neuen Mitarbeiter betrachteten ihre Arbeit auch als „Broterwerb“, um ihre Familien finanzieren zu können.


Auch heute noch gibt es Auswirkungen aus der „Pionierzeit“

diakonischer Einrichtungen auf die Arbeitsbedingungen von Mitarbeiter/innen


Vieles aus der Anfangszeit diakonischer Arbeit lebt weiter im heutigen Denken und Gestalten der jetzigen diakonischen Einrichtungen. Geblieben ist insbesondere der hohe ethische Anspruch, nicht nur „gute“ Arbeit zu leisten, sondern auf religiöser Ebene „Nächstenliebe“ zu praktizieren. Als erstrebenswert gilt das Bild des „barmherzigen Samariters“, der mit Freude und ohne Hintergedanken eine hohe eigene Belastung auf sich nimmt zu einem „Gotteslohn“ als Hauptbelohnung, nicht nur aufgrund von wirtschaftlichen Überlegungen. Dies dürfte ein Nachklang des Einsatzes der Diakonissen sein, für deren Lebensführung die „Ökonomie“ nachrangig war.


Aber: In welchem anderen Wirtschafts- und Sozialbereich sind Mitarbeiter so fügsam, angepasst und bescheiden, beschweren sich selten und sind ohne viel Murren lange bereit, auch ohne Gehaltserhöhung trotz steigender Preise ihre Dienste weiter zu machen? Wo stößt gewerkschaftliche Arbeit, die sich für verbesserte Arbeitsbedingungen einsetzt, auf so geringen Widerhall wie gerade in diakonischen Einrichtungen?


Hinzu kommt, dass kirchliche und diakonische Arbeitgeber eine besondere staatliche Unterstützung genießen, die ihnen Sonderrechte gegenüber ihren Mitarbeitern einräumt und als „Tendenzbetriebe“ die betriebliche Mitbestimmung erheblich einschränkt. So gibt es lediglich Mitarbeitervertretungen im kirchlichen Bereich, aber keine Betriebsräte oder Personalräte.


Im MVG („Mitarbeitervertretungsgesetz“) der Kirche wird geregelt, wie Leitungen von kirchlichen Einrichtungen mit ihren Mitarbeitern in „Dienstgemeinschaften“ zusammenwirken sollen und ihr eigenes Arbeitsrecht in paritätisch besetzten AKs („arbeitsrechtlichen Kommissionen“) gestalten. Allen bekannt sind die AVR („arbeitsvertraglichen Richtlinien“) als verbindliches Tarifwerk diakonischer Einrichtungen.


Es kriselt jedoch. Zunehmend wollen Leitungen von Einrichtungen „Fahnenflucht“ begehen, um autoritär und einseitig eigenes Arbeitsrecht zu schaffen (z.B. Haustarife, Outsourcing von Betriebsteilen, Gründung von Leiharbeitsfirmen u.a.) Alles ist im heutigen Umfeld der Diakonie zu beobachten.


Ein Prüfstein für heutige diakonische Einrichtungen ist, ob die hohen moralischen Ansprüche für die Ausübung diakonischer Arbeit auch in der „Dienstgemeinschaft“ gegenüber den eigenen Mitarbeiter/innen gelebt werden.


So erhebt sich die Frage, ob in der gegenwärtigen Zeit der hohe moralische Anspruch diakonischer Arbeit noch eingelöst wird. Denn: soll er zu keiner doppelten Moral führen, muss er sowohl gegenüber den betreuten Menschen als auch in der Behandlung der eigenen Mitarbeiterschaft erkennbar sein.


Dort sind aber deutlich Probleme zu erkennen. Bischof Huber und die theologische Leiterin unseres Diakonischen Werkes BBO, Frau Kahl-Passoth, setzen sich vorbildhaft für Menschen in Armut in unserer Gesellschaft ein, klären mit dem Gewicht ihrer Rolle/ihres Namens über deren Lebensbedingungen auf , starten Initiativen und fordern auch staatliche Verbesserungen. Ein aktuelles Thema, wenn man an den kürzlich veröffentlichten „Armutsbericht“ der Bundesregierung denkt.


Auf der anderen Seite hat aber vor wenigen Wochen das Magazin „Panorama“ im Fernsehen berichtet, dass es Mitarbeiter in diakonischen Einrichtungen gibt, die so wenig verdienen, dass sie im Amt für Grundsicherung eine Hartz-IV-Aufstockung beantragen mussten.


Das sind aber nicht nur „exotische Fälle“ irgendwo in deutschen Landen, auch in unserem direkten Umfeld gibt es Bedenkliches zu berichten. Auch in Brandenburg gibt es Einrichtungen, die Hilfskräfte mit 20 Wochenstunden einstellen. Wer kann davon leben oder eine Familie gründen? Und es gibt Neugründungen von Trägern, die möglicherweise dem Diakonischen Werk (und seiner AVR) nicht mehr beitreten wollen. So scheint es jedenfalls bei der neuen „Aufwind gGmbH“ zu sein.[Anmerkung J.L. v. 21. 7. 09: Diese Firma ist mittlerweile doch dem Diakonischen Werk beigetreten.]


Veränderte Zwischenüberschriften in der Druckfassung:


Hauptamtliches diakonisches Engagement kann heutzutage nicht nur mit „Gotteslohn“ abgegolten werden, neben der „Nächstenliebe“ ist der „Broterwerb“ wichtige Motivation für die Arbeit


Auch in Brandenburg gibt es Einrichtungen, die Hilfskräfte mit 20 Wochenstunden einstellen. Wer kann davon leben oder eine Familie gründen?

Montag, 20. Juli 2009

VW, Porsche, Continental, Schaeffler und Co. KG - was kümmert's die Menschen wirklich?


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Jeden Tag eine neue Meldung von der Übernahme-Front! Im Augenblick steht VW und Porsche im Hauptblickfeld und Herrn Wiedeking scheint es „an den Kragen“ zu gehen. Der Tagesspiegel nannte am 19.7. eine denkbare Abfindung von 100 Millionen Euro, also könnte es ihm nur an der Ehre, nicht aber am Portemonnaie gebrechen. Bei Schaeffler musste wohl zeitweilig auch die Belegschaft zittern, weil eine Pleite im Raum stand. Was hingegen bei Porsche und VW wirklich das Problem ist, habe ich bisher nicht verstanden, nur dass sich die Betriebsräte beider Firmen nicht grün sind statt einer gemeinsamen Strategie. Was hindert sie daran?


Insgesamt: Diese „Elefanten-Hochzeiten“ scheinen einige Mächtige im Lande zu befriedigen, die daran ihren Macht-Poker üben können und hinterher als „Sieger“ dastehen wollen, vielleicht mehrt sich auch noch ihr Reichtum. Sonst hat doch wirklich niemand einen noch so geringen Nutzen davon, außer der Gefährdung bisher gesunder Firmen und sicherer Arbeitsplätze. (Oder bin ich völlig unwissend, „verblödet“, im Hinblick auf grundlegende wirtschaftliche Kenntnisse!?) Und die Belegschaften dürfen die entstehenden „Unkosten“ (im wahrsten Sinne des Wortes) erarbeiten, denn woher kommen sonst z.B. die erwähnten 100 Millionen? Die Allgemeinheit hat nichts davon, außer dem Schrecken, wenn plötzlich – wie bei Schaeffler – doch etwas danebengeht und der Staat „angezapft“ werden soll. Und der Betrag, der zur Alimentierung scheidender Bosse aufgewendet werden muss, würde, versteuert, etwas mehr Geld in die Staatskassen spülen oder für eine bessere Bezahlung der Belegschaft zur Verfügung stehen…


Es fällt mir schwer, Mitgefühl für Bosse und Drahtzieher aufzubringen, wenn ihr Kalkül – und damit vielleicht zugegebenermaßen auch ihre Lebensplanung – platzt. Ich sehe nur, dass da Elefanten in Porzellanläden herumtanzen. Wenn es dann doch einmal kräftig scheppern sollte, wird’s schon die Allgemeinheit richten … Aber eigentlich: was hat das alles mit uns zu tun?

Lieblingszitate L

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Eine wahre „Perle“ unter meinen Lieblingszitaten, ausgewählt zur Feier dieser Rubrik, denn das halbe Hundert ist jetzt voll! (Ich habe noch mehr „Anwärter“ in meiner „Warteschlange“!)

Um die unten genannten Persönlichkeitseigenschaften von Vorbildern und Lehrenden und Erziehenden in unser gegenwärtigen Gesellschaft dürfte es aber leider nicht so gut bestellt sein bzw. der „Zeitgeist“ belohnt „Leistungsträger“ für andere Eigenschaften. „Arme Welt“ im wörtlichen Sinne, denn der Verlust an geistigen Entwicklungsmöglichkeiten dürfte dadurch sehr hoch sein mit der Folge, dass alternative Zukunftsplanungen – trotz manchem Gerede – kaum zum Zuge kommen und die überkommenen alten Konzepte – Macht, Herrschaft, Besitz, Geld, Wachstum um jeden Preis – die Welt beherrschen, die Umwelt verwüsten und die Erde in absehbarer Zeit für Nachgeborene zu einem kaum noch bewohnbaren Planeten machen könnten.



Über dem Vermitteln von Wissen vergessen wir jenes Lehren, das für die menschliche Entwicklung am wichtigsten ist: jenes Lehren, das nur durch die einfache Gegenwart eines reifen und liebenden Menschen gegeben werden kann. In manchen Epochen unserer eigenen Kultur oder in China und Indien galt der Mensch am meisten, der hervorragende seelische und moralische Qualitäten hatte. Der Lehrer war nicht nur oder nicht in erster Linie eine bloße Informationsquelle, sondern seine Aufgabe bestand darin, bestimmte menschliche Haltungen zu übermitteln.

ERICH FROMM



Zitiert nach: Erich Fromm: Die Kunst des Liebens. Ullstein-Tb. 258. S. 152.
[In meiner Sammlung seit dem 7.1.1981.]

Freitag, 17. Juli 2009

Lieblingszitate XXXXIX

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Wenn ich bedenke, dass mein letzter blog-Eintrag etwas mit Selbsterfahrung und Selbsterkenntnis zu tun hat, so liegt das folgende schöne Zitat „ganz auf dieser Linie“!



Alle Erziehung beginnt mit der Selbsterziehung der Erzieher.


A. S. MAKARENKO



Habe ich vor vielen Jahren irgendwo abgeschrieben und kann deshalb „auf die Schnelle“ keine Quellenangabe geben!

Alte Erfahrungen wirken nach - meine Erlebnisse bei der Zeugnisausgabe meines kleinen Sohnes

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Noch in meiner „aktiven Dozentenzeit“ habe ich meinen älteren Schülern, die selbst schon Kinder hatten, erzählt, wie bei allen besonderen Ereignissen ihrer Kinder eigene Kindheitserfahrungen sie wieder einholen könnten und ihr Fühlen, Denken und Handeln mit beeinflussen würden. Das ergab immer eine hoch spannende Diskussion und nachdenkliche Gesichter.

Jetzt hat diese Vorankündigung mich selbst eingeholt. Denn es war unübersehbar, wie stark die Bewertungen von mir und meiner Frau auseinanderklafften, als es um die Bedeutung der Zeugnisausgabe des ersten Jahreszeugnisses unseres kleinen Sohnes Paul Jakob ging. Wir haben uns etwas gestritten, was nicht so häufig passiert: Meine Frau konnte es nicht nachvollziehen, dass ich seine Zeugnisübergabe nicht eingeplant hatte und erst einen Arzttermin verlegen musste, um auch teilnehmen zu können. Wer meinen blog-Eintrag von gestern gelesen hat, kann sich vorstellen, dass ich es nicht bereut habe!

Aber was hier „im Osten“ an Brimborium um Schulereignisse herum getrieben wird, kann ich wirklich nur schwer nachvollziehen! Einschulungen als große Familienfeiern, Abiturienten-Entlassungsfeiern wie ein Opernball, auf dem offenbar einige Schüler sogar noch Autos geschenkt bekommen (jedenfalls fahren welche mit einschlägigen Aufschriften anschließend durch die Stadt), das ist für mich fremd, eher befremdlich.

In meiner Kindheit und Jugend (in Schleswig-Holstein in den 50- und 60- Jahren) waren das alles eher beiläufige Ereignisse; Zeugnisse waren nichts Aufregendes (jedenfalls solange meine Zensuren gut waren und meine Versetzung ungefährdet …); meine Abiturienten-Entlassungsfeier ist mir völlig verblasst, ich weiß nicht einmal mehr, ob und wer von meinen Eltern teilgenommen hat. Manches davon kann meine spezielle Familiensituation gewesen sein (loben und anerkennen fiel meinen Eltern schwer, gute Leistungen waren für sie selbstverständlich, alles aus meiner heutigen Sicht nicht sehr „pädagogisch“, aber es war halt so), aber überall um uns herum wurde wohl auch damals ohnehin „eine Nummer kleiner“ gefeiert.

Alle derartigen Erinnerungen waren mir ziemlich weggerutscht, bis sie jetzt bei Paul Jakobs Zeugnisübergabe in Form des Streits mit meiner Frau wieder an die Oberfläche kamen. Wenn ich seine Situation mit meiner damaligen vergleiche, finde ich schon, dass ich seinerzeit einige Kränkungen wegstecken musste. Und das aus alten Ressentiments schnell eine Haltung entstehen kann wie „mir hat damals niemand etwas zum Zeugnis geschenkt und viel darüber geredet, was brauchen Kinder das heute, schon wieder so eine Verwöhnung, ich bin auch ohne die groß geworden“ oder ähnliche Rezepte, die durch die Köpfe von Eltern geistern können.

Ertappt! Jedenfalls habe ich mir bewusst gemacht, wo meine Bewertungskriterien herstammen. Und wo die Wurzeln für unseren Streit lagen. (Jedenfalls auf meiner Seite, auch meine Frau hat natürlich ihre alten Erlebnisse eingebracht.) Das heißt alles nicht, dass ich meine Meinung völlig aufgegeben hätte. Aber ich kann jetzt mein Urteil zu diesem Thema sachlicher abwägen und muss meine Nachkommen nicht alte Kränkungen, die mit ihnen nicht das Geringste zu tun haben, sondern sich nur in meiner Kindheit abgespielt haben, ausbaden lassen.

Ich warte auf das nächste einschlägige Thema! Es kommt bestimmt!

Donnerstag, 16. Juli 2009

Ich bin von Kopf bis Fuß auf ... Konkurrenz eingestellt!

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Und wie die Alten sungen, so zwitschern auch die Jungen! Mein kleiner Sohn Paul Jakob liebt den KIKA, wirklich ein empfehlenswerter Fernseh-Sender für Kinder. Aber ich habe einmal bewusst nur auf die Ankündigungen weiterer Sendungen gehört (erfreulicherweise gibt es sonst keinerlei Werbung!), da wurde mir auf einmal ganz anders: es ging ständig um irgendwelche Ausscheidungskämpfe, um „Bester“ sein zu können, beste Klasse, bester sonst was … Überlegenheit, Ausstechen, Konkurrenz. Die Kinder und Jugendlichen werden rechtzeitig in unser gesellschaftliches Klima eingeführt. Kooperation, gemeinsames Tun ist ja gut und nett, wenn es dann aber auch an der richtigen Stelle wieder in die offenbar „betriebsnotwendige“ Konkurrenz einmündet. Was wäre Deutschland ohne diese große Kraft !!!!

Sind wir nun deshalb aber auch ein Volk von Siegern? Wenn ich in die deutsche Geschichte zurückblicke, wirkt es eher wie das Gegenteil davon. (Vielleicht machen solche Erlebnisse ja geradezu „geil“ auf Siege …) Wenn ich dann in die Gegenwart gucke, ist es eine logische Konsequenz, dass jeder Sieger einige Besiegte hinter sich lassen muss, denn sonst wäre es ja kein „Sieg“. Bei all den vielen Siegern und zwangsläufig noch viel mehr Verlierern müssten wir deshalb – statistisch betrachtet – ein Volk von Verlierern sein!!! (Jetzt habe ich mich wohl endgültig als „Nestbeschmutzer“ geoutet…)

Aber es geht wahrscheinlich immer auch noch anders. Paul Jakob erhielt gestern sein Abschlusszeugnis der 1. Klasse, wie schön, noch ohne Zensuren (also könnte man auch im angepasstesten Falle noch nicht den „besten“ Schüler über den besten Zensurenschnitt berechnen …). Die Klassenlehrerin hat für jeden Schüler und jede Schülerin eine besondere Ermutigung mit in die nächste Klasse gegeben: Jede Schülerin, jeder Schüler bekam eine Belobigung als „König“ oder „Königin“ in irgendeinem Bereich, in dem er sich im vergangenen Jahr besonders positiv verhalten oder entwickelt hatte, für seine individuelle Stärke, die nicht gemessen wurde an der Konkurrenz / Überlegenheit gegenüber den anderen. So musste niemand von den Kindern den anderen ein Königreich neiden, denn er selbst war Herrscher in seinem eigenen Land. Ich hatte den Eindruck, dass die Kinder sehr zufrieden in die Ferien gingen. Ein großes Lob für diese Lehrerin! Und für die Pädagogik, die abweichend vom „Nationalcharakter der Deutschen (s.o.)“ solche Konzepte vertritt!

Montag, 13. Juli 2009

Lieblingszitate XXXXVIII

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„Lesen als große Wanderung…“, ein wunderbarer Aufruf! Ich muss dabei gestehen, dass ich mich vor „dicken Büchern“ etwas fürchte, weil ich nicht weiß, ob ich wirklich ihre Schlussseiten erreiche. Aber ohne Lesen leben? Ich kann es mir nicht vorstellen und hoffe sehr, dass meine Augen und mein Geist mich da noch lange unterstützen.


Und wenn ich es selbst schon nicht jeden Tag schaffe, ein Lesen hat einen festen Platz in unserem Tagesablauf: Mein kleiner Sohn Paul Jakob besteht darauf, dass ich ihm vor dem Einschlafen vorlese. Keine Pille-Palle, sondern einen richtigen Kinderroman: Im Augenblick lesen wir wieder ein klassisches Buch über „Doktor Dolittle“, eine wundervolle, warmherzige Lektüre!


„Man hat uns das Lesen nicht beigebracht“ – diesen Satz in vielerlei Varianten kann jeder hören, der mit jüngeren Menschen zu tun hat; ob in der Schule oder an der Universität. Literaturstudenten geben ohne Umschweife zu, noch nie einen Roman „ganz“ gelesen zu haben.


Fotokopierte Exzerpte der Sekundärliteratur haben das Buch verdrängt, der Genuss des Lesens ist der informatorischen Lektüre gewichen. Lesen aber als große Wanderung durch das Unwirkliche, gerade in unserer Zeit der optischen Inflation, ist die Chance zur Besinnung, zur Selbstbegegnung. Wer sich dem Sog fremder Phantasie nie ausgesetzt hat, kann schwer eigene entwickeln; kann Bedrohungen und Zwängen der wirklichen Welt kaum Aktivität entgegensetzen, nicht einmal Toleranz.


Intellektuelle Trägheit entspricht schnell moralischer Leere. Sie ist auffüllbar – zum Beispiel mit politischem Chaos.


FRITZ J. RADDATZ


Aus: F. J. Raddatz (Hrsg.): Die ZEIT - Bibliothek der 100 Bücher. St 645. Vorspann.

[In meiner Sammlung seit dem 25.11.1980]

Ich blogge, also bin ich ...

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Das ist natürlich "ein starkes Stück"! Und ein gewagter Griff in die "Zitatenkiste".
Ich will dabei keinem ehrwürdigen Philosophen zu nahe treten. Aber diese Aussage hat wirklich etwas mit meinem derzeitigen Lebensgefühl zu tun. Kann ich irgendeinen Text in meinen blog stellen, kurz oder lang, von mir selbst verfasst oder reines Zitat, so fühle ich mich wohl in meiner Haut, als hätte ich schon einmal eine gute Tat an diesem Tag begangen. Ich spüre mich, fühle mich auf diese Weise lebendig. Darum habe ich mich schon auf diesen Montag-Vormittag gefreut, weil ich dann wieder Zeit zum Schreiben habe.

Ich wünsche allen meinen Lesern einen guten Start in die neue Woche!

JÜRGEN LÜDER

Samstag, 11. Juli 2009

Lieblingszitate XXXXVII


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Zum Wochenende ein schönes Zitat von meinem Lehrer in die Tiefenpsychologie und Individualpsychologie!


Glück


Die Logik des Menschenlebens lehrt, dass nur derjenige glücklich sein kann, der auch andere glücklich macht oder zumindestens ein liebevolles Interesse für sie hat.


Nur derjenige wird menschlich vorankommen, der seine Mitmenschen in irgendeiner Form in sein Fortschreiten einbezieht.


JOSEF RATTNER


Leider habe ich es damals versäumt, eine Quellenangabe aufzuschreiben, als ich diese Zeilen am 27.5.1980 in meine „Sammlung“ aufnahm.

Freitag, 10. Juli 2009

Lieblingszitate XXXXVI

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Eine sachkundige Ergänzung zum letzten Thema!


Kaum hatte die Schlange dieses ehrwürdige Bildnis angeblickt, als der König zu reden anfing und fragte: Wo kommst du her? – Aus den Klüften, versetzte die Schlange, in denen das Gold wohnt. – Was ist herrlicher als Gold? fragte der König. – Das Licht, antwortete die Schlange. – Was ist erquicklicher als das Licht? fragte jener. – Das Gespräch, antwortete diese.

GOETHE

Aus: „Das Märchen“


Gefunden in: Deutsche Märchen, ausgewählt von Elisabeth Borchers, eingeleitet von Wolfgang Koeppen. – Insel-Vlg. 1979. S. 174.
[In meiner Sammlung seit dem 5.7.1985.]

Die Kunst des Zuhörens

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Jahrelang habe ich an meiner früheren Fachschule „Kommunikation“ und „Gesprächsführung“ unterrichtet. Davon ist mir vermutlich vieles an Grundgedanken, aber auch an Techniken „in Fleisch und Blut“ übergegangen, ohne dass ich es noch merke. Ob meine Mitmenschen es dadurch im Umgang mit mir leichter haben, weil ich – zumindest theoretisch – ein geschulter Zuhörer bin, müssen diese beurteilen. Auf jeden Fall habe ich aber einen geschärften Blick – oder besser: ein geschärftes Ohr – für das, was ich im Umgang mit meinen Mitmenschen beobachten kann (und manchmal leider muss).


Ich erlebe an mir selbst, dass mir persönlich das Zuhören nur dann gelingt, wenn ich innerlich einigermaßen frei bin, mit keinen drängenden eigenen Problemen kämpfe und wenigstens ein halbwegs freundliches Interesse an meinem Gegenüber habe. Fehlt davon etwas, fühle ich mich z.B. bei bestimmten Menschen von der ewigen Wiederkehr bestimmter Themen genervt, bleibt von mir höchstens eine freundliche Fassade (ich bin schließlich als höflicher Mensch erzogen worden) ohne wirkliche Anteilnahme. Ich bin dann innerlich auf dem Sprung, einen Ausstieg aus dieser Situation zu suchen, ohne mein Gegenüber gar zu sehr zu verletzen. Es scheint aber Menschen zu geben, die sogar den Monolog gegenüber einer solchen Fassade der Einsamkeit mit sich selbst vorziehen…


Wie schwer es allerdings ist, selbst einen zuhörenden Gesprächspartner für eigene Probleme zu finden, der nicht gleich ein Profi ist (und gerade die können es auch nicht immer …), habe ich am eigenen Leib schon häufiger erlebt. Vielleicht ist es bei mir aber auch besonders hinderlich, dass ich durch mein Vorwissen zu anspruchsvoll bin?


Jedenfalls werde ich mittlerweile stumm oder wechsele das Thema, wenn meine Versuche, ganz schlicht meine Situation und meine Erlebnisse aus meiner Sicht zu schildern, bei meinem Gegenüber nur ständige „ja, aber“ und „du siehst das ganz falsch“ und „ich verstehe deine Gefühle nicht“ hervorrufen. Früher hätte ich dann diskutiert, dafür bin ich mir jetzt zu schade und beende lieber das „Gespräch“. Gemein gegenüber meinem Gesprächspartner, dem ich so die Gelegenheit raube, sich mir überlegen fühlen zu können! Aber so etwas mag ich mir nicht mehr antun, wo mich das Thema doch schon inhaltlich genug quält. (In meinem Unterricht haben wir übrigens diesen Typ von „Zuhör-Strategie“ als „Gesprächs-Killer“ bezeichnet.)


Noch ein anderes Erlebnis, das ich häufiger im Zusammenhang mit meinem kleinen behinderten Sohn hatte und manchmal immer noch habe: Mein Gegenüber versucht mich zu trösten (auch wenn ich um keinen Trost nachgesucht habe), gibt mir Ratschläge (die ich oft schon kenne oder sogar schon ausprobiert habe) oder bagatellisiert das Geschehen („habe doch Geduld, es wird schon noch werden“, wo ich selbst ganz sachlich sehe, wie der Stand der Dinge dagegen spricht und ich mich längst schon darauf eingestellt habe). Nur eines tut mein Gegenüber nicht: mir einfach zuhören! Mehr will ich ja gar nicht. Tut es jemand, fühle ich mich ernst genommen und kann vielleicht durch sein hilfreiches Zuhören über mich besser nachdenken und bestenfalls neue Ideen entwickeln und mich besser fühlen. (So zumindest in der Theorie zu derartigen Gesprächsformen …) Für sehr viele Menschen muss es aber schier unerträglich sein, ein Gegenüber auszuhalten, das vielleicht Kummer hat und sich hilflos fühlt. Die Tapferkeit, diese Gefühle beim Anderen zu belassen und ihm dadurch auch eine Berechtigung für solche Empfindungen zuzusprechen, bringen nur wenige auf. Der Traurige scheint wie ein Spiegel zu sein, in dem ich mich selbst wiedererkennen könnte, kaum auszuhalten! Besser schnell übertünchen!


Ich kenne mittlerweile eine Reihe von Eltern Behinderter, die über die Jahre hinweg eine sehr sachliche Haltung zur Behinderung ihrer Kinder entwickelt haben, handfeste Unterstützung wohl zu schätzen wissen (und bei Ämtern auch darum kämpfen!), über eine Trost-Gebärde aber nur noch freundlich lächeln. Sie haben ihr Schicksal akzeptiert (im guten Falle die betroffenen Kinder ebenfalls), jedenfalls erwarten sie keine „Wunder“ mehr, dafür die Möglichkeit, angemessen am Leben der Menschen um sie herum teilnehmen zu können, nicht aber aufgesetztes Trösten. Davon wird nichts besser.


Mit diesem letzten Absatz habe ich mich von meinem ursprünglichen Thema schon ein Stück weg bewegt, aber ich bin jetzt hier ja auch nicht mehr der Psychologie-Dozent, der den Unterrichtsgegenstand didaktisch sauber aufbereitet, sondern ein Betroffener, für den Verschiedenes assoziativ schnell zusammenfließt. Meine Leser mögen mir das verzeihen!


Aber ich will noch einmal zu meinem Anfangsthema zurückkehren:


Es gibt sicherlich „Naturtalente“ im Zuhören, Menschen, die andere geradewegs anziehen, in deren Nähe man sich wohl fühlt und sich öffnen mag, bei denen man einfach das Gefühl haben kann, was ich gesagt habe, ist hier gut aufgehoben! CARL ROGERS hat solche Eigenschaften schön beschrieben. Ich denke, ausschlaggebend für das Gelingen des Zuhörens ist die mitmenschliche Haltung, das Ausmaß an entwickeltem Gemeinschaftsgefühl, um einen anderen „Säulenheiligen meiner Vergangenheit“, ALFRED ADLER, einzubeziehen.


Das macht deutlich, dass es nicht um die „hilflosen Helfer“ (erstmalig beschrieben von WOLFGANG SCHMIDBAUER) gehen kann, die aus einem inneren Drang heraus einen Schwarm von „Klienten“ festhalten, wobei alle Beteiligten sich gegenseitig dringend „brauchen“.


Mein früherer Unterricht hat mir gezeigt, dass jeder, der halbwegs offen dafür ist, einiges an seiner „Kunst“ der Gesprächsführung, speziell beim Zuhören, verbessern kann. Erfolgreich ist das aber nur, wenn man sich seiner eigenen Einstellungen zu diesem Geschehen bewusster wird und dann auch etwas „Technik“ (wie z.B. das Erkennen und Vermeiden solcher „Gesprächskiller“) erwirbt.


Technik allein allerdings macht es sicherlich nicht! So bin ich sehr skeptisch gegenüber allen möglichen „Trainings“, die heutzutage im Bereich von „Manager-Schulungen“ etc. angeboten werden. Menschen haben zumeist ein feines Gespür dafür, ob ihr Gegenüber sich „echt“ verhält oder nur eine angelernte Technik abspult. FRIEDEMANN SCHULZ V. THUN hat in einem seiner Bücher zur Gesprächsführung diese unterschiedlichen „Anwender“ von Gesprächskenntnissen herausgearbeitet: denjenigen, denen es um einen „echten“ Umgang mit ihrem Gegenüber geht, und diejenigen, die auf der Suche nach wirksamen Manipulationstechniken sind, um Menschen in die von ihnen beabsichtigte Richtung hin zu lenken. Psychologische Kenntnisse als Herrschaftswissen!


Wohin ist meine schöne Psychologie, an der ich sehr hänge, entartet, wenn es Vertreter gibt, die sich für Derartiges hergeben! Und damit wahrscheinlich auch noch sehr viel mehr Geld verdienen als diejenigen der anderen Ausrichtung, vermutlich der ausschlaggebende Punkt! - Vielleicht bin ich ein Träumer, der an „ veralteten Idealen“ festhalten will!? Für sie zu kämpfen lohnt sich aber allemal!!!